Er hat sich immer als Sohn der Wüste gesehen - und in die Wüste ist er nun endgültig zurückgekehrt. Muammar Al Gaddafis sterbliche Überreste sind an einem geheimen Ort in der libyschen Sahara verscharrt, mit ihm die Leichen seines Sohnes Motassim und die seines früheren Verteidigungsministers. Doch während in Libyen der Übergangsrat nun die Weichen auf Anfang stellt, liegen Gaddafis lange Schatten auf der Sahara. Dort geht die Geschichte weiter - wie in einem Agenten-Thriller von John Le Carré. Gaddafis Ex-Geheimdienstchef soll sich über den Niger weiter nach Mali geflüchtet haben, ebenso Gaddafis Sohn Saif-al-Islam. Mal heißt es, Saif wolle sich dem Internationalen Strafgerichtshof stellen, dann wieder soll er sich einer Auslieferung entziehen wollen. Südafrikanische Söldner sollen seinen Konvoi geschützt haben, um Devisen und auch Goldreserven außer Landes zu bringen. Dann wieder ist die Rede von Tuareg, die den letzten der sieben Gaddafi-Söhne aus Libyen holten. Bereits im September waren Gaddafis Geheimdienstchef und sein Sohn Al-Saadi in den Niger geflüchtet. Der Sturz des Gaddafi-Regimes birgt allerdings noch ganz andere Probleme als einen möglichen diplomatischen Streit um die Auslieferung von Mitgliedern des Clans. Mahamadou Issoufou, der Präsident des Niger, bei einer Rede vor den Vereinten Nationen:
"Während der Kämpfe in Libyen wurden sehr viele Waffen geraubt. Diese Waffen werden gerade in ganz Westafrika südlich der Sahara in Umlauf gebracht. Sie können auch Terroristen in die Hände fallen, und sie sind eine sehr große Bedrohung für uns alle. Der Niger fürchtet, dass die gesamte Subregion destabilisiert werden könnte. Rebellionen in den Wüstengegenden unserer Staaten dürfen nicht unterschätzt werden."
Auch der nigrische Außenminister Mohammed Bazoum warnt vor den Folgen des libyschen Konflikts für die Sahelzone. Die Region sei zu einem "Pulverfass" geworden. Diese vielen Waffen seien Gift für eine ohnehin bereits instabile Region, die schon jetzt mit massivem Drogenschmuggel, mit Tuareg-Rebellionen und vor allem mit dem Terror von Al Kaida im islamischen Maghreb zu kämpfen habe. Neben zahlreichen Handfeuerwaffen seien im Juni auch 500 Kilogramm des sehr starken Sprengstoffs Semtex sichergestellt worden. Und: In der libyschen Wüste wurde gerade eine Tonne Senfgas gefunden; südlich von Gaddafis Geburtsort Sirte sollen mehrere zehntausend Tonnen Munition lagern - unbeaufsichtigt.
Auf der einen Seite sorgt sich der Sahel um seine Stabilität - auf der anderen fürchten viele, dass das Ende des Gaddafi-Regimes nun auch schwere soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben wird. Gaddafis gewaltsamer Tod und die grausamen Bildern seiner Hinrichtung haben Empörung ausgelöst. Die Zeitung "Le Pays" aus Burkina Faso kommentiert, die Tötung Gaddafis sei ungerecht, Gaddafi habe es nicht verdient, so zu sterben. Und in Mali holt "Le Républicain" zu einer wahren Lobeshymne auf Gaddafi aus: "Sie haben einen Diktator getötet", heißt es, "doch möglicherweise haben sie damit einen Märtyrer erschaffen." Und weiter: "Es ist bedauerlich, dass Libyens Söhne und Töchter über den Tod eines Mannes jubeln, dem schon viele den roten Teppich ausgerollt haben."
Ja - Muammar al Gaddafi hatte viele gekaufte Freunde in Afrika. Er finanzierte klammen Potentaten Entwicklungsprojekte und Waffengeschäfte. Das hat ihm nicht nur Sympathien eingebracht - sondern auch Respekt, Einfluss und Huldigungen afrikanischer Staatschefs. Muammar al Gaddafi auf dem Gipfel der Afrikanischen Union 2009:
"Ich bin der Führer der Führer Arabiens, der König der Könige Afrikas, der Imam aller Muslime. Ich danke Euch für diese Ehrung."
An Selbstbewusstsein hat es Gaddafi nie gemangelt. Mehr als vierzig Jahre lang hat er in Afrika Unabhängigkeitsbewegungen unterstützt, Rebellen finanziert, die "Vereinigten Staaten von Afrika" beschworen. Natürlich nicht aus Nächstenliebe. Philippe Hugon, Forschungsdirektor am Pariser Politikinstitut IRIS.
"Sein Panafrikanismus war reine Berechnung, Gaddafis Winkelzüge sind immer schwer einzuschätzen. Früher war er für ein Vereintes Arabien eingetreten, damit kam er nicht weit, dann setzte er auf Afrika und fand seine Rolle. Immer wieder spielte er sich als Vermittler auf, auch in Konflikten, die er zum Teil selbst angezettelt hat."
Gaddafi wollte Libyen zu einer flexiblen Führungsmacht auf dem Kontinent ausbauen, glaubt der Nigerianer Dapo Oyewole. Er leitet das African Policy & Strategy Centre in London.
"Oberst Gaddafi hat Libyen sehr widersprüchlich positioniert. Libyens Identität war schillernd, einmal ein arabisches Land, dann wieder ein schwarzafrikanisches. Gaddafi hat hier eine politische Komödie gespielt, er glich einem Chamäleon, dass seine Farbe wechseln kann. Immer ging es ihm dabei um seinen eigenen Vorteil, und nicht um die arabischen oder die afrikanischen Staaten."
Geradezu ehrfürchtig nennt man Gaddafi in Westafrika noch immer "Le colonel". Auch nach seinem Tod ist er sehr lebendig. Sahelstaaten wie Niger, Burkina Faso oder Mali haben besonders von seinen Ölmillionen profitiert. Kein Wunder, dass bei den Spekulationen über Gaddafis angebliche Flucht in den Niger Anfang September genau diese Region ins Blickfeld geraten war. Der französische Islamwissenschaftler Bruno Callies de Salies.
"Die ganze Region ist eng mit Gaddafi verbunden. Gaddafi hat im Sahel viel in die Entwicklung investiert, er hat Straßen bauen lassen, Hotels, Staudämme, er plante einen Niger-Kanal bis nach Timbuktu."
Die Abwesenheit des großzügigen Financier Muammar al Gaddafi macht sich schon jetzt schmerzhaft bemerkbar. Beispiel Niger. Gaddafi wollte hier eine Straße bauen - über 100 Kilometer lang, quer durch die Wüste, von der libyschen Grenze bis nach Agadez. Mit dem Fall Gaddafis wurde das Projekt gestoppt, der Handel mit Libyen ist zum Erliegen gekommen. Nigers neuer Präsident schätzt, dass sein Land nach dem Sturz des großen Mäzens bereits 8 Millionen Euro verloren hat. Dazu kommen mehr als 200.000 Nigrer, die wegen der Kämpfe in Libyen in ihre Heimat zurückkehren - und auch eine Menge Söldner. Jahrelang hatten sie Geld nach Hause geschickt und ihre Familien ernährt. Auch dieses Geld fehlt nun. Kabiru Mato, Politologe an der Universität von Abuja in Nigeria, hatte schon im Frühjahr gewarnt:
"Wenn Gaddafi in Libyen stürzt ist, wird das große Auswirkungen auf Afrika haben. Denn er hat viel Energie und Ressourcen in das Ziel gesteckt, Afrika zu einen und schlagkräftig zu machen."
Doch Gaddafi winkte nicht nur mit Geld - er bildete auch afrikanische Rebellenführer aus, in seinem so genannten "Revolutionären Weltzentrum" in der Nähe von Bengasi. Dort lernten Männer wie Idriss Deby oder Charles Taylor den Umgang mit der Kalaschnikow. Deby regiert heute mit harter Hand den Tschad. Taylor war einst Präsident von Liberia und steht wegen des Bürgerkriegs von Sierra Leone vor dem UN-Sondergericht in Den Haag. Als Gaddafis engster Freund aber galt der starke Mann von Burkina Faso: Blaise Compaoré - ebenfalls ausgebildet in Libyen. Ohne Gaddafis Hilfe hätte Compaoré sich 1987 nicht an die Macht putschen können, und dafür könnte er sich noch dankbar zeigen. Burkina Faso hat zwar den libyschen Übergangsrat anerkannt, dem alten Weggefährten aber noch im September Asyl angeboten. So mancher im Sahel fand das völlig in Ordnung. Ein Passant in Niamey:
"Es war falsch, Muammar al Gaddafi zu stürzen. So darf man mit diesem großen Mann nicht umgehen. Alle Präsidenten Westafrikas haben von ihm sehr profitiert."
Und dann sind da noch die besagten Tuareg, die Nomaden im Norden des Sahel. Besonders die Tuareg im Niger hat Gaddafi lange unterstützt - mit Waffen, Munition und Logistik für den Unabhängigkeitskampf. Viele Tuareg hatten in Libyen an Gaddafis Seite gekämpft. Womöglich besteht die Gefahr, dass sie sich nun dafür revanchieren - oder neue, geschmuggelte Waffen für ihre Zwecke nutzen. Ganz zu schweigen von Al Kaida im Islamischen Maghreb. Eigentlich erklärte Todfeinde von Oberst Gaddafi - aber nach seinem Tod werden die Karten im Sahel neu gemischt.
Libyens Oberster Revolutionsführer ist tot. Die NATO hat nun das Ende ihres Einsatzes beschlossen. Im Sahel jedoch sind die Schatten Gaddafis noch lang.
"Während der Kämpfe in Libyen wurden sehr viele Waffen geraubt. Diese Waffen werden gerade in ganz Westafrika südlich der Sahara in Umlauf gebracht. Sie können auch Terroristen in die Hände fallen, und sie sind eine sehr große Bedrohung für uns alle. Der Niger fürchtet, dass die gesamte Subregion destabilisiert werden könnte. Rebellionen in den Wüstengegenden unserer Staaten dürfen nicht unterschätzt werden."
Auch der nigrische Außenminister Mohammed Bazoum warnt vor den Folgen des libyschen Konflikts für die Sahelzone. Die Region sei zu einem "Pulverfass" geworden. Diese vielen Waffen seien Gift für eine ohnehin bereits instabile Region, die schon jetzt mit massivem Drogenschmuggel, mit Tuareg-Rebellionen und vor allem mit dem Terror von Al Kaida im islamischen Maghreb zu kämpfen habe. Neben zahlreichen Handfeuerwaffen seien im Juni auch 500 Kilogramm des sehr starken Sprengstoffs Semtex sichergestellt worden. Und: In der libyschen Wüste wurde gerade eine Tonne Senfgas gefunden; südlich von Gaddafis Geburtsort Sirte sollen mehrere zehntausend Tonnen Munition lagern - unbeaufsichtigt.
Auf der einen Seite sorgt sich der Sahel um seine Stabilität - auf der anderen fürchten viele, dass das Ende des Gaddafi-Regimes nun auch schwere soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben wird. Gaddafis gewaltsamer Tod und die grausamen Bildern seiner Hinrichtung haben Empörung ausgelöst. Die Zeitung "Le Pays" aus Burkina Faso kommentiert, die Tötung Gaddafis sei ungerecht, Gaddafi habe es nicht verdient, so zu sterben. Und in Mali holt "Le Républicain" zu einer wahren Lobeshymne auf Gaddafi aus: "Sie haben einen Diktator getötet", heißt es, "doch möglicherweise haben sie damit einen Märtyrer erschaffen." Und weiter: "Es ist bedauerlich, dass Libyens Söhne und Töchter über den Tod eines Mannes jubeln, dem schon viele den roten Teppich ausgerollt haben."
Ja - Muammar al Gaddafi hatte viele gekaufte Freunde in Afrika. Er finanzierte klammen Potentaten Entwicklungsprojekte und Waffengeschäfte. Das hat ihm nicht nur Sympathien eingebracht - sondern auch Respekt, Einfluss und Huldigungen afrikanischer Staatschefs. Muammar al Gaddafi auf dem Gipfel der Afrikanischen Union 2009:
"Ich bin der Führer der Führer Arabiens, der König der Könige Afrikas, der Imam aller Muslime. Ich danke Euch für diese Ehrung."
An Selbstbewusstsein hat es Gaddafi nie gemangelt. Mehr als vierzig Jahre lang hat er in Afrika Unabhängigkeitsbewegungen unterstützt, Rebellen finanziert, die "Vereinigten Staaten von Afrika" beschworen. Natürlich nicht aus Nächstenliebe. Philippe Hugon, Forschungsdirektor am Pariser Politikinstitut IRIS.
"Sein Panafrikanismus war reine Berechnung, Gaddafis Winkelzüge sind immer schwer einzuschätzen. Früher war er für ein Vereintes Arabien eingetreten, damit kam er nicht weit, dann setzte er auf Afrika und fand seine Rolle. Immer wieder spielte er sich als Vermittler auf, auch in Konflikten, die er zum Teil selbst angezettelt hat."
Gaddafi wollte Libyen zu einer flexiblen Führungsmacht auf dem Kontinent ausbauen, glaubt der Nigerianer Dapo Oyewole. Er leitet das African Policy & Strategy Centre in London.
"Oberst Gaddafi hat Libyen sehr widersprüchlich positioniert. Libyens Identität war schillernd, einmal ein arabisches Land, dann wieder ein schwarzafrikanisches. Gaddafi hat hier eine politische Komödie gespielt, er glich einem Chamäleon, dass seine Farbe wechseln kann. Immer ging es ihm dabei um seinen eigenen Vorteil, und nicht um die arabischen oder die afrikanischen Staaten."
Geradezu ehrfürchtig nennt man Gaddafi in Westafrika noch immer "Le colonel". Auch nach seinem Tod ist er sehr lebendig. Sahelstaaten wie Niger, Burkina Faso oder Mali haben besonders von seinen Ölmillionen profitiert. Kein Wunder, dass bei den Spekulationen über Gaddafis angebliche Flucht in den Niger Anfang September genau diese Region ins Blickfeld geraten war. Der französische Islamwissenschaftler Bruno Callies de Salies.
"Die ganze Region ist eng mit Gaddafi verbunden. Gaddafi hat im Sahel viel in die Entwicklung investiert, er hat Straßen bauen lassen, Hotels, Staudämme, er plante einen Niger-Kanal bis nach Timbuktu."
Die Abwesenheit des großzügigen Financier Muammar al Gaddafi macht sich schon jetzt schmerzhaft bemerkbar. Beispiel Niger. Gaddafi wollte hier eine Straße bauen - über 100 Kilometer lang, quer durch die Wüste, von der libyschen Grenze bis nach Agadez. Mit dem Fall Gaddafis wurde das Projekt gestoppt, der Handel mit Libyen ist zum Erliegen gekommen. Nigers neuer Präsident schätzt, dass sein Land nach dem Sturz des großen Mäzens bereits 8 Millionen Euro verloren hat. Dazu kommen mehr als 200.000 Nigrer, die wegen der Kämpfe in Libyen in ihre Heimat zurückkehren - und auch eine Menge Söldner. Jahrelang hatten sie Geld nach Hause geschickt und ihre Familien ernährt. Auch dieses Geld fehlt nun. Kabiru Mato, Politologe an der Universität von Abuja in Nigeria, hatte schon im Frühjahr gewarnt:
"Wenn Gaddafi in Libyen stürzt ist, wird das große Auswirkungen auf Afrika haben. Denn er hat viel Energie und Ressourcen in das Ziel gesteckt, Afrika zu einen und schlagkräftig zu machen."
Doch Gaddafi winkte nicht nur mit Geld - er bildete auch afrikanische Rebellenführer aus, in seinem so genannten "Revolutionären Weltzentrum" in der Nähe von Bengasi. Dort lernten Männer wie Idriss Deby oder Charles Taylor den Umgang mit der Kalaschnikow. Deby regiert heute mit harter Hand den Tschad. Taylor war einst Präsident von Liberia und steht wegen des Bürgerkriegs von Sierra Leone vor dem UN-Sondergericht in Den Haag. Als Gaddafis engster Freund aber galt der starke Mann von Burkina Faso: Blaise Compaoré - ebenfalls ausgebildet in Libyen. Ohne Gaddafis Hilfe hätte Compaoré sich 1987 nicht an die Macht putschen können, und dafür könnte er sich noch dankbar zeigen. Burkina Faso hat zwar den libyschen Übergangsrat anerkannt, dem alten Weggefährten aber noch im September Asyl angeboten. So mancher im Sahel fand das völlig in Ordnung. Ein Passant in Niamey:
"Es war falsch, Muammar al Gaddafi zu stürzen. So darf man mit diesem großen Mann nicht umgehen. Alle Präsidenten Westafrikas haben von ihm sehr profitiert."
Und dann sind da noch die besagten Tuareg, die Nomaden im Norden des Sahel. Besonders die Tuareg im Niger hat Gaddafi lange unterstützt - mit Waffen, Munition und Logistik für den Unabhängigkeitskampf. Viele Tuareg hatten in Libyen an Gaddafis Seite gekämpft. Womöglich besteht die Gefahr, dass sie sich nun dafür revanchieren - oder neue, geschmuggelte Waffen für ihre Zwecke nutzen. Ganz zu schweigen von Al Kaida im Islamischen Maghreb. Eigentlich erklärte Todfeinde von Oberst Gaddafi - aber nach seinem Tod werden die Karten im Sahel neu gemischt.
Libyens Oberster Revolutionsführer ist tot. Die NATO hat nun das Ende ihres Einsatzes beschlossen. Im Sahel jedoch sind die Schatten Gaddafis noch lang.