Die Corona-Infektionen gehen leicht nach oben, die Impfungen nach unten. Wegen der Delta-Variante müssten sich mindestens 85 Prozent der 12-59-Jährigen immunisieren lassen. Bei den Älteren noch mehr, um eine ausgeprägte vierte Coronawelle im Herbst zu verhindern. Das schätzt das Robert Koch Institut.
Wie kann man diese Werte ohne eine Impfpflicht erreichen?
Drei Ansätze werden dabei zurzeit diskutiert:
1. Menschen gezielter informieren und überzeugen
2. Bußgelder für nicht wahrgenommene Impftermine oder Ausschluss von gesellschaftlichen Aktivitäten
3. Positive Anreize, zum Beispiel ein Museumsticket
1. Menschen gezielter informieren und überzeugen
2. Bußgelder für nicht wahrgenommene Impftermine oder Ausschluss von gesellschaftlichen Aktivitäten
3. Positive Anreize, zum Beispiel ein Museumsticket
Menschen sollten Geld bekommen, wenn sie sich impfen lassen, sagt Nora Szech, Professorin für Ökonomie am Karlsruher Institut für Technologie und Teil des Corona-Experten-Kreises der Helmholtz-Gemeinschaft. Sie hat vor kurzem eine Studie zu Anreizungen für Impfungen veröffentlicht.
Hohe Impfquote nur durch finanzielle Anreize
Im Dlf sagte Szech, systematische Studien hätten gezeigt, dass ein einfacher Zugang zu Impfungen helfe, die Impfquote zu steigern. "Wenn Sie aber in einen Bereich kommen müssen von 85 Prozent (...), dann ist das alleine zu wenig. Dann muss man den Menschen mehr anbieten."
Dabei müsse mit "Entschädigungen" gearbeitet werden, denn die Impfung sei in gewisser Weise ein Aufwand, so Szech. "Das Ifo-Institut schätzt den sozialen Wert der Impfung auf 1.500 Euro für die Gemeinschaft, das geht im Moment auch komplett an die Gemeinschaft. Die, die sich impfen lassen, kriegen davon zurzeit gar nichts ab. Das sollten wir ändern."
"Würde mittlerweile für 500 Euro plädieren"
Schon bei 100 Euro gehe die Impfbereitschaft Richtung 80 Prozent, so Szech. Mit der Delta-Variante reiche diese Quote aber noch nicht aus. "Deswegen würde ich mittlerweile für 500 Euro plädieren, denn dann kommen wir Richtung 90 Prozent in unseren Daten!". Damit kein Gefühl der Ungleichheit entstehe, müssten mögliche Zahlungen auch rückwirkend an alle bereits Geimpften ausgezahlt werden, so Szech.
Aus ökonomischer Sicht seien womöglich hohe Ausgaben für Impfanreize lohnenswert. "Ich denke, dass wir uns das Geld auf keinen Fall sparen dürfen, weil das eine Situation ist, die dynamisch ist.
Das Interview im Wortlaut:
Stephanie Rohde: Warum sagen Sie, Impfungen reichen nicht, die Menschen wollen Geld?
Nora Szech: Wir haben systematische Studien durchgeführt, und wir sehen ganz deutlich, dass ein einfacher Zugang zur Impfung durchaus hilft. Aber wenn Sie in einen Bereich kommen müssen wie 85 Prozent, was das RKI ja jetzt veranschlagt hat, dann ist das alleine zu wenig, dann muss man den Menschen mehr anbieten.
Rohde: Also Sie sagen, vorm Stadion beispielsweise zu impfen oder draußen vor einer Bar, das ist nett, aber das reicht noch nicht, um auf diese hohe Prozentzahl von 85 Prozent Geimpften zu kommen?
Szech: Ja, also das ist sicherlich sehr, sehr gut und wir sollten das machen, aber wir sollten unbedingt auch mit Entschädigungen arbeiten.
"Wir müssen diesen Aufwand entschädigen"
Rohde: Wieso sprechen Sie da von Entschädigungen?
Szech: Na ja, die Impfung ist ja schon ein Aufwand. Man braucht ja bei den meisten Impfstoffen sogar zwei Impfungen, und es kann ja durchaus sein, dass man sich dann mal ein oder zwei Abende davon auch schlapp fühlt, also, wir müssen diesen Aufwand entschädigen. Das ifo Institut schätzt den sozialen Wert der Impfung auf 1.500 Euro für die Gemeinschaft, das geht im Moment auch komplett an die Gemeinschaft – die, die sich impfen lassen, kriegen davon gar nichts ab bis jetzt, das sollten wir ändern.
Rohde: Und mit wie viel Geld?
Szech: Aus unseren Studien sehen wir, schon bei 100 Euro geht die Impfbereitschaft Richtung 80 Prozent. Lange dachten wir, das würde auch genügen, aber die Delta-Variante jetzt ist so ansteckend, dass wir ja höher kommen müssen mit der Impfquote, und deswegen würde ich mittlerweile für 500 Euro plädieren, denn dann kommen wir Richtung 90 Prozent in unseren Daten.
"Wir müssen schon alle, die sich haben impfen lassen, gleich behandeln"
Rohde: Wie können Sie das belegen, mit welchen Daten, sind die aus Deutschland?
Szech: Wir haben uns sehr systematisch Daten aus verschiedenen Ländern angeschaut. Wir haben in den USA sehr, sehr viel erhoben, wir haben aber auch europäische Daten, und wir können das abgleichen mit Umfragedaten – die gibt es ja nun auch aus Deutschland zum Glück zu Genüge –, und es ergeben sich eigentlich immer die gleichen Muster. Es gibt halt einmal Menschen, das sind auch recht viele, die wollen die Impfung unbedingt, und wir sehen das ja auch in Deutschland. Die rufen zehn Ärzte an, die fahren in andere Städte zu Impfzentren, um die Impfung zu bekommen.
Wir sind ja jetzt schon deutlich über 50 Prozent impfbereit, und das sind eigentlich fast alles Menschen, die die Impfung wirklich unbedingt haben wollten, um quasi jeden Preis. Aber dann gibt es eben noch eine zweite, und das ist auch eine große Gruppe, die sind impfbereit, aber die machen nicht tausend Handstände, um die Impfung zu bekommen. Für die müssen wir uns jetzt was einfallen lassen, und da ist eben der einfache Zugang wichtig, aber natürlich sollten wir den Aufwand auch entschädigen – auch rückwirkend an die, die den jetzt schon betrieben haben natürlich.
Rohde: Genau, das wäre auch eine meiner Fragen gewesen, Sie würden dann diese unfaire Situation ausgleichen, indem Sie sagen, rückwirkend bekommen alle, die sich haben impfen lassen, auch Geld dafür.
Szech: Unbedingt, sonst wäre das tatsächlich unfair, und es würde auch falsche Anreize setzen – nicht dass jemand noch denkt, ich warte jetzt noch mal einen Monat, weil ich bin impfbereit, aber so dringend ist es mir jetzt auch nicht, in der Hoffnung, dass es dann noch mehr gibt. Also wir müssen schon alle, die sich haben impfen lassen, auch gleichbehandeln.
"Sobald Sie dreistellig zahlen, steigt die Motivation sehr"
Rohde: Aber wie sieht das denn aus? Es gibt da ja durchaus auch Gegenmeinungen, zum Beispiel der Direktor des Max-Planck-Instituts, der sagt, wenn man für so eine Impfung bezahlt wird, wird das von manchen so wahrgenommen, als ob dafür ein Gesundheitsschaden kompensiert werden müsste. Sehen Sie diese Gefahr nicht?
Szech: Das ist mein Kollege Matthias Sutter, der diese Theorie einmal geäußert hatte, auch in einem gemeinsamen Austausch, aber es gibt dafür keine Belege in den Studien. Was sich in den Studien zeigt – das sehen wir auch –, ist, wenn Sie sehr, sehr wenig anbieten, also wenn Sie jemand 2,50 Euro in die Hand drücken würden, das kann entwertend empfunden werden.
Die Menschen haben natürlich nicht unbedingt diese 1.500 Euro Wert für die Gemeinschaft im Kopf, wenn sie sich impfen lassen, aber es ist schon jedem klar, dass sie einen großen Beitrag für die Gesellschaft machen. Das weiß man schon aus anderen Situationen, Spendensituationen und so: Wenn jemand sich sehr engagiert für ein großes gemeinsames Ziel und dann gebe ich jemandem dafür 10 Cent oder zwei Euro, dann kann sich das einfach abwertend anfühlen, also das darf man nicht machen. Aber wir sehen eben auch ganz klar in unseren Studien, sobald Sie 100 Euro oder mehr anbieten, also sobald Sie dreistellig zahlen, steigt die Motivation sehr, sehr gut und zuverlässig an.
Kompensationen wären ein Weg, die Impfquote zu erreichen
Rohde: Aber bezieht das auch diejenigen ein, die Zweifel haben an einer Impfung und sagen, diese Impfungen sind noch nicht mit Langzeitstudien belegt, wir wissen einfach nicht, was sie machen. Wenn da jetzt der Staat sagt, wir geben euch Geld, dass ihr euch impfen lasst, werden die nicht noch viel, viel skeptischer werden?
Szech: Das sehen wir in unseren Studien tatsächlich nicht. Diese Sorge ist unbegründet. Es gibt dafür keinerlei Hinweise. Es gibt Menschen, die skeptisch sind, aber es ist nicht so, dass sie skeptischer werden, wenn es eine Aufwandsentschädigung gibt.
Rohde: Wie sieht es denn aus für zukünftige Impfungen, also setzt man nicht das komplett falsche Signal, wenn man jetzt sagt, man bekommt Geld für diese Coronavirus-Impfung? Sagen da nicht die Leute im nächsten Jahr, für meine Grippeimpfung will ich auch schön 200 Euro haben?
Szech: Wir haben eine sehr ansteckende Krankheit, die Masern, wo es uns nicht gelungen ist, auf die nötige Impfquote zu kommen, und dann wurde vor einigen Jahren deswegen eine Impfpflicht eingeführt. Das machen viele Länder noch für viel mehr Impfungen, wir machen das aktuell nur für die Masern. Die Corona-Krankheit wird immer ansteckender, und man hört ja in immer mehr Ecken diese Überlegung, brauchen wir diese Impfpflicht als Ultima Ratio – Italien hat das jetzt schon eingeführt für einen Teil der Bevölkerung.
Ich glaube, dass wir hier in einer ganz besonderen Situation sind, weil wir eine Seuche haben, die sehr ansteckend ist, es gibt nicht viel Grundimmunität in der Bevölkerung, ich weiß nicht, wie sehr wir hiervon auf andere Situationen schließen können. Die Impfung ist auch relativ neu, vielleicht tut man sich da besonders schwer, über einen Impfzwang nachzudenken – fände ich auch nachvollziehbar, würde ich auch nur als Ultima Ratio in Betracht ziehen, aber es ist eine politische Entscheidung. Ich denke tatsächlich, wenn wir es anders schaffen, auf die notwendige Impfquote zu kommen, dann ist das vielleicht für unsere Gesellschaft die beste Lösung, und die Kompensationen wären ein Weg, das zu schaffen.
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Rohde: Ist das nicht auch eine Frage von Mentalitäten? In den USA hört man ja von allen möglichen Belohnungen – Lotterietickets bis hin zu Joints –, aus Griechenland hört man das auch, dass junge Menschen Geld bekommen für Reisen. Ist da die deutsche Mentalität nicht vielleicht ein bisschen anders, also moralisch gesprochen, es gibt so was wie eine Pflicht, sich impfen zu lassen, um sich und andere zu schützen, dafür muss man gar nicht bezahlt werden.
Szech: Ja, gut, aber es ist ja noch nicht jeder zur Impfung hingegangen. Insofern wird das alleine nicht reichen.
"Enttäuschend, dass wir bislang total unkreativ gewesen sind"
Rohde: Aber sehen Sie so Unterschiede in den Mentalitäten, also so zwischen den USA und Deutschland, dass vielleicht hier einfach Leute eine ganz andere Mentalität haben und das nicht funktionieren würde mit dem Bezahlen?
Szech: Nicht nur aus unseren Studien, auch aus diversen anderen Studien – mittlerweile haben ja auch viele andere auf Anreizwirkungen geschaut – zeichnet sich das überhaupt nicht ab, dass Deutschland da so speziell wäre. Es ist mehr enttäuschend, dass wir da bislang total unkreativ gewesen sind hierzulande, und ich glaube, der Grund ist, wir hatten ja eh keinen Impfstoff. Es fanden sich ja immer noch welche, die einen Riesenaufwand betrieben haben, um an die Impfung ranzukommen.
Wen wir natürlich völlig vergessen haben dabei, sind die bildungsferneren Menschen, die sind eben ganz oft bis jetzt leer ausgegangen, weil die sich diesen Aufwand nicht gemacht haben in vielen Fällen. Wenn wir jetzt anfangen, den Zugang einfacher zu gestalten und zu kompensieren, wenn sich jemand impfen lässt, dann werden wir eben auch von den Bildungsfernen sehr viele Menschen erreichen. Das zeigen unsere Studien sehr deutlich. Es wäre auch wichtig, weil Corona ja tendenziell die Ungleichheit noch verschärft hat und viele bildungsfernen Menschen auch besonders Corona-gefährdet sind. An sich müsste die Impfung ja gerade dort hin.
"Ich denke, dass wir uns das Geld auf keinen Fall sparen dürfen"
Rohde: Sie sind ja Ökonomin, wäre es nicht volkswirtschaftlich unsinnig, jetzt sehr vielen Leuten, die sich eh haben impfen lassen, noch im Nachhinein Geld zu geben und dann so viel Geld auszugeben dafür, dass Menschen sich impfen lassen. Also wenn man das einfach zusammenrechnet, ist das nicht viel zu viel?
Szech: Das ist in der Gesamtrechnung höchstwahrscheinlich trotzdem sehr lohnenswert, denn wir möchten ja keine falschen Anreize zum Warten setzen. Ich denke, dass wir uns das Geld auf keinen Fall sparen dürfen, weil das eine Situation ist, die dynamisch ist. Es geht ja weiter, und es wird eben eine dritte Impfung geben, das zeichnet sich ja ganz klar ab. Und es muss so sein, dass die Menschen darauf vertrauen können, dass sie dann, egal wann sie diese Impfung nehmen, dass sie dann gleichbehandelt werden. Nicht dass jemand dann denkt, ach, ich hätte die Impfung an sich ganz gerne, aber vielleicht gibt es ja in ein, zwei Monaten wieder Kompensationen, und wenn ich’s jetzt schon mache mit der Impfung, kriege ich nichts, und später kriege ich vielleicht 500 Euro – so darf das nicht laufen. Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass alle, die impfbereit sind und die Impfung nehmen, gleichbehandelt werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.