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Impfen - live und in Farbe?
Politische Impfszenierungen

Sollte sich Angela Merkel - so wie andere Politiker zuvor - live im Fernsehen impfen lassen? Samira El Ouassil sieht eine solche Inszenierung kritisch: Die politische Arbeit der Kanzlerin müsste auch ohne nackte Oberarme überzeugen.

Von Samira El Ouassil |
Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt ihre Maske ab
Soll sich Angela Merkel live im TV impfen lassen? Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, hat das in einem Gespräch mit der BBC vorgeschlagen (picture alliance/dpa/dpa-Pool | Michael Kappeler)
"Imfpvordrängelerin!" würden manche dann vielleicht schimpfen, ließe sich die Kanzlerin zur Primetime in den Arm piksen. Und ja, die Botschaft, die hängen bleiben könnte: Die politische Elite nutzt ihre Position aus. Jetzt wäre Angela Merkel allerdings nicht die erste Politikerin, die immunisiert würde, und vergleichbare Aktionen stießen bisher eher auf Akzeptanz, denn auf Missmut.
Es haben sich inzwischen schon so viele Politiker die Spritze geben lassen, dass es mittlerweile ein eigenes Foto-Genre gibt, eine regelrechte Impfszenierung: Zu sehen sind männliche Politiker, die sich möglichst männlich impfen lassen. Der französische Gesundheitsminister Olivier Veran sah mit seiner geöffneten Bluse und dem geflexten Oberarm aus wie in einer Davidoff-Werbung.
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis präsentiert uns seinen nackten Oberkörper inklusive bärigem Brusthaar und Kreuz. Und der englische Parlamentarier Johnny Mercer ließ sich bei seiner Impfung mit komplett nacktem Oberkörper fotografieren. Er sagte anschließend, seine Oberarmmuskeln seien zu groß gewesen, um den Hemdärmel darüber zu krempeln.

Überzeugender als jede Politikeransprache

Hier ist die Sache klar: Es geht darum, während einer Pandemie ein bisschen virile Stärke zu zeigen, buchstäblich die Brustmuskeln spielen lassen. Aber natürlich auch darum, mit gutem Vorbild voran zu gehen. Wäre Letzteres auch ein Grund für Angela Merkel, sich live im Fernsehen das Vakzin verabreichen zu lassen?
Bei der Pandemie-Bekämpfung gilt natürlich: Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto besser. Jede politische Kommunikation, die das Vertrauen in das Vakzin erhöht, müsste man also eigentlich gut finden. Man stelle sich die medienwirksamen Bilder vor: Die Kanzlerin mit Maske auf einem Patientenstuhl, der Blusenärmel mutig hochgerafft, ein Arzt, ein Stich, tat nicht weh.
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.
Der Moment würde geteilt, kommentiert, besprochen, aber vor allem würde er dem Impfprozess eine Überzeugungskraft geben, die eine Politikeransprache nicht zu leisten vermag: Er wäre performativer Beweis dafür, dass die Regierung an sich glaubt. Wenn sich eine der mächtigsten Frauen der Welt Astrazeneca spritzen lässt, können das Impfen und der Wirkstoff ja nicht so schlimm sein - schnell, wo kann ich mich registrieren lassen?

Der private Körper als inszenierter Beleg

Die unterstellte Idee hierbei ist allerdings, dass die Menschen durch etwas anderes als Argumente überzeugt werden müssten. Durch die einflussreiche Kraft der Bilder und körperliche Selbstoffenbarung soll Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Diese Demonstration ist aber ja nur deshalb notwendig, weil einige Bürgerinnen und Bürger enttäuscht von der Regierungsarbeit sind. Manche vertrauen dem Impfstoff nicht, andere zweifeln nach einem Jahr Krisenmanagement die Regierung an.
Der private Körper müsste hier also publikumswirksam als überkompensierender Beweis der Regierungskompetenz herhalten – als inszenierter Beleg dafür, dass die Politik während der Pandemie eben nicht versagt hat.

Die Spritze des Eisbergs

Es gab eine ähnliche Situation, als der damalige US-Präsident Barack Obama 2016 die Stadt Flint in Michigan besucht hat. Das Trinkwasser dort war bleiverseucht. Während er eine Rede hielt, hustete Obama mehrmals und bat um ein Glas Wasser. Dann trank er demonstrativ, um zu beweisen, dass keine Gefahr davon ausgeht. Etliche amerikanische Medien berichteten über diesen vermeintlich trivialen Moment. Der war effektiv – aber auch manipulativ.
Ich weiß nicht, ob wir Bürger diese Form von Vorkostung verlangen dürfen, um Zweifel aus dem Weg zu räumen. Und ich weiß nicht, ob Politiker diese Form von visueller Überredung praktizieren sollten.
Eigentlich müsste ihre politische Arbeit ohne nackte Oberarme überzeugen. Im Fernsehen Polit-Promis zu impfen, das wäre auf jeden Fall nur die Spritze des Eisbergs.