Wir sind in der brasilianischen Stadt Belém an der Amazonasmündung. Hier regnet es jeden Tag mindestens ein Mal. Vorbote für den Regen ist der Wind, der die uralten Mangobäume an den Straßen schüttelt. Wenn die Mangos gerade reif sind, fallen die gelben Früchte herab und Straßenkinder balgen sich um die süßen Geschenke. Nach dem Wind fallen die ersten Tropfen. Passanten holen ihre Regenschirme aus den Taschen. Andere suchen sich einen Unterstand, denn sie wissen, gegen den tropischen Starkregen kommt eigentlich kein Regenschirm an. Innerhalb von Sekunden wird es grau über dem Fluss, die Sicht verschlechtert sich und plötzlich ergießen sich Wassermassen auf die Stadt. Nach einer halben Stunde ist alles vorbei, die Sonne kehrt zurück, Straßen und Plätze dampfen, Bussen rasen durch die Pfützen, Geschäftesleute ziehen die Regenplanen von ihren Auslagen. Das Leben geht weiter.
Die Millionenstadt Belém liegt auf einer Halbinsel inmitten eines Flussnetzes im Mündungsdelta des Amazonas-Flusses. Die Stadt ist so feucht, dass an allen Gebäuden, auch den Hochhäusern, Moose und Algen wachsen. An den Ufern der Stadt liegen unüberschaubar viele Häfen. An einem dieser Häfen landen die motorisierten langen Kanus an, die die Früchte aus dem Urwald zum Markt bringen. Morgens um fünf Uhr entladen sie beim Obst- und Gemüsemarkt ihre Ware. Das sind, neben Unmengen von Bananen, dicke Rispen von verschiedenen Palmfrüchten, Berge der baseballförmigen Cupuaçu-Frucht, die mit dem Kakao verwandt ist, Schüsseln mit kleinen, lilafarbenen birnenartigen Früchten, Bündel dicker, grüner Schoten, in denen süßes, weißes Fruchtfleisch verborgen ist. Ein Meer von unbekannten Genüssen. Die brasilianischen Aasgeier, schwarze, häßliche Vögel mit nacktem Hals, lauern an der Mole nebenan auf Fischerboote und die Reste vom Fang.
Auf dem bekanntesten Markt von Belém, dem "Ver-o-Pêso”, bieten Händlerinnen und Händler ihre Ware feil. Ver-o-Pêso heißt so viel wie "achten Sie auf das Gewicht”. Auf diesem Markt war es früher wohl üblich, die Kundschaft mit gefälschten Gewichten zu betrügen, daher der Name. Heute ist der Markt, mit seiner viertürmigen hellblauen Markthalle und den benachbarten Holzbuden ein Wahzeichen von Belém. An einer Ecke des Marktes verkaufen Köchinnen morgens süßen Brei. Klappernd heben sie die Deckel der Waschzuber-großen Töpfe und lassen Hungrige hinein spähen. Alle Welt liebe ihrer süßen Suppen an der Stehbar, erklärt Maria Regina Lira, während sie einer Kundin den dampfenden Brei in eine Schale schenkt und das Geld kassiert.
"Hallo Kundschaft, hier gibt es leckeren Brei, Maisbrei, Tapiocabrei, kommen Sie. Was ich hier verkaufe? Ich habe Maisbrei, Bananenbrei, auch andere Breiarten. Oft geben wir die Urwaldfrucht Açaí in den Brei, manchmal habe ich süßen Milchreisbrei. Mein Stand ist nur bis mittags um eins oder zwei geöffent. Die Leute lieben den Brei zum Frühstück, das ist hier auf dem Ver-o-Pêso Markt Tradition, das ist nicht nur ein Essen für Kinder. Wir haben Tapioca-Brei, das ist die Stärke der Maniokwurzel, ich rühre Kokosraspeln dazu, süße Kondensmilch, Zucker und Zimt."
Ein paar Hundert Meter vom Markt entfernt liegt der große, für Touristen gut zu erkennende Anleger für die Marajó-Schiffe. Die Marajó-Insel ist die größte Flussinsel der Welt. Dorthin fahren fast alle Gäste, die Belém besuchen. Auf der Insel leben - einzigartig für Brasilien - schwarze Büffel, die als Reit- und Zugtiere gehalten werden. Schwärme von Guarás, knallige rote Vögel. Grasen auf den Marschen vor den stränden. Sie ziehen mit ihren spitzen, säbelartigen schnäbeln rote Molusken aus dem schlamm - ihr Lieblinsgsfutter, das ihnen die Farbe verleiht. An den weiten Stränden der Insel Marajó ist das süße Amazonaswasser bereits mit dem salzigen Atlantikwasser vermischt. Doch da meine Kollegin und ich diese Flussinsel bereits kennen, erkundigen wir uns bei einem Bekannten an der Universität nach Fahrten auf andere Inseln im Amazonasdelta. Er empfiehlt uns einen Ausflug zur nahe gelegenen Insel Combú, wo seine Eltern wohnen. Der Anleger nach Combú liegt in der Nähe der Universität. Da der Ausflugsverkehr auf die Insel nur in den Ferienmonaten statt findet, müssen wir mit einem Boot vorlieb nehmen, das die Schulkinder von Belém nach Hause bringt. Kaum sind wir über den breiten, braunen Flussarm gefahren, tauchen wir ein in ein zauberhaft friedliches Netz von Flüsschen, das einen lichten Wald durchfließt. Combú liegt nur zwei Kilometer von Belém entfernt und wirkt wie eine andere Welt.
Wir legen am Steg von Odair und Cléia Quaresma an. Sie sind bereit, uns ihr Paradies zu zeigen. Zunächst versucht Cléia für uns ihren Papagei zum Sprechen zu bringen. Sie und ihr Mann verdienen durch ihre Sammelarbeit im Wald mehr als vier Mindestlöhne im Monat. Das ist viel für die Gegend und damit konnten sie ihre zwei Kinder auf die Universität schicken. Nach der vormittäglichen Sammelarbeit sitzen sie auf ihrem Steg am Fluss. Cléia reicht zur Erfrischung Cupuaçu-Saft und verteilt selbst gemachtes Mücken-Öl. Nun führt uns Odair in sein Wäldchen. Er zeigt auf einen Cupuaçu-Baum, die baseballförmige Frucht, die wir schon auf dem Markt gesehen haben.
"Der Baum gibt ungefähr 15 Früchte. Daraus wird weißer Saft und hellgelbe Marmelade gemacht. Sehr lecker. Jeden Morgen holen wir die Früchte aus dem Wald, etwa zwanzig bis dreißig Cupuaçus am Tag, die wir für jeweils für einen Real verkaufen. Das heißt wir verdienen 20 Reais."
Hinter den Bäumen plätschert der Fluss. Ab und zu fahren Motorboote vorbei. Ein paar Meter weiter steht ein riesiger Baum. Seine Brettwurzeln formen unzählige Nischen, in denen sich eine stehende Person verstecken könnte. Den Baum zu umrunden dauert ein paar Minuten.
"Das ist meine Lieblingsbaum, viele kommen mich besuchen, um meinen Baum zu sehen. Er ist der größte auf unserer Insel und ist mehr als 500 Jahre alt. Laßt uns mal um den Baum herum gehen, er ist riesig, wir nennen den Baum Samalmeira. Keine Ahnung wie hoch er ist, sehr hoch."
Wir gehen weiter in den Nutzwald hinein, Odair schwingt seine Machete. Erst sehen wir einen Kakaobaum und dann eine Palme, an der die wertvollste Frucht des Amazonas, die Açaí, hängt. Açaí ist seit ein paar Jahren auch im Süden Brasiliens Mode geworden und wird aus dem Amazonasgebiet in den Süden exportiert. Aus der Frucht entsteht ein weinroter, dickflüssiger Energietrunk, der in den Großstädten in jeder Saftbar zu haben ist.
"Hier oben, seht ihr die riesige Rispe der Açaí-Nüsschen mit ihrem weinroten Fruchtfleisch? Bald beginnt die Ernte. Jetzt ist die beste Zeit, Açaí ist teuer, wir verdienen gutes Geld damit. Wir verkaufen pro Korb und ein Korb gibt 80 Reais, fast 40 Euro. Wir verkaufen an eine Mühle in Belém, die den Saft heraus presst."
Zum Schluss unseres Rundgangs durch seinen Nutzwald zeigt uns Odair wie er auf die hohen Palmen und Bäume klettert, um zu ernten. Er dreht aus Palmwedeln eine Schlinge und legt sie sich um seine Fußgelenke. Wenn er laufen wollte, würde er sofort stolpern und fallen, diese Schlinge wäre wie eine Fußfessel. Am Baum funktioniert die Fußschlinge allerdings wie ein Gegengewicht, das er an jeder kleinsten Unebenheit am Stamm fest hakt und sich dann mit den Armen immer ein Stückchen höher zieht. In Sekundenschnelle befindet er sich zwanzig Meter über uns.
Nach ein paar Stunden im Wald und auf dem Steg fährt uns Odair mit seinem Boot zurück nach Belém. Die Insel Combú ist ein grünes Ausflugsparadies, das schon nach zehn Minuten hinter uns im braunen Flusswasser verschwindet.
Am nächsten Morgen steht uns eine weit größere Reise bevor. Wir wollen den Amazonasfluss in seinem Mündungsdelta überqueren. An einem anderen Hafen hinter einem Gewirr von armseligen Holzhäusern buchen wir eine Reise nach Macapá, der Hauptstadt des Bundesstaates Amapá. Macapá liegt auf der gegenüberliegenden Seite des Amazonasufers. Das klingt nah, aber im Amazonasdelta liegen unzählige Inseln und der Weg nach Macapá ist über 300 Kilometer weit.
Ausgerüstet mit zwei Hängematten besteigen wir das zweistöckige Flussboot. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, möglichst weit von der Küche und den Toiletten entfernt, um unsere Hängematten aufzuhängen. Das Flussboot sieht charmant aus, das Holz ist weiß gestrichen, die Reling wirkt wie eine Balkonbrüstung. Immer mehr Passagiere kommen an Bord. Bald ist es brechend voll, die Hängematte hängen inzwischen neben- und übereinander. Nach einer Verzögerung von einem halben Tag - scheinbar hat das Boot zu viel Gewicht und es muss Ladung herunter genommen werden - können wir starten.
Wir schippern auf schmalen Amazonas-Nebenarmen unterhalb der Insel Marajó entlang in Richtung Hauptkanal. Dieser Reiseabschnitt dauert neun Stunden, wird uns gesagt. Wir liegen in den Hängematten und verhalten uns wie unsere Mitpassagiere. Die schauen träge auf das grüne Ufer, dösen, essen ein paar Kekse. Wer möchte, holt sich später an der Schiffskombüse sein Abendessen. Einen Teller Reis mit Huhn und Bratfisch, alles dick gepudert mit grobem Maniokmehl.
Ab und zu gleiten wir an Holzhütten vorüber, die am Ufer auf hohen Pfählen stehen. Auf den Stegen stehen Kinder und winken. Nur alle paar Stunden legt das Boot in einem Flussdorf an und entlädt Ware. Abends wird im Schiffsheck auf ein paar Quadratmetern Schiffsplanken getanzt. Ein Paar zeigt die neuesten Tanzschritte, das Publikum applaudiert. Über dem Fluss geht in gelb und orange die Sonne unter. Die leise Brise, die das Boot umweht, hält die Mücken fern. Langsam wird es ruhig, die Hängematten wiegen uns in den Schlaf. Am Himmel erscheint ein Meer von Sternen.
Morgens ist die Stimmung an Bord träge wie das Flusswasser. Immer noch haben wir den Hauptkanal nicht erreicht. Ein kleineres Boot kommt herbei und legt mitten im Fluss an unserer Bordwand an. Ein Steg wird hinüber geschoben, dann laden unsere Matrosen Waren hinüber in das andere Boot. Bestimmt geht die Ware in einen Dorfladen an einem Amazonas-Nebenfluss. Die Passagiere kramen in ihren Tüten nach einem Frühstück. Die Schiffskombüse bietet nur süßen Kaffee und Kekse.
Das Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wir tuckern noch den ganzen Tag über mal enge, mal breite Flussarme und legen nicht mehr an. Immer noch haben wir den Hauptkanal nicht erreicht. Trotzdem ist es kein bisschen langweilig. Das Boot hält sich immer in Sichtweite vom Ufer. Jetzt sehen wir auch ein illegales Sägewerk. Urwaldbäume zu fällen ist in Brasilien inzwischen streng verboten.
Wir unterhalten uns mit einem Matrosen. José Milton dos Santos ist ein ehemaliger Goldgräber aus dem Amazonasgebiet. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, und mit dem Geld, das er mit der Goldsuche verdient hat, finanzierte er das Medizinstudium seiner Schwester und das Jurastudium seines Bruders. Als er vom trockenen Nordosten in den Amazonasurwald kam, war er froh, der Arbeit in der Landwirtschaft entkommen zu sein.
"Ich ging mit fünfzehn Jahren direkt zur Goldgräberei. Zur Serra Pelada, dem "Nackten Gebirge”. Dort habe ich fünf Jahre ohne Pause gearbeitet. Man arbeitet dort manuell. Wir Goldgräber standen in einer Senke und brachen mit der Hand die Steine heraus. Dann wird alles mit einer Wasserspritze ausgewaschen. Es fällt in eine große Schüssel. Sand, Lehm und die Steine rutschen auf eine Seite und das Gold klebt an der anderen, só als wäre da ein Magnet. Dann wird es aus der Schüssel herausgenommen, kommt in ein Quecksilberbad und wird erhitzt. Am Ende wird das Gold verkauft. Wir machten das auf eigene Rechnung, es gab keine Firma. Wir mussten nur mit dem Eigentümer des Landes sprechen. Wenn ich zweihundert Gramm erwirtschaftet hatte, bekam er davon hundert Gramm. Aber ich verkaufte ihm immer gleich meinen Anteil."
Der Ort, an dem José Milton dos Santos nach Gold grub, heißt "Nacktes Gebirge". Es ist ein abgeholztes Stück hügeliger Erde mitten im Urwald ein paar hundert Kilometer südlich von Belém. Die Goldminen sind inzwischen fast erschöpft. Vor vielen Jahren zogen Tausende Männer und Frauen dorthin, um ihr Glück zu machen. José erzählt, dass er bei einem Streit dort fast sein Leben verlor. Die Pistolen saßen zu der Zeit locker.
Und wieder wird es dunkel. Nach unsere Informationen sollten wir am Abend des zweiten Tages in Macapá ankommen. Doch daraus wird nichts, wir verbringen noch eine Nacht auf dem Fluss. Den breiten Hauptkanal bekommen wir nicht zu sehen, er ist in die Dunkelheit der Nacht getaucht. Das einzige, was sich anders im Amazonas-Hauptkanal anfühlt, ist der kühle Wind. Der ist ungewöhnlich für das Amazonasgebiet mit seinen 25-Grad warmen Nächten. Passagiere erzählen uns, dass im Hauptkanal manchmal Stürme entstehen und Boote sinken. Wir wickeln uns in unsere wärmsten Kleider. Und wieder schlafen wir, sanft von unseren Hängematten geschaukelt.
Die Millionenstadt Belém liegt auf einer Halbinsel inmitten eines Flussnetzes im Mündungsdelta des Amazonas-Flusses. Die Stadt ist so feucht, dass an allen Gebäuden, auch den Hochhäusern, Moose und Algen wachsen. An den Ufern der Stadt liegen unüberschaubar viele Häfen. An einem dieser Häfen landen die motorisierten langen Kanus an, die die Früchte aus dem Urwald zum Markt bringen. Morgens um fünf Uhr entladen sie beim Obst- und Gemüsemarkt ihre Ware. Das sind, neben Unmengen von Bananen, dicke Rispen von verschiedenen Palmfrüchten, Berge der baseballförmigen Cupuaçu-Frucht, die mit dem Kakao verwandt ist, Schüsseln mit kleinen, lilafarbenen birnenartigen Früchten, Bündel dicker, grüner Schoten, in denen süßes, weißes Fruchtfleisch verborgen ist. Ein Meer von unbekannten Genüssen. Die brasilianischen Aasgeier, schwarze, häßliche Vögel mit nacktem Hals, lauern an der Mole nebenan auf Fischerboote und die Reste vom Fang.
Auf dem bekanntesten Markt von Belém, dem "Ver-o-Pêso”, bieten Händlerinnen und Händler ihre Ware feil. Ver-o-Pêso heißt so viel wie "achten Sie auf das Gewicht”. Auf diesem Markt war es früher wohl üblich, die Kundschaft mit gefälschten Gewichten zu betrügen, daher der Name. Heute ist der Markt, mit seiner viertürmigen hellblauen Markthalle und den benachbarten Holzbuden ein Wahzeichen von Belém. An einer Ecke des Marktes verkaufen Köchinnen morgens süßen Brei. Klappernd heben sie die Deckel der Waschzuber-großen Töpfe und lassen Hungrige hinein spähen. Alle Welt liebe ihrer süßen Suppen an der Stehbar, erklärt Maria Regina Lira, während sie einer Kundin den dampfenden Brei in eine Schale schenkt und das Geld kassiert.
"Hallo Kundschaft, hier gibt es leckeren Brei, Maisbrei, Tapiocabrei, kommen Sie. Was ich hier verkaufe? Ich habe Maisbrei, Bananenbrei, auch andere Breiarten. Oft geben wir die Urwaldfrucht Açaí in den Brei, manchmal habe ich süßen Milchreisbrei. Mein Stand ist nur bis mittags um eins oder zwei geöffent. Die Leute lieben den Brei zum Frühstück, das ist hier auf dem Ver-o-Pêso Markt Tradition, das ist nicht nur ein Essen für Kinder. Wir haben Tapioca-Brei, das ist die Stärke der Maniokwurzel, ich rühre Kokosraspeln dazu, süße Kondensmilch, Zucker und Zimt."
Ein paar Hundert Meter vom Markt entfernt liegt der große, für Touristen gut zu erkennende Anleger für die Marajó-Schiffe. Die Marajó-Insel ist die größte Flussinsel der Welt. Dorthin fahren fast alle Gäste, die Belém besuchen. Auf der Insel leben - einzigartig für Brasilien - schwarze Büffel, die als Reit- und Zugtiere gehalten werden. Schwärme von Guarás, knallige rote Vögel. Grasen auf den Marschen vor den stränden. Sie ziehen mit ihren spitzen, säbelartigen schnäbeln rote Molusken aus dem schlamm - ihr Lieblinsgsfutter, das ihnen die Farbe verleiht. An den weiten Stränden der Insel Marajó ist das süße Amazonaswasser bereits mit dem salzigen Atlantikwasser vermischt. Doch da meine Kollegin und ich diese Flussinsel bereits kennen, erkundigen wir uns bei einem Bekannten an der Universität nach Fahrten auf andere Inseln im Amazonasdelta. Er empfiehlt uns einen Ausflug zur nahe gelegenen Insel Combú, wo seine Eltern wohnen. Der Anleger nach Combú liegt in der Nähe der Universität. Da der Ausflugsverkehr auf die Insel nur in den Ferienmonaten statt findet, müssen wir mit einem Boot vorlieb nehmen, das die Schulkinder von Belém nach Hause bringt. Kaum sind wir über den breiten, braunen Flussarm gefahren, tauchen wir ein in ein zauberhaft friedliches Netz von Flüsschen, das einen lichten Wald durchfließt. Combú liegt nur zwei Kilometer von Belém entfernt und wirkt wie eine andere Welt.
Wir legen am Steg von Odair und Cléia Quaresma an. Sie sind bereit, uns ihr Paradies zu zeigen. Zunächst versucht Cléia für uns ihren Papagei zum Sprechen zu bringen. Sie und ihr Mann verdienen durch ihre Sammelarbeit im Wald mehr als vier Mindestlöhne im Monat. Das ist viel für die Gegend und damit konnten sie ihre zwei Kinder auf die Universität schicken. Nach der vormittäglichen Sammelarbeit sitzen sie auf ihrem Steg am Fluss. Cléia reicht zur Erfrischung Cupuaçu-Saft und verteilt selbst gemachtes Mücken-Öl. Nun führt uns Odair in sein Wäldchen. Er zeigt auf einen Cupuaçu-Baum, die baseballförmige Frucht, die wir schon auf dem Markt gesehen haben.
"Der Baum gibt ungefähr 15 Früchte. Daraus wird weißer Saft und hellgelbe Marmelade gemacht. Sehr lecker. Jeden Morgen holen wir die Früchte aus dem Wald, etwa zwanzig bis dreißig Cupuaçus am Tag, die wir für jeweils für einen Real verkaufen. Das heißt wir verdienen 20 Reais."
Hinter den Bäumen plätschert der Fluss. Ab und zu fahren Motorboote vorbei. Ein paar Meter weiter steht ein riesiger Baum. Seine Brettwurzeln formen unzählige Nischen, in denen sich eine stehende Person verstecken könnte. Den Baum zu umrunden dauert ein paar Minuten.
"Das ist meine Lieblingsbaum, viele kommen mich besuchen, um meinen Baum zu sehen. Er ist der größte auf unserer Insel und ist mehr als 500 Jahre alt. Laßt uns mal um den Baum herum gehen, er ist riesig, wir nennen den Baum Samalmeira. Keine Ahnung wie hoch er ist, sehr hoch."
Wir gehen weiter in den Nutzwald hinein, Odair schwingt seine Machete. Erst sehen wir einen Kakaobaum und dann eine Palme, an der die wertvollste Frucht des Amazonas, die Açaí, hängt. Açaí ist seit ein paar Jahren auch im Süden Brasiliens Mode geworden und wird aus dem Amazonasgebiet in den Süden exportiert. Aus der Frucht entsteht ein weinroter, dickflüssiger Energietrunk, der in den Großstädten in jeder Saftbar zu haben ist.
"Hier oben, seht ihr die riesige Rispe der Açaí-Nüsschen mit ihrem weinroten Fruchtfleisch? Bald beginnt die Ernte. Jetzt ist die beste Zeit, Açaí ist teuer, wir verdienen gutes Geld damit. Wir verkaufen pro Korb und ein Korb gibt 80 Reais, fast 40 Euro. Wir verkaufen an eine Mühle in Belém, die den Saft heraus presst."
Zum Schluss unseres Rundgangs durch seinen Nutzwald zeigt uns Odair wie er auf die hohen Palmen und Bäume klettert, um zu ernten. Er dreht aus Palmwedeln eine Schlinge und legt sie sich um seine Fußgelenke. Wenn er laufen wollte, würde er sofort stolpern und fallen, diese Schlinge wäre wie eine Fußfessel. Am Baum funktioniert die Fußschlinge allerdings wie ein Gegengewicht, das er an jeder kleinsten Unebenheit am Stamm fest hakt und sich dann mit den Armen immer ein Stückchen höher zieht. In Sekundenschnelle befindet er sich zwanzig Meter über uns.
Nach ein paar Stunden im Wald und auf dem Steg fährt uns Odair mit seinem Boot zurück nach Belém. Die Insel Combú ist ein grünes Ausflugsparadies, das schon nach zehn Minuten hinter uns im braunen Flusswasser verschwindet.
Am nächsten Morgen steht uns eine weit größere Reise bevor. Wir wollen den Amazonasfluss in seinem Mündungsdelta überqueren. An einem anderen Hafen hinter einem Gewirr von armseligen Holzhäusern buchen wir eine Reise nach Macapá, der Hauptstadt des Bundesstaates Amapá. Macapá liegt auf der gegenüberliegenden Seite des Amazonasufers. Das klingt nah, aber im Amazonasdelta liegen unzählige Inseln und der Weg nach Macapá ist über 300 Kilometer weit.
Ausgerüstet mit zwei Hängematten besteigen wir das zweistöckige Flussboot. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, möglichst weit von der Küche und den Toiletten entfernt, um unsere Hängematten aufzuhängen. Das Flussboot sieht charmant aus, das Holz ist weiß gestrichen, die Reling wirkt wie eine Balkonbrüstung. Immer mehr Passagiere kommen an Bord. Bald ist es brechend voll, die Hängematte hängen inzwischen neben- und übereinander. Nach einer Verzögerung von einem halben Tag - scheinbar hat das Boot zu viel Gewicht und es muss Ladung herunter genommen werden - können wir starten.
Wir schippern auf schmalen Amazonas-Nebenarmen unterhalb der Insel Marajó entlang in Richtung Hauptkanal. Dieser Reiseabschnitt dauert neun Stunden, wird uns gesagt. Wir liegen in den Hängematten und verhalten uns wie unsere Mitpassagiere. Die schauen träge auf das grüne Ufer, dösen, essen ein paar Kekse. Wer möchte, holt sich später an der Schiffskombüse sein Abendessen. Einen Teller Reis mit Huhn und Bratfisch, alles dick gepudert mit grobem Maniokmehl.
Ab und zu gleiten wir an Holzhütten vorüber, die am Ufer auf hohen Pfählen stehen. Auf den Stegen stehen Kinder und winken. Nur alle paar Stunden legt das Boot in einem Flussdorf an und entlädt Ware. Abends wird im Schiffsheck auf ein paar Quadratmetern Schiffsplanken getanzt. Ein Paar zeigt die neuesten Tanzschritte, das Publikum applaudiert. Über dem Fluss geht in gelb und orange die Sonne unter. Die leise Brise, die das Boot umweht, hält die Mücken fern. Langsam wird es ruhig, die Hängematten wiegen uns in den Schlaf. Am Himmel erscheint ein Meer von Sternen.
Morgens ist die Stimmung an Bord träge wie das Flusswasser. Immer noch haben wir den Hauptkanal nicht erreicht. Ein kleineres Boot kommt herbei und legt mitten im Fluss an unserer Bordwand an. Ein Steg wird hinüber geschoben, dann laden unsere Matrosen Waren hinüber in das andere Boot. Bestimmt geht die Ware in einen Dorfladen an einem Amazonas-Nebenfluss. Die Passagiere kramen in ihren Tüten nach einem Frühstück. Die Schiffskombüse bietet nur süßen Kaffee und Kekse.
Das Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wir tuckern noch den ganzen Tag über mal enge, mal breite Flussarme und legen nicht mehr an. Immer noch haben wir den Hauptkanal nicht erreicht. Trotzdem ist es kein bisschen langweilig. Das Boot hält sich immer in Sichtweite vom Ufer. Jetzt sehen wir auch ein illegales Sägewerk. Urwaldbäume zu fällen ist in Brasilien inzwischen streng verboten.
Wir unterhalten uns mit einem Matrosen. José Milton dos Santos ist ein ehemaliger Goldgräber aus dem Amazonasgebiet. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, und mit dem Geld, das er mit der Goldsuche verdient hat, finanzierte er das Medizinstudium seiner Schwester und das Jurastudium seines Bruders. Als er vom trockenen Nordosten in den Amazonasurwald kam, war er froh, der Arbeit in der Landwirtschaft entkommen zu sein.
"Ich ging mit fünfzehn Jahren direkt zur Goldgräberei. Zur Serra Pelada, dem "Nackten Gebirge”. Dort habe ich fünf Jahre ohne Pause gearbeitet. Man arbeitet dort manuell. Wir Goldgräber standen in einer Senke und brachen mit der Hand die Steine heraus. Dann wird alles mit einer Wasserspritze ausgewaschen. Es fällt in eine große Schüssel. Sand, Lehm und die Steine rutschen auf eine Seite und das Gold klebt an der anderen, só als wäre da ein Magnet. Dann wird es aus der Schüssel herausgenommen, kommt in ein Quecksilberbad und wird erhitzt. Am Ende wird das Gold verkauft. Wir machten das auf eigene Rechnung, es gab keine Firma. Wir mussten nur mit dem Eigentümer des Landes sprechen. Wenn ich zweihundert Gramm erwirtschaftet hatte, bekam er davon hundert Gramm. Aber ich verkaufte ihm immer gleich meinen Anteil."
Der Ort, an dem José Milton dos Santos nach Gold grub, heißt "Nacktes Gebirge". Es ist ein abgeholztes Stück hügeliger Erde mitten im Urwald ein paar hundert Kilometer südlich von Belém. Die Goldminen sind inzwischen fast erschöpft. Vor vielen Jahren zogen Tausende Männer und Frauen dorthin, um ihr Glück zu machen. José erzählt, dass er bei einem Streit dort fast sein Leben verlor. Die Pistolen saßen zu der Zeit locker.
Und wieder wird es dunkel. Nach unsere Informationen sollten wir am Abend des zweiten Tages in Macapá ankommen. Doch daraus wird nichts, wir verbringen noch eine Nacht auf dem Fluss. Den breiten Hauptkanal bekommen wir nicht zu sehen, er ist in die Dunkelheit der Nacht getaucht. Das einzige, was sich anders im Amazonas-Hauptkanal anfühlt, ist der kühle Wind. Der ist ungewöhnlich für das Amazonasgebiet mit seinen 25-Grad warmen Nächten. Passagiere erzählen uns, dass im Hauptkanal manchmal Stürme entstehen und Boote sinken. Wir wickeln uns in unsere wärmsten Kleider. Und wieder schlafen wir, sanft von unseren Hängematten geschaukelt.