Eva Illouz' "Warum Liebe wehtut" oder Christiane Rösingers "Liebe wird oft überbewertet" - zwei Bücher in diesem Jahr, die moderne Liebesökonomien zu beschreiben versuchen und in den Feuilletons eine kleine Debatte darüber angeregt haben, warum es heutzutage vielleicht noch ein bisschen schwieriger ist als früher, sein Glück auf einen anderen zu bauen. Zu den beiden genannten Titeln kommt nun ein weiterer hinzu: "Tanzen auf Beton" heißt Iris Hanikas neuer Roman, der von einer komplizierten Liebesbeziehung handelt und von den Unmöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Ob es aber überhaupt ein Roman ist, wie die Psychoanalyse ein aus der Bahn geratenes Leben wieder in die Spur bringen kann und warum Musik glücklich macht, darüber sprach Ulrich Rüdenauer mit der 1962 geborenen, in Berlin lebenden Iris Hanika:
Nicht überall, wo Roman draufsteht, ist auch ein Roman drin. Zumindest muss man manchmal die Gattungsgrenzen schon sehr großzügig ziehen, um das ohnehin ja äußerst weitverzweigte Genre noch einigermaßen fassen zu können. Der Untertitel von Iris Hanikas neuem Buch "Tanzen auf Beton" trifft es dann schon eher: "Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Hanika dazu:
"Ja, in dem Buch geht es um weitere Anwendungen der Psychoanalyse, darum, eigenartige schlimme Zustände aufzulösen, und am Anfang dieses Auflösungsprozesses ist eine Situation, in der man gar nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll, wo quasi ein Betonboden da wäre: Aber es hilft ja nichts, man muss trotzdem tanzen."
Allerdings federt man nicht besonders gut auf Beton, es geht auf die Gelenke und auf Dauer vielleicht auch aufs Gemüt.
"Nein, auf Beton tanzen ist ganz ganz schlecht, das sollte man gar nicht machen. Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut über den Einfall der Gestalterin, die für den Buchumschlag so Pferdchen gefunden hat, die aber auf Möbelbeinen stehen, mit denen man erst recht nicht tanzen kann – womit sie gut diese Situation andeutet, dass man eigentlich gar nicht weiß, wie es gehen soll, aber irgendwas muss man halt tun. Mir fällt gerade ein: Von Nietzsche gibt es dieses Wort 'Tanzen in Ketten' oder 'In Ketten tanzen', das wäre etwas Ähnliches. Also: Obwohl es unmöglich ist, muss man es trotzdem tun."
Den Betonboden der Tatsachen, könnte man sagen, bildet jene verkorkste Beziehung, die im Mittelpunkt von Hanikas Bekenntnisprosa steht: Eine Frau erinnert sich an den "einst Geliebten", mit dem sie tatsächlich wie verkettet war. Von einer Leichtigkeit lässt sich in dieser neurotischen Beziehung jedenfalls nicht sprechen. Sie basiert auf Verschwiegenheit – er verheimlicht die Treffen aufgrund seines Familienstands, er ist nämlich verheiratet. Sie, weil sie in sich verborgen ein etwas verqueres Frauenbild mit sich herumträgt, das ihr fortwährend sagt: Du bist nichts wert, darfst keine Wünsche haben und musst dem Mann zu Gefallen sein. Weil sie als intelligente, durchaus in feministischen Belangen geschulte Frau diese Vorstellung aber verständlicherweise ziemlich antiquiert findet, ist es ihr ganz recht, wenn auch sie immer mal wieder nur zwei Stunden die Geliebte ist, das Arrangement auf Heimlichkeit fußt.
So ist die Liebe zwar in der Spannung unserer Körper zu spüren, aber sie ist eben nicht materiell.
Man kann sich vorstellen: Das ist nicht nur unbefriedigend, sondern auch verletzend. Das Selbstverständnis gerät durcheinander. Gefühlte Abhängigkeit und Sehnsucht widersprechen dem emanzipierten Selbstbild. Das Ich trägt ein es einschnürendes Korsett und sitzt dazu auch noch im Psychoknast der modernden Metropolenbewohnerin. Daran knabbert sie, sie leidet darunter, hadert mit der Analyse, der sie sich schon jahrelang anvertraut hat, die aber wohl - wie sie nun merkt - noch längst nicht zum Ziel geführt hat. Das Ziel wäre: Dem Grundschaden, von dem dieses Ich spricht, auf die Schliche zu kommen.
"Das Buch entstand aus einer Notwendigkeit. Die Notwendigkeit war die, ein schweres Problem aufzulösen. Das gelingt mir schreibend am besten. Das musste ich dann einfach schreiben. Ich habe mir nicht vorgenommen, ein Buch über Analyse zu schreiben. Sondern es war eben so, dass ich ein weiteres Mal die erlösenden Eigenschaften oder Möglichkeiten der Analyse angewandt habe."
Tatsächlich scheint die Analyse den Weg zu weisen und das Buch selbst einem analytischen Prozess zu gleichen. Nach und nach löst sich etwas auf und eine Erkenntnis reift. Das geschieht auch über Um- oder Parallelwege: übers Reisen, über das Erlernen einer Fremdsprache, über die Musik – über Medien, die der Frau einen anderen Weltzugang ermöglichen. Und auch so etwas wie Glück.
"In diesem Buch ist es ja so, dass diese Frau, wenn sie mit diesem Mann zusammen ist, sich glücklich fühlt und gleichzeitig nicht existent, weil mit diesem Mann kein Gespräch zum Beispiel möglich ist. Oder es ist eigentlich die Hauptsache, dass mit dem gar kein Gespräch möglich ist. Und es ist so ein Jenseits von allem. Wie man auch, wenn man Musik hört, jenseits der Sprache ist, also nicht in der Sprache."
Das sind die Momente, in denen dem Ich etwas gelingt, das in der Sprache erst mühsam hergestellt werden muss: Einssein mit einer Idee vom eigenen Leben. Dass dies nur selten geschieht und wenn überhaupt dann nur im Akzeptieren von Zerrissenheit, zeigt auch die Form dieses Buches. Es besteht aus kleinen Absätzen, Beobachtungen, Reflexionen, Anekdoten, Erinnerungen, aus Fragmenten, die lose zusammengehalten werden. Wie dieser autobiografische Roman setzt sich natürlich auch der Lebensroman aus nicht immer zusammenpassenden Teilen zusammen, und erst im Nachhinein lassen sie sich vielleicht so anordnen, dass daraus eine Geschichte wird.
Alles hat seine Zeit. Die Zeit zum Begreifen ist eine eigene Zeit, eine andere ist die zum Berichten.
Hanika erläutert:
"Ich beklage mich in einem Fort, dass ich nichts zustande kriege. Jeden Tag möchte ich etwas schreiben und kriege nichts zustande, und nach einer Weile stelle ich dann fest, dass doch irgendetwas vorhanden ist. Und so sind auch die anderen Romane entstanden. Es gibt dann irgendwelche verstreuten, disparaten Texte, die aber dadurch, dass ich sie geschrieben habe und da sie auch zeitlich zusammenhängend mehr oder weniger entstanden sind, auch einen Zusammenhang haben, und ich stelle dann fest, dass die Sachen zueinanderpassen und bastele sie zusammen. Ich montiere eigentlich meistens. Das eigentliche Problem ist immer, irgendwelches Material zu schaffen, ohne zu wissen, wo es eigentlich hinführt. Aber am Ende, wenn ich es zusammenbasteln kann, ist es sehr beglückend. Dann gewinnt es auch eine Bedeutung."
Vor allem sammle ich nichts. Ich kategorisiere nichts und entwerfe keine Ordnungssysteme. Ich interessiere mich nicht für tote Dinge, sondern studiere lebendige.
Das Studium am lebendigen Objekt bedeutet zugleich auch eine gewisse Unmittelbarkeit – die Kühle der distanzierten Beobachterin geht Hanika ab. Das ist in ihren früheren Büchern, etwa dem Liebesroman "Treffen sich zwei", doch ein wenig anders. Es fand da eine literarische Übertragung statt, die das collagierende Anordnen verschiedener Textteile auch zu etwas reizvoll Künstlichem machte. "Tanzen auf Beton" ist direkter. Es wirkt sehr viel unbearbeiteter. Ungeschliffener. Näher an der Autorin. Ich, sagt Hanika, bedeutet in diesem Falle auch Ich. Man hat zuweilen das Gefühl, tatsächlich heimlich bei einer Therapiestunde hinter einer spanischen Wand zu sitzen und zu lauschen. Das ist durchaus ein wenig peinvoll, weil nicht jeder geäußerte Gedanke, der zwar wahr sein mag, auch sonderlich originell erscheint.
Wie lange ist das durchzuhalten? Wie lange für die Schreiberin, wie lange für den Leser? Nicht lange. Schon bald kommt der Sinn wieder angekrochen.
Der Sinn dieses Buches, das laut Hanika ans "Eingemachte" geht, besteht nicht unbedingt darin, einen höheren Sinn zu finden, sondern sein eigenes Tun zu durchschauen und die Zwänge zu beschreiben, in die sich ein emanzipierter Mensch hineinbegeben kann. Herauszufinden, welche Erlebnisse aus vergangenen Tagen das Jetzt zu sabotieren drohen. Große Literatur ist das nicht. Aber eben ein weiterer Bericht von der unendlichen Analyse – mit "heiteren Zwischenspielen" und zumindest der ansatzweisen "Entwirrung eines Knotens".
Iris Hanika: "Tanzen auf Beton. Weiterer Bericht von der Analyse"
Roman, Literaturverlag Drosch, 167 Seiten, 19 Euro.
Nicht überall, wo Roman draufsteht, ist auch ein Roman drin. Zumindest muss man manchmal die Gattungsgrenzen schon sehr großzügig ziehen, um das ohnehin ja äußerst weitverzweigte Genre noch einigermaßen fassen zu können. Der Untertitel von Iris Hanikas neuem Buch "Tanzen auf Beton" trifft es dann schon eher: "Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Hanika dazu:
"Ja, in dem Buch geht es um weitere Anwendungen der Psychoanalyse, darum, eigenartige schlimme Zustände aufzulösen, und am Anfang dieses Auflösungsprozesses ist eine Situation, in der man gar nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll, wo quasi ein Betonboden da wäre: Aber es hilft ja nichts, man muss trotzdem tanzen."
Allerdings federt man nicht besonders gut auf Beton, es geht auf die Gelenke und auf Dauer vielleicht auch aufs Gemüt.
"Nein, auf Beton tanzen ist ganz ganz schlecht, das sollte man gar nicht machen. Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut über den Einfall der Gestalterin, die für den Buchumschlag so Pferdchen gefunden hat, die aber auf Möbelbeinen stehen, mit denen man erst recht nicht tanzen kann – womit sie gut diese Situation andeutet, dass man eigentlich gar nicht weiß, wie es gehen soll, aber irgendwas muss man halt tun. Mir fällt gerade ein: Von Nietzsche gibt es dieses Wort 'Tanzen in Ketten' oder 'In Ketten tanzen', das wäre etwas Ähnliches. Also: Obwohl es unmöglich ist, muss man es trotzdem tun."
Den Betonboden der Tatsachen, könnte man sagen, bildet jene verkorkste Beziehung, die im Mittelpunkt von Hanikas Bekenntnisprosa steht: Eine Frau erinnert sich an den "einst Geliebten", mit dem sie tatsächlich wie verkettet war. Von einer Leichtigkeit lässt sich in dieser neurotischen Beziehung jedenfalls nicht sprechen. Sie basiert auf Verschwiegenheit – er verheimlicht die Treffen aufgrund seines Familienstands, er ist nämlich verheiratet. Sie, weil sie in sich verborgen ein etwas verqueres Frauenbild mit sich herumträgt, das ihr fortwährend sagt: Du bist nichts wert, darfst keine Wünsche haben und musst dem Mann zu Gefallen sein. Weil sie als intelligente, durchaus in feministischen Belangen geschulte Frau diese Vorstellung aber verständlicherweise ziemlich antiquiert findet, ist es ihr ganz recht, wenn auch sie immer mal wieder nur zwei Stunden die Geliebte ist, das Arrangement auf Heimlichkeit fußt.
So ist die Liebe zwar in der Spannung unserer Körper zu spüren, aber sie ist eben nicht materiell.
Man kann sich vorstellen: Das ist nicht nur unbefriedigend, sondern auch verletzend. Das Selbstverständnis gerät durcheinander. Gefühlte Abhängigkeit und Sehnsucht widersprechen dem emanzipierten Selbstbild. Das Ich trägt ein es einschnürendes Korsett und sitzt dazu auch noch im Psychoknast der modernden Metropolenbewohnerin. Daran knabbert sie, sie leidet darunter, hadert mit der Analyse, der sie sich schon jahrelang anvertraut hat, die aber wohl - wie sie nun merkt - noch längst nicht zum Ziel geführt hat. Das Ziel wäre: Dem Grundschaden, von dem dieses Ich spricht, auf die Schliche zu kommen.
"Das Buch entstand aus einer Notwendigkeit. Die Notwendigkeit war die, ein schweres Problem aufzulösen. Das gelingt mir schreibend am besten. Das musste ich dann einfach schreiben. Ich habe mir nicht vorgenommen, ein Buch über Analyse zu schreiben. Sondern es war eben so, dass ich ein weiteres Mal die erlösenden Eigenschaften oder Möglichkeiten der Analyse angewandt habe."
Tatsächlich scheint die Analyse den Weg zu weisen und das Buch selbst einem analytischen Prozess zu gleichen. Nach und nach löst sich etwas auf und eine Erkenntnis reift. Das geschieht auch über Um- oder Parallelwege: übers Reisen, über das Erlernen einer Fremdsprache, über die Musik – über Medien, die der Frau einen anderen Weltzugang ermöglichen. Und auch so etwas wie Glück.
"In diesem Buch ist es ja so, dass diese Frau, wenn sie mit diesem Mann zusammen ist, sich glücklich fühlt und gleichzeitig nicht existent, weil mit diesem Mann kein Gespräch zum Beispiel möglich ist. Oder es ist eigentlich die Hauptsache, dass mit dem gar kein Gespräch möglich ist. Und es ist so ein Jenseits von allem. Wie man auch, wenn man Musik hört, jenseits der Sprache ist, also nicht in der Sprache."
Das sind die Momente, in denen dem Ich etwas gelingt, das in der Sprache erst mühsam hergestellt werden muss: Einssein mit einer Idee vom eigenen Leben. Dass dies nur selten geschieht und wenn überhaupt dann nur im Akzeptieren von Zerrissenheit, zeigt auch die Form dieses Buches. Es besteht aus kleinen Absätzen, Beobachtungen, Reflexionen, Anekdoten, Erinnerungen, aus Fragmenten, die lose zusammengehalten werden. Wie dieser autobiografische Roman setzt sich natürlich auch der Lebensroman aus nicht immer zusammenpassenden Teilen zusammen, und erst im Nachhinein lassen sie sich vielleicht so anordnen, dass daraus eine Geschichte wird.
Alles hat seine Zeit. Die Zeit zum Begreifen ist eine eigene Zeit, eine andere ist die zum Berichten.
Hanika erläutert:
"Ich beklage mich in einem Fort, dass ich nichts zustande kriege. Jeden Tag möchte ich etwas schreiben und kriege nichts zustande, und nach einer Weile stelle ich dann fest, dass doch irgendetwas vorhanden ist. Und so sind auch die anderen Romane entstanden. Es gibt dann irgendwelche verstreuten, disparaten Texte, die aber dadurch, dass ich sie geschrieben habe und da sie auch zeitlich zusammenhängend mehr oder weniger entstanden sind, auch einen Zusammenhang haben, und ich stelle dann fest, dass die Sachen zueinanderpassen und bastele sie zusammen. Ich montiere eigentlich meistens. Das eigentliche Problem ist immer, irgendwelches Material zu schaffen, ohne zu wissen, wo es eigentlich hinführt. Aber am Ende, wenn ich es zusammenbasteln kann, ist es sehr beglückend. Dann gewinnt es auch eine Bedeutung."
Vor allem sammle ich nichts. Ich kategorisiere nichts und entwerfe keine Ordnungssysteme. Ich interessiere mich nicht für tote Dinge, sondern studiere lebendige.
Das Studium am lebendigen Objekt bedeutet zugleich auch eine gewisse Unmittelbarkeit – die Kühle der distanzierten Beobachterin geht Hanika ab. Das ist in ihren früheren Büchern, etwa dem Liebesroman "Treffen sich zwei", doch ein wenig anders. Es fand da eine literarische Übertragung statt, die das collagierende Anordnen verschiedener Textteile auch zu etwas reizvoll Künstlichem machte. "Tanzen auf Beton" ist direkter. Es wirkt sehr viel unbearbeiteter. Ungeschliffener. Näher an der Autorin. Ich, sagt Hanika, bedeutet in diesem Falle auch Ich. Man hat zuweilen das Gefühl, tatsächlich heimlich bei einer Therapiestunde hinter einer spanischen Wand zu sitzen und zu lauschen. Das ist durchaus ein wenig peinvoll, weil nicht jeder geäußerte Gedanke, der zwar wahr sein mag, auch sonderlich originell erscheint.
Wie lange ist das durchzuhalten? Wie lange für die Schreiberin, wie lange für den Leser? Nicht lange. Schon bald kommt der Sinn wieder angekrochen.
Der Sinn dieses Buches, das laut Hanika ans "Eingemachte" geht, besteht nicht unbedingt darin, einen höheren Sinn zu finden, sondern sein eigenes Tun zu durchschauen und die Zwänge zu beschreiben, in die sich ein emanzipierter Mensch hineinbegeben kann. Herauszufinden, welche Erlebnisse aus vergangenen Tagen das Jetzt zu sabotieren drohen. Große Literatur ist das nicht. Aber eben ein weiterer Bericht von der unendlichen Analyse – mit "heiteren Zwischenspielen" und zumindest der ansatzweisen "Entwirrung eines Knotens".
Iris Hanika: "Tanzen auf Beton. Weiterer Bericht von der Analyse"
Roman, Literaturverlag Drosch, 167 Seiten, 19 Euro.