"Wenn man Soziologie als eine Theorie des sozialen Handelns treibt, wie etwa Max Weber, so muss man vom Individuum, von der handelnden Person her denken. Dass es keine kollektiven Subjekte gibt, ist eine heute durchgesetzte Einsicht, die uns endgültig von aller soziologischen Theorie des 19. Jahrhunderts scheidet. Sie reichte bei uns allerdings bis 1945."
Mit dieser Randbemerkung gestand der Soziologe Helmut Schelsky 1968 in einem Radio-Vortrag ein, dass auch er selbst einmal "von kollektiven Subjekten her" gedacht hatte, etwa im Sinne der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft". Das war in den dreißiger Jahren gewesen, als der am 14. Oktober 1912 in Chemnitz geborene Sohn eines Zollbeamten zum Assistenten seines konservativen Lehrers, des Philosophen Arnold Gehlen aufrückte. Der Krieg - Schelsky war Kompanieführer an der Ostfront - unterbrach die akademische Karriere. Seine Kenntnisse als Soziologe aber konnte der kriegsgefangene Offizier bereits im Mai 1945 wieder nutzen, er baute mit einem Karteikartensystem den überaus erfolgreichen Suchdienst des Roten Kreuzes auf:
"Das Grundprinzip war ja, dass wir überall Suchkarten kriegen mussten. Eine wahrscheinlich praktisch sozial vernünftige Aufgabe, die ich einmal erfüllt hab."
Seine erste Professur erhielt Schelsky 1948 an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg, wo er die sozialen Beziehungen in Industriebetrieben untersuchte, zusammen mit seinen Studenten, darunter die späteren Gewerkschaftsführer Heinz Kluncker und Heinz Oskar Vetter. Die Ergebnisse dieser Analysen bildeten 1957 die Grundlage für ein Buch, dessen Titel zum Schlagwort wurde – "die skeptische Generation". Bei einer durch den Krieg desillusionierten Jugend erkannte Schelsky Verhaltensmuster wie "angepasst, wirklichkeitsnah, zugriffsbereit, erfolgssicher". Das war eine nüchterne Diagnose, auch wenn der vom Verlag gewählte Titel spektakuläre und spekulative Thesen erwarten ließ:
"Immerhin habe ich dann die erste wirklich große Sozialforschung geleitet, nämlich über Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eigentlich die Grundforschung, denn es ist ja nicht so, dass die "skeptische Generation" - der Titel ist bekanntgeworden - ein rein theoretisches Buch ist, sondern aufgrund der empirischen Arbeiten, die es damals gab, nicht nur meiner eigenen."
Auf dieser soliden Grundlage hätte Schelsky, der seit 1960 als Professor in Münster zugleich die renommierte und über Fachgrenzen hinaus einflussreiche Sozialforschungsstelle Dortmund leitete, zum geisteswissenschaftlichen Mittler werden können, nicht allein in der Soziologie, die sich in jenen Jahren aufzuspalten drohte in allzu akribische Datensammler und abgehobene, realitätsferne Denker. Die Chance dazu ergab sich, als der Soziologe zum Gründungsrektor einer der zahlreichen neuen Reformuniversitäten berufen wurde - sie sollte in Bielefeld angesiedelt werden. Gegen diese Standortentscheidung machten CDU-Kreise im benachbarten Paderborn mobil - und diffamierten Schelsky mit Verweis auf eine 1934 erschienene Broschüre als Altnazi.
Schelsky, der wenig erpicht war auf institutionelle Machtkämpfe, gab seinen Posten in Bielefeld auf, um sich, wie er es später einmal nannte, "neue Felder zu erobern", darunter die Rechts- und die Medizinsoziologie. Daneben aber verlegte sich der Sozialforscher zunehmend auf jene Art politischer Publizistik, die ihn fast schon zu einem Vorläufer heutiger Medienintellektueller stempelt. Seine rechtskonservativ gefärbte Philippika gegen die "Priesterherrschaft" der Achtundsechziger oder auch eine weniger von Fakten denn von ideologischen Animositäten geprägte Polemik gegen den utopischen Denker Ernst Bloch dürfen als Paradebeispiel gelten für eine Einsicht, die Helmut Schelsky selbst schon 1960 als Mahnung formuliert hatte:
"Hier kommt, eigentlich voraussehbar, der Zeitpunkt, wo der Gelehrte die Legitimation seiner Fachzuständigkeit einbüßt und das Mittel seiner Wirkung, die Publizität, ihn beherrscht. Er wird vom Gelehrten zum Publizisten, ohne dass er es selbst merkt."
Mit dieser Randbemerkung gestand der Soziologe Helmut Schelsky 1968 in einem Radio-Vortrag ein, dass auch er selbst einmal "von kollektiven Subjekten her" gedacht hatte, etwa im Sinne der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft". Das war in den dreißiger Jahren gewesen, als der am 14. Oktober 1912 in Chemnitz geborene Sohn eines Zollbeamten zum Assistenten seines konservativen Lehrers, des Philosophen Arnold Gehlen aufrückte. Der Krieg - Schelsky war Kompanieführer an der Ostfront - unterbrach die akademische Karriere. Seine Kenntnisse als Soziologe aber konnte der kriegsgefangene Offizier bereits im Mai 1945 wieder nutzen, er baute mit einem Karteikartensystem den überaus erfolgreichen Suchdienst des Roten Kreuzes auf:
"Das Grundprinzip war ja, dass wir überall Suchkarten kriegen mussten. Eine wahrscheinlich praktisch sozial vernünftige Aufgabe, die ich einmal erfüllt hab."
Seine erste Professur erhielt Schelsky 1948 an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg, wo er die sozialen Beziehungen in Industriebetrieben untersuchte, zusammen mit seinen Studenten, darunter die späteren Gewerkschaftsführer Heinz Kluncker und Heinz Oskar Vetter. Die Ergebnisse dieser Analysen bildeten 1957 die Grundlage für ein Buch, dessen Titel zum Schlagwort wurde – "die skeptische Generation". Bei einer durch den Krieg desillusionierten Jugend erkannte Schelsky Verhaltensmuster wie "angepasst, wirklichkeitsnah, zugriffsbereit, erfolgssicher". Das war eine nüchterne Diagnose, auch wenn der vom Verlag gewählte Titel spektakuläre und spekulative Thesen erwarten ließ:
"Immerhin habe ich dann die erste wirklich große Sozialforschung geleitet, nämlich über Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eigentlich die Grundforschung, denn es ist ja nicht so, dass die "skeptische Generation" - der Titel ist bekanntgeworden - ein rein theoretisches Buch ist, sondern aufgrund der empirischen Arbeiten, die es damals gab, nicht nur meiner eigenen."
Auf dieser soliden Grundlage hätte Schelsky, der seit 1960 als Professor in Münster zugleich die renommierte und über Fachgrenzen hinaus einflussreiche Sozialforschungsstelle Dortmund leitete, zum geisteswissenschaftlichen Mittler werden können, nicht allein in der Soziologie, die sich in jenen Jahren aufzuspalten drohte in allzu akribische Datensammler und abgehobene, realitätsferne Denker. Die Chance dazu ergab sich, als der Soziologe zum Gründungsrektor einer der zahlreichen neuen Reformuniversitäten berufen wurde - sie sollte in Bielefeld angesiedelt werden. Gegen diese Standortentscheidung machten CDU-Kreise im benachbarten Paderborn mobil - und diffamierten Schelsky mit Verweis auf eine 1934 erschienene Broschüre als Altnazi.
Schelsky, der wenig erpicht war auf institutionelle Machtkämpfe, gab seinen Posten in Bielefeld auf, um sich, wie er es später einmal nannte, "neue Felder zu erobern", darunter die Rechts- und die Medizinsoziologie. Daneben aber verlegte sich der Sozialforscher zunehmend auf jene Art politischer Publizistik, die ihn fast schon zu einem Vorläufer heutiger Medienintellektueller stempelt. Seine rechtskonservativ gefärbte Philippika gegen die "Priesterherrschaft" der Achtundsechziger oder auch eine weniger von Fakten denn von ideologischen Animositäten geprägte Polemik gegen den utopischen Denker Ernst Bloch dürfen als Paradebeispiel gelten für eine Einsicht, die Helmut Schelsky selbst schon 1960 als Mahnung formuliert hatte:
"Hier kommt, eigentlich voraussehbar, der Zeitpunkt, wo der Gelehrte die Legitimation seiner Fachzuständigkeit einbüßt und das Mittel seiner Wirkung, die Publizität, ihn beherrscht. Er wird vom Gelehrten zum Publizisten, ohne dass er es selbst merkt."