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Immer tiefer, immer breiter?

Die leicht gewinnbaren Ölvorräte werden immer knapper. Wenn die Menschheit sich nicht auf andere Energiequellen besinnt, müssen immer größere Tiefen angezapft werden - unter der Gefahr, dass sich die Ölpest im Golf von Mexiko wiederholt.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Katastrophe am Golf von Mexiko ist gewaltig. Angesichts der verölten Vögel tröstet es niemanden, dass der Blow out der Deepwater-Horizon der erste Unfall dieser Art mit einer Tiefseebohrung war. Die Ursachen sind offen:

    "Wann immer man sich eine durch Technik ausgelöste Katastrophe ansieht, sei es ein Blow out oder dass ein Spaceshuttle explodiert, es kommt immer eine ganze Reihe von unwahrscheinlichen Ereignissen zusammen. Jetzt müssen die Ingenieure eine Lösung finden, damit so etwas nicht mehr passieren kann, denn sonst hat die Tiefseeförderung im Golf von Mexiko keine Zukunft."

    Paul Bommer von der University of Texas in Austin. Die Zeit, in denen riesige Ölquellen an Land oder im flachen Wasser gefunden werden, ist vorbei. Um an das schwarze Gold zu kommen, sehen sich die Konzerne zunehmend in extremeren Gegenden der Erde um - nicht, weil es sie dorthin zieht, sondern weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, denn seit etwa fünf Jahren verharrt die globale Ölförderung bei rund 85 Millionen Barrel pro Tag - aller Bemühungen zum Trotz. Mit der Tiefsee schien sich den Konzernen ein kleines Schlaraffenland geöffnet zu haben. Alle paar Monate verkündeten sie die Entdeckung neuer Felder - und mit jedem erfolgreichen Projekt gingen die Firmen wagemutiger vor:

    "Die Bohrung, die die Deepwater Horizon dort abgeteuft hat, entspricht dem Stand der Technik. 1500 Meter Wassertiefe ist inzwischen keine technologische Herausforderung mehr. Die liegt bei 2000 oder 2500 Metern Wassertiefe, etwa wie das der Petrobras vor der Küste Brasiliens oder auch einigen Bohrungen im Golf von Mexiko in 2000, 2300 Metern Wassertiefe."

    Vor 20, 30 Jahren noch war die Ölförderung in der Tiefsee nicht vorstellbar gewesen: zu teuer und technologisch zu schwierig, erzählt Catalin Teodoriu vom Institut für Erdöl- und Erdgastechnik der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld. Dann begann der Ölpreis zu klettern - und Technologien wurden entwickelt, um ferngesteuert in großen Wassertiefen zu operieren:

    "Wobei man bei solchen Tiefen natürlich keine stationären Plattformen mehr errichten kann, sondern mehr mit schwimmenden Einheiten arbeitet, und bei der Förderung die Förderinstallation unmittelbar am Meeresgrund installiert."

    Hilmar Rempel von der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. In diese Tiefen vorzudringen, lohnt sich für die Unternehmen, wenn der Ölpreis höher als 70 Dollar liegt. Obwohl das Tiefseeöl einen ungeheuer hohen Einsatz an Ingenieurkunst erfordert, zählt es für die BGR doch zu den "konventionellen Quellen":

    "Nicht konventionelle Erdöle sind Erdöle, die einen erhöhten Aufwand erfordern, auch von Umweltbelastungen schwieriger zu gewinnen sind. Das sind einmal die Ölsande, die aus Kanada bekannt sind, dann die Schwerstöle aus Venezuela, natürlich auch Ölschiefer, die zum Beispiel aus Estland und anderen Gebieten bekannt sind."

    Die Umweltkosten dieser nicht-konventionellen Öle sind hoch: In Kanada fräst sich die Ölsandindustrie mit gewaltigen Tagebauen in die Landschaft, um aus der Erde "Teerklumpen" für ihre Raffinerien zu klauben. Ab Ölpreisen von 80 US-Dollar und mehr ist das ein Geschäft - und auf lange Sicht, mit prognostizierten Ölpreisen von 150 oder sogar 200 Dollar lohnt es sich für die Firmen auf jeden Fall. Aber zurück bleibt eine mit Giften getränkte Mondlandschaft, und die Renaturierung danach ist mehr ein Pflaster als eine Heilung.

    Und so runzeln Umweltschützer die Stirn, wenn sie von den anderen Träumen der Ölindustrie hören: Das Öl am Nordpol lockt:

    "Die Umwelt dort ist sehr, sehr empfindlich und ein Unfall hätte katastrophale Folgen. Und dann brauchen wir nur an die Titanic zu denken. Wenn Menschen, Maschinen und Eis zusammenkommen, siegt das Eis immer."

    Fatih Birol ist kein scharfer Kritiker der Erdölindustrie. Aber auch er, der Chefökonom der Internationalen Energieagentur, rät dringend dazu, Erdöl effizienter und sparsamer zu nutzen, und zwar aus Gründen der Energiessicherheit. Die wirklich großen Reserven liegen allesamt auf der Arabischen Halbinsel:

    "Abgesehen von der Anfälligkeit dieser Staaten wegen ihrer geopolitischen Lage ist es kein vertrauenerweckendes Szenario, wenn die künftige Versorgung von sechs Milliarden Menschen von einer Handvoll Länder abhängt. Und nicht nur beim Angebot, sondern auch auf der Nachfrageseite tauchen neue Kräfte auf wie China und Indien. Unsere Projektionen sagen, dass künftig 70 Prozent der globalen Ölnachfrage nur auf diese beiden Regionen entfallen wird."

    Diversifizieren, lautet das Rezept der Internationalen Energieagentur. Birol setzt zum Beispiel auf Elektroautos – betrieben mit Strom aus Atomkraft und erneuerbaren Energien.