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Immer noch fließt radioaktives Wasser aus Fukushima ins Meer

Das radioaktiv belastete Wasser der Kernkraftruine Fukushima lässt sich um Radionuklide bereinigen, jedoch wird das Wasser weiterhin die Umwelt belasten. Denn der radioaktive Wasserstoff kann nicht aus dem kontaminierten Wasser herausgefiltert werden.

Von Dagmar Röhrlich |
    Georg Ehring: In Japan bekommt der Stromkonzern Tepco die Lage einfach nicht in den Griff. Die zerstörten Brennelemente müssen aufwendig gekühlt werden, immer wieder fließen große Mengen Wasser ins Meer. Und die Arbeiter, die die Probleme vor Ort lösen müssen, können auch keine Routine entwickeln: Wegen der Strahlenbelastung müssen sie immer wieder ausgetauscht werden, rund 20.000 bis 30.000 Menschen hat Tepco bereits durch die Anlage geschleust. Dagmar Röhrlich ist unsere Expertin für Atomenergie - wo liegt denn die größte Gefahrenquelle in Fukushima?

    Dagmar Röhrlich: Die ist wohl Block 4. Der befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls in Revision, sodass rund 1300 Brennelemente in dem bis zum letzten Platz gefüllten Lagerbecken stehen, und das befindet sich im oberen Teil der Anlage. Eine Explosion hat dieses Gebäude besonders stark beschädigt, sodass das Becken mit defekter Kühlung unter freiem Himmel lag - und außerdem hat diese Explosion die Struktur des Gebäudes stark in Mitleidenschaft gezogen. Die große Frage ist: was passiert, wenn das Wasserbecken durch ein neuerliches Beben leckschlägt oder Block 4 komplett einstürzt und die Brennelemente begräbt? Zwar sind die heute längst nicht mehr so heiß wie vor zweieinhalb Jahren, aber ausschließen lässt sich nicht, dass sie sich ungekühlt und von Trümmern bedeckt wieder auf 1000 Grad Celsius erhitzen. Dann beginnt die Legierung, aus der ihre Hülle besteht, zu brennen und Radionuklide werden wieder freigesetzt. Obwohl dann viel vom Wind abhängt, sind die Experten des Ökoinstituts Darmstadt der Ansicht, dass diese Freisetzungen wohl eher lokal oder regional zum Problem werden.

    Ehring: Immer wieder läuft Wasser ins Meer - kann man es nicht wenigstens reinigen und die Radioaktivität herausfiltern?

    Röhrlich: Die Reinigungsanlagen, die die Radionuklide aus dem Wasser holen, sind komplizierte und empfindliche Systeme. Ob die Anlage, die derzeit aufgebaut wird und die ein breites Spektrum an Radionukliden herausholen soll, wirklich gut funktioniert, sei dahingestellt. Und auch wenn dann das Gros der Belastung heraus ist, wird dieses Wasser die Umwelt belasten, denn das radioaktive Tritium etwa - also der radioaktive Wasserstoff - lässt sich nicht herausholen und Fische und Würmer haben keine Schutzanzüge. Zwar wird sich das dann schwächer, aber immer noch kontaminierte Wasser im Meer verteilen, aber zumindest lokal wird der Einfluss doch recht hoch sein.

    Ehring: Katastrophenszenarien - was kann im schlimmsten Fall noch passieren?

    Röhrlich: Neben Block 4 könnte ein starkes Beben auch die 1000 Lagerbehälter beschädigen, sodass sich eine Flut radioaktiven Wassers über die Anlage und ins Meer ergießt.
    Theoretisch ist auch eine erneute Kettenreaktion möglich - und zwar in den Blöcken 1 bis 3. Aber auch da gilt, dass das System heute viel kühler und damit weniger energiereich ist als 2011. In diesen geschmolzenen Massen könnte es jedoch Bereiche geben, in dem der Brennstoff so liegt, dass die Kettenreaktion wieder in Gang kommt. Die setzt dann erneut Radioaktivität frei und heizt das umgebende Wasser auf, das verdampft - und damit bricht die Kettenreaktion wieder zusammen. Es wäre mehr ein Auf und Ab. Wenn so etwas passiert, können Radionuklide erneut in die Umwelt gelangen, und zwar direkt, weil die Behälter nicht mehr intakt sind. Aber auch da längst nicht mehr so viel wie 2011 und die Folgen wären wohl lokaler bis regionaler Natur.

    Ehring: Wie soll es denn weitergehen?

    Röhrlich: Weil die Gefahr in Block 4 am höchsten ist, wird er auch als erstes angegangen. Einiges ist schon gemacht worden: So wird in dem Gebäude der Bereich unter dem Lagerbecken inzwischen mit einer Betonwand abgestützt. Im Sommer ist außerdem eine Metallhülle fertig geworden, deren Ventilations- und Filtersystemen verhindern sollen, dass belastete Luft nach außen gelangt. Seit ein paar Tagen ist der große Kran über dem Becken samt der Handlingsysteme fertig. Ab November oder Dezember sollen die Brennelemente unter Wasser in Lagerbehälter manövriert werden. Die gefüllten Behälter sollen dann zunächst in ein gemeinsames Brennelementlager auf dem Werksgelände gebracht werden und anschließend in ein Trockenlager. Das hört sich jetzt ganz einfach an. Inspektionen haben bislang gezeigt, dass die meisten Brennelemente anscheinend unversehrt sind. Aber es liegt sehr viel Staub und Schutt in dem Becken - und das wird die Arbeiten erschweren. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es beim Handling der Brennelemente zu Unfällen kommen kann - und auch dabei kann Radioaktivität freigesetzt werden.

    Wenn das Becken von Block 4 leer ist, sollen die anderen Lagerbecken eines nach dem anderen auch geleert werden. Denn auch die sind leckgeschlagen, auch wenn in ihnen weniger Brennelemente stehen als in Block 4 - und auch diese Gebäude sind (bis auf Block 2) durch die Explosionen arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Erst danach wird man sich nähere Gedanken über die Kernschmelze machen, die in den drei Havaristen liegt. Aber die dazu erforderlichen Arbeiten werden einige Jahrzehnte benötigen.