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Immer an der Panke lang

Früher könnten die Berliner Kinder in der Panke schwimmen. Das Wasser des Flusses wurde zum Brauen von Bier genutzt. Heute ist die Panke, die von Bernau nach Berlin fließt, ein unscheinbares Flüsschen. Trotzdem gibt es auf einer Stadttour an ihrem Ufer so einiges zu entdecken.

Von Regina Kusch | 18.10.2009
    Gehen Sie nur durchs Königstor hinaus, geradezu zur Waschspüle. Und danach gehen Sie in die Wiesen, die dahinter liegen. Wenn es unter den Füßen nass wird, haben Sie es gefunden.

    Mit dieser Wegbeschreibung machte sich vor 55 Jahren der Berliner Autor Richard Lemke auf nach Bernau, nördlich von Berlin, um dem Verlauf der Panke von der Quelle bis zur Mündung zu folgen. Herausgekommen ist sein Büchlein "Liebe kleine Panke", das heute noch nützlich ist, um die Ufer dieses Flusses zu erkunden. Denn es ist gar nicht so einfach, die Quelle zu finden.

    Es wollte nicht nass werden unterwärts. Ich machte unverrichteter Sache kehrt und fuhr entmutigt nach Haus. Der nächste Tag sah mich wieder in Bernau. Ich folgte einem ausgetrockneten Graben, der wohl ein Bachbett sein konnte. So gelangte ich schließlich an den Bahndamm der Stettiner Bahn, wo der ausgetrocknete Graben sein Ende fand. Hier musste die Panke entspringen. Ein Knabe fragte, was ich hier zu suchen hätte. Die Pankequelle, antwortete ich gehorsam. Da käme ich ja gerade her, meinte er und wies auf den ausgetrockneten Graben, dem ich abwärts bis hierher gefolgt war. "Die ist aber nicht mehr da. Vor etwa 20 Jahren wurde sie zugeschüttet. Aber es gibt noch einen zweiten Quellfluss."

    Wer eine sprudelnde Quelle sucht, wird enttäuscht sein. Es gibt nur viele feuchte Wiesen. Das Wasser wird in einem künstlichen Teich gesammelt, der Teufelspfuhl heißt. Hier ist die offizielle Quelle und hier beginnt der 27 Kilometer lange Pankeweg, der durch Berlins Nordosten führt, bis zur Mündung in die Spree. 1251 wird der Fluss zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Panke oder Pankowe ist ein slawisches Wort und heißt "Fluss mit Strudeln". Das kann man sich heute kaum vorstellen, denn die Panke ist kaum breiter als zwei Meter und über weite Strecken an den Ufern eingefasst.

    Immer wieder haben Menschen den natürlichen Verlauf der Panke geändert. Im Mittelalter leiteten die Bernauer das Wasser in Wallgräben, mit denen sie ihre Stadt verteidigten und aus denen sie Fische und ihr Trinkwasser bezogen. Weil im Pankesumpf der Hopfen besonders gut gedieh, war Bernau bald eine berühmte Bierstadt geworden. Das berüchtigte männerbezwingende Bernauer Schwarzbier wurde aus Pankewasser gebraut und jedes Mal wurde vorher schriftlich verkündet:

    Leute gebt acht, dass keiner in die Panke macht! Denn morgen wird gebraut!

    Bis ins 17. Jahrhundert hielt Bernau seine Monopolstellung als Stadt der Brauhäuser. Doch dann kamen neue Biere auf. Die Biersuppe wurde von neuen Genussmitteln abgelöst wie Kaffee, Tee, Kakao und Schnaps. Die Hopfengärten wichen dem Gemüseanbau und die von Friedrich dem Großen großflächig angebaute Kartoffel verdrängte den Bierbrei.

    "Brandenburg ist immer ein menschenarmes Land gewesen und Friedrich der Große hat dagegen angehen wollen. Und zwar hat er dann so ganz gezielt Menschen angeworben, die dort siedeln sollten, an der Panke. Die haben dann eben Häuser bekommen, Grundstücke an der Panke, direkt deswegen, weil er Gärtner haben wollte. Leute, die wirklich Gemüse angebaut haben und dieses Gemüse dann auch verkauft haben für die große Stadt Berlin, die sich schon selbst nicht mehr ernähren konnte. Und Pankewasser war da lebenswichtig."

    Die Kunsthistorikerin Gerhild Komander bietet seit Jahren Panke-Spaziergänge und -Radtouren an, auf denen es Geschichte und Geschichten en masse zu hören gibt. Es sind nicht nur Anwohner, die mehr über das Stadtbächlein vor ihrer Tür wissen wollen, die sich diesen Wanderungen anschließen.

    "Die Stadtführung, die ich an der Panke mache, die zieht Leute aus ganz Berlin an. So viele Flüsse hat Berlin ja auch nicht. Es gab noch diese kleine Bäke, aus der großenteils der Teltow-Kanal wurde. Aber die hat nie so eine Rolle gespielt, wie die Panke."

    Der Bezirk Pankow zum Beispiel verdankt dem Flüsschen seinen Namen. Hier weiß Gerhild Komander viele Geschichten zu erzählen. Im Schlosspark kam Friedrich der Große mit dem Schiff angefahren, wenn er seine Frau in ihrem Sommersitz besuchte. Dafür hatte er extra einen Graben ausgehoben, um seine Schlösser in Charlottenburg und Schönhausen zu verbinden. Das königliche Boot wurde von Pferden auf Treidelpfaden gezogen. Die werden heute von Joggern bevölkert. In den Villen rund um den Schlosspark, in denen zu DDR-Zeiten viele Mitglieder des Politbüros wohnten, sind heute gut verdienende Familien mit Kindern eingezogen. Im Café Rosengarten im benachbarten Bürgerpark plauschen junge Mütter bei Rüblitorte und Bionade. Pankow ist gediegen bürgerlich geworden. Das war früher ganz anders, kann man bei Richard Lemke nachlesen.

    Es war einer der beliebtesten Ausflugsorte für den Berliner, und besonders sonntags zogen sie scharenweise dort hinaus. Damals wurde noch das Pankower Fliegenfest gefeiert, das erst um die Wende zum 20. Jahrhundert in Vergessenheit geriet. Es war das Fest der Raschmacher, wie die Tuchmacher auch hießen, und wurde mit großartigem Festzug begonnen, an dessen Spitze die viel bewunderten Fahnenschwinger gingen. Sie warfen die Fahnen in die Luft, um sie dann wieder aufzufangen und man bringt die Bezeichnung Fliegenfest damit in Beziehung.

    Gefeiert wurde viel an der Panke. Auch im Nachbarstadtteil von Pankow, im Wedding. Fast 250 Jahre ist es her, heißt es in der Stadtchronik, dass der Hofapotheker Friedrichs des II. hier eine Bade- und Heilanstalt gegründet hat. In diesen eisenhaltigen Heilquellen labte sich auch Königin Luise und adelte die Anlage mit dem Namen "Luisenbad". "Plumpe" nannte der Volksmund die Quelle. Im 19. Jahrhundert gab es über 40 Amüsierlokale rund um den Gesundbrunnen. Aber letztendlich mochten viele Gäste ihre Erholung nicht mehr am Ufer der Panke suchen, weiß Gerhild Komander.

    "Weil sämtliche Abfälle da reingeworfen wurden. Ein ganz großes Problem war, dass sich im oberen Teil Gerber angesiedelt haben. Und die haben ihre sämtlichen Wässer da reingeleitet. Auf Chemikalien hat ja im 19. Jahrhundert kein Mensch geachtet. Das roch schon sehr stark und das andere ist ja, dass mit Tierexkrementen gegerbt wurde, die Kinder im Wedding sammelten also den Hundekot von den Straßen und brachten das dort hin. Und die Panke stank irgendwann zum Himmel."

    Das Wasser macht den Eindruck einer in höchster Fäulnis befindlichen Jauche. Die dichten verfilzten Schlammassen sind zum größten Theile animalischen Ursprungs.

    So heißt es im Gutachten eines gerichtlichen Chemikers von 1885. Und die Berliner Schnauze reimte über die Stinke-Panke:

    Wo die Panke mit Gestanke durch den Wedding rinnt,
    da halten sich die Nasen zu, Mann und Frau und Kind.


    Schließlich wurden die Gerbereien geschlossen. Und das Wasser wurde wieder sauber, zumindest eine Zeit lang, erinnert sich Doris Krönig, die ihre Kindheit im Wedding verbrachte. Es gab sogar eine Badeanstalt.

    "Mein Onkel, Jahrgang 1912, hat in der Panke schwimmen gelernt in Pankow. Meine Mutter, die hier geboren ist, die haben als Kinder noch hier in der sauberen Panke gebadet, was heute nicht mehr möglich ist. Die Panke war natürlich früher nicht so eingeengt, sie war nicht eingemauert wie heute."

    Doris Krönig ist Vorsitzende der "Kleingartenkolonie Panke" und schon ihre Mutter hat hier Kartoffeln, Erdbeeren und Tomaten angebaut.

    "Ich bin ein Kind der Kolonie, wenn man es so nehmen will. Meine Familie hat seit 1927 die Parzelle, die ich heute noch habe. 30 Grundstücke liegen direkt an der Panke und die haben natürlich einen Reiz."

    Wer hätte nicht gern das Flair eines Wassergrundstücks? Fast alle Parzellen sind liebevoll gepflegt. Manche haben Holzhäuser, je nach Geschmack mit und ohne Hirschgeweih. Andere bevorzugen Bauerngärten und nicht wenige Lauben erinnern an geschrumpfte Eigenheime aus der Vorstadt. Die Kolonie Panke ist ein sicherer Spielplatz für Kinder aus der Innenstadt. Das war sie auch schon für Doris Krönig, aber ganz anders.

    "Meine erste Erinnerung an diesen Garten ist die, dass 1946, als wir nach Berlin zurückkamen, alles in Trümmern lag und der Garten unverändert war. Am Festplatzweg, da wo die alte Eiche steht, dort war so eine Tanzfläche, auf der wir dann alle mit blauen Kleidern aus Krepppapier getanzt haben und zwar die Donauwellen. Das ist meine älteste Erinnerung daran, wie ich mich hier in der Gartenkolonie als Kind bewegt habe."

    "Meine Herren! Achtung Foto! Vorsicht mein Hut! Jetzt saufen wir die Panke leer!"

    Diese Herren sind am Pankeufer aus einem Auto gestiegen und passen so gar nicht ins Weddinger Ambiente. Die tragen große Hüte mit Federn, Stiefel, weiße Handschuhe, Manschetten, Schwert und einen Brandenburger Adler auf das Wams gestickt. Es handelt sich hier aber nicht um einen Faschingsumzug, sondern um die Pankgrafen, erklärt Hans-Dieter Heinze, der zweite stellvertretende Hochmeister dieser ritterlichen Vereinigung, die vor knapp 130 Jahren an einem Stammtisch an der Panke ins Leben gerufen wurde.

    "Man hat gesagt, die Panke ist der Urstrom allen Lebens. Und wenn man bei Sonnenschein schräg runterguckt, sieht man die Farben ganz genau: Schwarz, Grün, Grau, Blau. So schimmert die Panke. Und so hat man dann die Farben Schwarz, Grün, Grau, Blau erkoren als die Farben der Pankgrafschaft bis auf den heutigen Tag."

    Die Pankgrafen sind Mannsbilder mit Tradition. Mehrere Straßen in Berlin sind nach ihnen benannt. Sei fast 130 Jahren fahren sie durch die Lande und treffen sich mit Gleichgesinnten in anderen Städten zu Ritterspielen. Wer verliert, muss die Vereinskasse öffnen. Bisher haben die Pankgrafen immer gewonnen. Nach der Schlacht wird kräftig Bier getrunken. Trotzdem haben sie Nachwuchssorgen und deshalb macht Hans-Dieter Heinze Werbung in eigener Sache auf dem Sommerfest der Kolonie Panke.

    "Vasallenstädte der Pankgrafen finden Sie in ganz Deutschland. Ob es Prenzlau ist, Schwerin, Rüdesheim, München, Soest und so weiter. Was haben die Pankgrafen denn mit ihrer Beute gemacht? Die Pankgrafen haben drei Ideale: Das eine Ideal ist das Wohltun, das zweite die Freundschaft und das dritte das Vaterland. Und wenn wir eine Fehde gewonnen haben, dann haben wir das Wohltun in den Vordergrund gestellt - à la Robin Hood? - Ja. Und haben dann Gnade vor Recht ergehen lassen und haben meistens noch Geld für soziale Zwecke obendrauf gegeben. Und das machen wir heute auch noch."

    Bisher haben sich allerdings noch nie junge Pankgrafen mit Migrationshintergrund gefunden. Dabei wären auch sie willkommen. Viele Einwanderer leben in zweiter oder dritter Generation im Wedding, die meisten haben längst einen deutschen Pass. Der damals "rote Wedding" ist heute ein "bunter" Bezirk geworden. Das spiegelt sich auch in der "Kolonie Panke" wieder. Dort gärtnern inzwischen zehn Nationalitäten, erzählt Doris Krönig. Als Vereinsvorsitzende hat sie einiges an Integrationsarbeit zu leisten, denn die vielen Feiern, die in der Kolonie stattfinden, führen längst nicht mehr alle zusammen.

    "Ich habe schon mal den ausländischen Mitbürgern geraten, wenn sie sich über die laute Feier des deutschen Nachbarn aufregten, dass sie doch mal mitfeiern sollten, das lehnen die empört ab. Empört! Andere, da haben wir so eine Familie aus dem Libanon, die haben allein ungefähr 40 Familienmitglieder. Und wenn da 40 Leute auftauchen auf so einer Parzelle von 250 Quadratmetern, dann ist das laut, ist es voll. Und wenn sie dann auch noch Grillen mit den Holzscheiten, dann gibt es mit den Nachbarn Ärger."

    Weil Deutsche und Nachbarn aus anderen Kulturen so selten ins Gespräch kommen, hat eine Gruppe arabischer Mädchen die Idee gehabt, Anwohnern und Touristen ihren Kiez mal ganz anders vorzustellen.

    "Hallöchen, mein Name ist Nada Hamade. Ich bin 19, ich mache eine Ausbildung als Fachverkäuferin. Und ich freue mich, dass ihr alle zahlreich erschienen seid."

    "Hallo mein Name ist Saphija Shehade und ich bin 18 und ich möchte euch ein bisschen was erzählen. Hier stehen wir jetzt an der Panke. Früher konnten die Berliner Kinder hier schwimmen, baden, tauchen und Fische fangen. Später starben die Fische aus und das Wasser wurde verdreckt. Das Schwimmen wurde verboten und die Fische starben aus. Ja und da ich hier wohne, sehe ich auch, wie die Leute immer diese Einkaufswagen von Aldi hier runterwerfen. Das habe ich öfters schon beobachtet."

    "Arab Girls on Tour" nennen Nada, Saphija und ihre Freundinnen ihren Spaziergang und zeigen ihren ganz persönlichen Blick auf das Ufer der Panke. Sie besuchen einen türkischen Konditor in seiner Backstube, besichtigen versteckte Künstlerateliers und Galerien in Hinterhöfen und weihen ihre Besucher in die Feinheiten der Graffiti-Szene ein.

    "Hier ist so eine schöne Graffiti-Zeichnung, MBW, heißt Moslem Boys Wedding. Die zeichnen das halt hier hin, weil das deren Gebiet ist. Und die zeichnen das hin, um zu sagen, hier sind wir. Ich wohne da oben, im zweiten Stock. Eigentlich war das hier alles bunt bemalt. Also die Balkone waren rosa, pink. Jeder wollte seine eigene Farbe haben. Aber da das nicht so besonders aussah, haben die das in einer Einheitsfarbe gemacht, sodass das nun weiß ist."

    "Sieht noch ganz neu aus."

    "Ja sieht neu ist, ist auch erst vom letzten Sommer."

    "Keine Graffitis."

    "Nein, keine. Noch nicht. Kommt bald. Dann ist die Ordnung wieder hergestellt. Hier muss ich auch sagen, in diesem Haus wohnen auch mehr Ausländer als Deutsche. Wir haben auch Araber als Nachbarn, unter uns sind Araber, über uns sind Türken. Ich bin Deutsche. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, genau hier. Wir können dann mal weitergehen."

    An der Chausseestraße endet die Tour der Arab Girls und der Grünstreifen an der Panke. Hier geht der Wedding über ins Regierungsviertel. Früher war hier ein Überlaufbecken, jetzt ist vom Fluss nichts mehr zu sehen, weil hier der Bundesnachrichtendienst sein neues Hauptquartier baut. Alles ist jetzt streng geheim. Hohe Sichtschutzwände versperren den Blick auf die Baustelle. So kann man unmöglich verfolgen, wie sich die Panke ihre letzten Kilometer bis zur Spree bahnt. Aber man kann sich ein weiteres Mal getrost auf die Recherchen verlassen, die Richard Lemke in seinem Büchlein "Liebe kleine Panke" aufgeschrieben hat.

    Geradeso, wie sie aus zwei Quellflüssen herkam, so beansprucht sie auch zwei Mündungsarme für sich. Menschenhände schufen den zweiten Mündungsarm, indem sie im Jahre 1830 den Schönhauser Graben anlegten, der die Hauptwassermenge dem Nordhafen zuführt, in den sich die Panke mit starkem Schwall ergießt. Die eigentliche, sozusagen die "Urpanke" ist nach dieser Spaltung ein recht unansehnliches, fast lächerlich armseliges Rinnsal geworden, das sich zwischen Fabrikgebäuden und Hinterhöfen verliert. Wenn der unterirdische Kanal sich wieder auftut, am rechten Spreeufer, gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße, schleicht ein schwarzes schmieriges Wässerlein durch die Öffnung der Kaimauer und verliert sich, von niemand beachtet und von kaum jemand gekannt, im Flussbett der größeren Schwester. "Schiffbauerdamm Nummer zwee fließt die Panke in die Spree", sagt der Berliner.
    Die Panke in Berlin.
    Meist begradigt fließt die Panke durch die Berliner Stadtteile Pankow und Wedding. (Regina Kusch)
    Die Pankengrafen - eine ritterliche Vereinigung mit 130-jähriger Tradition
    Die Pankengrafen - eine ritterliche Vereinigung mit 130-jähriger Tradition (Regina Kusch)