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Im Zahn wird es gespeichert

Paläoanthropologie. - Die Neandertaler wuchsen viel schneller heran als der heutige Mensch, schon nach sieben Monaten wurden die Babys an feste Nahrung gewöhnt. Mit dieser These warten Wissenschaftler heute im Fachmagazin "Nature" auf. Gegründet ist sie auf der Analyse eines Kinderzahns. Was davon zu halten ist, sagt der Paläontologe Ottmar Kullmer vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg im Gespräch mit Ralf Krauter.

Ottmar Kullmer im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Krauter: Herr Kullmer, woher stammt der Fossilienfund?

    Kullmer: Nun, die Zähne, beziehungsweise... Es geht ja eigentlich im wesentlichen um einen Zahn, einen Neandertaler-Zahn aus der Fundstelle Scladina in Belgien. Hier handelt es sich um ein Neandertaler-Kind, das etwa 100.000 Jahre alt ist.

    Krauter: Nun haben die Forscher diesen uralten Neandertalerkind-Zahn untersucht und Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten der Neandertaler daraus gezogen. Das klingt für Laien gewagt. Mit welchen Methoden geht man daran, um solche weit reichenden Schlüsse zu ziehen?

    Kullmer: Im wesentlich sind das histologische Methoden, die gemacht wurden. Das bedeutet, man hat den Zahn geschnitten und eingebettet in ein Medium, was man dann im Mikroskop wunderbar untersuchen kann. Das heißt, den Dünnschnitt, das ist ein winzig dünner Schnitt von einigen Mikrometern Dicke, und da kann man mit Durchlicht so genannte Ultrastrukturen des Zahnaufbaus erkennen. So wurde dann durch die Analyse dieser Ultrastrukturen die Architektur des Zahns praktisch ermittelt und darüber kann man dann zum Beispiel das Wachstum rekonstruieren. Die zweite Methode, die angewandt wurde, letztendlich danach, ist eine so genannte Laser-Ablation, das heißt, es wird mit einem winzig feinen Laserstrahl, der auch nur Mikrometer-Breite hat, auf einzelne Zahnpositionen geschossen, auf diesen Dünnschliff, das läuft natürlich auch alles mikroskopisch ab. Und dabei kann man nun verschiedene Bereiche beproben. Der Laser verdampft natürlich Material, das heißt in dem Fall: Zahnschmelz. Dieser Dampf wird dann aufgefangen und in einem Massenspektrometer analysiert. So kann man dann die Elementarzusammensetzung analysieren und letztendlich vergleichen, in verschiedenen oder an verschiedenen Positionen des Zahnes, vom Inneren bis zum Zahnäußeren praktisch.

    Krauter: Und die Idee dahinter ist, dass das, was jemand gegessen hat, letztlich Spuren hinterlässt im Zahnschmelz?

    Kullmer: Ja, Zähne sind ja mineralisiert und so auch der Zahnschmelz. Das bedeutet: Das, was wir zu uns nehmen, die Elemente, werden dann zum Teil, natürlich nicht alle, aber viele davon werden im Zahnschmelz eingebaut, während der Zahn wächst. Und das ist letztendlich in der Struktur dann eingefroren. So kann man das dann natürlich… Über chemische Analysen oder physikalisch-chemische Analysen kann man dann natürlich diese Elementzusammensetzung bestimmen und den Gehalt dieser einzelnen Elemente.

    Krauter: Wie kommt man von da dann auf die Aussage: Nach sieben Monaten wurden die Kinder abgestellt. Also, welche Spuren hinterlässt Milch in diesen Zähnen?

    Kullmer: Nun, in dem Fall handelt es sich um ein Spurenelement, Barium, was dort analysiert wurde. Und das ist vorzugsweise in der Milch nachzuweisen ist, in etwas höheren Mengen als in sonstiger Nahrung. Im Prinzip ist das eigentlich in allem, was wir zu uns nehmen, drin, nur in der Muttermilch ist es in höheren Dosen enthalten. Und das kann man nun nachweisen. So kann man die einzelnen Bereiche des Zahnwachstums - die Zähne beginnen schon im Uterus letztendlich sich anzulegen und zu wachsen und mineralisieren dann weiter aus bis zum, also in dem Fall ist es ein Backenzahn, also bis nach der Geburt - und so kann man nun den Nahrungswechsel anhand dieser Gehälter von Barium nachweisen.

    Krauter: Wie verlässlich können solche Aussagen sein? Wenn jetzt die Aussage im Raum steht: Sieben Monate nach der Geburt wurde das Kind umgestellt auf feste Nahrung. Wie zuverlässig sind solche Analysen?

    Kullmer: Das ist erstaunlich, wie zuverlässig das ist. Aber man hat tatsächlich… Die Banden sind so fein im Zahnschmelz, und letztendlich hängt die Zuverlässigkeit der Ergebnisse von der Probennahme ab. Wir haben... Im Endeffekt sind es Banden von Tagesanwachslinien, die wir nachweisen können im Zahnschmelz. Wenn wir nun die einzelnen beproben könnten, die vielleicht eine Stärke haben von einem µ, also einem Tausendstelmillimeter, dann könnten wir theoretisch die tägliche Nahrungsänderung darstellen. Insofern denke ich, dass diese Monatsangabe insgesamt doch recht zuverlässig ist.