Rechts plätschert die Neiße, links steht der Buchenwald im zarten Laub und dazwischen schlängelt sich der Radweg, geschmeidig den Windungen des Flusses folgend.
Radfahren auf dem Deich, auf ebener Flur, was liegt da näher, als auf Holländer zu treffen, obwohl der Radweg wahrlich nicht nah an der niederländischen Grenze liegt, sondern direkt an der polnischen:
"Is de Fietzpaat von Polen na Pommeren, oder?"
Genau, das ist der Fietzpaad -der Radweg - nach Pommern. Es ist der Radweg entlang der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder und der Neiße und es ist auch ein Weg, der Grenzen überwinden soll, sprachlich wie räumlich. Rund 630 Kilometer führt er uns von der Quelle der Neiße bis zur Ostsee, genügend Zeit für ein bisschen Völkerverständigung am Wegesrand:
"Wir kommen aus Holland, wir sind in Heinewalde und wir sind heute nach Marienthal gekommen, um die Kirche zu besichtigen und das Kloster auch, .....so ist auch schön!"
Ja, das ist schön und macht den Reiz dieser Route aus: es gibt immer wieder einen Grund abzusteigen, denn der Weg geht durch historisch bedeutende Städte wie Zittau und Görlitz, durch alte Dörfer, führt vorbei an verlassenen Gutshöfen und prächtigen Klosteranlagen, wie das Kloster St. Marienthal. Das Konvent wurde schon im Jahr 1234 von Königin Kunigunde gestiftet, bis heute leben hier die Nonnen nach den Regeln des Heiligen Benedikt.
Die Anlage schmiegt sich malerisch in die hügelige Neißelandschaft und strahlt in böhmischen Barock mit seiner rotweißen Fassaden. Die Nonnen haben keine Zeit für uns, einige sind zum Gebet verabredet:
Die anderen müssen Schnaps brennen und wer wollte sie bei dieser heiligen Handlung stören? Wir kriegen aber schnell noch einen selbstgebackenen Bienenstich auf die Hand und fertig ist das Radlerglück. Der Weg führt uns durch den historischen Klostergarten, indem alte Damaszenerrosen so verführerisch duften, dass man sich fragen könnte, ob das noch anständig ist? Doch genug geschaut, gerochen und geschlendert; unser Etappenziel ist Görlitz. und bis dahin sind es noch rund 25 Kilometer. 25 Kilometer durch eine zauberhafte Fluss- und Auenlandschaften, mitten durch bewaldetet Naturschutzgebiete, weiter durch sonnendurchflutete offene Fluren und immer wieder durch alte Alleen. Jeder Windstoß bläst uns die Blütenblätter und den Duft der Apfelbäume um die Nase und wir fragen uns: warum wir dieses Naturparadies eigentlich für uns allein haben? Eine Frage, die wir uns aber gar nicht so allein stellen, wie sich kurz darauf bei einer Rast herausstellt:
"Was uns gefallen hat: Es war wenig Betrieb, wir sind ja vom Mittelrhein, wenn sie hier fahren bei schönstem Wetter, da sehen sie keine Menschenseele und fahren sie bei uns mal Sonntags auf dem Radweg am Rhein entlang!"
Einsamkeit auf dem Deich, große Weite über dem Fluss und wo sind die andern? Sind alle über die Neiße gefahren und setzten ihren Weg auf der anderen Seite des Flusses fort. Die Frage geht an Cornelia Blenn von der Tourismus-Marketing GmbH Uckermark:
"Der Kontakt zu Polen ist verstärkt worden, es gibt ja auch die Möglichkeit über die Grenze in Polen weiter zu radeln."
Ah, da sind sie also alle hin, vielleicht auch unserer Rastbekanntschaft von eben? Frau Piroth haben sie die Grenze von der polnischen Seite her erradelt?
"Ne, wir haben in Polen schlechte Erfahrungen gemacht mit den Radwegen, schlecht ausgeschildert und wir sind dann völlig vom Weg ab durch ein Gebiet zugewachsen mit Gras, das war richtig gefährlich."
Nun, so kommen wir nicht weiter! Tatsächlich ist der Radweg trotz des guten Wetters angenehm leer, nicht einmal an den wenigen Schleusen kommt es zum Stau. In Polen, so scheint es, ist aber auch nicht mehr los, weder bei unseren Abstechern noch in den Erzählungen der Mitfahrer. Dann freuen wir uns also einfach an den stillen Wegen, und wer nur richtig hinschaut, den Blick gen Himmel richtet, der merkt: so einsam, wie man meinte ist es gar nicht:
Der Fischadler ist in Westdeutschland ein seltener Gast, er steht auf der roten Liste. Hier, tief im Osten, in den Flussauen der Neiße, ist er noch zu Hause. Und das wohl auch, weil die Landschaft wenig zersiedelt ist und zum Teil unter Naturschutz steht. Zumindest zu Beginn der Tour werden die stillen Naturbetrachtungen aber noch unterbrochen von historischen Städten wie Zittau oder Görlitz. In Görlitz lohnt es sich länger auch zu bleiben, Helma Krambowski, stolze Bürgerin, erklärt warum:
"Schaun's hier ist es sooo schön, hier wurd ja nix zerstört auch nicht im zweiten Weltkrieg, und als DDR war, war kein Geld, um hier was einzureißen, wo haben sie das sonst? So viele schöne alte Häuser? Und dann der Fluss und die Mühle."
Und tatsächlich preist jeder Stadtführer die Stadt an der Neiße als historisches Kleinod. Zu recht: die Altstadt ist ein komplett erhaltenes denkmalgeschütztes Ensemble - ganze Straßenzüge mit Arkaden, Pilastern und Skulpturen geschmückt - mittelalterliche Bürgerhäuser Seite an Seite mit Kirchen, Klöstern und Markthallen. Sechs Jahrhunderte Baukunst bezeugen noch heute den vergangenen Reichtum der Stadt, liebevoll restauriert und konserviert für kommende Generationen, wenn sie denn kommen beziehungsweise bleiben:
"Ja, Arbeit ist hier wenig ne? Der letzte große Betrieb hat ja kurz nach der Wende zugemacht. Die sind ja alle abgehauen!"
Wir wären gerne noch geblieben, doch das Meer ruft von weiter Ferne und so wird aufgesattelt und kräftig in die Pedale getreten. Auch wenn das Meer noch weit ist und der Deich eben, scheint uns doch ständig eine steife Brise von der Ostsee entgegen zu schlagen. "Gefühlter Meerwind" 370 Kilometer von der Ostsee entfernt. Nun, für die nächste Rast brauchen wir eigentlich auch keine Ausrede, denn Kunst und Kultur zwingen uns gewissermaßen vom Rad: Wir sind in Bad Muskau, stellen den Drahtesel an das Schloss und erlaufen uns die Landschaft, die idealisierte Landschaft: Willkommen im Fürst-Pückler Park! Dieser Landschaftspark ist das Lebenswerk von Hermann Fürst von Pückler-Muskau, dreißig Jahre: von 1815-45 plante, pflanzte und baute er an seinem englischen Garten. Der Landschaftsarchitekt Wolfgang Müller hat das Wort zu Fürst und Park:
"Er hat hier wunderbar das Neißetal integriert - mit Schwarzpappeln Rotbuchen, also heimischen Gehölzen, hat er vornehmlich gearbeitet, und exotische Gehölze nur im unmittelbaren Schlossbereich, und hier unmittelbar am Schloss sind Blumengärten darüber der Park und dann die Bezüge in die freie Landschaft, hat er sicher auch aus England mitgebracht."
Was hier in der Beschreibung des Experten etwas theoretisch daherkommt, ist tatsächlich ein prächtiger Landschaftspark: Alte weit ausladende Buchen bilden den Blickfang auf sattgrünen Wiesen, die sich bis zum Wasser erstrecken, zwischen Seen und Rabatten schlängeln sich Wege durch die inszenierte Landschaft und dem Spaziergänger eröffnen sich immer neue Blickachsen auf kleine Tempel, malerische Baumgruppen oder die Neiße:
"Sie sehen, dass hier mitten durch den Park die Neiße fließt und sich der Park folglich in den östlichen und westlichen Teil gliedert, der westliche ist mit gut 200 ha deutlich kleiner als der östliche Teil. Der östliche Teil ist seit 1945 polnisch, die Grenze ist entlang der Neiße gezogen worden, der Kernbereich befindet sich im westlichen Teil zwischen Bad Muskau und der Neiße."
Und in diesem Kernbereich lässt es sich vorzüglich Picknicken, in einem lichten Buchenhain mit Blick auf das Schloss, auf der kleinen Steinbrücke neben Bachgeriesel und einer frischen Briese Frühlingsblumen oder neben den aufwendig arrangierten Staudenbeeten in violett und gelb oder neben den Pomeranzen, die die Schlosszufahrt schmücken oder, oder.... doch bei all dem Müßiggang soll die Geschichte nicht zu kurz kommen: denn schließlich ist ein englischer Park nicht nur eine idealisierte Landschaft, sondern auch ein Spiegel seiner Zeit und auch der Zeit, die über ihn hinweg ging:
"Der Vormarsch der Russen auf Berlin ging einmal durch das Oderbruch und einmal etwas südlich von Bad Muskau. Und in dem Zusammenhang sind alle Brücken hier im Park gesprengt worden auch die drüben, die Postbrücke, die heute der Grenzübergang ist."
Die Neuerrichtung der Brücke im Jahr 2004 ist auch ein symbolischer Brückenschlag zwischen Polen und Deutschland und die gesamte Parkanlage wurde danach geadelt mit dem Titel UNESCO-Welterbe. Doch der Park ist nicht nur ein Blickfang am äußersten Rande von Deutschland, ein Muss für alle Liebhaber der hohen Gartenkunst, er bietet auch genug Raum für den natürlichen Bestand:
"Durch den alten Baumbestand hat der Park auch einen hohen Wert für den Naturschutz, es gibt jede Menge Eulenarten, Schwarz- und Buntspechte, auf der Neiße leben seltenen Entenarten."
Noch einmal schwenkt der Blick über Schloss See und Wiese dann folgen auch wir weiter dem Lauf der Neiße. Der Radweg führt uns durch eine einsame Feld- und Wiesenlandschaft. Die Birken strahlen im zarten Grün und wiegen sich im Frühlingswind -ganze Alleen geben uns das Geleit. Das ist die Landschaft von der auch Marion Gräfin Dönhoff schwärmte oder Siegfried Lenz auch wenn die eine Ostpreußen meinte und der andere Masuren, doch in der Niederlausitz irgendwo vor Guben ist der Himmel ebenso hoch, der Blick weit und das Licht wie von einer anderen Welt.
Aus einer anderen Welt kommen auch sie: Die Kraniche sind zurück von ihren Winterquartieren in Afrika. Auch wir nehmen Quartier und treffen in der einzigen Wirtschaft des Dorfs auch wieder auf Menschen: Tatsächlich kommen uns die noch irgendwie bekannt vor, hier in diesem Fischhaus am Fluss, indem es wenig zu Essen gibt und schon gar keinen Fisch!
"Wo hab ich Sie denn getroffen das erste Mal? Görlitz?"
"Vorher schon mal in Zittau? Morgens glaub ich an der Franziskaner Kirche?"
"Oder in Ostritz. Nein, in dem Klostergarten, da hab ich sie das erste mal gesehen.”"
""In Mariental!"
Ja, und da merkt der Radfahrer dann doch, dass schon einige Klöster, Städte und Kirchen hinter ihm liegen. Vor uns liegt aber auch noch einiges. Vor allem Strecke! Die Dichte der Dörfer und Städte nimmt ab, die Landschaft liegt sanft geschwungen hinterm Lenker und wer die Nacht nicht im Freien verbringen möchte, sollte sein Etappenziel schon am morgen sorgsam planen:
""Britta? Bis Küstrin sind 22 Kilometer von Küstrin nach Chemnitz sind 42, bis nach Hohenwutzen sind 73 Kilometer"
"Wollen wir nicht noch einen Umweg machen über die Schinkel-Kirche?"
"Wollen wir uns das antun? Wegen einer Kirche noch einen Umweg? Das sind noch mal sechs Kilometer?"
"Dann wären wir schon bei 80 Kilometern, und wenn der Wind wieder von vorne kommt..."
Ja, so eine Radtour ist auch Arbeit, und bei der Arbeit muss man sich die Kräfte gut einteilen! Schließlich wollen drei Bundesländer bewältigt werden bis zum pommerschen Haff - und zwei Flüsse. Einer verlässt uns jetzt: in Ratzdorf nimmt die Oder das Wasser der Neiße auf und fließt allein weiter, und wir mit ihr - Richtung Norden:
Cornelia Blenn, vom Landkreis Uckermark:
"Hier ist der Reiz, entlang der Oder zu fahren auf den Deichen. Man hat das Wasser zur einen Seite und zur anderen Seite das weite, offene Land, aber eben auch geprägt durch diese Endmoränenlandschaft, dieses hügelige."
In unserem Fall hatten wir das Wasser nicht nur "zur Seite", sondern auch von oben. Das ist gut, denn die Uckermark braucht Wasser, viel Wasser für die Korn- und Rübenfelder! Nur wir brauchten es eigentlich nicht. Nun, Regen kann den Wanderer überall treffen in einer so offenen Landschaft trifft er den Radwanderer aber besonders ungeschützt. Da ist es schon gut, wenn Cornelia Blenn vom Landkreis Uckemark noch einmal die Vorzüge der Gegend erläutert:
"Besondere Highlights sind die Kranichwochen, da versammeln sich 10 000 Kraniche die sich auf den Heimflug vorbereiten, die treffen sich auf den Wiesen und führen ihre Tänze auf."
Im Regen tanzen Kraniche aber nicht gerne und so radeln wir weiter unverdrossen durch die Uckermark, über freie Felder den freien Elementen ausgesetzt.
"Der Abschnitt durch die Uckermark, das sind so 60 Kilometer, das heißt in Stolpe trifft der Oder-Neiße-Radweg in die Uckermark. Und hinter Schönfeld verlässt der Radweg die Uckermark und man radelt in Vorpommern weiter.”"
Doch wir sind vorher noch mit Burkhard Fleischmann, dem Bürgermeister von Gartz an der Oder verabredet. Von ihm wollen wir wissen, warum so viele Brücken nur noch als traurige Fragmente in der Oder stehen, zersprengt oder zur Hälfte weggerissen, wie ein stummes Mahnmal:
""Leider wurde die Brücke Ende des Zweiten Weltkriegs von den deutschen Truppen gesprengt, die sowjetischen Truppen kamen hier rüber."
Seitdem heißen die Städte auf der einen Seite der Oder Küstrin auf der anderen Kostrzyn, auf der deutschen Seite Frankfurt und jenseits des Flusses Stubice. In Frankfurt/Oder wurde die Brücke nach Polen wieder aufgebaut, in kleineren Städten hat sich der Wiederaufbau nicht gelohnt. Doch auch wenn sie der Landschaft eine melancholische Note geben, gibt es auch vergnügliche Erinnerungen an die Jugend, an dem Fluss, ohne Brücke:
Burkhardt Fleischmann Bürgermeister von Gartz/Oder:
"Ich hab als kleiner Junge hier an der Oder gewohnt und auch in ihr gebadet. Und drüben waren ja polnische Grenzer, und hier deutsche Grenzer und wir sind als Jungs immer rüber geschwommen, denn wir haben uns aus der Grenze nichts gemacht, und drüben sind wir von den polnischen Grenzern empfangen worden: Sehr nett, die haben uns zu essen gegeben, bewirtet und uns dann wieder zurück geschickt ohne irgendwas."
Nach dem Fall des eisernen Vorhangs blieb der Kontakt ebenso herzlich und wurde zudem noch unkomplizierter. Inzwischen gibt es viele Städtepartnerschaften und Freundschaften beidseits der Neiße und Oder. Deshalb ist auch gleich noch der Bürgermeister von der anderen Seite des Flusses vorbeigekommen, um die Radfahrer vom anderen Ende der Republik gebührend zu begrüßen. Das sie ja jetzt ein Katzensprung freut sich Eugeniusz Kuduk
"Früher war die Grenze hier richtig dicht, von 1945 bis 1980, jetzt können wir jederzeit völlig unkompliziert die Grenze passieren!"
Davon macht nicht nur der Bürgermeister Gebrauch:
"Mein Nachbar zum Beispiel, der fährt oft mit dem Fahrrad nach Deutschland nutzt diese Gelegenheit, weil auf der deutschen Seite sind viele Fahrradwege, das ist wirklich eine Freude, eine infrastrukturelle Freude!"
Für die Radfahrer kann sich der polnische Bürgermeister und seine kleine Begrüßungskommission begeistern.
"Kommen sie aus?"
"Heute Hohenwutzen."
"Und immer Stück für Stück? Gute Idee. Er wär gerne mit dem Rad mitgefahren."
Doch er muss weiter mit dem Auto und wir lassen unsere Kleidung noch schnell am Ufer der Oder trocknen. Im gelben Licht der Sonne sieht auch die kaputte Brücke nicht mehr so melancholisch, sondern vielmehr malerisch aus. Alles eine Frage der Perspektive und des Lichts! Plötzlich ist auch das Ufer wieder bevölkert, der Bürgermeister erkennt hier jeden schon an der Watthose oder an der Angel:
Burkhardt Fleischmann: "Das ist unser Trainer, unser Fußballtrainer!"
"Ach der Fußballtrainer, der fischt auch klar, was fischt man hier?"
"Ach Zander, Karpfen, Plötze ... Welz, der wird manchmal zwei bis drei Meter lang und wenn sie da einen rausziehen, das ist immer ein großes Highlight."
"Sind die Fanggründe immer noch genauso gut wie früher?"
"Ja, die sind meiner Ansicht sogar noch besser! Weil die Oder sauberer geworden ist, die war ja zu DDR-Zeiten immer schmutziger geworden, weil auch noch die Abwasser von polnischer Seite kamen."
Burkhard Fleischmann hat zwar in Dresden studiert und in Berlin gelebt doch irgendwie zog es ihn immer zurück in diese Gegend, was liebt er an seinem Städtchen am Fluss am Ende von Deutschland?
Fleischmann:
"Na alles, das ganze Flair, der Nationalpark die Natur, das ist unersetzbar und im Sommer sehr schön und das habe ich nirgends anders gefunden und dann sag ich: Ich bleib hier!"
Wir nicht, wir müssen noch weiter Richtung Meer Aber wir kommen bestimmt wieder, wenn die Kraniche tanzen und der Zander springt.
Radfahren auf dem Deich, auf ebener Flur, was liegt da näher, als auf Holländer zu treffen, obwohl der Radweg wahrlich nicht nah an der niederländischen Grenze liegt, sondern direkt an der polnischen:
"Is de Fietzpaat von Polen na Pommeren, oder?"
Genau, das ist der Fietzpaad -der Radweg - nach Pommern. Es ist der Radweg entlang der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder und der Neiße und es ist auch ein Weg, der Grenzen überwinden soll, sprachlich wie räumlich. Rund 630 Kilometer führt er uns von der Quelle der Neiße bis zur Ostsee, genügend Zeit für ein bisschen Völkerverständigung am Wegesrand:
"Wir kommen aus Holland, wir sind in Heinewalde und wir sind heute nach Marienthal gekommen, um die Kirche zu besichtigen und das Kloster auch, .....so ist auch schön!"
Ja, das ist schön und macht den Reiz dieser Route aus: es gibt immer wieder einen Grund abzusteigen, denn der Weg geht durch historisch bedeutende Städte wie Zittau und Görlitz, durch alte Dörfer, führt vorbei an verlassenen Gutshöfen und prächtigen Klosteranlagen, wie das Kloster St. Marienthal. Das Konvent wurde schon im Jahr 1234 von Königin Kunigunde gestiftet, bis heute leben hier die Nonnen nach den Regeln des Heiligen Benedikt.
Die Anlage schmiegt sich malerisch in die hügelige Neißelandschaft und strahlt in böhmischen Barock mit seiner rotweißen Fassaden. Die Nonnen haben keine Zeit für uns, einige sind zum Gebet verabredet:
Die anderen müssen Schnaps brennen und wer wollte sie bei dieser heiligen Handlung stören? Wir kriegen aber schnell noch einen selbstgebackenen Bienenstich auf die Hand und fertig ist das Radlerglück. Der Weg führt uns durch den historischen Klostergarten, indem alte Damaszenerrosen so verführerisch duften, dass man sich fragen könnte, ob das noch anständig ist? Doch genug geschaut, gerochen und geschlendert; unser Etappenziel ist Görlitz. und bis dahin sind es noch rund 25 Kilometer. 25 Kilometer durch eine zauberhafte Fluss- und Auenlandschaften, mitten durch bewaldetet Naturschutzgebiete, weiter durch sonnendurchflutete offene Fluren und immer wieder durch alte Alleen. Jeder Windstoß bläst uns die Blütenblätter und den Duft der Apfelbäume um die Nase und wir fragen uns: warum wir dieses Naturparadies eigentlich für uns allein haben? Eine Frage, die wir uns aber gar nicht so allein stellen, wie sich kurz darauf bei einer Rast herausstellt:
"Was uns gefallen hat: Es war wenig Betrieb, wir sind ja vom Mittelrhein, wenn sie hier fahren bei schönstem Wetter, da sehen sie keine Menschenseele und fahren sie bei uns mal Sonntags auf dem Radweg am Rhein entlang!"
Einsamkeit auf dem Deich, große Weite über dem Fluss und wo sind die andern? Sind alle über die Neiße gefahren und setzten ihren Weg auf der anderen Seite des Flusses fort. Die Frage geht an Cornelia Blenn von der Tourismus-Marketing GmbH Uckermark:
"Der Kontakt zu Polen ist verstärkt worden, es gibt ja auch die Möglichkeit über die Grenze in Polen weiter zu radeln."
Ah, da sind sie also alle hin, vielleicht auch unserer Rastbekanntschaft von eben? Frau Piroth haben sie die Grenze von der polnischen Seite her erradelt?
"Ne, wir haben in Polen schlechte Erfahrungen gemacht mit den Radwegen, schlecht ausgeschildert und wir sind dann völlig vom Weg ab durch ein Gebiet zugewachsen mit Gras, das war richtig gefährlich."
Nun, so kommen wir nicht weiter! Tatsächlich ist der Radweg trotz des guten Wetters angenehm leer, nicht einmal an den wenigen Schleusen kommt es zum Stau. In Polen, so scheint es, ist aber auch nicht mehr los, weder bei unseren Abstechern noch in den Erzählungen der Mitfahrer. Dann freuen wir uns also einfach an den stillen Wegen, und wer nur richtig hinschaut, den Blick gen Himmel richtet, der merkt: so einsam, wie man meinte ist es gar nicht:
Der Fischadler ist in Westdeutschland ein seltener Gast, er steht auf der roten Liste. Hier, tief im Osten, in den Flussauen der Neiße, ist er noch zu Hause. Und das wohl auch, weil die Landschaft wenig zersiedelt ist und zum Teil unter Naturschutz steht. Zumindest zu Beginn der Tour werden die stillen Naturbetrachtungen aber noch unterbrochen von historischen Städten wie Zittau oder Görlitz. In Görlitz lohnt es sich länger auch zu bleiben, Helma Krambowski, stolze Bürgerin, erklärt warum:
"Schaun's hier ist es sooo schön, hier wurd ja nix zerstört auch nicht im zweiten Weltkrieg, und als DDR war, war kein Geld, um hier was einzureißen, wo haben sie das sonst? So viele schöne alte Häuser? Und dann der Fluss und die Mühle."
Und tatsächlich preist jeder Stadtführer die Stadt an der Neiße als historisches Kleinod. Zu recht: die Altstadt ist ein komplett erhaltenes denkmalgeschütztes Ensemble - ganze Straßenzüge mit Arkaden, Pilastern und Skulpturen geschmückt - mittelalterliche Bürgerhäuser Seite an Seite mit Kirchen, Klöstern und Markthallen. Sechs Jahrhunderte Baukunst bezeugen noch heute den vergangenen Reichtum der Stadt, liebevoll restauriert und konserviert für kommende Generationen, wenn sie denn kommen beziehungsweise bleiben:
"Ja, Arbeit ist hier wenig ne? Der letzte große Betrieb hat ja kurz nach der Wende zugemacht. Die sind ja alle abgehauen!"
Wir wären gerne noch geblieben, doch das Meer ruft von weiter Ferne und so wird aufgesattelt und kräftig in die Pedale getreten. Auch wenn das Meer noch weit ist und der Deich eben, scheint uns doch ständig eine steife Brise von der Ostsee entgegen zu schlagen. "Gefühlter Meerwind" 370 Kilometer von der Ostsee entfernt. Nun, für die nächste Rast brauchen wir eigentlich auch keine Ausrede, denn Kunst und Kultur zwingen uns gewissermaßen vom Rad: Wir sind in Bad Muskau, stellen den Drahtesel an das Schloss und erlaufen uns die Landschaft, die idealisierte Landschaft: Willkommen im Fürst-Pückler Park! Dieser Landschaftspark ist das Lebenswerk von Hermann Fürst von Pückler-Muskau, dreißig Jahre: von 1815-45 plante, pflanzte und baute er an seinem englischen Garten. Der Landschaftsarchitekt Wolfgang Müller hat das Wort zu Fürst und Park:
"Er hat hier wunderbar das Neißetal integriert - mit Schwarzpappeln Rotbuchen, also heimischen Gehölzen, hat er vornehmlich gearbeitet, und exotische Gehölze nur im unmittelbaren Schlossbereich, und hier unmittelbar am Schloss sind Blumengärten darüber der Park und dann die Bezüge in die freie Landschaft, hat er sicher auch aus England mitgebracht."
Was hier in der Beschreibung des Experten etwas theoretisch daherkommt, ist tatsächlich ein prächtiger Landschaftspark: Alte weit ausladende Buchen bilden den Blickfang auf sattgrünen Wiesen, die sich bis zum Wasser erstrecken, zwischen Seen und Rabatten schlängeln sich Wege durch die inszenierte Landschaft und dem Spaziergänger eröffnen sich immer neue Blickachsen auf kleine Tempel, malerische Baumgruppen oder die Neiße:
"Sie sehen, dass hier mitten durch den Park die Neiße fließt und sich der Park folglich in den östlichen und westlichen Teil gliedert, der westliche ist mit gut 200 ha deutlich kleiner als der östliche Teil. Der östliche Teil ist seit 1945 polnisch, die Grenze ist entlang der Neiße gezogen worden, der Kernbereich befindet sich im westlichen Teil zwischen Bad Muskau und der Neiße."
Und in diesem Kernbereich lässt es sich vorzüglich Picknicken, in einem lichten Buchenhain mit Blick auf das Schloss, auf der kleinen Steinbrücke neben Bachgeriesel und einer frischen Briese Frühlingsblumen oder neben den aufwendig arrangierten Staudenbeeten in violett und gelb oder neben den Pomeranzen, die die Schlosszufahrt schmücken oder, oder.... doch bei all dem Müßiggang soll die Geschichte nicht zu kurz kommen: denn schließlich ist ein englischer Park nicht nur eine idealisierte Landschaft, sondern auch ein Spiegel seiner Zeit und auch der Zeit, die über ihn hinweg ging:
"Der Vormarsch der Russen auf Berlin ging einmal durch das Oderbruch und einmal etwas südlich von Bad Muskau. Und in dem Zusammenhang sind alle Brücken hier im Park gesprengt worden auch die drüben, die Postbrücke, die heute der Grenzübergang ist."
Die Neuerrichtung der Brücke im Jahr 2004 ist auch ein symbolischer Brückenschlag zwischen Polen und Deutschland und die gesamte Parkanlage wurde danach geadelt mit dem Titel UNESCO-Welterbe. Doch der Park ist nicht nur ein Blickfang am äußersten Rande von Deutschland, ein Muss für alle Liebhaber der hohen Gartenkunst, er bietet auch genug Raum für den natürlichen Bestand:
"Durch den alten Baumbestand hat der Park auch einen hohen Wert für den Naturschutz, es gibt jede Menge Eulenarten, Schwarz- und Buntspechte, auf der Neiße leben seltenen Entenarten."
Noch einmal schwenkt der Blick über Schloss See und Wiese dann folgen auch wir weiter dem Lauf der Neiße. Der Radweg führt uns durch eine einsame Feld- und Wiesenlandschaft. Die Birken strahlen im zarten Grün und wiegen sich im Frühlingswind -ganze Alleen geben uns das Geleit. Das ist die Landschaft von der auch Marion Gräfin Dönhoff schwärmte oder Siegfried Lenz auch wenn die eine Ostpreußen meinte und der andere Masuren, doch in der Niederlausitz irgendwo vor Guben ist der Himmel ebenso hoch, der Blick weit und das Licht wie von einer anderen Welt.
Aus einer anderen Welt kommen auch sie: Die Kraniche sind zurück von ihren Winterquartieren in Afrika. Auch wir nehmen Quartier und treffen in der einzigen Wirtschaft des Dorfs auch wieder auf Menschen: Tatsächlich kommen uns die noch irgendwie bekannt vor, hier in diesem Fischhaus am Fluss, indem es wenig zu Essen gibt und schon gar keinen Fisch!
"Wo hab ich Sie denn getroffen das erste Mal? Görlitz?"
"Vorher schon mal in Zittau? Morgens glaub ich an der Franziskaner Kirche?"
"Oder in Ostritz. Nein, in dem Klostergarten, da hab ich sie das erste mal gesehen.”"
""In Mariental!"
Ja, und da merkt der Radfahrer dann doch, dass schon einige Klöster, Städte und Kirchen hinter ihm liegen. Vor uns liegt aber auch noch einiges. Vor allem Strecke! Die Dichte der Dörfer und Städte nimmt ab, die Landschaft liegt sanft geschwungen hinterm Lenker und wer die Nacht nicht im Freien verbringen möchte, sollte sein Etappenziel schon am morgen sorgsam planen:
""Britta? Bis Küstrin sind 22 Kilometer von Küstrin nach Chemnitz sind 42, bis nach Hohenwutzen sind 73 Kilometer"
"Wollen wir nicht noch einen Umweg machen über die Schinkel-Kirche?"
"Wollen wir uns das antun? Wegen einer Kirche noch einen Umweg? Das sind noch mal sechs Kilometer?"
"Dann wären wir schon bei 80 Kilometern, und wenn der Wind wieder von vorne kommt..."
Ja, so eine Radtour ist auch Arbeit, und bei der Arbeit muss man sich die Kräfte gut einteilen! Schließlich wollen drei Bundesländer bewältigt werden bis zum pommerschen Haff - und zwei Flüsse. Einer verlässt uns jetzt: in Ratzdorf nimmt die Oder das Wasser der Neiße auf und fließt allein weiter, und wir mit ihr - Richtung Norden:
Cornelia Blenn, vom Landkreis Uckermark:
"Hier ist der Reiz, entlang der Oder zu fahren auf den Deichen. Man hat das Wasser zur einen Seite und zur anderen Seite das weite, offene Land, aber eben auch geprägt durch diese Endmoränenlandschaft, dieses hügelige."
In unserem Fall hatten wir das Wasser nicht nur "zur Seite", sondern auch von oben. Das ist gut, denn die Uckermark braucht Wasser, viel Wasser für die Korn- und Rübenfelder! Nur wir brauchten es eigentlich nicht. Nun, Regen kann den Wanderer überall treffen in einer so offenen Landschaft trifft er den Radwanderer aber besonders ungeschützt. Da ist es schon gut, wenn Cornelia Blenn vom Landkreis Uckemark noch einmal die Vorzüge der Gegend erläutert:
"Besondere Highlights sind die Kranichwochen, da versammeln sich 10 000 Kraniche die sich auf den Heimflug vorbereiten, die treffen sich auf den Wiesen und führen ihre Tänze auf."
Im Regen tanzen Kraniche aber nicht gerne und so radeln wir weiter unverdrossen durch die Uckermark, über freie Felder den freien Elementen ausgesetzt.
"Der Abschnitt durch die Uckermark, das sind so 60 Kilometer, das heißt in Stolpe trifft der Oder-Neiße-Radweg in die Uckermark. Und hinter Schönfeld verlässt der Radweg die Uckermark und man radelt in Vorpommern weiter.”"
Doch wir sind vorher noch mit Burkhard Fleischmann, dem Bürgermeister von Gartz an der Oder verabredet. Von ihm wollen wir wissen, warum so viele Brücken nur noch als traurige Fragmente in der Oder stehen, zersprengt oder zur Hälfte weggerissen, wie ein stummes Mahnmal:
""Leider wurde die Brücke Ende des Zweiten Weltkriegs von den deutschen Truppen gesprengt, die sowjetischen Truppen kamen hier rüber."
Seitdem heißen die Städte auf der einen Seite der Oder Küstrin auf der anderen Kostrzyn, auf der deutschen Seite Frankfurt und jenseits des Flusses Stubice. In Frankfurt/Oder wurde die Brücke nach Polen wieder aufgebaut, in kleineren Städten hat sich der Wiederaufbau nicht gelohnt. Doch auch wenn sie der Landschaft eine melancholische Note geben, gibt es auch vergnügliche Erinnerungen an die Jugend, an dem Fluss, ohne Brücke:
Burkhardt Fleischmann Bürgermeister von Gartz/Oder:
"Ich hab als kleiner Junge hier an der Oder gewohnt und auch in ihr gebadet. Und drüben waren ja polnische Grenzer, und hier deutsche Grenzer und wir sind als Jungs immer rüber geschwommen, denn wir haben uns aus der Grenze nichts gemacht, und drüben sind wir von den polnischen Grenzern empfangen worden: Sehr nett, die haben uns zu essen gegeben, bewirtet und uns dann wieder zurück geschickt ohne irgendwas."
Nach dem Fall des eisernen Vorhangs blieb der Kontakt ebenso herzlich und wurde zudem noch unkomplizierter. Inzwischen gibt es viele Städtepartnerschaften und Freundschaften beidseits der Neiße und Oder. Deshalb ist auch gleich noch der Bürgermeister von der anderen Seite des Flusses vorbeigekommen, um die Radfahrer vom anderen Ende der Republik gebührend zu begrüßen. Das sie ja jetzt ein Katzensprung freut sich Eugeniusz Kuduk
"Früher war die Grenze hier richtig dicht, von 1945 bis 1980, jetzt können wir jederzeit völlig unkompliziert die Grenze passieren!"
Davon macht nicht nur der Bürgermeister Gebrauch:
"Mein Nachbar zum Beispiel, der fährt oft mit dem Fahrrad nach Deutschland nutzt diese Gelegenheit, weil auf der deutschen Seite sind viele Fahrradwege, das ist wirklich eine Freude, eine infrastrukturelle Freude!"
Für die Radfahrer kann sich der polnische Bürgermeister und seine kleine Begrüßungskommission begeistern.
"Kommen sie aus?"
"Heute Hohenwutzen."
"Und immer Stück für Stück? Gute Idee. Er wär gerne mit dem Rad mitgefahren."
Doch er muss weiter mit dem Auto und wir lassen unsere Kleidung noch schnell am Ufer der Oder trocknen. Im gelben Licht der Sonne sieht auch die kaputte Brücke nicht mehr so melancholisch, sondern vielmehr malerisch aus. Alles eine Frage der Perspektive und des Lichts! Plötzlich ist auch das Ufer wieder bevölkert, der Bürgermeister erkennt hier jeden schon an der Watthose oder an der Angel:
Burkhardt Fleischmann: "Das ist unser Trainer, unser Fußballtrainer!"
"Ach der Fußballtrainer, der fischt auch klar, was fischt man hier?"
"Ach Zander, Karpfen, Plötze ... Welz, der wird manchmal zwei bis drei Meter lang und wenn sie da einen rausziehen, das ist immer ein großes Highlight."
"Sind die Fanggründe immer noch genauso gut wie früher?"
"Ja, die sind meiner Ansicht sogar noch besser! Weil die Oder sauberer geworden ist, die war ja zu DDR-Zeiten immer schmutziger geworden, weil auch noch die Abwasser von polnischer Seite kamen."
Burkhard Fleischmann hat zwar in Dresden studiert und in Berlin gelebt doch irgendwie zog es ihn immer zurück in diese Gegend, was liebt er an seinem Städtchen am Fluss am Ende von Deutschland?
Fleischmann:
"Na alles, das ganze Flair, der Nationalpark die Natur, das ist unersetzbar und im Sommer sehr schön und das habe ich nirgends anders gefunden und dann sag ich: Ich bleib hier!"
Wir nicht, wir müssen noch weiter Richtung Meer Aber wir kommen bestimmt wieder, wenn die Kraniche tanzen und der Zander springt.