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Lehren aus der Corona-Pandemie
Die Zukunft der Impfstoff-Entwicklung

Nicht einmal ein Jahr hat es gedauert, bis wirksame Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 verfügbar waren. Dieses Rekordtempo wurde möglich, weil Wissenschaft, Industrie und Zulassungsbehörden enger als je zuvor kooperierten. Der Ansatz ließe sich auch auf andere Krankheitserreger übertragen.

Von Volkart Wildermuth |
Mehrere Spritzen mit einem Corona-Impfstoff liegen in einer Schale.
Weniger als ein Jahr dauerte die Entwicklung und Zulassung wirksamer Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. (picture alliance/dpa)
Bis vor kurzem dauerte die Entwicklung eines Impfstoffs noch viele Jahre, wenn sie denn überhaupt zum Erfolg führte. Ein riskantes Geschäft für Forscher und Firmen geleichermaßen. Dann kam das neue Coronavirus SARS-CoV-2 und löste eine Pandemie aus – und alles ging viel schneller.

„Dass wir innerhalb von unter einem Jahr Impfstoffe gegen ein neues Virus haben, das hat sicherlich so eine kleine Revolution innerhalb der Impfstoff-Forschung bedeutet“, sagt Stephan Becker. Der Virologe hat an der Universität Marburg und beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung selbst an einem Corona-Impfstoff gearbeitet. Einem von über 150, die in klinischen Studien erprobt wurden und von denen weltweit inzwischen über zwanzig im Einsatz sind.

Mehrere Erfolgsfaktoren gaben den Ausschlag

Für den schnellen Erfolg gibt es vier Gründe. Erstens hatte sich bei der SARS-Epidemie 2002/2003 gezeigt, dass sich das stachelförmige Spike-Protein des Virus als Impfstoff eignete und wie es stabilisiert werden kann. Zweitens gab es mit der mRNA- und der Vektortechnologie, bereits Impfkonzepte, in die das neue Spike-Protein vom SARS-CoV-2 rasch eingefügt werden konnte. Drittens investierten Institute und Unternehmen viel Geld und Arbeitskraft in die Projekte. Und viertens gab es eine ungewöhnlich enge Kooperation mit den Zulassungsbehörden, sagt Klaus Cichutek, der Präsident des Bundesinstituts für Impfstoffe: „Das Paul-Ehrlich-Institut hat mit den einzelnen Firmen und Herstellern und Entwicklern sehr viele Gespräche geführt. Und das nennt sich wissenschaftliche Beratung sowohl im nationalen Bereich als auch im europäischen Bereich.“

Parallele Studien zur Optimierung der Abläufe

Durch den regen Austausch sei es möglich geworden, Studien, die normalerweise hintereinander ablaufen zu verschachteln, sagt Klaus Cichutek. Kompromisse bezüglich Sicherheit der Vakzine habe es dabei an keiner Stelle gegeben, betont Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller: „Die Beschleunigung war ja keine, bei der irgendwas übersprungen wurde. Es wurden alle Etappen durchlaufen, nur eben mit besonders hoher Geschwindigkeit.“

Die Daten wurden auch ständig mit den Zulassungsbehörden ausgetauscht.  Dieses sogenannte ‚Rolling Review‘-Verfahren, dass bei der Entwicklung und Zulassung von Corona-Impfstoffen erstmals zum Einsatz kam, lässt sich im Prinzip auch auf andere Erreger übertragen.

Innerhalb von 100 Tagen soll ein Impfstoff verfügbar sein

Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Liste der gefährlichsten Viren aufgestellt. Theoretisch könnte die Vorbereitung von Impfstoffen dagegen bereits jetzt beginnen. Weil Pharmaunternehmen solche Projekte nicht auf Verdacht vorfinanzieren können, wurde schon 2016 die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, kurz CEPI, gegründet. CEPI ist mit Abstand die größte globale Initiative zur Impfstoffentwicklung. Sie hat über eine Milliarde Dollar von Stiftungen und Regierungen erhalten und fördert damit wissenschaftliche Institute und Pharmaunternehmen, die Impfstoffe gegen Erreger mit Pandemie-Potenzial entwickeln, erklärt CEPI-Sprecher Richard Hatchett: “CEPI hat vorgeschlagen, dass die Welt in der Lage sein sollte, Impfstoffe gegen jegliche neue Bedrohung innerhalb von 100 Tage zu liefern.

Die Vorarbeiten müssten jetzt beginnen

Der Virologe Stephan Becker aus Marburg hält das für machbar. Allerdings müssten die Vorarbeiten schon jetzt beginnen, sagt er: „Man würde dann diese Impfstoff-Entwicklung durch die Tierexperimente und dann die frühen klinischen Phasen voranbringen, also Phase eins und Phase zwei. Und dann, wenn das erfolgreich abgeschlossen ist, entsprechend auch größere Mengen von Impfstoff produzieren. Und dieser Impfstoff wird dann eingefroren, eingelagert. Und in dem Moment, wo dann ein neuer Ausbruch mit einem von diesen Viren auftritt, würde man direkt in eine klinische Phase einsteigen und dann in dem Gebiet, wo der Ausbruch eben stattfindet, auch die Wirksamkeit dieses Impfstoffes überprüfen.“

Auch die Zulassung würde in einer nächsten Pandemie wieder sehr schnell gehen, so Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut: „Da haben wir jetzt Erfahrung gesammelt, was genau zu machen ist. Und die Frage der Beschleunigung durch uns, durch intensive Beratung, ist dann einfach eine Frage der entsprechenden Personalstärke bei der regulatorischen Arzneimittelbehörde.“

Bei aller Euphorie über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung sollte man aber auch realistisch bleiben. Selbst wenn ein Corona-Impfstoff bereits nach 100-Tagen verfügbar gewesen wäre: Er hätte die Pandemie nicht verhindert. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich weltweit schon über eine Million Menschen angesteckt. Aber ein früherer Start der Impfkampagne hätte die Folgen der Pandemie erheblich abmildern könnten. Vor allem, wenn er überall schnell verfügbar gewesen wäre.