In knapp fünf Monaten sollen in Tokio die Olympischen- und Paralympischen Spiele stattfinden. Nach wie vor steht die Debatte im Raum, ob Athletinnen und Athleten, die zu den Spielen fahren, bevorzugt geimpft werden sollen.
"Wir haben aus guten Gründen ein System der Impfpriorisierung in Deutschland, was den Personen vorrangig Zugang zu einer Impfung verschafft, die ein sehr hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf haben", sagte der Medizinethiker Georg Marckmann im Dlf. Eine Studie habe zwar gezeigt, dass auch Sportler ein Risiko haben. "Aber das ist eben nicht so stark erhöht, dass man sie im Rahmen einer Priorisierung vorziehen sollte, sodass es eigentlich jetzt auf den ersten Blick ethisch nicht nachvollziehbar ist, wenn man aufgrund einer Sportveranstaltung bestimmte Personengruppen bevorzugt."
Andere Länder haben dagegen bereits angekündigt, ihre Sportler bevorzugt impfen zu wollen. Ein Argument ist häufig: Die Große der Gruppe sei überschaubar. Das sei ein Problem, so Marckmann. Denn es gebe auch Länder, die den Impfstoff für die Athletinnen und Athleten nicht finanzieren könnten, oder sie aus anderen Gründen nicht impfen könnten. "Und das führt natürlich zu einer Wettbewerbsverzerrung, die dem olympischen Gedanken widerspricht."
Keine Auswirkungen auf Impfstoff-Verfügbarkeit
Das Argument der Gruppengröße sieht Marckmann aber auch für Deutschland als zulässig an. "Wenn wir jetzt alle Athletinnen und Athleten für Olympia impfen würden, dann hätte das eine geringe Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Impfstoffs in Deutschland. Und aus dieser Perspektive wäre es dann tatsächlich gar nicht so problematisch."
Möglich sei laut Marckmann auch eine Bevorzugung von Sportlerinnen und Sportlern, wenn sie sich nicht mehr vor die vulnerablen Gruppen drängeln müssten. "Wenn wir jetzt sagen, wir haben es tatsächlich geschafft, bis zum Frühsommer alle Gruppen durchzuimpfen, die ein höheres Risiko haben und man würde dann etwas abweichen, um den relativ wenigen Athletinnen und Athleten den Zugang zu einer Impfung zu ermöglichen, dann wäre das weniger gravierend, als wenn wir tatsächlich noch große Lücken bei den Personen haben mit einem sehr hohen Risiko für einen schwerwiegenden oder tödlichen Verlauf von Covid-19."
Die Olympia-Teilnehmenden gerade wegen der Gefahr bei Ereignissen wie der Leichtathletik-Hallen-EM zu impfen, bei der sich trotz Hygienekonzept mindestens 50 Sportlerinnen und Sportler mit dem Coronavirus infiziert haben, sieht Marckmann nicht als zulässig an. Für eine solche Entscheidung bräuchte es stattdessen eine wissenschaftliche Studie. "Wenn dabei herauskommt, dass trotz der üblichen Hygiene- und Schutzvorkehrungen ein erhöhtes Infektionsrisiko entsteht, dann könnte man argumentieren, dass eben Sportlerinnen und Sportler auch zu einer Berufsgruppe gehören, die berufsbedingt ein erhöhtes Risiko hat. Und das würde dann wiederum eine Priorisierung rechtfertigen, aber dann nur im Vergleich zu anderen Berufsgruppen."
"Zu wenig weit fortgeschrittten mit Durchimpfung der Bevölkerung"
Marckmann selbst würde Athletinnen und Athleten unter den aktuellen Bedingungen nicht bevorzugt impfen. "Einfach weil wir noch zu wenig weit fortgeschritten sind in der Durchimpfung der Bevölkerung. Es ist auch noch nicht richtig abzusehen, wann das sein wird. Und ich würde das dann aber auch verbinden mit einer grundsätzlichen Überlegung, ob es denn unter den gegebenen Bedingungen überhaupt möglich ist, fair Olympische Spiele durchzuführen."
Aus der Sicht des Ethikers würde Marckmann sogar generell auf die Austragung der Olympischen Spiele verzichten. "Ich glaube, dass es unterschiedliche Voraussetzungen für Atheltinnen und Athleten gibt, die jetzt nicht mehr zu kompensieren sind. Und wenn man dann noch drüber legt, die aktuell doch sehr stark Fahrt aufnehmende dritte Welle in Deutschland und in vielen anderen Ländern, dann würde ich im Ergebnis tatsächlich doch sehr stark dazu tendieren, die Olympischen Sommerspiele nicht wie geplant durchzuführen."