Vorab, der Fehler, den ich hier kritisiere, wurde erstens schon korrigiert und zweitens nicht von mir entdeckt, sondern von Max Roser, Forscher der Oxford-Universität.
Aber er ist ein hervorragendes Beispiel, für das, was immer noch im Argen liegt, wenn es um die Berichterstattung von Zahlen geht, wenn es um Berichterstattung zum Impfen geht und was passiert, wenn beides auf Überschriften-Journalismus trifft.
Es ging um folgende Headline, die online in etlichen Medien zu finden war: "Zahl der Impfdurchbrüche stark gestiegen".
Statistik trifft auf Journalismus
Dann liest man hoffentlich weiter im Text und erfährt: Die Zahl an Impfdurchbrüchen ist statistisch gestiegen, weil die Zahl an Geimpften gestiegen ist. Kein Scheitern, kein Versagen, sondern schlicht statistisch zu erwartende Korrelation. An und für sich nicht mal eine Meldung wert.
Schlagzeile ohne ausreichende Grundlage
Die Wirkung ist indes enorm - und enorm problematisch: Für Impfgegner ist die reine Headline natürlich reine Bestätigung, für Impfunentschlossene eine Entmutigung, sich impfen zu lassen.
Wenn uns die Pandemie medial eines vermittelt haben sollte, dann, wie wichtig eine qualitative Einordnung von Zahlen ist. Im abstrakten Raum arithmetischer Größen und absoluter Werte sagen die Ziffern für uns erstmal nichts aus.
Wir brauchen Vergleichswerte, Kontext, einen Sinnzusammenhang, der erklärt, was ein Anstieg oder ein Abfall bedeutet - wenn es denn überhaupt eine publizistische Relevanz hat.
Falsche Vergleiche und unpräzise Interpretationen
Und das ist nicht nur ein Problem in der deutschen Impf-Berichterstattung. Ein Tweet der New York Times lautete: "Die Delta-Variante ist so ansteckend wie Windpocken und kann von geimpften Menschen genauso leicht übertragen werden wie von ungeimpften, so ein interner CDC-Bericht".
Ben Wakana, ein Kommunikationsmitarbeiter des Coronavirus-Reaktionsteams des Weißen Hauses, twitterte in Großbuchstaben zurück: "Geimpfte Menschen übertragen das Virus nicht in demselben Maße wie ungeimpfte Menschen. Wenn Sie diesen Zusammenhang nicht berücksichtigen, machen Sie es falsch."
Wenn Wissenschaft und Medien aufeinandertreffen
Warum tun sich sogar etablierte Medien schwer bei der journalistischen Einordnung? In der Berichterstattung rund um Covid und die Impfung treffen drei Formen von Kommunikation aufeinander: die reichweitenorientierte der Medien, die auch ökonomisch motiviert ist; die zahlenorientierte Kommunikation der Wissenschaftsvermittlung; und die warnende, welche über Risiken aufklären will und soll.
Letztere aber entspricht nicht der üblichen Medienlogik, die vor allem auf Fehler und Negatives blickt. Aus dieser Logik heraus, die zudem Reichweite bringt, ergibt es Sinn, Impfdurchbrüche als beängstigende neue Entwicklung abzubilden.
Doch schürt das Ängste, die unbegründet sind und widerspricht dem Auftrag der Aufklärung durch eine verantwortungsvolle Risikokommunikation.
Die von den Medien so geliebten negativen Abweichungen müssen in einen Kontext gesetzt werden, um besserer Krisenjournalismus zu sein. Im Jahr zwei von Corona sollte man das gelernt haben.