Der Fall Imane Khelif
Die Hetze hört nicht auf

Bei Paris 2024 boxt sich die Algerierin Imane Khelif zu Olympia-Gold im Weltergewicht. Zuvor war öffentlich eine Debatte rund um das Geschlecht von Imane Khelif und der taiwanesischen Boxerin Lin Yu-Ting ausgetragen worden. Die Anfeindungen gehen weiter.

Von Benedikt Kaninski |
Die Boxerin Imane Khelif regt die Faust in einem italienischen TV-Studio nach vorne.
Mann oder Frau? Auch vier Monate nach dem Olympia-Triumpf von Paris, ebbt die Geschlechterdebatte um die Boxerin Imane Khelif nicht ab. (IMAGO / ABACA)
Bis zu den Olympischen Spielen in Paris ist Imane Khelif wohl nur echten Box-Fans ein Begriff. Doch plötzlich wird sie – besser gesagt, ihr Geschlecht – weltweit zum Gesprächsthema. Nach Khelifs Kampf gegen Angela Carini sagt die Italienerin, sie sei noch nie so hart geschlagen worden und habe sich Sorgen um ihre Gesundheit gemacht. Die Diskussion darum, ob Khelif an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen sollte, nimmt daraufhin Fahrt auf.

Umstrittener Boxverband gibt fragwürdiges Bild ab

Das IOC verweist mit Blick auf Imane Khelif auf seine klaren Vorgaben für die Teilnahme an Wettbewerben. Demnach sind allein die Angaben im Pass des Athleten oder der Athletin relevant. Der wegen Korruptions- und Manipulationsvorwürfen vom IOC suspendierte Boxverband IBA erklärt dagegen auf einer Pressekonferenz in Paris, Khelif sei männlich.
Unklar bleibt dabei, wie die IBA zu dieser Aussage kommt und ob Testosteron- oder Chromosomentests durchgeführt wurden, erklärt Payoshni Mitra bei einer Gastvorlesung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie ist Aktivistin für die Rechte von Sportlerinnen und Sportlern, hat eine Vielzahl von internationalen Fällen zur Gleichstellung der Geschlechter im Sport begleitet. Mitra sieht im Umgang mit solchen Genderdebatten auch eine Verantwortung bei den Medien.

Verbände müssen Athleten besser schützen

In vielen Artikeln sei laut Mitra an der Faktenlage vorbei berichtet worden. Dazu kamen negative Äußerungen – etwa von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni oder Donald Trump in sozialen Medien, die von Desinformationen zu Imane Khelif regelrecht überschwemmt wurden. Auch Elon Musk teilte einen Post, in dem zu lesen war, dass Männer nicht in Frauensport gehörten.
Darauf angesprochen erklärte Imane Khelif beim französischen Fernsehsender Canal+, dass sie den Hass gegen sie nicht verstehe und nicht akzeptieren wolle.
Mobbing könne Menschen zerstören. Mit Blick auf Desinformationen und Hass-Kampagnen gegenüber Athletinnen sieht Aktivistin Payoshni Mitra auch eine Pflicht bei den Verbänden. Sie müssten ihre Sportlerinnen besser schützen. Zum Beispiel mit eigenen Abteilungen und Ansprechpersonen für Menschenrechtsverletzungen. Ein Positivbeispiel sei in diesem Zusammenhang der Athletenschutz in sozialen Netzwerken beim Weltfußballverband FIFA, erklärt Mitra.

Geschlechterdebatte geht in höchste Kreise

Noch ist unklar, wie die Zukunft von Imane Khelif im internationalen Boxsport aussieht. Die Taiwanesin Lin Yu-Ting, die ebenfalls Spekulationen über ihr Geschlecht ausgesetzt war, hat erst vor kurzem ein Turnier im britischen Sheffield abgesagt. Um Schaden von der Athletin abzuwenden, entschieden die Sportfunktionäre aus Taiwan, ihren geplanten Start abzusagen.
Die Geschlechterdebatte beschäftigt mittlerweile längst nicht mehr nur die Box-Weltverbände. Sebastian Coe, Präsident von World Athletics, dem Welt-Leichtathletikverband, möchte im Frühjahr Nachfolger von IOC-Präsident Thomas Bach werden. Er hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauensport zu schützen. Damit meine er „klare Richtlinien“ und eine „Vordenkerrolle und die Führung des IOC“. Und er gab gleichzeitig zu verstehen, dass dies nach seiner Auffassung zurzeit nicht der Fall sei.
Eine Richtungsentscheidung über Zugangskriterien im Frauen-Boxen – und damit vielleicht auch in anderen Sportarten – könnte also womöglich im Frühjahr fallen.