Fünf Uhr morgens in Hohennauen in Mecklenburg Vorpommern. Biobauer Kai Dech treibt seine Kühe in die Melkanlage. Im trüben Licht der Glühbirne reinigt er die Euter, steckt die Zitzen ins Melkgeschirr. Dann saugt die Pumpe die Mich ab. Eigentlich hätte Kai Dech eine Stunde länger schlafen können, schließlich ist heute Nacht die Sommerzeit zu Ende gegangen. Doch eine so abrupte Veränderung kann er seinen Tieren nicht zumuten.
"Ja, die Kühe sind schon in einem sehr hohem Maße Gewohnheitstiere, das heißt man muss sie eigentlich langsam heranführen, wenn jetzt so eine Zeitumstellung ist. Wir machen das folgendermaßen, dass wir jeden Tag eine Viertelstunde die Zeit nach vorne beziehungsweise nach hinten verändern, und so nach vier Tagen ist dann die Sache bei uns abgeschlossen."
Behutsam muss man mit Kühen umgehen. Wenn sich Kai Dech mal deutlich verspätet, werden die Tiere nervös. Da kann es schon vorkommen, dass die ganze Herde im Galopp daherkommt, und das beeinträchtigt die Milchleistung. Auch im Frühjahr führt Kai Dech die Tiere langsam in die Sommerzeit.
"Also wenn man die Stunde mit einem Mal machen würde, wenn man da eine Stunde früher kommen würde, dann gucken dich die Kühe an und fragen sich: "was willst Du hier eigentlich? Es ist doch noch gar nicht dran mit dem Melken". Und bleiben liegen und dann hat man es schwer, die da hochzukriegen."
Innere Zeit und äußere Zeit, bei der Kuh tickt beides im Einklang und Sommerzeit und Winterzeit sind den Wiederkäuern herzlich egal. Ganz anders der Mensch. Er lebt in einer Rund-um-die Uhr-Gesellschaft, 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche aktiv. Die biologische Zeit, die Innere Uhr, sollte da doch keine Rolle spielen. Doch das Gegenteil ist wahr, meint Dr. Thomas Kantermann, Chronobiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
"Sie spielt gerade deswegen, weil wir rund um die Uhr arbeiten, eine besondere Rolle, immer mehr. Man ging lange Zeit davon aus, dass der moderne Mensch, wie man sagt, viel zu viel Licht bekommt, dass er permanent von Licht umgeben ist, er hat Fernsehen rund um die Uhr, er kann rund um die Uhr einkaufen und dergleichen. Und dann hat man das mal nachgemessen und hat gemerkt, ne, das ist gar nicht so. Weil das Licht, das wir brauchen für unsere Biologie, für unsere Innere Uhr, reicht bei weitem nicht aus, wenn wir an die Intensitäten denken, die wir tagtäglich um uns haben. Da kommt die Biologie besonders ins Spiel, weil wir da merken, ach, da fehlt doch etwas und das ist das natürliche Licht."
Monsieur,
Ein plötzliches Geräusch weckte mich um sechs Uhr morgens. Ich war überrascht, mein Zimmer war voller Licht. Ich rieb mir die Augen und bemerkte, das Licht kam vom Fenster. Die Sonne war über dem Horizont aufgegangen, von wo sie ihre Strahlen reichlich in mein Zimmer ergoss. Ihr Leser, die ihr wie ich noch nie Zeichen des Sonnenscheins vor Mittag gesehen habt, werdet wie ich erstaunt sein zu hören, dass die Sonne so früh aufgeht und sogleich Licht gibt.
Schrieb Benjamin Franklin 1784 in einem Leserbrief an das Journal de Paris. Der Erfinder der Blitzableiters und spätere Gründervater der USA lebte damals als Gesandter in Frankreich und mokierte sich offenbar über die lange Schlafdauer der Pariser Bürger. Als Naturwissenschaftler schloss Franklin gleich auf eine praktische Anwendung.
Wäre ich nicht so früh geweckt worden, ich hätte noch sechs Stunden Tageslicht verschlafen und dafür sechs Stunden im Kerzenlicht verbracht, wobei letzteres doch viel teurer ist als ersteres. Paris könnte eine immense Summe sparen, wenn es Tageslicht anstatt Kerzen nutzen würde. Natürlich halten die Menschen an alten Gebräuchen fest, und es wird nicht leicht sein, sie dazu zu bringen, sich vor Mittag zu erheben. Doch ich sage: verzweifelt nicht. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang lasst alle Glocken aller Kirche läuten, und reicht das nicht, so feuert Kanonen in jeder Straße, damit die Faulpelze erwachen und mit eigenen Augen ihre ureigensten Interessen erkennen.
Das war wohl nicht ganz ernst gemeint. Gleichwohl, Benjamin Franklin hatte als erster darauf hingewiesen, dass es nützlich sein kann, die soziale Zeit an die Sonnenzeit zu koppeln. 1916 machten Deutschland und Österreich-Ungarn den Anfang und stellten als erste die Uhren im Frühjahr eine Stunde vor und im Herbst wieder zurück. Die Sommerzeit war aus der Taufe gehoben, blieb aber umstritten. In den nächsten Jahrzehnten wurde sie mehrmals abgeschafft und wieder eingeführt. Die erste Ölkrise 1973 brachte den Durchbruch in Europa. Um Energie zu sparen, zogen 1980 auch die Bundesrepublik und die DDR nach, seitdem wird in Deutschland jedes Jahr an der Uhr gedreht. Eine Maßnahme, die nach wie vor für Gesprächsstoff sorgt:
"Erst einmal, auch wenn es ganz unpopulär ist, ich liebe die Sommerzeit."
"Ich habe die Meinung, dass man eigentlich die Sommerzeit abschaffen sollte."
Zwei Experten, zwei Meinungen. In der breiten Bevölkerung ist die Sommerzeit wenig beliebt. Bei einer Internet-Umfrage der Tagesschau gaben etwa zwei Drittel der Teilnehmer an, sie wären gegen die Zeitumstellung, ein Drittel war zufrieden mit der Sommerzeit – in erster Linie wegen der langen hellen Sommerabende. 2005 wollte die FDP genau wissen, was die Zeitumstellung eigentlich bringt. Die Antwort der Bundesregierung auf ihre kleine Anfrage:
"Im Hinblick auf den Energieverbrauch bietet die Sommerzeit keine Vorteile. Die durch das Umweltbundesamt recherchierten Erkenntnisse … [weisen] … auf den Umstand hin, dass von einer Zeitumstellung auf die Sommerzeit keine positiven Energieeinspareffekte zu erwarten sind. Danach wird die Einsparung an Strom für Beleuchtung, insbesondere bei vermehrtem Einsatz effizienter Beleuchtungssysteme, durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch Vorverlegung der Hauptheizzeit überkompensiert."
Im US-Bundesstaat Indiana wurde die Sommerzeit erst 2006 verbindlich eingeführt. Wissenschaftler verglichen den Stromverbrauch von Tausenden von Haushalten in den Jahren vor und nach der Umstellung. Und was sie herausfanden, bestätigt die Daten aus dem Jahr 2005: Die Sommerzeit führt zu einem Mehrverbrauch an Energie, in Indiana lag er zwischen einem und vier Prozent. Zwar wird, wie von Franklin vorausgesagt, weniger Energie für die Beleuchtung aufgewendet. Dafür laufen die Klimaanlagen länger und die sind wahre Stromfresser. Unterm Strich zahlt die Bevölkerung Indianas jedes Jahr 8,6 Millionen US-Dollar zusätzlich durch die Sommerzeit.
Ganz umsonst stellt der Bundesbürger also all die Wecker um, programmiert den Videorecorder neu und sucht das ganze Haus nach Uhren ab: Das spätere Aufstehen im Sommer spart keine Energie. Der ursprüngliche Grund für die Einführung der Sommerzeit ist vom Tisch. Was bleibt, ist das Genussargument. Wenn es im Sommer länger hell ist, dann ist auch nach der Arbeit mehr Zeit für Spaziergang, Grill und Baggersee. Und dabei soll es auch bleiben. Wie die rot-grüne Bundesregierung 2005 hält auch das aktuelle Kabinett an der Zeitumstellung fest.
"Für das weitere Funktionieren des EU-Binnenmarktes ist es von wesentlicher Bedeutung, dass Tag und Uhrzeit des Beginns und des Endes der Sommerzeit einheitlich in der gesamten Gemeinschaft festgelegt werden. Die Bundesregierung wird deshalb an der Sommerzeit festhalten, sofern nicht die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam die Absicht haben, die Sommerzeit abzuschaffen."
Feuerwache Berlin Schöneberg, 19 Uhr. Die Nachtschicht hat gerade ihren Dienst begonnen und überprüft in der Fahrzeughalle Atemmasken, Aufblaskissen, Alarmgeräte. Alles muss perfekt funktionieren und leicht zu greifen sein, schließlich kommen in einer durchschnittlichen Nacht 25 Einsätze auf die Feuerwehrleute zu. Zuhause braucht Wachschichtleiter Andreas Pranzer dann vor allem eines: Ruhe. Sein Sohn muss Rücksicht nehmen, obwohl sich sein Vater nach der Nachtschicht nur selten hinlegt.
"Oft bin ich so müde, dass ich wirklich ins Bett fallen möchte, aber das führt nicht zu einem richtigen Schlaf, das führt nur zu einem Drehen und Wenden, deshalb versuche ich es gar nicht mehr. Dann nehm‘ ich mir ein Mountainbike und fahr’ eine Runde durch den Wald und dann ist die Welt auch wieder in Ordnung, dann braucht man den Schlaf irgendwie nicht mehr."
24 Stunden hat er dann frei, es folgt eine Tagschicht, noch einmal eine Nacht- und eine Tagschicht, drei freie Tage, und so weiter und so weiter. In der Wache ist die Stimmung gut, die Feuerwehrmänner freuen sich auf die Lasagne, die ein Kollege oben kocht. Während sie den Trennschleifer testen, mit dem sie schon oft Menschen aus Autowracks befreit haben, diskutieren sie das Fernsehprogramm. Andreas Pranzner:
"Nach außen hin sieht es so aus, als ob die Kollegen damit gut klarkommen. Wenn man ein bisschen hinter die Kulissen guckt, sieht man, ja, wie so kleine Einzelschicksale, hohe Scheidungsraten und auch eine gewisse Unzufriedenheit, Krankheit... Also da läuft, glaube ich, doch mehr im Hintergrund als man vorne so sieht."
Die Jungen stecken die durcharbeiteten Nächte weg, bei den Älteren zeigt sich: ein Leben gegen die Innere Uhr hat seinen Preis. Trotzdem will Andreas Pranzner bis zur Pension auf seinem Löschzug fahren. Die Wechselschichten haben ja auch Vorteile. Die drei Tage Erholung zwischen den Dienstblöcken nutzt er für Handwerksarbeiten oder Kurzreisen. Und im Sommer auch gerne die langen Abende im Freien. Pranzner:
"Also ich mag die Sommerzeit absolut, dass da ein gewisses Schlafdefizit auch wieder mit verbunden ist, ist eine andere Sache, aber prinzipiell finde ich die Sommerzeit sehr schön."
Ein Genuss. Aber ein Genuss ohne Reue? Die Zeitumstellung bringt den gewohnten Rhythmus der Inneren Uhr jedes Menschen durcheinander. Und die Innere Uhr greift in fast alle Bereiche von Körper und Geist ein. In ihrem Rhythmus schwanken Hormonspiegel und Körpertemperatur, die Leistung des Immunsystems und die Aufmerksamkeit, Verdauungstätigkeit und Leberstoffwechsel. Letzteres ist übrigens der Grund dafür, dass ein Glas Sekt um die Mittagszeit deutlich mehr Wirkung zeigt, als in den Abendstunden. Jede Zelle in jedem Gewebe hat eine eigene Ausgabe der Inneren Uhr. Und sie alle ticken im gleichen Rhythmus. Aber wie sie genau gestellt sind, das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die meisten Deutschen würden sich ihrer Inneren Uhr gemäß kurz nach Mitternacht hinlegen, um nach etwa acht Stunden Schlaf um halb neun Uhr Morgens erfrischt zu erwachen.
"Der Durchschnittsmensch würde gerne etwas später schlafen als es unsere sozialen Anforderungen zulassen."
So Professor Achim Kramer vom chronobiologischen Labor der Berliner Charité. Innere Uhr und soziale Zeit lassen sich bei diesen Menschen mit einem Wecker in Einklang bringen. Anders sieht es bei den "Lerchen" und "Eulen" aus. "Lerchen", so nennen die Chronobiologen die Frühaufsteher, die schon um sechs nicht mehr schlafen können und dafür zeitig müde werden. Sie machen etwa ein halbes Prozent der Bevölkerung aus. Häufiger sind die "Eulen". Zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen sind Langschläfer, die erst in der Nacht so richtig aktiv werden. Kramer:
"Wir haben gesehen, dass die Zellen von ‚Eulen‘ und ‚Lerchen‘, die wir aus der Haut von Probanden entnommen haben, dass sie unterschiedlich schnelle Rhythmen haben. Das heißt man kann sagen, dass Leute, die sehr spät dran sind, die spät aufwachen, die spät ins Bett gehen, dass die Innere Uhren auch in Ihren Hautzellen haben, die relativ langsam ticken. Und bei so genannten Frühtypen ist es genau umgekehrt, deren Uhren ticken schneller, im Durchschnitt."
Die Inneren Uhren von Lerchen durchlaufen ihren Zyklus in nur 23 Stunden, die von Eulen brauchen dagegen 25 Stunden. Dr. Dieter Kunz, Chefarzt in der Schlafmedizin der Berliner Charité, war ebenfalls an der Studie beteiligt. Die eine Stunde Abweichung von der tatsächlichen Tageslänge hat erhebliche Auswirkungen, vor allem für die Eulen. Kunz:
"Die können an einem normalen Arbeitsleben was um sieben, acht, neun morgens beginnt, nicht arbeiten, weil zu diesem Zeitpunkt ihre Innere Uhr auf Schlaf steht und das führt dann langfristig zu ganz erheblichen Konsequenzen. Das heißt, ein extremer Spättyp sollte versuchen in der Gastronomie unterzukommen, ein extremer Frühtyp sollte Bäcker werden - aber bitte nicht umgekehrt."
Auch Thomas Kantermann plädiert dafür, das Leben nicht gegen den Rhythmus der Inneren Uhr zu organisieren. "Eulen" stoßen dabei allerdings meist auf wenig Verständnis. Kantermann:
"Das Stigma, dass jeder Spättyp in dieser Gesellschaft hat, ist, dass er faul ist, dass er ein Langschläfer ist. Was aber mit dem Spättypdasein gar nichts zu tun hat, weil diese Vorurteile dann auch von Frühtypen kommen, die um 17 Uhr das Büro verlassen und eben nicht sehen, dass der Spättypkollege da noch bis in die Nacht sitzt und fleißig ist und nicht viel weniger schafft als sein Frühtypkollege auch."
Besonders eine Gruppe von Extremeulen hat ein Imageproblem: die Jugendlichen. Jeder Pubertierende durchläuft eine Phase, in der seine Innere Uhr dem Tag deutlich hinterherhinkt. Thomas Kantermann:
"Die leben in einer anderen Zeitzone, ja, und das ist erschreckend, wenn wir uns das anschauen, dass es Schulen gibt, die morgens um sieben, viertel nach sieben schon mit dem Unterrichtsbeginn oder mit der Anwesenheitspflicht beginnen. Und es ist tatsächlich so, dass diese Schüler dann im Alter von 12 bis 16, 17 Jahren in ihrer subjektiven Nacht da sitzen. Und das ist untersucht worden von einer Studiengruppe in den Vereinigten Staaten, da haben die das mal angeschaut und haben Schülern EEGs an den Kopf geklebt und wollten wissen, was passiert denn da. Und dann war es tatsächlich so, dass diese Schüler mit offenen Augen die Lehrerin angeschaut haben, aber dem EEG nach geschlafen haben, das sind Mikroschlafs, die wir dann wiederfinden, das ist erschreckend."
Die Schule sollte später beginnen, da sind sich die Schlafforscher einig. Zumindest sollten die Lehrer in der ersten Stunde keine extrem anspruchsvollen Themen behandeln. Die Jugendlichen können ihnen sowieso kaum folgen. Erst Anfang 20 stellt sich die Innere Uhr wieder um. Der Erwachsene hat dann seinen eigenen Chronotyp als Lerche, Eule oder als Durchschnittstyp mit 24-Stunden-Takt. Wie jede Uhr muss aber auch die Uhr der Zellen gestellt werden, erläutert Thomas Kantermann.
"Sie können sich vorstellen, dass unsere Innere Uhr den gleichen Zweck erfüllt wie ein Terminkalender oder eine Armbanduhr, und um diese Termine, die unser Körper hat, Hormonproduktion und Körpertemperatur, zu regeln und Hunger und Schlaf-Wach-Rhythmus oder dergleichen, damit er all diese Termine einhalten kann, muss diese Uhr gestellt werden. Und das Verlässlichste, was wir auf der Erde haben, was uns da zur Verfügung steht, ist der Sonnenaufgang. "
Bei den meisten klappt die Synchronisation von Innerer Uhr und Sonnenlicht ausgezeichnet, wie Thomas Kantermann und seine Kollegen von der Uni München mit einer Online Befragung herausgefunden haben. Daran ist abzulesen, dass die Bewohner von Frankfurt an der Oder eher aufstehen als die Menschen in Aachen. Und zwar im Durchschnitt um genau die 36 Minuten, die die Sonne im Osten Deutschlands früher aufgeht. Kantermann:
"Wir schauen uns die Tage an, in denen die Innere Uhr nicht durch Wecker und Arbeitszeiten fremd manipuliert ist, sondern an denen sie frei aufstehen. Und wir sehen, dass wir doch ganz Tier sind, wie wir das aus Tierversuchen kennen und uns da als Mensch nicht ausnehmen können. Dass wir doch mehr durch die Umweltsignale gesteuert werden, als wir uns das vorstellen."
Die Innere Uhr folgt der Sonne. Im Lauf von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter passen sich ihre Rhythmen den langsamen Verschiebungen in Tagesbeginn und –ende an. Doch die Koppelung von Innerer Uhr und Sonne wird durch die Zeitumstellung gestört.
Ein Interkontinentalflug. Für die Reisenden meist aufregend, für Chefsteward Michael Kleemann Routine. Für die Lufthansa fliegt er nach Asien, nach China, Korea, Singapur. Der Flug geht der Sonne entgegen, über sieben oder acht Zeitzonen hinweg.
"Also wenn ich beispielsweise einen Flug nach Korea nehme, nach Seoul, der kommt da gegen 11, halb 12 am Zielort an und das ist natürlich die Zeit, wo man sonst nicht unbedingt schlafen geht. Man ist dann aber die ganze Nacht durchgeflogen und ist dann schon müde, wenn man ankommt."
Die Armbanduhr ist schnell um sieben Stunden vorgestellt. Die Innere Uhr besteht aber auf Frankfurter Zeit und bereitet den Stoffwechsel auf das Frühstück vor, während der Körper eigentlich nur den verlorenen Schlaf nachholen möchte. Wenn es schon am nächsten Tag zurück nach Frankfurt geht, dann gibt der Flugbegleiter seiner Inneren Uhr nach. Er schläft am Tag, lebt gegen die asiatische Zeit. Bei längeren Aufenthalten passt er sich aber an, um die freien Tage auch genießen zu können. Die Vorbereitung dafür beginnt direkt nach dem Start: Michael Kleemann stellt seine Uhr schon auf die Zielzeit ein und versucht, sich nach ihr zu richten. Kleemann:
"Nehmen wir noch einmal so einen Flug nach Peking zum Beispiel. Da fliegen wir 16:00 Uhr los, haben einen Serviceblock von etwa vier Stunden, dann ist es acht Uhr deutscher Zeit, wenn ich jetzt die Zeitverschiebung für Peking drauf rechne, das sind sieben Stunden, dann bin ich mitten in der Nacht, da bringt es mir nichts, wenn ich als Crew-Essen einen Sauerbraten esse, weil ich halt in der örtlichen Nacht von Peking keinen Sauerbraten essen möchte, der liegt mir einfach schwer im Magen, deshalb bevorzuge ich bei solchen Flügen meist leichte Kost, die einfach schnell verdaut und dann geht es mir eigentlich ganz gut."
Leichte Kost, viel trinken, aber möglichst keinen Alkohol. Der steigt bei dem niedrigen Kabinendruck zu schnell in den Kopf. Und was die Sommerzeit betrifft, da hat Vielflieger Michel Kleemann keine Probleme, Zeitumstellung gehört für ihn einfach zum Beruf.
"Nee, also diese eine Stunde ist für mich nicht so sehr bemerkbar, da kriege ich nichts von mit. Wir fliegen ja auf der Kurzstrecke auch Zielorte an, zum Beispiel Lissabon, wo eine Stunde Zeitverschiebung herrscht, das ist bei uns eigentlich überhaupt nicht merkbar."
Die Innere Uhr tickt in ihrem gleichmäßigen Rhythmus, die Zeitumstellung zwingt sie zum Nachjustieren. Theoretisch könnte hier ein Problem vorliegen. Wie groß es ist, haben Thomas Kantermann und seine Kollegen am chronobiologischen Zentrum der Universität München untersucht. 50 Freiwillige wurden im Frühjahr und Herbst mit Aktivitätsmessern und Schlaftagebüchern ausgestattet. Kantermann:
"Und wir haben festgestellt, dass besonders die Spättypen bis vier Wochen nach der Umstellung im Frühjahr sich nicht an die Sommerzeit anpassen. Die haben dann weniger Probleme im Herbst, wenn sie dann wieder ‘freigelassen‘ werden sozusagen und sich der Normalzeit wieder einfügen können. Aber eine Anpassung an die Sommerzeit, haben wir feststellen können, ist nicht so leicht, wie viele gedacht haben."
Die Innere Uhr des Menschen geht genau. Eine Stunde Zeitverschiebung kann sie durchaus beeinträchtigen, meint auch Dieter Kunz.
"Erst einmal passiert etwas ähnliches, wie wenn man einen Jetlag hat. Das heißt man bekommt leichte Befindlichkeitsstörungen, Kopfschmerzen, ein bisschen Schwindel, ein bisschen Verdauungsbeschwerden, ein bisschen Schlafstörung, aus jedem Dorf eigentlich einen Hund."
Wie häufig Beschwerden durch die Zeitumstellung sind, ist noch unklar. Thomas Kantermann ist noch dabei, seine Daten auszuwerten.
"Gesundheitliche Auswirkungen können wir noch nicht ganz überblicken. Was wir zumindest wissen, sind Tendenzen, Verhaltensweisen von Spättypen, dass wir da finden, dass die Anzahl der Raucher beispielsweise steigt, um eine Art Stresskompensation zu machen. Wir denken an saisonale Erkrankungen, Depressionserkrankungen, Häufungen von Infektionskrankheiten im Frühjahr, dann sind das alles Dinge, die wir da berücksichtigen müssen. Nicht dass sie alleine durch die Sommerzeit-Einführung ausgelöst werden, aber das ist etwas, was sozusagen unser inneres Zeitgefühl irritiert und durcheinanderbringt und jede Störung ist da nicht unbedingt positiv, wenn es darum geht, dass wir uns saisonal anpassen müssen."
Wie genau Störungen der Inneren Uhr die Gesundheit beeinflussen, wird intensiv untersucht. Nicht nur in Befragungen, wie bei der Studie der Universität München, sondern auf der molekularen Ebene auch durch Experimente an Mäusen. So genannten Knock-out Tieren haben Forscher einzelne Gene der Inneren Uhr entfernt. Achim Kramer untersucht in seinem Labor an der Berliner Charité, wie sich die Schlafrhythmen dieser Mäuse verändern. Aber das veränderte Aktivitätsmuster ist bei weitem nicht der einzige Effekt einer so künstlich gestörten Inneren Uhr. Kramer:
"Zum Beispiel das wichtige Uhrengen ‚period 2‘, wenn das ausgeknockt ist, sind solche Mäuse anfälliger für Krebs. Wenn zum Beispiel eine Mutation in dem wichtigen Uhr-Gen ‚Clock‘ gemacht wurde, dann sind diese Mäuse anfälliger für das metabolische Syndrom, das heißt sie werden richtig fett und das sind natürlich Hinweise, dass Uhrproteine oder Uhrkomponenten wichtig sind für die Gesundheit."
Dass das nicht nur für Mäuse sondern auch für Menschen gilt, zeigt sich am extremsten bei den Schichtarbeitern. Im Vergleich zu den gewöhnlichen Arbeitern oder Angestellten haben sie vermehrt mit Krebs und Herz-Kreislaufleiden zu kämpfen. Die Details sind noch nicht verstanden. Aber es sieht so aus, als hätte das Leben in der 24-Stunden-Gesellschaft wohl doch seinen Preis. Dieter Kunz:
"Es ist klar nachgewiesen, dass Schlafentzug, zumindest wenn er akut erfolgt, dass der zu Veränderungen im Metabolismus führt, die dann à la longue auch zu Fettleibigkeit führen können. Wir können heute nur vermuten, aber die Vermutungen sind doch sehr gut begründet, dass Volkserkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck und auch Fettleibigkeit mit bedingt sind durch einen chronisch niedrig dosierten Schlafentzug, den jeder von uns hat, der morgens vom Wecker geweckt wird."
Der alltägliche Widerspruch zwischen Innerer Uhr und äußerer Zeit ist hier allerdings nur einer unter vielen Faktoren. Verzerrter Alltagsrhythmus, Bewegungsmangel, falsche Ernährung - in diesem Gesamtbild führt der Wechsel von Sommer- zu Winterzeit zu einer kleinen zusätzlichen Störung. Wie man die am besten abpuffert, verrät Achim Kramer:
"Wenn Sie jetzt ein Frühtyp sind, und unter der Zeitumstellung, die wir jetzt vor uns haben, leiden, dann ist es natürlich wichtig, dass Sie abends viel Licht haben, dann wird ihre Uhr nämlich ein bisschen verzögert. Im Frühjahr ist es besonders wichtig für die Leute, die nicht herauskommen, dass sie, wenn sie dann aufstehen, besonders viel Licht gleich tanken und nicht im abgedunkelten Raum frühstücken, sondern möglichst vielleicht vor dem Frühstück noch einmal joggen."
Xinjiang im Westen Chinas. Durch die Steppen der Hochebene am Rande des Himalaya verlief einst die Seidenstraße, hier wanderten mit den Händlern ganz unterschiedliche Völker, Uiguren, Kasachen, in jüngster Zeit auch viele Han-Chinesen. Sie brachten nicht nur Saatgut und Maschinen sondern auch die Peking-Zeit mit. Seitdem spielt sich das offizielle Leben Xinjiangs zeitgleich zu dem der chinesischen Hauptstadt ab. Obwohl die 3500 km und eigentlich zwei Zeitzonen entfernt liegt.
"Das heißt zum Beispiel, wenn man früh morgens zu einem Amt muss, dass man zur Polizei muss oder ähnliches und man dort auftauchen muss, wenn geöffnet wird, man teilweise zwei bis drei Stunden vor Sonnenaufgang sich anstellen muss und das sind natürlich Zustände die sind hier eigentlich denkbar."
Hauke Neddermann vom Ostasiatischen Seminar der Freien Universität hat in Xinjiang gearbeitet. Für ihn war besonders lästig, dass sich auch die Universitätsbibliothek an die Peking-Zeit hielt. Da heißt es früh antreten zum forschen. Die normalen Arbeiter und Bauern richten ihren Tagesablauf dagegen nach der Sonne und sind damit offiziell viel zu spät dran. Neddermann:
"Also man stellt die Uhren kurzerhand zwei Stunden vor. Man weiß aber, dass wenn man Amtsgänge macht, man erstens das natürlich ignorieren muss, man muss sich dann doch richten nach den offiziellen Stellen und zweitens galt es zumindest phasenweise immer auch als Hinweis darauf, dass man eigentlich auch Unabhängigkeitsbestrebungen gehegt hat und man wollte von Seiten der Volksrepublik genau diese Zeitzonenproblematik vermeiden."
Die Uhr als Protestsymbol. Kompliziert wird die Zeitfrage durch die Schulen. Die gehen meist einen Mittelweg, etablieren sozusagen eine dritte Zeit und lassen ihre Schüler eine Stunde nach den Pekinger Vorgaben antreten. Die werden allerdings ausgerechnet in den entscheidenden Momenten wieder beachtet. Neddermann:
"Es gibt zum Beispiel standardisierte Prüfungsformen in China, die alle gleichzeitig stattfinden sollen im ganzen Land und die richten sich dann entsprechend eigentlich nicht nach diesen relativ dünn besiedelten Westgebieten, sondern nach der Pekinger Zeit, und entsprechend bleibt den Schülern dann zum Teil tatsächlich nichts anderes übrig, als weit in der Nacht eigentlich aufzutauchen, und ob man da dann immer das Leistungspotential so bringen kann, ist doch fraglich."
Für Peking ist die Zeitfrage mit der Frage der Einheit Chinas eng verknüpft. Die kleinen Wiedersprüche sind demgegenüber unwichtig. Allerdings erkennt Hauke Neddermann erste Anzeichen für Bewegung, getrieben nicht so sehr von der Sorge um die Alltagsprobleme in Xinjiang sondern von der Kostenfrage.
"Worüber intensiv nachgedacht wird, ist, ob man nicht eigentlich eine ganze Menge Energie verschwendet dadurch, dass man eben bei stockdunkler Nacht eigentlich in den Regierungsstellen schon vollen Betreib hat und auch in den Schulen und Universitäten, also in der ganzen Bandbreite. Und gerade im Rahmen dieser Energiediskussion gibt es da ein bisschen Bewegung. Ich weiß zum Beispiel, dass inzwischen selbst Kreisämter und ähnliches teilweise umgestellt haben auf die inoffizielle Zeit, was das Ganze natürlich noch ein bisschen skurriler macht."
Ein zu großer Widerspruch zwischen den Uhren der Gesellschaft und dem Lauf der Sonne führt dann eben doch zur Energieverschwendung. Für Mitteleuropa dagegen sieht die Bilanz ernüchternd aus: Die Sommerzeit spart keine Energie, führt eher zu einem höheren Verbrauch. Und sie bringt die Innere Uhr messbar aus dem Takt, bei einigen Menschen leidet die Gesundheit. Einziger klar belegter Vorteil der Sommerzeit sind die langen hellen Abende, und so läuft alles auf die Frage des persönlichen Geschmacks hinaus.
"Erst einmal, auch wenn es ganz unpopulär ist, ich liebe die Sommerzeit."
Dieter Kunz, Charité Berlin.
"Ich könnte sie mir sogar noch ein bisschen extremer vorstellen, also das heißt nicht nur eine Stunde sondern anderthalb, zwei Stunden gestaffelt, das ist sicherlich schwer zu organisieren."
"Ich habe die Meinung, dass man eigentlich die Sommerzeit abschaffen sollte."
Achim Kramer, Charité Berlin.
"Es gibt eine Zwischenform die man einführen könnte, nämlich die Sommerzeit viel mehr auf die wirklich extremen Sommermonate beschränken. Wenn man, wenn die saisonale Anpassung eigentlich schon passiert ist. Das heißt von Mai bis Mitte August Sommerzeit das ist OK, aber nicht so lang."
"Der Traum des Chronobiologen, wir würden empfehlen, dass Sie schlafen, wenn Sie müde sind. Das klingt naiv und das klingt sehr einfach, aber es ist so einfach."
Thomas Kantermann, Ludwig-Maximilians-Universität, München.
"Und dass Sie dann aufstehen, wenn Sie wach sind, dass Sie keinen Wecker benutzen müssen, sondern dass Sie dann produktiv sind, wenn Sie sich danach fühlen."
"Ja, die Kühe sind schon in einem sehr hohem Maße Gewohnheitstiere, das heißt man muss sie eigentlich langsam heranführen, wenn jetzt so eine Zeitumstellung ist. Wir machen das folgendermaßen, dass wir jeden Tag eine Viertelstunde die Zeit nach vorne beziehungsweise nach hinten verändern, und so nach vier Tagen ist dann die Sache bei uns abgeschlossen."
Behutsam muss man mit Kühen umgehen. Wenn sich Kai Dech mal deutlich verspätet, werden die Tiere nervös. Da kann es schon vorkommen, dass die ganze Herde im Galopp daherkommt, und das beeinträchtigt die Milchleistung. Auch im Frühjahr führt Kai Dech die Tiere langsam in die Sommerzeit.
"Also wenn man die Stunde mit einem Mal machen würde, wenn man da eine Stunde früher kommen würde, dann gucken dich die Kühe an und fragen sich: "was willst Du hier eigentlich? Es ist doch noch gar nicht dran mit dem Melken". Und bleiben liegen und dann hat man es schwer, die da hochzukriegen."
Innere Zeit und äußere Zeit, bei der Kuh tickt beides im Einklang und Sommerzeit und Winterzeit sind den Wiederkäuern herzlich egal. Ganz anders der Mensch. Er lebt in einer Rund-um-die Uhr-Gesellschaft, 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche aktiv. Die biologische Zeit, die Innere Uhr, sollte da doch keine Rolle spielen. Doch das Gegenteil ist wahr, meint Dr. Thomas Kantermann, Chronobiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
"Sie spielt gerade deswegen, weil wir rund um die Uhr arbeiten, eine besondere Rolle, immer mehr. Man ging lange Zeit davon aus, dass der moderne Mensch, wie man sagt, viel zu viel Licht bekommt, dass er permanent von Licht umgeben ist, er hat Fernsehen rund um die Uhr, er kann rund um die Uhr einkaufen und dergleichen. Und dann hat man das mal nachgemessen und hat gemerkt, ne, das ist gar nicht so. Weil das Licht, das wir brauchen für unsere Biologie, für unsere Innere Uhr, reicht bei weitem nicht aus, wenn wir an die Intensitäten denken, die wir tagtäglich um uns haben. Da kommt die Biologie besonders ins Spiel, weil wir da merken, ach, da fehlt doch etwas und das ist das natürliche Licht."
Monsieur,
Ein plötzliches Geräusch weckte mich um sechs Uhr morgens. Ich war überrascht, mein Zimmer war voller Licht. Ich rieb mir die Augen und bemerkte, das Licht kam vom Fenster. Die Sonne war über dem Horizont aufgegangen, von wo sie ihre Strahlen reichlich in mein Zimmer ergoss. Ihr Leser, die ihr wie ich noch nie Zeichen des Sonnenscheins vor Mittag gesehen habt, werdet wie ich erstaunt sein zu hören, dass die Sonne so früh aufgeht und sogleich Licht gibt.
Schrieb Benjamin Franklin 1784 in einem Leserbrief an das Journal de Paris. Der Erfinder der Blitzableiters und spätere Gründervater der USA lebte damals als Gesandter in Frankreich und mokierte sich offenbar über die lange Schlafdauer der Pariser Bürger. Als Naturwissenschaftler schloss Franklin gleich auf eine praktische Anwendung.
Wäre ich nicht so früh geweckt worden, ich hätte noch sechs Stunden Tageslicht verschlafen und dafür sechs Stunden im Kerzenlicht verbracht, wobei letzteres doch viel teurer ist als ersteres. Paris könnte eine immense Summe sparen, wenn es Tageslicht anstatt Kerzen nutzen würde. Natürlich halten die Menschen an alten Gebräuchen fest, und es wird nicht leicht sein, sie dazu zu bringen, sich vor Mittag zu erheben. Doch ich sage: verzweifelt nicht. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang lasst alle Glocken aller Kirche läuten, und reicht das nicht, so feuert Kanonen in jeder Straße, damit die Faulpelze erwachen und mit eigenen Augen ihre ureigensten Interessen erkennen.
Das war wohl nicht ganz ernst gemeint. Gleichwohl, Benjamin Franklin hatte als erster darauf hingewiesen, dass es nützlich sein kann, die soziale Zeit an die Sonnenzeit zu koppeln. 1916 machten Deutschland und Österreich-Ungarn den Anfang und stellten als erste die Uhren im Frühjahr eine Stunde vor und im Herbst wieder zurück. Die Sommerzeit war aus der Taufe gehoben, blieb aber umstritten. In den nächsten Jahrzehnten wurde sie mehrmals abgeschafft und wieder eingeführt. Die erste Ölkrise 1973 brachte den Durchbruch in Europa. Um Energie zu sparen, zogen 1980 auch die Bundesrepublik und die DDR nach, seitdem wird in Deutschland jedes Jahr an der Uhr gedreht. Eine Maßnahme, die nach wie vor für Gesprächsstoff sorgt:
"Erst einmal, auch wenn es ganz unpopulär ist, ich liebe die Sommerzeit."
"Ich habe die Meinung, dass man eigentlich die Sommerzeit abschaffen sollte."
Zwei Experten, zwei Meinungen. In der breiten Bevölkerung ist die Sommerzeit wenig beliebt. Bei einer Internet-Umfrage der Tagesschau gaben etwa zwei Drittel der Teilnehmer an, sie wären gegen die Zeitumstellung, ein Drittel war zufrieden mit der Sommerzeit – in erster Linie wegen der langen hellen Sommerabende. 2005 wollte die FDP genau wissen, was die Zeitumstellung eigentlich bringt. Die Antwort der Bundesregierung auf ihre kleine Anfrage:
"Im Hinblick auf den Energieverbrauch bietet die Sommerzeit keine Vorteile. Die durch das Umweltbundesamt recherchierten Erkenntnisse … [weisen] … auf den Umstand hin, dass von einer Zeitumstellung auf die Sommerzeit keine positiven Energieeinspareffekte zu erwarten sind. Danach wird die Einsparung an Strom für Beleuchtung, insbesondere bei vermehrtem Einsatz effizienter Beleuchtungssysteme, durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch Vorverlegung der Hauptheizzeit überkompensiert."
Im US-Bundesstaat Indiana wurde die Sommerzeit erst 2006 verbindlich eingeführt. Wissenschaftler verglichen den Stromverbrauch von Tausenden von Haushalten in den Jahren vor und nach der Umstellung. Und was sie herausfanden, bestätigt die Daten aus dem Jahr 2005: Die Sommerzeit führt zu einem Mehrverbrauch an Energie, in Indiana lag er zwischen einem und vier Prozent. Zwar wird, wie von Franklin vorausgesagt, weniger Energie für die Beleuchtung aufgewendet. Dafür laufen die Klimaanlagen länger und die sind wahre Stromfresser. Unterm Strich zahlt die Bevölkerung Indianas jedes Jahr 8,6 Millionen US-Dollar zusätzlich durch die Sommerzeit.
Ganz umsonst stellt der Bundesbürger also all die Wecker um, programmiert den Videorecorder neu und sucht das ganze Haus nach Uhren ab: Das spätere Aufstehen im Sommer spart keine Energie. Der ursprüngliche Grund für die Einführung der Sommerzeit ist vom Tisch. Was bleibt, ist das Genussargument. Wenn es im Sommer länger hell ist, dann ist auch nach der Arbeit mehr Zeit für Spaziergang, Grill und Baggersee. Und dabei soll es auch bleiben. Wie die rot-grüne Bundesregierung 2005 hält auch das aktuelle Kabinett an der Zeitumstellung fest.
"Für das weitere Funktionieren des EU-Binnenmarktes ist es von wesentlicher Bedeutung, dass Tag und Uhrzeit des Beginns und des Endes der Sommerzeit einheitlich in der gesamten Gemeinschaft festgelegt werden. Die Bundesregierung wird deshalb an der Sommerzeit festhalten, sofern nicht die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam die Absicht haben, die Sommerzeit abzuschaffen."
Feuerwache Berlin Schöneberg, 19 Uhr. Die Nachtschicht hat gerade ihren Dienst begonnen und überprüft in der Fahrzeughalle Atemmasken, Aufblaskissen, Alarmgeräte. Alles muss perfekt funktionieren und leicht zu greifen sein, schließlich kommen in einer durchschnittlichen Nacht 25 Einsätze auf die Feuerwehrleute zu. Zuhause braucht Wachschichtleiter Andreas Pranzer dann vor allem eines: Ruhe. Sein Sohn muss Rücksicht nehmen, obwohl sich sein Vater nach der Nachtschicht nur selten hinlegt.
"Oft bin ich so müde, dass ich wirklich ins Bett fallen möchte, aber das führt nicht zu einem richtigen Schlaf, das führt nur zu einem Drehen und Wenden, deshalb versuche ich es gar nicht mehr. Dann nehm‘ ich mir ein Mountainbike und fahr’ eine Runde durch den Wald und dann ist die Welt auch wieder in Ordnung, dann braucht man den Schlaf irgendwie nicht mehr."
24 Stunden hat er dann frei, es folgt eine Tagschicht, noch einmal eine Nacht- und eine Tagschicht, drei freie Tage, und so weiter und so weiter. In der Wache ist die Stimmung gut, die Feuerwehrmänner freuen sich auf die Lasagne, die ein Kollege oben kocht. Während sie den Trennschleifer testen, mit dem sie schon oft Menschen aus Autowracks befreit haben, diskutieren sie das Fernsehprogramm. Andreas Pranzner:
"Nach außen hin sieht es so aus, als ob die Kollegen damit gut klarkommen. Wenn man ein bisschen hinter die Kulissen guckt, sieht man, ja, wie so kleine Einzelschicksale, hohe Scheidungsraten und auch eine gewisse Unzufriedenheit, Krankheit... Also da läuft, glaube ich, doch mehr im Hintergrund als man vorne so sieht."
Die Jungen stecken die durcharbeiteten Nächte weg, bei den Älteren zeigt sich: ein Leben gegen die Innere Uhr hat seinen Preis. Trotzdem will Andreas Pranzner bis zur Pension auf seinem Löschzug fahren. Die Wechselschichten haben ja auch Vorteile. Die drei Tage Erholung zwischen den Dienstblöcken nutzt er für Handwerksarbeiten oder Kurzreisen. Und im Sommer auch gerne die langen Abende im Freien. Pranzner:
"Also ich mag die Sommerzeit absolut, dass da ein gewisses Schlafdefizit auch wieder mit verbunden ist, ist eine andere Sache, aber prinzipiell finde ich die Sommerzeit sehr schön."
Ein Genuss. Aber ein Genuss ohne Reue? Die Zeitumstellung bringt den gewohnten Rhythmus der Inneren Uhr jedes Menschen durcheinander. Und die Innere Uhr greift in fast alle Bereiche von Körper und Geist ein. In ihrem Rhythmus schwanken Hormonspiegel und Körpertemperatur, die Leistung des Immunsystems und die Aufmerksamkeit, Verdauungstätigkeit und Leberstoffwechsel. Letzteres ist übrigens der Grund dafür, dass ein Glas Sekt um die Mittagszeit deutlich mehr Wirkung zeigt, als in den Abendstunden. Jede Zelle in jedem Gewebe hat eine eigene Ausgabe der Inneren Uhr. Und sie alle ticken im gleichen Rhythmus. Aber wie sie genau gestellt sind, das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die meisten Deutschen würden sich ihrer Inneren Uhr gemäß kurz nach Mitternacht hinlegen, um nach etwa acht Stunden Schlaf um halb neun Uhr Morgens erfrischt zu erwachen.
"Der Durchschnittsmensch würde gerne etwas später schlafen als es unsere sozialen Anforderungen zulassen."
So Professor Achim Kramer vom chronobiologischen Labor der Berliner Charité. Innere Uhr und soziale Zeit lassen sich bei diesen Menschen mit einem Wecker in Einklang bringen. Anders sieht es bei den "Lerchen" und "Eulen" aus. "Lerchen", so nennen die Chronobiologen die Frühaufsteher, die schon um sechs nicht mehr schlafen können und dafür zeitig müde werden. Sie machen etwa ein halbes Prozent der Bevölkerung aus. Häufiger sind die "Eulen". Zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen sind Langschläfer, die erst in der Nacht so richtig aktiv werden. Kramer:
"Wir haben gesehen, dass die Zellen von ‚Eulen‘ und ‚Lerchen‘, die wir aus der Haut von Probanden entnommen haben, dass sie unterschiedlich schnelle Rhythmen haben. Das heißt man kann sagen, dass Leute, die sehr spät dran sind, die spät aufwachen, die spät ins Bett gehen, dass die Innere Uhren auch in Ihren Hautzellen haben, die relativ langsam ticken. Und bei so genannten Frühtypen ist es genau umgekehrt, deren Uhren ticken schneller, im Durchschnitt."
Die Inneren Uhren von Lerchen durchlaufen ihren Zyklus in nur 23 Stunden, die von Eulen brauchen dagegen 25 Stunden. Dr. Dieter Kunz, Chefarzt in der Schlafmedizin der Berliner Charité, war ebenfalls an der Studie beteiligt. Die eine Stunde Abweichung von der tatsächlichen Tageslänge hat erhebliche Auswirkungen, vor allem für die Eulen. Kunz:
"Die können an einem normalen Arbeitsleben was um sieben, acht, neun morgens beginnt, nicht arbeiten, weil zu diesem Zeitpunkt ihre Innere Uhr auf Schlaf steht und das führt dann langfristig zu ganz erheblichen Konsequenzen. Das heißt, ein extremer Spättyp sollte versuchen in der Gastronomie unterzukommen, ein extremer Frühtyp sollte Bäcker werden - aber bitte nicht umgekehrt."
Auch Thomas Kantermann plädiert dafür, das Leben nicht gegen den Rhythmus der Inneren Uhr zu organisieren. "Eulen" stoßen dabei allerdings meist auf wenig Verständnis. Kantermann:
"Das Stigma, dass jeder Spättyp in dieser Gesellschaft hat, ist, dass er faul ist, dass er ein Langschläfer ist. Was aber mit dem Spättypdasein gar nichts zu tun hat, weil diese Vorurteile dann auch von Frühtypen kommen, die um 17 Uhr das Büro verlassen und eben nicht sehen, dass der Spättypkollege da noch bis in die Nacht sitzt und fleißig ist und nicht viel weniger schafft als sein Frühtypkollege auch."
Besonders eine Gruppe von Extremeulen hat ein Imageproblem: die Jugendlichen. Jeder Pubertierende durchläuft eine Phase, in der seine Innere Uhr dem Tag deutlich hinterherhinkt. Thomas Kantermann:
"Die leben in einer anderen Zeitzone, ja, und das ist erschreckend, wenn wir uns das anschauen, dass es Schulen gibt, die morgens um sieben, viertel nach sieben schon mit dem Unterrichtsbeginn oder mit der Anwesenheitspflicht beginnen. Und es ist tatsächlich so, dass diese Schüler dann im Alter von 12 bis 16, 17 Jahren in ihrer subjektiven Nacht da sitzen. Und das ist untersucht worden von einer Studiengruppe in den Vereinigten Staaten, da haben die das mal angeschaut und haben Schülern EEGs an den Kopf geklebt und wollten wissen, was passiert denn da. Und dann war es tatsächlich so, dass diese Schüler mit offenen Augen die Lehrerin angeschaut haben, aber dem EEG nach geschlafen haben, das sind Mikroschlafs, die wir dann wiederfinden, das ist erschreckend."
Die Schule sollte später beginnen, da sind sich die Schlafforscher einig. Zumindest sollten die Lehrer in der ersten Stunde keine extrem anspruchsvollen Themen behandeln. Die Jugendlichen können ihnen sowieso kaum folgen. Erst Anfang 20 stellt sich die Innere Uhr wieder um. Der Erwachsene hat dann seinen eigenen Chronotyp als Lerche, Eule oder als Durchschnittstyp mit 24-Stunden-Takt. Wie jede Uhr muss aber auch die Uhr der Zellen gestellt werden, erläutert Thomas Kantermann.
"Sie können sich vorstellen, dass unsere Innere Uhr den gleichen Zweck erfüllt wie ein Terminkalender oder eine Armbanduhr, und um diese Termine, die unser Körper hat, Hormonproduktion und Körpertemperatur, zu regeln und Hunger und Schlaf-Wach-Rhythmus oder dergleichen, damit er all diese Termine einhalten kann, muss diese Uhr gestellt werden. Und das Verlässlichste, was wir auf der Erde haben, was uns da zur Verfügung steht, ist der Sonnenaufgang. "
Bei den meisten klappt die Synchronisation von Innerer Uhr und Sonnenlicht ausgezeichnet, wie Thomas Kantermann und seine Kollegen von der Uni München mit einer Online Befragung herausgefunden haben. Daran ist abzulesen, dass die Bewohner von Frankfurt an der Oder eher aufstehen als die Menschen in Aachen. Und zwar im Durchschnitt um genau die 36 Minuten, die die Sonne im Osten Deutschlands früher aufgeht. Kantermann:
"Wir schauen uns die Tage an, in denen die Innere Uhr nicht durch Wecker und Arbeitszeiten fremd manipuliert ist, sondern an denen sie frei aufstehen. Und wir sehen, dass wir doch ganz Tier sind, wie wir das aus Tierversuchen kennen und uns da als Mensch nicht ausnehmen können. Dass wir doch mehr durch die Umweltsignale gesteuert werden, als wir uns das vorstellen."
Die Innere Uhr folgt der Sonne. Im Lauf von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter passen sich ihre Rhythmen den langsamen Verschiebungen in Tagesbeginn und –ende an. Doch die Koppelung von Innerer Uhr und Sonne wird durch die Zeitumstellung gestört.
Ein Interkontinentalflug. Für die Reisenden meist aufregend, für Chefsteward Michael Kleemann Routine. Für die Lufthansa fliegt er nach Asien, nach China, Korea, Singapur. Der Flug geht der Sonne entgegen, über sieben oder acht Zeitzonen hinweg.
"Also wenn ich beispielsweise einen Flug nach Korea nehme, nach Seoul, der kommt da gegen 11, halb 12 am Zielort an und das ist natürlich die Zeit, wo man sonst nicht unbedingt schlafen geht. Man ist dann aber die ganze Nacht durchgeflogen und ist dann schon müde, wenn man ankommt."
Die Armbanduhr ist schnell um sieben Stunden vorgestellt. Die Innere Uhr besteht aber auf Frankfurter Zeit und bereitet den Stoffwechsel auf das Frühstück vor, während der Körper eigentlich nur den verlorenen Schlaf nachholen möchte. Wenn es schon am nächsten Tag zurück nach Frankfurt geht, dann gibt der Flugbegleiter seiner Inneren Uhr nach. Er schläft am Tag, lebt gegen die asiatische Zeit. Bei längeren Aufenthalten passt er sich aber an, um die freien Tage auch genießen zu können. Die Vorbereitung dafür beginnt direkt nach dem Start: Michael Kleemann stellt seine Uhr schon auf die Zielzeit ein und versucht, sich nach ihr zu richten. Kleemann:
"Nehmen wir noch einmal so einen Flug nach Peking zum Beispiel. Da fliegen wir 16:00 Uhr los, haben einen Serviceblock von etwa vier Stunden, dann ist es acht Uhr deutscher Zeit, wenn ich jetzt die Zeitverschiebung für Peking drauf rechne, das sind sieben Stunden, dann bin ich mitten in der Nacht, da bringt es mir nichts, wenn ich als Crew-Essen einen Sauerbraten esse, weil ich halt in der örtlichen Nacht von Peking keinen Sauerbraten essen möchte, der liegt mir einfach schwer im Magen, deshalb bevorzuge ich bei solchen Flügen meist leichte Kost, die einfach schnell verdaut und dann geht es mir eigentlich ganz gut."
Leichte Kost, viel trinken, aber möglichst keinen Alkohol. Der steigt bei dem niedrigen Kabinendruck zu schnell in den Kopf. Und was die Sommerzeit betrifft, da hat Vielflieger Michel Kleemann keine Probleme, Zeitumstellung gehört für ihn einfach zum Beruf.
"Nee, also diese eine Stunde ist für mich nicht so sehr bemerkbar, da kriege ich nichts von mit. Wir fliegen ja auf der Kurzstrecke auch Zielorte an, zum Beispiel Lissabon, wo eine Stunde Zeitverschiebung herrscht, das ist bei uns eigentlich überhaupt nicht merkbar."
Die Innere Uhr tickt in ihrem gleichmäßigen Rhythmus, die Zeitumstellung zwingt sie zum Nachjustieren. Theoretisch könnte hier ein Problem vorliegen. Wie groß es ist, haben Thomas Kantermann und seine Kollegen am chronobiologischen Zentrum der Universität München untersucht. 50 Freiwillige wurden im Frühjahr und Herbst mit Aktivitätsmessern und Schlaftagebüchern ausgestattet. Kantermann:
"Und wir haben festgestellt, dass besonders die Spättypen bis vier Wochen nach der Umstellung im Frühjahr sich nicht an die Sommerzeit anpassen. Die haben dann weniger Probleme im Herbst, wenn sie dann wieder ‘freigelassen‘ werden sozusagen und sich der Normalzeit wieder einfügen können. Aber eine Anpassung an die Sommerzeit, haben wir feststellen können, ist nicht so leicht, wie viele gedacht haben."
Die Innere Uhr des Menschen geht genau. Eine Stunde Zeitverschiebung kann sie durchaus beeinträchtigen, meint auch Dieter Kunz.
"Erst einmal passiert etwas ähnliches, wie wenn man einen Jetlag hat. Das heißt man bekommt leichte Befindlichkeitsstörungen, Kopfschmerzen, ein bisschen Schwindel, ein bisschen Verdauungsbeschwerden, ein bisschen Schlafstörung, aus jedem Dorf eigentlich einen Hund."
Wie häufig Beschwerden durch die Zeitumstellung sind, ist noch unklar. Thomas Kantermann ist noch dabei, seine Daten auszuwerten.
"Gesundheitliche Auswirkungen können wir noch nicht ganz überblicken. Was wir zumindest wissen, sind Tendenzen, Verhaltensweisen von Spättypen, dass wir da finden, dass die Anzahl der Raucher beispielsweise steigt, um eine Art Stresskompensation zu machen. Wir denken an saisonale Erkrankungen, Depressionserkrankungen, Häufungen von Infektionskrankheiten im Frühjahr, dann sind das alles Dinge, die wir da berücksichtigen müssen. Nicht dass sie alleine durch die Sommerzeit-Einführung ausgelöst werden, aber das ist etwas, was sozusagen unser inneres Zeitgefühl irritiert und durcheinanderbringt und jede Störung ist da nicht unbedingt positiv, wenn es darum geht, dass wir uns saisonal anpassen müssen."
Wie genau Störungen der Inneren Uhr die Gesundheit beeinflussen, wird intensiv untersucht. Nicht nur in Befragungen, wie bei der Studie der Universität München, sondern auf der molekularen Ebene auch durch Experimente an Mäusen. So genannten Knock-out Tieren haben Forscher einzelne Gene der Inneren Uhr entfernt. Achim Kramer untersucht in seinem Labor an der Berliner Charité, wie sich die Schlafrhythmen dieser Mäuse verändern. Aber das veränderte Aktivitätsmuster ist bei weitem nicht der einzige Effekt einer so künstlich gestörten Inneren Uhr. Kramer:
"Zum Beispiel das wichtige Uhrengen ‚period 2‘, wenn das ausgeknockt ist, sind solche Mäuse anfälliger für Krebs. Wenn zum Beispiel eine Mutation in dem wichtigen Uhr-Gen ‚Clock‘ gemacht wurde, dann sind diese Mäuse anfälliger für das metabolische Syndrom, das heißt sie werden richtig fett und das sind natürlich Hinweise, dass Uhrproteine oder Uhrkomponenten wichtig sind für die Gesundheit."
Dass das nicht nur für Mäuse sondern auch für Menschen gilt, zeigt sich am extremsten bei den Schichtarbeitern. Im Vergleich zu den gewöhnlichen Arbeitern oder Angestellten haben sie vermehrt mit Krebs und Herz-Kreislaufleiden zu kämpfen. Die Details sind noch nicht verstanden. Aber es sieht so aus, als hätte das Leben in der 24-Stunden-Gesellschaft wohl doch seinen Preis. Dieter Kunz:
"Es ist klar nachgewiesen, dass Schlafentzug, zumindest wenn er akut erfolgt, dass der zu Veränderungen im Metabolismus führt, die dann à la longue auch zu Fettleibigkeit führen können. Wir können heute nur vermuten, aber die Vermutungen sind doch sehr gut begründet, dass Volkserkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck und auch Fettleibigkeit mit bedingt sind durch einen chronisch niedrig dosierten Schlafentzug, den jeder von uns hat, der morgens vom Wecker geweckt wird."
Der alltägliche Widerspruch zwischen Innerer Uhr und äußerer Zeit ist hier allerdings nur einer unter vielen Faktoren. Verzerrter Alltagsrhythmus, Bewegungsmangel, falsche Ernährung - in diesem Gesamtbild führt der Wechsel von Sommer- zu Winterzeit zu einer kleinen zusätzlichen Störung. Wie man die am besten abpuffert, verrät Achim Kramer:
"Wenn Sie jetzt ein Frühtyp sind, und unter der Zeitumstellung, die wir jetzt vor uns haben, leiden, dann ist es natürlich wichtig, dass Sie abends viel Licht haben, dann wird ihre Uhr nämlich ein bisschen verzögert. Im Frühjahr ist es besonders wichtig für die Leute, die nicht herauskommen, dass sie, wenn sie dann aufstehen, besonders viel Licht gleich tanken und nicht im abgedunkelten Raum frühstücken, sondern möglichst vielleicht vor dem Frühstück noch einmal joggen."
Xinjiang im Westen Chinas. Durch die Steppen der Hochebene am Rande des Himalaya verlief einst die Seidenstraße, hier wanderten mit den Händlern ganz unterschiedliche Völker, Uiguren, Kasachen, in jüngster Zeit auch viele Han-Chinesen. Sie brachten nicht nur Saatgut und Maschinen sondern auch die Peking-Zeit mit. Seitdem spielt sich das offizielle Leben Xinjiangs zeitgleich zu dem der chinesischen Hauptstadt ab. Obwohl die 3500 km und eigentlich zwei Zeitzonen entfernt liegt.
"Das heißt zum Beispiel, wenn man früh morgens zu einem Amt muss, dass man zur Polizei muss oder ähnliches und man dort auftauchen muss, wenn geöffnet wird, man teilweise zwei bis drei Stunden vor Sonnenaufgang sich anstellen muss und das sind natürlich Zustände die sind hier eigentlich denkbar."
Hauke Neddermann vom Ostasiatischen Seminar der Freien Universität hat in Xinjiang gearbeitet. Für ihn war besonders lästig, dass sich auch die Universitätsbibliothek an die Peking-Zeit hielt. Da heißt es früh antreten zum forschen. Die normalen Arbeiter und Bauern richten ihren Tagesablauf dagegen nach der Sonne und sind damit offiziell viel zu spät dran. Neddermann:
"Also man stellt die Uhren kurzerhand zwei Stunden vor. Man weiß aber, dass wenn man Amtsgänge macht, man erstens das natürlich ignorieren muss, man muss sich dann doch richten nach den offiziellen Stellen und zweitens galt es zumindest phasenweise immer auch als Hinweis darauf, dass man eigentlich auch Unabhängigkeitsbestrebungen gehegt hat und man wollte von Seiten der Volksrepublik genau diese Zeitzonenproblematik vermeiden."
Die Uhr als Protestsymbol. Kompliziert wird die Zeitfrage durch die Schulen. Die gehen meist einen Mittelweg, etablieren sozusagen eine dritte Zeit und lassen ihre Schüler eine Stunde nach den Pekinger Vorgaben antreten. Die werden allerdings ausgerechnet in den entscheidenden Momenten wieder beachtet. Neddermann:
"Es gibt zum Beispiel standardisierte Prüfungsformen in China, die alle gleichzeitig stattfinden sollen im ganzen Land und die richten sich dann entsprechend eigentlich nicht nach diesen relativ dünn besiedelten Westgebieten, sondern nach der Pekinger Zeit, und entsprechend bleibt den Schülern dann zum Teil tatsächlich nichts anderes übrig, als weit in der Nacht eigentlich aufzutauchen, und ob man da dann immer das Leistungspotential so bringen kann, ist doch fraglich."
Für Peking ist die Zeitfrage mit der Frage der Einheit Chinas eng verknüpft. Die kleinen Wiedersprüche sind demgegenüber unwichtig. Allerdings erkennt Hauke Neddermann erste Anzeichen für Bewegung, getrieben nicht so sehr von der Sorge um die Alltagsprobleme in Xinjiang sondern von der Kostenfrage.
"Worüber intensiv nachgedacht wird, ist, ob man nicht eigentlich eine ganze Menge Energie verschwendet dadurch, dass man eben bei stockdunkler Nacht eigentlich in den Regierungsstellen schon vollen Betreib hat und auch in den Schulen und Universitäten, also in der ganzen Bandbreite. Und gerade im Rahmen dieser Energiediskussion gibt es da ein bisschen Bewegung. Ich weiß zum Beispiel, dass inzwischen selbst Kreisämter und ähnliches teilweise umgestellt haben auf die inoffizielle Zeit, was das Ganze natürlich noch ein bisschen skurriler macht."
Ein zu großer Widerspruch zwischen den Uhren der Gesellschaft und dem Lauf der Sonne führt dann eben doch zur Energieverschwendung. Für Mitteleuropa dagegen sieht die Bilanz ernüchternd aus: Die Sommerzeit spart keine Energie, führt eher zu einem höheren Verbrauch. Und sie bringt die Innere Uhr messbar aus dem Takt, bei einigen Menschen leidet die Gesundheit. Einziger klar belegter Vorteil der Sommerzeit sind die langen hellen Abende, und so läuft alles auf die Frage des persönlichen Geschmacks hinaus.
"Erst einmal, auch wenn es ganz unpopulär ist, ich liebe die Sommerzeit."
Dieter Kunz, Charité Berlin.
"Ich könnte sie mir sogar noch ein bisschen extremer vorstellen, also das heißt nicht nur eine Stunde sondern anderthalb, zwei Stunden gestaffelt, das ist sicherlich schwer zu organisieren."
"Ich habe die Meinung, dass man eigentlich die Sommerzeit abschaffen sollte."
Achim Kramer, Charité Berlin.
"Es gibt eine Zwischenform die man einführen könnte, nämlich die Sommerzeit viel mehr auf die wirklich extremen Sommermonate beschränken. Wenn man, wenn die saisonale Anpassung eigentlich schon passiert ist. Das heißt von Mai bis Mitte August Sommerzeit das ist OK, aber nicht so lang."
"Der Traum des Chronobiologen, wir würden empfehlen, dass Sie schlafen, wenn Sie müde sind. Das klingt naiv und das klingt sehr einfach, aber es ist so einfach."
Thomas Kantermann, Ludwig-Maximilians-Universität, München.
"Und dass Sie dann aufstehen, wenn Sie wach sind, dass Sie keinen Wecker benutzen müssen, sondern dass Sie dann produktiv sind, wenn Sie sich danach fühlen."