Archiv


Immer mehr Tote vor Lampedusa

Die Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa südlich von Sizilien sind hoffnungslos überfüllt. Deshalb war eine der ersten Amtshandlungen der neuen italienische Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Verschärfung der Maßnahmen gegen Einwanderer ohne Einreisepapiere. Unter anderem will die Regierung die Straftat der "illegale Einwanderung" einführen und diese mit bis zu vier Jahren Haft ahnden. Ein Konzept zur Integration gibt es nicht. Von Lampedusa berichtet Karl Hoffmann.

    In Lampedusa hat die Küstenwacht zur Zeit alle Hände voll zu tun. Schildert Commandante Achille Selleri

    "Soeben haben wir 40 Boat People gerettet, die auf einem Schlauchboot saßen. 27 Meilen vor Lampedusa haben wir sie entdeckt, die Rettung ist reibungslos geglückt."

    Nach einem Rückgang der Anlandungen in den ersten fünf Monaten des Jahres ist die Zahl der Boat People, im Seegebiet um Lampedusa gesichtet und gerettet worden sind, steil in die Höhe geschnellt. Besonders schlimm war der 14. Juni. Da kamen auf sieben verschiedenen Booten mehr als vierhundert Menschen in Lampedusa an. Das neue Aufnahmelager war trotz seiner Kapazität von 800 Plätzen überfüllt, weil auch in den Tagen zuvor mehr als 900 Menschen angekommen waren. So dramatisch wurde die Lage, dass die römische Regierung aktiv wurde. Anfang der Woche reiste Andrea Ronchi, der Minister für europäische Angelegenheiten, nach Lampedusa und bekräftige die neue harte Linie der römischen Regierung:

    "Während des jetzt beginnenden Halbjahrs unter französischem Vorsitz und gemeinsam mit den anderen europäischen Partnern wird Italien an einer neuen Einwanderungspolitik arbeiten. Ja zur Integration, aber null Toleranz gegenüber illegaler Einwanderung, um den italienischen Bürgern Sicherheit zu garantieren und um die ehrlichen Einwanderer zu integrieren, die in Italien arbeiten wollen."

    Zur gleichen Zeit war Regierungschef Silvio Berlusconi zu einem Blitzbesuch nach Libyen gereist um mit seinem libyschen Kollegen Muammar al Gaddafi wieder mal über das leidige Flüchtlingsproblem zu diskutieren. Und wieder einmal einigte man sich wieder auf den gemeinsamen guten Willen zur Zusammenarbeit. Italien ist Libyens wichtigster Außenhandelspartner und hat zwei wesentliche Interessen: Dass Öl und Gas noch auf Jahrzehnte hinaus üppig durch die Pipelines von Libyen nach Italien strömen, während der Immigrantenstrom möglichst bis zum Versiegen gedrosselt wird.

    Italien drängt darauf, endlich die längst vereinbarten gemeinsamen Patrouillen vor der libyschen Küste durchzuführen. Ob Gaddafi sich wirklich durchringen wird, diesen Wunsch zu erfüllen, ist fraglich. Öl- wie Menschenfluss lassen sich allzu leicht als wirksame politische Waffen einsetzen. Auch die gesamteuropäische Grenzsicherung mit dem Namen Frontex kann den Immigrantenfluss nicht aufhalten. Und nach Expertenmeinung verursachen die Patrouillen sogar ein Ansteigen der Todeszahlen. Die Schlepper setzen wegen der militärischen Überwachung immer kleinere Boote ein, die viel leichter sinken. Der vergangene Mai war besonders schlimm: 102 Tote von insgesamt 112 im gesamten Mittelmeerraum, allein auf der Hauptroute von Libyen nach Italien. Die jüngsten Opfer von insgesamt 2796, die in den letzten 15 Jahren hier ihr Leben verloren haben. Ein Überlebender schildert seine glückliche Rettung vor drei Wochen:

    "Unser Boot war überfüllt und dann fielen wir ins Wasser, zwei von uns konnten sich schwimmend retten, ein Fischerboot nahm weitere neun Personen auf. Elf von etwa 80 Menschen, die gerettet werden konnten, der Rest ist ertrunken."

    Das Drama ist inzwischen zum Normalfall geworden. Die Toten vor Lampedusa sind keine Schlagzeilen mehr wert. Dafür hat man ihnen jetzt auf einer einsamen Klippe am Südrand der Insel ein Monument errichtet: ein drei mal fünf Meter großer Terracotta-Block mit einer rechteckigen Öffnung, Ein symbolisches Tor für all jene, die die Überfahrt nicht überlebt haben. Erklärt Mimmo Palladino, der Schöpfer des Mauerwerks:

    "Es ist ein Würdigung, ein Gedenken an diese armen Menschen. Und hätte es einen besseren Platz finden können als an der äußersten Spitze der Insel, weit weg von den normalen öffentlichen Orten, wie der Piazza . Deshalb hab ich das Monument auf eine Klippe gesetzt, so nah wie möglich ans Wasser."