Schon im ersten Satz merkt man eine ungewohnte Verschiebung der Perspektive. Es geht um den Zweiten Weltkrieg, und die Muttersprache des Verfassers ist Deutsch.
"Der Krieg war zu Ende und gewonnen.“
Cooler kann man es wohl kaum sagen. Georg Stefan Troller, vor hundert Jahren als Jude in Wien geboren, lebt heute mit einem amerikanischen Pass in Paris und er kam 1945 mit der US-Armee als Befreier nach Deutschland. In seinem kurzen Vorwort zu dem Prosaband „Der Unnötige“ deutet er an, wie es zu diesen frühen, lange unveröffentlichten Texten kam: Er befand sich damals in München, in seinem angestammten deutschen Sprachraum, und versuchte, sich in dieser aufgeladenen und irritierenden Situation zurechtzufinden. Troller steckte, wie er sagt, in einem inneren und äußeren Chaos. Und was ihm half, waren Bücher. Offensichtlich spielte dabei eine Entdeckung eine Rolle, die er in einem Antiquariats-Wühlkasten in der Schwabinger Schellingstraße machte: da lag Hemingway auf Deutsch. Und tatsächlich ist bei seinen ersten literarischen Versuchen, seine Nachkriegspersönlichkeit zu finden, der journalistisch gesättigte, realistisch verknappte, sachlich objektivierende Hemingway-Ton nicht zu überhören:
Junge mit Milchgesicht
„Es war ein Junge von höchstens fünf Fuß Größe mit einem runden Milchgesicht, in dem ein rötlicher Stoppelbart gerade die Kinnspitze verzierte. Die langen braunen Haare quollen ihm unter der Mütze hervor, und von der Uniform konnte man einzig den kotigen Mantel sehen, dessen Enden am Boden schleiften. Unsere Boys lachten schallend, wie er sich jetzt stramm hinstellte und die Absätze zusammenknallte.“
Man kann an den frühen Prosastücken, aufbewahrt im Troller-Archiv in der Deutschen Kinemathek in Berlin, bereits erkennen, wie der Autor später als Dokumentar- und Porträtfilmer arbeitete. Es geht um Neugierde und um Beobachtung. Eine allzu vorschnelle subjektive Perspektive oder Meinungsäußerung wird vermieden. Georg Stefan Troller, der 1938 als Sechzehnjähriger zunächst in die Tschechoslowakei geflohen war, nähert sich einer Sprache wieder an, die er jahrelang nicht mehr gesprochen hatte, und erprobt sie. Die Kriegserlebnisse stehen dabei gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Troller stellt sich seiner unmittelbaren Gegenwart, mit erzählerischen, reflektierenden und feuilletonistischen Texten, anscheinend ohne an eine sofortige Drucklegung zu denken. Die 16 Stücke, die der Herausgeber Wolfgang Jacobsen ausgewählt hat, ziehen sich von Bemerkungen anlässlich der ersten Modeschau von Christian Dior bis zu Überlegungen zum 20. Todestag von D.H. Lawrence. Im Mittelpunkt stehen Momentaufnahmen aus Paris, wohin Troller 1949 endgültig zog:
„Wir saßen im Café des Deux Magots, vier junge Männer und ich. Die jungen Männer trugen alle Bärte, weil man im Viertel Saint-Germain-des-Prés einen Bart tragen muss, um nicht für einen Kleinbürger angesehen zu werden. Mein Freund Gaston trug den längsten Bart und sprach auch am längsten.“
Es sind zwar nur Fingerübungen, die in diesem kleinen Bändchen vorgestellt werden, aber sie entwickeln mitunter einen beträchtlichen atmosphärischen Reiz. Man merkt die unverschnörkelte Direktheit, mit der Troller später in seinen „Personenbeschreibungen“ im Fernsehen berühmt wurde, und den differenzierten, genauen Blick sowie die dialogische Kunst seines „Pariser Journals“. Die besten Szenen sind nur zwei, drei Seiten lang: das Aufeinandertreffen eines Gitarrenspielers namens „Dutch“ und eines Typen, der „Napoleon“ heißt, in der Bar Vert in Saint-Germain-des-Prés, oder die Geschichte eines jungen Schweizers, der auf einem Bal Musette wegen eines Mädchens mit einem großen Kerl, den man „Apache“ nennt, aneinandergerät und ihm das Messer entwendet. Die verwickelten Nachkriegsgeschichten von ehemaligen Kämpfern der Résistance werden in „Der Maquisard“ auf den Punkt gebracht, und in der kurzen Geschichte „Der Algerier“ drehen sich auf unerwartete Weise die Sympathien. Und natürlich führt Troller sich und uns das Erotische vor Augen, das in der Pariser Luft überall zu flirren scheint:
Reffinement und Geschmack
„Wir befinden uns aber gerade in der Periode des Raffinements und weder im Essen noch im Faire-l’amour genügt uns eine einfache Erledigung des Zweckes. Unser verfeinerter Geschmack verlangt Apéritif, Hors-d’oeuvres und einen häufigen Wechsel des Menus. Wenn eine einzige Frau uns befriedigen kann, so verdankt sie das zu keinem geringen Teil ihrem Geschmack.“
Die längste Erzählung, die sich auch der journalistischen Praxis als Hörfunkreporter für den Rias Berlin zu verdanken scheint, improvisiert frei auf der Geschichte der französischen Schauspielerin Corinne Luchaire. Sie erregte bereits als 16-Jährige Aufsehen, kollaborierte dann aber mit den nationalsozialistischen Besatzern und wurde von einem Offizier der deutschen Luftwaffe schwanger. Bei Georg Stefan Troller heißt sie Daphne Lachance, und er entwirft eine vielschichtige psychologische Studie. In seiner literarischen Fiktion hat die Schauspielerin etwas Widersprüchliches und Zwielichtiges, aber dies ist ungemein suggestiv. Wie Troller dabei den Botschafter der deutschen Nazis im besetzten Paris, Otto Abetz, ins Spiel bringt, hat das Zeug zu einem schmissigen Polit-Melodram. Man kann in diesen frühen Prosaskizzen die Anfänge eines ausgebufften Medienprofis studieren.
Georg Stefan Troller: "Der Unnötige"
Frühe Texte
Hg. von Wolfgang Jacobsen
Verbrecher Verlag, Berlin. 133 Seiten, 20 Euro.
Frühe Texte
Hg. von Wolfgang Jacobsen
Verbrecher Verlag, Berlin. 133 Seiten, 20 Euro.