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Imamin Seyran Ateş
"Muslime, organisiert Euch!"

Die türkischstämmige Anwältin Seyran Ateş hat moderate Muslime aufgerufen, "gegen Islamismus zu kämpfen". Eine historisch-kritische Koran-Interpretation sei nötig, um "gewaltbejahende Passagen im Koran" neu zu deuten, sagte Seyran Ateş im Dlf. Sie hat am Freitag die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnet.

Seyran Ateş im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Seyran Ateş
    Imamin Seyran Ateş gründet eine liberale Moschee in Berlin (picture alliance / dpa / Sören Stache)
    Benedikt Schulz: Dass eine Frau eine Moschee gründet, das ist an sich bemerkenswert. Und das noch umso mehr, als dass Seyran Ateş bislang eher mit islamkritischen Äußerungen in Erscheinung getreten ist. Die Juristin und Frauenrechtlerin will eine, wie sie sagt, liberal-islamische Gebetsstätte gründen. Der Islam hat ein schwieriges Image. Die Zahl islamistisch motivierter Anschläge in Europa hat zugenommen. Ein Unsicherheitsgefühl hat sich breitgemacht. So sehr, dass schon eine an sich recht harmlose Gebetsformel wie "Allahu akbar" ("Gott ist am größten") angstbesetzt ist. Und für friedlich lebende Muslime ist das eine Zumutung. Nur, wo sind die Muslime, die sich nicht nur von islamistisch motivierter Gewalt hier und da distanzieren, sondern auch offen und offensiv ihren friedlichen Glauben verteidigen? Diese Frage steht auch hinter der Gründung der "Ibn Rushd-Goethe Moschee" in Berlin. Über die Gründung der Moschee hat Seyran Ateş auch ein Buch geschrieben – "Selam, Frau Imamin!", also "Hallo, Frau Imamin" und für streng konservative Muslime ist vielleicht das schon eine Provokation. Die Eröffnung der Moschee ist heute in wenigen Minuten. Und da die Mitgründerin natürlich vor Ort sein sollte, zeichnen wir dieses Gespräch auf. Frau Ateş, herzlich willkommen.
    Seyran Ateş: Vielen Dank, hallo.
    Schulz: Sie sind, ich habe es gesagt, in der Vergangenheit oft mit islamkritischen Aussagen in Erscheinung getreten. Sie haben dafür Morddrohungen erhalten. Jetzt haben Sie eine Moschee gegründet, haben sich zur Imamin ausbilden lassen. Sind Sie religiöser, um nicht zu sagen frommer geworden? Oder sind Sie das im Gegenteil immer schon gewesen?
    Ateş: Ich war das schon immer. Und ich habe an der Deutschen Islamkonferenz als Muslimin teilgenommen, nicht als Nicht-Muslimin oder Atheistin. Und ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass man mich "Islamkritikerin" genannt hat.
    Wenn überhaupt, bin ich Menschenrechtlerin, Frauenrechtlerin und übe Religionskritik, wenn ich sie ausübe, in alle Richtungen, über alle Religionen. Und ich sehe natürlich insgesamt das Patriarchale in Religionen, auch in Gesellschaften als Feministin und schaue weltweit insbesondere dahin, wo es Frauen besonders schlechtgeht, sie diskriminiert werden und nicht gleichbehandelt.
    Insofern irritiert mich eigentlich, dass die Menschen mich immer nur in einen Topf geworfen haben. Das zeigt ja eher, wie die Wahrnehmung auch öffentlich von Menschen ist. Obwohl ich immer andere Sachen erklärt habe. 2003 in meiner Biografie schreibe ich: 'Ich kämpfe nicht gegen den Islam, ich kämpfe gegen das Patriarchat.' Aber es gibt Leute, die haben mir das nie abgenommen, dass ich gläubige Muslimin bin. So what? Ist nicht mein Vergehen.
    Schulz: Jetzt habe ich gesagt gerade, hinter Ihrer Moscheegründung steht ja auch die Frage: Wo sind sie: die vielen friedliebenden Muslime?
    Ateş: Genau.
    "Moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen"
    Schulz: Das frage ich jetzt Sie. Wo sind diejenigen Muslime, die sich aktiv wenden gegen Islamismus?
    Ateş: Das ist auch meine Frage. Und deshalb fordere ich jetzt die Menschen auf. Das habe ich im letzten Jahr durch einen großen Artikel in der "Zeit" gemacht, "Gründet mit mir eine Moschee", habe das erklärt. Daraufhin haben sich einige Leute gemeldet. Dann kamen sie dazu, dann sind sie wieder abgesprungen. Das war ein Kraftakt.
    Acht Jahre habe ich jetzt diese Leute gesucht, die friedlich, wie ich, eine Moschee gründen wollen, beten wollen und das friedliche Gesicht auch des Islam zeigen wollen. Und es wird sich zeigen, ob die Massen tatsächlich vorhanden sind, von denen ja oft die Rede ist. Ich glaube daran. Und ein Slogan ist, dass ich denke, wir müssen mit dem Islam gegen den Islamismus kämpfen.
    Und vor allem müssen wir liberale, moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen. Ich tue das mit mir selbst, dass ich sage, es reicht nicht aus, dass wir Verbände, andere Vereinigungen, Moschee-Gemeinden dafür kritisieren, dass sie in den Moscheen nicht Demokratie lehren oder verkünden, dass sie dies und jenes falsch machen. Das reicht nicht aus. Wir müssen uns auch immer fragen: Was machen wir denn gegen den islamistischen Terror?
    "Das Private ist politisch"
    Schulz: Der Islam in Deutschland hat jetzt nicht so einen Organisationsgrad, wie es zum Beispiel die großen christlichen Kirchen haben. Und der Staat weiß ja immer noch nicht so richtig, wie er damit umgehen soll. Die Folge ist eben, dass die konservativen Verbände im Dialog mehr oder weniger alleine das Sagen haben.
    Ateş: Ja.
    Schulz: Müssen sich liberale Muslime politisieren?
    Ateş: … organisieren. Ja, sie müssen sich organisieren. Politisieren – das sind wir ja sowieso. Das Private ist politisch. Das ist das, woran ich glaube, sowieso auf der politischen Ebene. Und deshalb kann kein Moslem sagen, so friedlich er auch ist: 'Mein Glaube ist nur privat, und deshalb mische ich mich jetzt nicht ein in irgendwelche Debatten.' Nein, das Private ist politisch - und aus dieser Verantwortung heraus hat Herr Schäuble, habe ich gesagt, am Ende des Tages recht, am Ende der Islamkonferenz 2009. Er hat Recht.
    Wir müssen uns auch organisieren, damit die Politik Ansprechpartner hat. Auch da wiederhole ich: Wir können doch nicht kritisieren, dass die Verbände als einzige Ansprechpartner zurzeit in der Islamkonferenz sitzen. Die Einzelpersonen sind rausgekickt. Die Politik sagt: Ich brauche aber Organisationen. Es geht nicht mit Einzelpersonen ausschließlich. Dann ist es doch an uns, uns zu organisieren. Deshalb mein Appell: Organisiert euch!
    "Die DITIB sinkt immer tiefer"
    Schulz: Jetzt hat der Liberal-Islamische Bund, mit dem teilen Sie ja zumindest den Anspruch eines modernen, liberalen Islams, zu einer Demo aufgerufen – "Nicht mit uns", jetzt für den Samstag. Und jetzt haben sich die Verbandsvertreter dazu ja schon geäußert. Zum Beispiel die DITIB, die hat gesagt, die nehmen da nicht dran teil, mit folgendem Argument: Man habe sich ja schon oft genug distanziert von islamistischer Gewalt. Was sagen Sie dazu?
    Ateş: Na, das reicht vollkommen nicht aus. Und das ist tragisch und traurig für die DITIB, ja, dass sie nichts dazulernt offensichtlich und immer weiter, auch wirklich tiefer sinkt und Abstand nimmt zu, meiner Ansicht nach, auch der Demokratie und den Verpflichtungen, die innerhalb der Demokratie passieren müssen.
    Der Zentralrat der Muslime macht ja, soweit ich weiß, mit bei dieser Demonstration. Und ich kann nur sagen, so was war schon längst überfällig. Das hätte schon lange stattfinden müssen und am besten hätte das eben von den Verbänden aus schon organisiert werden müssen – seit dem 11. September 2001.
    Die Rechtsanwältin Seyran Ates
    Die Rechtsanwältin Seyran Ates (picture alliance / dpa / Sören Stache)
    Schulz: Wenn jetzt aber ein gläubiger Muslim sagt, diejenigen, die da Terroranschläge verüben, das sind keine Muslime. Das kommt ja oft vor, dieses Argument wird ja oft vorgetragen: "Ich muss mich deswegen nicht davon distanzieren." Dann erklären Sie mir mal, warum er damit nicht Recht hat?
    Ateş: Der wird für sein tiefes Verständnis damit Recht haben. Aber das ist keine ausreichende Argumentation. Sie überzeugt deshalb nicht, weil diese Menschen "Allahu akbar"-rufend andere Menschen köpfen oder Terror verursachen. Gleichzeitig sind das Menschen, die aus dem Koran nicht nur rezitieren, sondern nach den Vorschriften dort meinen richtig zu handeln. Sie begreifen sich als Muslime. Sie sagen, dass sie es sind. Also, kann ich nicht sagen, sie sind keine, weil ich nicht Allah bin. Der entscheidet am Ende, ob jemand den Glauben richtig lebt oder nicht. Und zudem, diese Menschen beten fünfmal am Tag. Sie gehen in Moscheen. Sie haben einen Muezzinruf.
    Ich möchte wissen, auf was sich diejenigen berufen, die meinen, das sind keine Muslime. Dass es keine Muslime sind, die den Glauben von der friedlichen Seite betrachten, das ist doch was anderes. Man kann sagen, liebe Leute, ihr seid irregeleitet. Es kann nicht sein, dass wir Gewaltpassagen aus dem 7. Jahrhundert nehmen und sie jetzt hier 1:1 übersetzen. Das ist was anderes. Aber denen abzusprechen, dass sie Muslime sind, das ist eine Schutzbehauptung. Und das ist so einfach. Man macht sich das so einfach damit.
    "Das Hinterfragen verdrängen diese Dschihadisten"
    Schulz: Also, hat die Gewalt mit dem Islam zu tun?
    Ateş: Ja, selbstverständlich gibt es auch im Islam gewaltbejahende und begründende Passagen im Koran. Aus dem schöpfen doch diese Leute das. Der Dschihad wird daraus begründet. Aber dass es gleichzeitig aber auch einen Idschtihad gibt, nämlich die Auseinandersetzung, das Nachdenken, den Verstand nutzen, dass man immer wieder hinterfragt, das Hinterfragen gefordert wird im Koran, das verdrängen halt diese Dschihadisten.
    Schulz: Viele liberal orientierte Muslime argumentieren ja immer wieder, man muss diese Textstellen, wo es eben um die Gewalt geht, die muss man in ihrem historischen Kontext sehen, eben im Kontext einer bedrängten Religionsgemeinschaft im 7. Jahrhundert.
    Ateş: Ja.
    "Den Koran historisch-kritisch auslegen"
    Schulz: Aber auf der anderen Seite ist es ja doch so, dass der Koran als das geoffenbarte Wort Gottes gilt. Bei den Hadithen, da sehe ich das ein, da kann man die historische Genese ja noch eher verstehen. Aber wie wollen Sie denn Menschen davon überzeugen, dass der Koran, oder dass eben Gottes Wort nicht allgemeingültig ist?
    Ateş: Allgemeingültig nicht in dem Sinne, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert genau das machen, was im 7. Jahrhundert herabgesandt wurde – historisch-kritisch auslegen. Ich denke, das ist durchaus auch möglich. Es gibt verschiedenste Lesarten sowieso des Korans, ganz unabhängig eben von Übersetzungen und Interpretationen. Muss man einfach historisch-kritisch auslegen.
    Was war in der Zeit, als die einzelnen Suren offenbart wurden, innerhalb eines Zeitraums von 23 Jahren immerhin? Es war ja ein Prozess. Und in was für einer Lebenssituation befand sich der Prophet gerade mit seiner Gemeinschaft? Das muss man nämlich alles im Zusammenhang sehen und dann nach dem Sinn und Zweck fragen.
    Die Sufis schauen noch viel tiefer, ja, und sehen Worte natürlich immer im übertragenen Sinne. Und man muss dann im nächsten Schritt sich überlegen: Was ist der Sinn und Zweck? Was sollte damit geregelt werden? Aus diesem gesamten Kontext heraus. Wie gesagt, Lebenssituation des Propheten, der Gesellschaft und in der Phase, in der sich die Gemeinschaft befand. Und das dann übersetzt ins 21. Jahrhundert, kann es ja durchaus sein, dass man sich erwehren muss, dass es heißt: 'Verteidigt eure Religion!', aber dass das nicht bedeutet: 'Geht los und tötet andere Leute!'
    "Aufklärer im Islam und die die Chance einer Renaissance"
    Schulz: Also, dass man die Bibel eben als historisch gewordenes Konstrukt liest, das ist in westlichen Gesellschaften anerkannt. Das ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Die wurde auch von Theologen vorangetrieben. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass diese vielbesprochene Aufklärung auch im Islam verankert ist.
    Ateş: Ja.
    Schulz: Aber es sieht doch danach derzeit nicht so aus.
    Ateş: Na ja, im 11./12. Jahrhundert haben es die Radikalen und Orthodoxen geschafft, und zwar hauptsächlich betrieben durch den Gelehrten al-Ghazālī, Gelehrte wie Ibn Rushd und Ibn Sînâ, zu unterdrücken. Das sind die großen Denker gewesen, die Aufklärer im Islam. Es hat einen Wandel genau und Bruch in dieser Phase gegeben. Und deshalb gibt es durchaus die Chance einer Renaissance. Denn, wenn man sich diese Gelehrten anschaut, die ja auch koranfest argumentieren, ja, kann man durchaus sagen, es gibt auch einen anderen Weg, den auch der Islam hätte damals gehen können. Aber es ist nicht zu spät, ihn jetzt zu gehen.
    "Salafisten dürften kein Auto fahren"
    Schulz: Jetzt haben Sie Ibn Rushd schon erwähnt. Das ist einer der beiden Namensgeber Ihrer Moschee …
    Ateş: Ja.
    Schulz: Die Ibn Rushd-Goethe Moschee, so heißt sie ja. Es gibt dennoch trotzdem Leute, die den Islam ja nicht für reformierbar halten.
    Ateş: Ja.
    Schulz: Eben, weil das Ganze eben … eine Reform die Substanz gefährden würde.
    Ateş: Ja.
    Schulz: Warum glauben Sie denn trotzdem, dass das Ganze reformierbar ist?
    Ateş: Na ja, ich bin da eher eine Anhängerin der sogenannten Ankaraner Schule, dass ich sage, es liegt am Ende auch an uns, an Menschen, wie wir unsere Religion theologisch ja begreifen und in unserer Zeit auch verstehen. Und die Erlaubnis, historisch-kritisch das zu betrachten, die haben wir meiner Ansicht nach selbst auch aus den heiligen Schriften, wo es wirklich oft genug an vielen verschiedenen Stellen heißt: "Du hast deinen Verstand und du hast Vernunft und die musst du nutzen."
    Und die Begrifflichkeiten, die so eindeutig zu sein scheinen, die sehe ich, gerade auch als Juristin, die mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet oder mit Paragraphen, immer interpretiert werden müssen, gar nicht so eindeutig, wie Salafisten das immer so sehen oder darstellen.
    Und die Kritiker, die sagen, der Islam ist nicht reformierbar, ich glaube, natürlich gibt es auch im Judentum, auch im Katholizismus, ja, Menschen, die sagen, hier ist keinerlei Bewegung da. Aber da bin ich eher auch aus der Praxis sehr pragmatisch und denke, das ist möglich. Warum sollte das nicht möglich sein? Das würde ja bedeuten … dass eine Reform nicht möglich ist, würde als Konsequenz haben, dass wir weiterleben sollten wie im 7. Jahrhundert. Und das tun wir ja jetzt schon nicht.
    Dann dürfte auch kein Salafist ein Auto fahren oder Mobiltelefone benutzen. Denn es wird ja argumentiert: 'Wir machen keinen Sport, weil der Prophet keinen Sport gemacht hat. Es wird keine Musik gehört, weil das nicht zu unserer Religion passt.'
    Schulz: Ist nicht einfach auch ein Problem, dass der Islam eben von diesen Fundamentalisten keine Religion ist, sondern eher eine politische Ideologie?
    Ateş: Es ist auf jeden Fall eine politische Ideologie, die sich aber bezieht und begründet auf die Heilige Schrift, die wir anderen nur in seiner friedlicheren Seite vordergründig sehen, ja.
    "Der Islam ist reformierbar"
    Schulz: Hoffen Sie noch auf den vielzitierten Euro-Islam, nachdem ja schon der Erfinder des Begriffs selber nicht mehr so recht dran glauben mag?
    Ateş: Bassam Tibi ist ein bisschen frustriert, das weiß ich. Aber am Ende des Tages, glaube ich nach wie vor, dass er … er war ja immer ein optimistischer Mensch und hat immer uns großartige Ideen geliefert und Erklärungen, dass er weiter auch das unterstützen wird.
    Denn der Islam hat sich in allen Ländern, in denen er angekommen ist, von der arabischen Halbinsel ausgehend, in jedem Land, von Marokko bis Indonesien, den Traditionen und den nationalen Gegebenheiten entsprechend entwickelt. Und so verhält es sich mit dem Euro-Islam. Der Islam entwickelt sich auch in Europa in eine sehr vom Europäischen vorgefundenen Verhältnissen geprägt. Und darin sehen Sie ja auch noch mal die Möglichkeit, dass da durchaus was Reformierbares da ist im Islam.
    "Innermuslimisch Frieden finden"
    Schulz: Sie hören den Deutschlandfunk, die Sendung "Tag für Tag" im Gespräch mit der Juristin Seyran Ateş, Frauenrechtlerin, jetzt auch Imamin und Moschee-Gründerin. Frau Ateş, wir haben jetzt viel über Theologie gesprochen. Sie haben diese Moschee ja auch aus einem, ich nenne es jetzt mal, gesellschaftspolitischen Impuls gegründet. Was ist das jetzt? Ist es ein religiöser Ort oder ist es ein liberal-muslimischer Think-Tank?
    Ateş: Es ist in allererster Linie ein religiöser Ort, ein spiritueller Ort, wo wir innermuslimisch vor allem Frieden finden möchten – Aleviten, Sunniten, Schiiten und Sufis zusammen. Innermuslimisch, unsere Spiritualität, die wir haben als Menschenrechtlerin, Frauenrechtlerin, als Homosexuelle, als eben Demokraten, die in den bisherigen existierenden Moscheen sich mit ihrer Spiritualität nicht zu Hause fühlen, dass wir in erster Linie Religion ausüben. Das ist wirklich das vorderste Ziel. Aber, dass wir dadurch auch gleichzeitig in das Gesellschaftspolitische hineinwirken, das ist – wie gesagt – aus dem ganz einfachen und richtigen Satz sich ergebend, dass das Private politisch ist.
    Die Imamin Seyran Ates im künftigen Gebetsraum der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee
    Die Imamin Seyran Ates im künftigen Gebetsraum der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee (picture alliance / dpa / Sören Stache)
    Schulz: Sind dann auch diejenigen willkommen, die Ihre Ideale ablehnen oder gar bekämpfen?
    Ateş: Nun, wenn sie kommen wollen, um mit uns zu diskutieren, um zu verstehen, was wir da machen, sind natürlich alle willkommen. Aber was soll es am Ende des Tages bringen, wenn sie kommen, um uns zu beschimpfen? Das wollen wir natürlich nicht.
    "Befürchtungen, dass es Übergriffe geben könnte"
    Schulz: Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf Ihre Person noch mal zu sprechen kommen. Sie haben – ich habe das ganz am Anfang erwähnt – mehrfach Gewalt und Anfeindungen in Ihrem Leben erlebt. Sie wurden ja auch einmal angeschossen. Sie müssen ja eigentlich davon ausgehen, dass das jetzt wieder passiert, oder?
    Ateş: Selbstverständlich gibt es Befürchtungen, dass es da Übergriffe geben könnte. Aber die bisherigen Nachrichten, die ich bekommen habe, das sind drei an der Zahl gewesen, die gehen unter die Gürtellinie mit dem "F-Wort", ja, was die mit mir machen wollen, damit ich zu Verstand komme.
    Aber 95 Prozent der Reaktionen sind positiv. Die Leute sagen: "Es reicht endlich, ja. Wir können das nicht mehr hören, dass unsere Religion nur noch mit Terror in Verbindung gebracht wird. Das, was du da machst, ist großartig. Wir können einer wissenden Person folgen, auch, wenn sie eine Frau ist, als Männer."
    Das sagen vor allem Kurden, bei denen es tatsächlich solch eine Tradition gibt. Und ich hoffe mal, dass es auch so ruhig bleibt, wie es ist. Ansonsten habe ich "Mut, Angst zu haben", wie Kant das sagt, und bin trotzdem ein vernünftiger Mensch und achte selbstverständlich auf die Menschen um mich herum und auf mich selbst.
    Schulz: Und was glauben Sie, welche Resonanz werden Sie bekommen? Wie viele Muslime werden sich interessieren für Ihren liberalen Islam?
    Ateş: Das ist eine Frage, die Journalisten sehr gerne in Zahlen beantwortet wissen würden. Ich kann das nicht machen. Das ist wie Kaffeesatz lesen. Ich bin nur glücklich, dass wir sieben Gesellschafter und Gesellschafterinnen sind. Das ist schon mal großartig. Und ich finde das gut, dass wir auch schon ungefähr 20 Mitglieder sozusagen sind. Menschen, die gemeinsam diese Idee verfolgen. Aber ich bekomme schon so viel Zuspruch und … von Muslimen, die auch zum Gebet kommen wollen. Ich lasse mich überraschen. Ich hoffe, dass das so weitergeht.
    Schulz: Sagt Seyran Ateş. Sie hat eine Moschee gegründet, die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, und die wird heute in Berlin eröffnet. Frau Ateş, vielen herzlichen Dank und alles Gute.
    Ateş: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Seyran Ateş: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete. Ullstein Verlag, 304 Seiten, 20 €