Christoph Heinemann: Dumm gelaufen! Ein Jahr vor dem letzten Referendum über die Atomkraft in Italien flog die Anlage in Tschernobyl in die Luft. 25 Jahre später steht die Kernenergie in diesem Jahr abermals zur Abstimmung, in Italien, im Zeichen von Fukushima. In Frankreich gibt es nur wenige Wortmeldungen gegen die Kernenergie. 58 Reaktoren stehen in unserem Nachbarland. Diese Anlagen decken rund 80 Prozent des Strombedarfs. Premierminister Francois Fillon kündigte eine technische Überprüfung der Anlagen an. – Wir haben gestern Abend mit Serge Poignant gesprochen, er ist Abgeordneter der Präsidentenpartei UMP, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung und Mitglied des Komitees zur Ausarbeitung einer nationalen Energie-Forschungsstrategie. Er kam gerade aus einer ganztägigen Anhörung zu den Folgen des Reaktorunfalls in Fukushima. Dort hatte Energieminister Eric Besson noch einmal versichert, Frankreich werde auch weiterhin auf die Atomkraft setzen – Begründung: Unabhängigkeit der Versorgung, steigende Öl- und Gaspreise, Treibhauseffekt und das industrielle Potenzial der Kernkraft, alles alte und überwiegend wirtschaftliche Gründe, die in Japan zur schweren Krise geführt haben. Ich habe Serge Poignant vor dieser Sendung gefragt, ob Frankreich keine Lehren aus der Lage dort zieht.
Serge Poignant: Ich glaube nicht, dass man das heute sagen kann. Ich teile die Meinung von Minister Besson. Und es ist heute sogar besonders aktuell: wenn wir die Atomtechnologie vorantreiben, heißt das außerdem nicht, dass wir die erneuerbaren Energien nicht auch entwickelten. Wir benötigen beide. Das Ziel ist eine Verringerung der fossilen Energien. Die weltweiten Gefahren, die mit der Klimaerwärmung von CO2 ausgehen, halte ich für keinen Unfall, sondern für eine Katastrophe, wenn wir dem nicht ausreichend entgegenwirken.
Heinemann: Aber zeigt die Lage in Japan nicht, dass diese Technologie nicht beherrschbar ist?
Poignant: Da stimme ich Ihnen nicht zu. Die Anlage in Fukushima hat zuerst einem außergewöhnlich heftigen Erdbeben widerstanden, das selbst in Japan so bisher nicht vorgekommen ist, und dann noch einem gewaltigen Tsunami. Die Reaktoren haben das ausgehalten. Das Problem bis zur Stunde ist das Kühlsystem.
Heinemann: Genau! Ein kleines Problem mit der Kühlung eines Reaktors reicht aus, um einen großen Teil eines Landes zu verseuchen. Kann man dieses Risiko eingehen?
Poignant: Kann man das Risiko eingehen, dass nicht genug Energie zur Verfügung steht, oder die Klimaerwärmung fortschreitet, sodass der gesamte Planet darunter leidet: Anstieg des Meeresspiegels, enorme Überschwemmungen? Die Risiken bestehen, das stimmt. Deshalb sage ich, wir müssen die Sicherheit bei der Entwicklung neuer Anlagen der Kostenerwägung überordnen. Das ist unerlässlich.
Heinemann: Auch die japanischen Behörden haben bisher gesagt, ihre Anlagen seien sicher. Aber zeigt das japanische Beispiel nicht, dass sich die Natur nicht an die Sicherheitsvorkehrungen hält, die ausgearbeitet wurde?
Poignant: Wir müssen in der Tat herausfinden, was zu diesen Problemen mit der Kühlung geführt hat. Wir müssen jede Möglichkeit einer Ausnahme ausschließen, das ist richtig.
Heinemann: In Harrisburg in den USA und in Tschernobyl in der Ukraine gab es keinen Tsunami: Wir erleben jetzt den dritten schweren Unfall in nur 30 Jahren!
Poignant: In Tschernobyl gab es ein anderes Problem: Dort ist eine laufende Anlage explodiert. Wir wollen in Frankreich eine Behörde schaffen, die für Transparenz und Information sorgt. Die Akzeptanz der Atomkraft und ihrer Sicherheit setzt Erklärung und Transparenz voraus, sowohl für uns Parlamentarier als auch für alle Bürger.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk – ein Interview mit Serge Poignant, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung. - Die deutsche Regierung hat ein dreimonatiges Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke beschlossen. In Deutschland wird über einen Ausstieg nachgedacht. Wie beurteilen sie diese Entscheidung?
Poignant: Im weltweiten Energiemix braucht Europa die Kernkraft – zusammen mit den erneuerbaren Energien und einer möglichst weitgehenden Verringerung der fossilen Energien. Die Sicherung des Klimas zwingt uns zu dieser Mischung der Energieträger. Darüber herrscht in Frankreich Konsens. Ich möchte die deutsche Position nicht kommentieren. Jeder formuliert seine Energiepolitik. Ich wünschte mir für die Zukunft eine europäische Energiepolitik. Europa muss seine Versorgung gegenüber den entwickelten Staaten und den Schwellenländern sichern, und es benötigt eine Energiepolitik mit Blick auf die Treibhausgase.
Heinemann: Wie erklären Sie sich die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland?
Poignant: Da gibt es wahrscheinlich unterschiedliche Empfindlichkeiten. Ich stelle fest, dass die Dinge in Deutschland ja schon fortgeschritten waren. Als es außer Frage stand, dass die Atomkraft fortgeführt würde, gab es ja schon die Entscheidung einer Verlängerung, eben weil es nötig ist und wir heute nicht in der Lage sind, diese zu ersetzen. Die Experten sagen, dass man die Zahl der Atomkraftwerke bis 2030 weltweit verdoppeln muss.
Heinemann: Wie viele Katastrophen noch, bevor es zum Ausstieg kommt?
Poignant: Warum Katastrophen? Ich könnte Ihnen auch antworten: welche weltweite Katastrophe, wenn wir nicht die Maßnahmen ergreifen, um der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wachstum zu entsprechen. Und welche Katastrophe, wenn wir das Problem der Klimaerwärmung nicht in den Griff bekommen, oder wenigsten zügeln können, denn lösen wird man es nicht können. Man muss alles zueinander in Beziehung setzen. Ich bin nicht gegen die erneuerbaren Energien, ich befürworte sie sehr, aber ich bin Realist.
Heinemann: Das Gespräch mit Serge Poignant, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung, haben wir gestern Abend aufgezeichnet.
Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)
Serge Poignant: Ich glaube nicht, dass man das heute sagen kann. Ich teile die Meinung von Minister Besson. Und es ist heute sogar besonders aktuell: wenn wir die Atomtechnologie vorantreiben, heißt das außerdem nicht, dass wir die erneuerbaren Energien nicht auch entwickelten. Wir benötigen beide. Das Ziel ist eine Verringerung der fossilen Energien. Die weltweiten Gefahren, die mit der Klimaerwärmung von CO2 ausgehen, halte ich für keinen Unfall, sondern für eine Katastrophe, wenn wir dem nicht ausreichend entgegenwirken.
Heinemann: Aber zeigt die Lage in Japan nicht, dass diese Technologie nicht beherrschbar ist?
Poignant: Da stimme ich Ihnen nicht zu. Die Anlage in Fukushima hat zuerst einem außergewöhnlich heftigen Erdbeben widerstanden, das selbst in Japan so bisher nicht vorgekommen ist, und dann noch einem gewaltigen Tsunami. Die Reaktoren haben das ausgehalten. Das Problem bis zur Stunde ist das Kühlsystem.
Heinemann: Genau! Ein kleines Problem mit der Kühlung eines Reaktors reicht aus, um einen großen Teil eines Landes zu verseuchen. Kann man dieses Risiko eingehen?
Poignant: Kann man das Risiko eingehen, dass nicht genug Energie zur Verfügung steht, oder die Klimaerwärmung fortschreitet, sodass der gesamte Planet darunter leidet: Anstieg des Meeresspiegels, enorme Überschwemmungen? Die Risiken bestehen, das stimmt. Deshalb sage ich, wir müssen die Sicherheit bei der Entwicklung neuer Anlagen der Kostenerwägung überordnen. Das ist unerlässlich.
Heinemann: Auch die japanischen Behörden haben bisher gesagt, ihre Anlagen seien sicher. Aber zeigt das japanische Beispiel nicht, dass sich die Natur nicht an die Sicherheitsvorkehrungen hält, die ausgearbeitet wurde?
Poignant: Wir müssen in der Tat herausfinden, was zu diesen Problemen mit der Kühlung geführt hat. Wir müssen jede Möglichkeit einer Ausnahme ausschließen, das ist richtig.
Heinemann: In Harrisburg in den USA und in Tschernobyl in der Ukraine gab es keinen Tsunami: Wir erleben jetzt den dritten schweren Unfall in nur 30 Jahren!
Poignant: In Tschernobyl gab es ein anderes Problem: Dort ist eine laufende Anlage explodiert. Wir wollen in Frankreich eine Behörde schaffen, die für Transparenz und Information sorgt. Die Akzeptanz der Atomkraft und ihrer Sicherheit setzt Erklärung und Transparenz voraus, sowohl für uns Parlamentarier als auch für alle Bürger.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk – ein Interview mit Serge Poignant, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung. - Die deutsche Regierung hat ein dreimonatiges Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke beschlossen. In Deutschland wird über einen Ausstieg nachgedacht. Wie beurteilen sie diese Entscheidung?
Poignant: Im weltweiten Energiemix braucht Europa die Kernkraft – zusammen mit den erneuerbaren Energien und einer möglichst weitgehenden Verringerung der fossilen Energien. Die Sicherung des Klimas zwingt uns zu dieser Mischung der Energieträger. Darüber herrscht in Frankreich Konsens. Ich möchte die deutsche Position nicht kommentieren. Jeder formuliert seine Energiepolitik. Ich wünschte mir für die Zukunft eine europäische Energiepolitik. Europa muss seine Versorgung gegenüber den entwickelten Staaten und den Schwellenländern sichern, und es benötigt eine Energiepolitik mit Blick auf die Treibhausgase.
Heinemann: Wie erklären Sie sich die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland?
Poignant: Da gibt es wahrscheinlich unterschiedliche Empfindlichkeiten. Ich stelle fest, dass die Dinge in Deutschland ja schon fortgeschritten waren. Als es außer Frage stand, dass die Atomkraft fortgeführt würde, gab es ja schon die Entscheidung einer Verlängerung, eben weil es nötig ist und wir heute nicht in der Lage sind, diese zu ersetzen. Die Experten sagen, dass man die Zahl der Atomkraftwerke bis 2030 weltweit verdoppeln muss.
Heinemann: Wie viele Katastrophen noch, bevor es zum Ausstieg kommt?
Poignant: Warum Katastrophen? Ich könnte Ihnen auch antworten: welche weltweite Katastrophe, wenn wir nicht die Maßnahmen ergreifen, um der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wachstum zu entsprechen. Und welche Katastrophe, wenn wir das Problem der Klimaerwärmung nicht in den Griff bekommen, oder wenigsten zügeln können, denn lösen wird man es nicht können. Man muss alles zueinander in Beziehung setzen. Ich bin nicht gegen die erneuerbaren Energien, ich befürworte sie sehr, aber ich bin Realist.
Heinemann: Das Gespräch mit Serge Poignant, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung, haben wir gestern Abend aufgezeichnet.
Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)