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Im Zentrum des Nahost-Konflikts

Ramat Shlomo ist ein Bezirk in Ost-Jerusalem. Zwar liegt das Gebiet im arabischen Teil der Stadt, dennoch wohnen dort auch viele, meist ultra-orthodoxe Juden. Dass Israels Regierung hier zahlreiche Wohnungen bauen möchte, ist der Beziehung zwischen Arabern und Juden nicht gerade zuträglich.

Von Clemens Verenkotte |
    Ende März, in der jüdischen Siedlung Ramat Shlomo im Nordosten von Jerusalem: An diesem Dienstag vor dem Pessach-Fest wird - wie es Tradition und Gebote verlangen - gewaschen, geputzt und gekehrt. Zwischen den meist vierstöckigen, gepflegten Wohnhäusern, deren Fassaden mit dem für Jerusalem typischen hellen Naturstein verkleidet sind, bereiten sich die Einwohner auf die hohen Festtage vor. Hier in Ramat Shlomo wohnen fast ausschließlich ultra-orthodoxe und orthodoxe Juden, knapp 15.000 Menschen. Auf den Straßen, die nahezu identisch aussehen, sind Mädchen und Frauen in langen Röcken auszumachen, die Verheirateten tragen alle ihre Kopftücher. Breite Grünanlagen trennen die ebenmäßigen Häuserzeilen voneinander, auf den Spielplätzen toben viele kleine Kinder, umsichtig beobachtet von einigen Teenagerinnen.

    Aviner putzt mit dreien seiner Töchter den weißen Familienwagen, einen Minitransporter. Die Frühlingssonne verbreitet bereits eine angenehme Wärme. Der vollbärtige Vater steht in weißem Hemd, schwarzer Hose und schwarzer Kippa auf dem Kopf vor den geöffneten Hintertüren des Wagens und scheint für eine Ablenkung nicht undankbar zu sein: Ramat Shlomo stehe doch spätestens seit der Bekanntgabe der Baugenehmigung von weiteren 1600 Wohneinheiten während des Besuchs des amerikanischen Vize-Präsidenten Joe Biden Anfang März in den Schlagzeilen. Wie er denn über die Forderung der US-Regierung und des Nahost-Quartetts nach einem Siedlungsbaustopp in Ost-Jerusalem denke? Aviner verweist auf die Thora:

    "Die ganze Welt kann in der Thora, in der Bibel lesen, dort steht ausdrücklich, wie unser Vater Abraham das Land gekauft hat, wie König David für alles bezahlt hat, den vollen Preis. Das ist nicht aus den Fingern gesogen, das ist die Wahrheit, an die alle glauben. Es kann also nicht sein, dass ein paar Leute kommen und sagen, dass sei ihres - das ist Blödsinn. Alles steht geschrieben, ist belegt, das ist nicht aus der Luft gegriffen."

    Für den 46-jährigen Aviner gibt es keine Zweifel: Man müsse mit den Amerikanern und ihrem Präsidenten über die Thora ausführlich sprechen. Dann würden sie begreifen, dass es sich nicht um "jüdische Siedlungen" handelt, sondern um die Rückkehr des Volkes Israel in seine Heimat. Aviner zog 1996 hierher nach Ramat Shlomo, unmittelbar nach dem Baubeginn der Siedlung:

    "Man muss es ihnen einfach gut erklären. Alle unsere Staatsmänner greifen nicht auf den einfachsten Beweis zurück, den es gibt: Dass das Land Israel dem Volk Israel gehört. Alles steht in der Thora. Wenn sie das sagen würden und vor Obama und den anderen die Bibel öffnen würden, dann wäre alles klar. Das ist keine Lüge. Das ist keine Lüge. Das ist die Wahrheit. Das ist einfach die Wahrheit."

    Vor seinem kleinen Einkaufsladen ist der 22-jährige Nachman damit beschäftigt, all diejenigen Produkte aufzustapeln, die während des einwöchigen Pessach-Festes nicht angeboten werden dürfen: Kekse, Cornflakes, Mehl und Nudeln. Der junge Geschäftsführer ist seit einem Jahr verheiratet und zog aus der benachbarten Siedlung Ramat Eshkol nach Ramat Shlomo. Angesprochen auf den völkerrechtlichen Status seines Wohnviertels gibt Nachman zurück:

    "Das ist keine Siedlung. Wenn es eine Siedlung wäre, dann wäre es etwas anderes. Das ist ein Viertel im Herzen Jerusalems, das ist eines der besten Viertel Jerusalems. Drumherum gibt es vielleicht Araber, aber deswegen kann man doch Häuser bauen, das heißt doch nicht, dass man keine Häuser bauen kann. Man darf nicht auf die Amerikaner hören und muss Bauvorhaben genehmigen. Es wollen doch viele Leute in Jerusalem wohnen. Wir hoffen, dass hier gebaut wird, dass wir eine Wohnung kaufen können. Wenn nicht, wo könnten wir kaufen? Wir wollen in Jerusalem wohnen."

    Für das neu aufgeflammte Interesse der US-Regierung an den jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem, an neuen Bauvorhaben innerhalb der Grenzen der Stadt, die nach israelischer Rechtslage seit 1980 zur vereinten und ewigen Hauptstadt Israels zählen, haben die überwiegend streng religiösen Einwohner von Ramat Shlomo kein Verständnis. Tief im kollektiven Bewusstsein der meisten Israelis ist die Bedeutung und Rolle Jerusalems für ihren Staat verankert. Vor Nachmans Einkaufsladen geht die 46-jährige Miriam auf ihr Auto zu, in dem der Ehemann auf sie wartet. Die orthodoxe Frau hat für die amerikanische Regierung diesen Ratschlag parat:

    "Sie mischen sich in Dinge ein, die sie nichts angehen. Niemand mischt sich in das ein, was sie in New York bauen. Das ist ein Teil Israels. Es ist klar, dass das uns gehört. Diese Versuche, sich einzumischen, sind lächerlich."

    Der 40-jährige Pinchas Schnur ist der Vorsitzende der Bauabteilung in Ramat Shlomo, seit 14 Jahren lebt er hier. Der selbstbewusst wirkende, schlanke Mann kümmert sich unter anderem um die Infrastruktur, um die Anzahl der Synagogen, der Spielplätze, der Neubauten. Er sei so etwas wie der Bürgermeister von Ramat Shlomo. Es wäre sehr schlimm, sagt er, wenn man hier nicht mehr bauen dürfte. Für ihn gehe um die Selbstbehauptung des Staates Israel, denn:

    "Wir stören die Palästinenser durch unsere bloße Existenz. Sie wollen uns hier überhaupt nicht sehen. Nicht nur in Jerusalem. Aber da muss man nichts drauf geben. Wir bauen, was wir brauchen und sie sollen machen, was sie wollen. Nicht die Amerikaner werden uns sagen, was wir tun sollen. Wir müssen unseren Prinzipien treu bleiben. Denn wenn wir nicht stark bleiben, dann können wir nirgendwo wohnen. Nicht nur in Jerusalem, auch in Tel Aviv können wir dann nicht bauen."

    Zwischen dem Weißen Haus und der Regierung Netanjahu herrscht seit der missglückten Israel-Visite von US-Vizepräsident Joe Biden Anfang März bündnispolitisch Eiszeit. Obgleich amerikanische Administrationen im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte schon so manche, auch öffentliche Demütigung durch ihre Verbündeten in Jerusalem hatten hinnehmen müssen, entschied Barack Obama nach der Rückkehr seines Stellvertreters, über die Ankündigung des weiteren Siedlungsausbaus in Ramat Shlomo nicht wortlos hinweg zu gehen. Er beauftragte Außenministerin Hillary Clinton, die Verärgerung Washingtons auch deutlich zum Ausdruck zu bringen. Amerikas Chefdiplomatin am 12. März gegenüber dem Nachrichtensender CNN:

    "Den Siedlungsbau genau an dem Tag anzukündigen, an dem der Vize-Präsident dort war, war beleidigend. Das war wirklich für alle ein sehr schwieriger und unglücklich gewählter Moment. Der Vize-Präsident ist dort hingereist, um Amerikas starke Unterstützung für Israels Sicherheit zu bekräftigen. Ich bedauere zutiefst, das das passiert ist und habe diese Ansicht kundgetan."

    Die US-Regierung beließ es nicht bei verbalen Reaktionen: Sie rückte Ost-Jerusalem – also diejenigen Teile der besetzten Westbank, die Israel nach dem Sechstagekrieg von 1967 annektierte, sie in die neu gezogenen Stadtgrenzen von Jerusalem eingliederte und damit die Fläche der Stadt von 38 auf 108 Quadratkilometer nahezu verdreifachte - in den Mittelpunkt ihrer geopolitischen Strategie: Es würde Washington nur dann gelingen, eine breite, Europa, Russland, China und die arabischen Staaten umfassende Koalition zur Eindämmung des iranischen Nuklearprogramms zu bilden, wenn Israel auf dem Weg zur raschen Umsetzung der oft zitierten, vor Ort allerdings stets behinderten Zwei-Staaten-Lösung konkret in Ost-Jerusalem zeigen würde, das es dazu auch bereit sei. Israels Regierungschef erteilte dem US-Präsidenten bei diesem Streitthema eine klare Absage: Unter Hinweis auf die Politik seiner Amtsvorgänger, die seit 1967 allesamt den Ausbau Jerusalems betrieben hätten, von Levi Eshkol über Golda Meir, Jitzak Rabin, Shimon Peres bis hin zu Ehud Olmert, stellte Netanjahu am 15. März in der Knesset fest:

    "In diesen Zeiten hat jede israelische Regierungen in den Vierteln Jerusalems gebaut. In Gilo und in Ramot, in Neve Yaakov, in Ramat Eshkol, in French Hill, in Pisgat Zeev, in Ramat Shlomo und in anderen Vierteln. Die Errichtung dieser jüdischen Viertel hat in keiner Weise die Araber Ost-Jerusalems beeinträchtigt und sie geschah auch nicht auf ihre Kosten."

    Baulärm dringt über ein freies Feld zu den palästinensischen Häusern herüber, die hier am Rande des Ost-Jerusalemer Stadtteils Shufat stehen und direkt an das enge von Oliven- und Feigenbäumen bewachsene Tal angrenzen, das die jüdische Siedlung Ramat Shlomo von Shufat trennt. Als einer der wenigen der 260.000 palästinensischen Einwohner Jerusalems habe sein Nachbar eine Baugenehmigung erhalten, sagt Bilal Abu Alkam, ein junger, bärtiger Mann. Er steht mit seiner Mutter vor seinem Haus und blickt auf den Rohbau:

    "Er hat fünf Kinder, die heiraten wollten, und sie sind alle nicht verheiratet wegen des Häuserproblems. Und jetzt hat er die Genehmigung nach zehn Jahren und sehr viel Geld, das er bezahlt hat, bekommen."

    Der Nachbar habe sein altes Haus zuvor abreißen müssen, mehrere zehntausend Dollar an städtischen Gebühren und Abgaben gezahlt, bevor er, endlich, die ersehnte Baugenehmigung erhalten habe, sagt Bilal. Nach Angaben des "Zivilbündnisses für die Verteidigung der palästinensischen Rechte in Jerusalem" genehmigt die Stadtverwaltung maximal fünf Prozent aller eingereichten Bauanträge von palästinensischen Einwohnern der Stadt. Dabei werde nur der Bau von jeweils einem zweistöckige Haus und einer Garage gestattet. Bilal blickt über das Tal auf die gegenüberliegende Siedlung Ramat Shlomo:

    "Es ist, als ob man erstickt. Jedes Mal kommt die Siedlung näher und näher und näher. Von allen Seiten in Jerusalem. Wir haben Olivenbäume, aber wir dürfen nicht mehr dort hin, um sie zu ernten. Jedes Mal, wenn wir ernten wollen, holen sie die Polizei. Es gab hier eigentlich eine Straße, die die Leute genutzt haben. Aber jetzt ist das gesamte Gebiet konfisziert, und wir dürfen die Straße nicht mehr nutzen."

    Seine Mutter, eine betagte Frau in einem leuchtend roten Gewand, schaltet sich in das Gespräch ein. Sie sitzt auf einem weißen Plastikstuhl vor dem Toreingang ihres Hauses, einer ihre Enkel, ein vielleicht dreijähriger Junge, spielt zufrieden zu ihren Füßen:

    "Ich lebe hier seit mehr als 30 Jahren, war schon hier, bevor die Siedlung entstand. Ich erinnere mich daran, dass das hier eine wunderschöne Gegend war. Jetzt kann ich hier höchstens auf dem Stuhl vor meinem Haus sitzen. Ich kann nicht weiter gehen. Jetzt schauen Sie sich die Siedlung an, und sie expandieren noch! Das war früher ein wunderbarer Ort."

    Shufat sowie weitere 27 Dörfer und Städte wie Abu Dis oder Qualandiya gehörten bis zum Ausbruch des Sechs Tage Kriegs von 1967 zum jordanisch annektierten Westjordanland. Diese angrenzten Westbank-Gemeinden wurden anschließend in die neu gezogenen Stadtgrenzen Jerusalems eingegliedert und unter israelisches Recht gestellt. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung der humanitären Angelegenheiten im besetzten palästinensischen Gebiet fasst die völkerrechtliche Lage Ost-Jerusalems in einem Bericht vom April 2009 mit den Worten zusammen:

    "1967 besetzte Israel die Westbank und annektierte einseitig von diesem Land 70,5 Quadratkilometer des besetzten Gebietes, welche anschließend in die Stadtverwaltung von Jerusalem integriert wurde. Diese Annektion widerspricht internationalem Recht und wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder den UN-Mitgliedsstaaten nicht anerkannt. Ungeachtet der Annektion Israels bildet das Gebiet von Ost-Jerusalem einen Teil des besetzten palästinensischen Gebiets und seine palästinensischen Einwohner bleiben durch das internationale Menschenrecht geschützt."

    Von den damals annektierten 70 Quadratkilometern der Westbank, die heutzutage vom Ausland Ost-Jerusalem genannt werden, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen 35 Prozent der Flächen für den Bau jüdischer Siedlungen enteignet, in denen derzeit knapp 200.000 Israelis wohnen. Weitere 52 Prozent wurden als sogenannte "grüne Flächen" beziehungsweise "ungeplante Flächen" ausgewiesen, auf denen Bebauung nicht gestattet wird beziehungsweise die noch unverplant sind. Die restlichen 13 Prozent der Fläche Ost-Jerusalems wurde für palästinensische Bebauung vorgesehen, obgleich diese allerdings schon größtenteils bebaut ist.

    Zurück nach Shufat in Ost-Jerusalem. Großmutter Abu Alkam ist vom Plastikstuhl vor dem Eingangstor ihres zweistöckigen Hauses aufgestanden, in dem sie mit den fünf Familien ihrer Söhne lebt – jede Familie wohne jeweils in einem Zimmer. Sie will dem Besucher die Rückwand des Gebäudes zeigen.

    An der Rückwand des Wohnhauses, so erzählt die alte Palästinenserin, hätten sie vor langer Zeit schon ein Anbau angefügt. An der betongrauen Fassade sind noch einige Reste der Bemühungen zu sehen. Wie zahlreiche Palästinenser in Ost-Jerusalem, so suchte auch ihre Familie der bedrängende Wohnungsenge unter Missachtung der israelischen Baubestimmungen zu entkommen und baute auf eigene Faust. Vor zwölf Jahren hätten Armee und Polizei den Anbau abgerissen:

    "Sie sind hierher gekommen, die israelischen Sicherheitskräfte, mit viel Polizei und Armee, und haben die zwei Räume zerstört, die wir hier ans Haus angebaut hatten. Es dauerte nicht länger als eine Stunde und dann sind sie wieder gegangen."

    Anschließend baute die Familie Abu Alkam – wiederum unter Missachtung der israelischen Bauauflagen – im Garten ihres Grundstücks ein zweites Wohnhaus; auch dieses, so sagt die Großmutter, sei vor vier Jahren gewaltsam abgerissen worden. Eine große Schuttansammlung hinter den Hühnerställen zeugt heute noch von der Aktion. Sohn Bilal wendet sich ab – er will die Geschichte des Abrisses nicht wieder hören:

    "Wir haben geschlafen, als sie kamen, um das Haus zu zerstören. Jeder von uns war total geschockt, dass sie mitten in der Nacht kamen. Sie haben gesagt: Verlasst das Haus, wir werden es abreißen. Einige der Sachen konnten wir noch rausschaffen, einige Kleidungsstücke, aber nicht alles und dann haben sie es von oben nach unten zerstört."

    Mindestens 28 Prozent aller palästinensischen Häuser in Ost-Jerusalem sind nach Angaben der Vereinten Nationen ohne Baugenehmigung der Stadtverwaltung errichtet worden und seien damit vom Abriss durch die israelischen Behörden bedroht. Rund 60.000 Palästinenser lebten im Ostteil derzeit in derartigen Häusern, wobei es sich um eine "konservative Schätzung" handeln würde. Für ihren Hausabriss sei ihr von der Stadtverwaltung Jerusalems eine Geldbuße in Höhe von insgesamt 70.000 Schekel, umgerechnet 14.000 Euro auferlegt worden, im Monatsraten von jeweils 1000 Schekeln habe sie nach vier Jahren fast die Hälfte der Strafe abbezahlt, schildert Großmutter Abu Alkam. – Ihr Nachbar Abdullah mischt sich ins Gespräch ein, ein äterer, energischer Mann:

    "Was können wir tun? Nichts! Wir hoffen einfach. Hoffen! Sie haben alles genommen. Wo ist das Land, das wir hatten? Sie haben es uns genommen. Das bisschen Land hier im Norden. Ich glaube, dort werden sie die Erweiterung machen. Sie bereiten uns Kopfschmerzen und wir ihnen. Uns gefällt das nicht, überhaupt nicht. Wenn sie hier als unsere Nachbarn leben, sollten sie uns respektieren. Aber das tun sie nicht. Wenn unsere Kinder Steine werfen würden, wären sie zwei Tage später im Gefängnis. Wenn deren Kinder hierher kommen und Steine werfen, heißt es: Das sind nur kleine Kinder! Warum? Das ist der Unterschied."

    Beit Hanina im Norden von Ost-Jerusalem: Vor dem Bürogebäude, in dem die "Gesellschaft für arabische Studien" ihre Räume hat, verläuft die belebte Straße nach Ramallah in der Westbank. Rund 200 Meter von dem Hochhaus entfernt ist die israelische Trennmauer zu sehen, deren Bau hier im Norden weitestgehend abgeschlossen ist. Khalil Tafakgi arbeitet in der Geographie- und Kartenabteilung der palästinensischen Gesellschaft, seit 1983 verfolgt er die einschneidenden Veränderungen in Jerusalem. Als "Kartenexperte" war er bei allen bisherigen Nahost-Verhandlungsrunden Mitglied der palästinensischen Delegationen. Bei den bislang bekannt gewordenen Stadtentwicklungsplänen für Jerusalem habe Israel stets zwei Ziele verfolgt, sagt er:

    "Das eine Ziel ist die Bevölkerungsstruktur zu ändern und das zweite Jerusalem für immer zur Hauptstadt Israels zu machen."

    Nach Angaben der jüngsten Ausgabe des Statistischen Jahrbuches des "Jerusalemer Instituts für Israelstudien" lebten Ende 2007 knapp 490.000 jüdische und 260.000 palästinensische Einwohner in Jerusalem. In 30 Jahren würden, so die demographische Prognose des Instituts für Israelstudien, die Palästinenser 55 Prozent der Gesamtbevölkerung Jerusalems bilden; auf eine Perspektive, so sagt Khalil Tafakgi, habe sich Israel bereits seit langem eingestellt:

    "Ihr Strategie richtet sich auf drei Ziele: Erstens: konfiszierte Ausweise. Nach Angaben der israelischen Studie wurden von 1967 bis heute 14.000 Papiere von Palästinensern konfisziert, das heißt, dass jetzt 15.000 Familien hinter der Mauer leben oder sonst wo, aber nicht innerhalb Jerusalems. Zweitens: die Zerstörung von Häusern. Nach Angaben der israelischen Studie und unseren eigenen Ergebnissen - wir überwachen die Zerstörung von Häusern - wurden von 1990 bis 2010 rund 968 Wohneinheiten zerstört, das heißt, die Bewohner sind obdachlos. Drittens: die Mauer. Nach unseren Recherchen leben rund 125.000 Palästinenser hinter der Mauer, das bedeutet, gemäß israelischem Recht, wenn Du außerhalb von Israel lebst, werden Deine Papiere konfisziert."

    Nachtrag: Anfang dieser Woche protestierten der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad sowie zehn israelische Menschenrechtsorganisationen gegen neue Aufenthaltungsbestimmungen Israels, die am heutigen Mittwoch für 2,4 Millionen Palästinenser in der Westbank in Kraft treten. Mit den sehr weit gefassten Militärerlassen beabsichtige Israel, zehntausende Menschen deportieren zu wollen. Betroffen seien unter anderem auch Tausende von Palästinenser in Ost-Jerusalem, die zwangsweise abgeschoben werden könnten.