Momentan sind in der EU drei Impfstoffe zugelassen - zuletzt wurde die Zulassung für das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca erteilt. Die deutsche Impfkommission empfiehlt allerdings, das Mittel nur Menschen bis 64 Jahren zu verabreichen. Dazu kommt: Es ruckelt gewaltig bei der Produktion der Impfstoffe und das Impftempo ist deutlich langsamer als erhofft. Die Pharmaunternehmen liefern weniger Impfstoff als erwartet und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ärgern sich besonders darüber, dass sie nicht wissen, wann wieviel kommt. An einem Krisengipfel zum Thema Impfen (01.02.2020) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nehmen auch Vertreter der Impfstoff-Hersteller und der EU-Kommission teil.
Andreas Neubert ist Chefentwickler des Biopharmakonzerns IDT Biologika aus Dessau in Sachsen-Anhalt – mit rund 1.400 Beschäftigten eine der großen internationalen Firmen der Biotechnologie-Branche und auch vorne mit dabei bei der Suche nach Corona-Impfstoffen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, die Qualität vom Impfstoffen leide, wenn nicht die richtigen Verfahren und die entsprechend stabilen Verfahren angewendet werden.
Stefan Heinlein: Impfchaos, Impfdebakel – so die Vokabeln im Vorfeld des heutigen Gipfels. Wir haben es gerade noch einmal gehört. Wie beurteilen Sie als Wissenschaftler, als Forscher an vorderster Front die aktuelle Tonlage in der Impfdebatte in Deutschland?
Andreas Neubert: Ich glaube, es ist ein Wunder, dass wir so schnell überhaupt einen Impfstoff bereit haben und dass diese Impfstoffe, die entwickelt wurden, auch funktioniert haben. Ich glaube, da sollte man sich wirklich dran erinnern, dass normalerweise so eine Entwicklung über zehn Jahre dauert. Aber die Entwicklung ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich die Produktion und in der Produktion ist es so, dass wir über biologische Prozesse reden, die durchaus sehr anspruchsvoll sind. Das sind keine chemischen Verfahren, wie ich normalerweise Arzneimittel herstelle, sondern das sind biologische Verfahren. Wir arbeiten dort auch mit lebenden Organismen, die leider in der Lage sind, sich auch an die verschiedenen Bedingungen sehr schnell anzupassen. Das heißt, dass die Qualität am Schluss dann unter Umständen leidet, wenn man nicht die richtigen Verfahren und die entsprechend stabilen Verfahren auch anwendet.
"Eine Lizenz allein reicht nicht"
Heinlein: Ist die Herstellung und Produktion eines Impfstoffes, Herr Neubert, offenbar ähnlich komplex und schwierig wie die Forschung und Entwicklung?
Neubert: Das ist es auf jeden Fall und das wird häufig vergessen. Ich meine, die MRNA-Impfstoffe, die spielen sicher eine andere Rolle, weil sie anders hergestellt werden, aber alle Impfstoffe, die nach herkömmlichen Verfahren in Zellkulturen, in Fermenteren hergestellt werden, die sind schon sehr komplex und die Anforderungen an die Entwicklung sind sehr groß und dauern auch sehr lange. Normalerweise dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffes ungefähr sieben, acht Jahre, und die Entwicklung eines Herstellprozesses dafür dauert vielleicht noch mal dieselbe Zeit, was man normalerweise ja parallel vorantreibt und dann am Schluss einen stabilen Prozess hat, mit dem man auch eine gleichmäßige Qualität des Produktes erwarten kann.
Heinlein: Wenn heute auf dem Impfgipfel die Ministerpräsidenten, die Kanzlerin und andere sagen, es muss schneller gehen mit der Produktion, dann kann das nicht funktionieren? Man kann eine Produktion von Impfstoffen aus Ihrer Sicht, aus Sicht von jemandem, der sich damit auskennt, nicht beliebig schnell hochfahren?
Neubert: Nein, das kann man nicht. Ich kenne diese ganzen Rufe, man soll doch Lizenzen verteilen, die Patente zurücktreiben. Ja, die Patente kann man sicher an der Stelle versuchen zu vergeben, ohne zusätzliche Gebühren, um das Ganze zu erschweren, aber eine Lizenz, um etwas herzustellen, allein reicht nicht. Ich muss dann wirklich dieses Verfahren mit dem kompletten Knowhow auch etablieren können, und dazu brauche ich auch die Kollegen, die die Entwicklung vorangetrieben haben. Die wissen, wie es geht. Mit diesem Verfahren bin ich dann in der Lage, die entsprechende Qualität auch zu fertigen.
"Biontech hat schon vieles richtig gemacht"
Heinlein: Wie kann es jetzt sein – das ist eine Nachricht des heutigen Morgens -, dass Biontech jetzt angekündigt hat, 75 Millionen Dosen zusätzlicher Impfdosen im zweiten Quartal bereitzustellen? Hat da der Druck der Politik vielleicht doch funktioniert?
Neubert: Ich glaube, Biontech hat schon vieles richtig gemacht. Sie haben unter anderem eine Herstellungsstätte in Marburg gekauft, die sie jetzt erweitern. Der Vorteil des MRNA-Verfahrens ist ja, dass das eh ein chemisches Verfahren ist, ein biotechnologisches Verfahren, wenn ich das mal so sagen darf, und das hat durchaus den Vorteil, dass ich es schneller etablieren kann und damit auch schneller die Qualität, die ich entsprechend brauche, fertigen kann. Das ist ein großer Vorteil im Vergleich zu den biotechnologischen Verfahren und hilft natürlich auch, diese Geschwindigkeit, die absolut unglaublich ist, so aufrecht zu erhalten.
Heinlein: Blicken wir auf die zweite Firma, die ist absolut in der Kritik - AstraZeneca. Können Sie nachvollziehen, dass hier die Manager sagen, wir haben Zusagen nach bestem Wissen gemacht, nach best effort wollen wir produzieren, können am Ende aber diese Zusagen nicht einhalten, weil offenbar alles doch schwieriger ist als erwartet?
Neubert: Ja, ich kann das absolut nachvollziehen, da diese Verfahren normalerweise am Anfang vielleicht im 200-Liter-Verfahren, also in relativ kleinen Pilotverfahren, entsprechend etabliert werden. Dann wird dieses Verfahren skaliert in 2.000 Litern zum Beispiel. In einem 2.000-Liter-Fermenter verhält sich dann eine Zelle ganz anders als im 200-Liter-Maßstab. Ich bekomme dann eine ganze Reihe von technischen, biologischen Problemen, die erst mal gelöst werden müssen. Sie sind lösbar, aber sie brauchen ihre Zeit.
"AstraZeneca möchte die Impfstoffe breit zur Verfügung stellen"
Heinlein: Die Schelte für diesen britisch-schwedischen Konzern, das Bild der Öffentlichkeit von AstraZeneca als chaotischer Konzern, als geldgieriger Konzern, der seine Zusagen nicht einhält, ist aus Ihrer Sicht nicht ganz richtig? Verstehe ich Sie da richtig?
Neubert: Ich denke, bei AstraZeneca trifft das absolut nicht zu. AstraZeneca hat ja sogar zu Preisen, die weit, weit unter den anderen Preisen liegen, angeboten und möchte auch diese Impfstoffe breit zur Verfügung stellen. Ich glaube, das ist durchaus löblich. Dass AstraZeneca jetzt Probleme hat, diese Produkte entsprechend in der Menge zu produzieren, ist wirklich nicht verwunderlich für mich. Dazu kommt noch, dass sie verschiedene Herstellungsstätten haben und natürlich aus jeder Herstellungsstätte dieselbe Qualität geliefert werden muss. Ich glaube, nichts wäre schlimmer, als wenn wir mit Impfstoffen geimpft werden würden, die dann nicht der Qualitätserwartung entsprechen. Das muss natürlich im Vordergrund stehen, denn die Impfung ist ohnehin schon unter Kritik, und wenn es dann dazu käme, dass wir Qualitätsprobleme haben, weil die Chargen nicht gleichartig sind, ich glaube, das wäre das nächste Desaster, was wir nicht eingehen sollten.
"Kapazitäten, die wir ausbauen könnten"
Heinlein: Würde es denn Sinn machen, Herr Neubert, wenn die Pharma- und Technologiebranche jetzt enger bei der Produktion zusammenarbeitet? Man wahrt die Qualitätsstandards, etwa bei Ihnen, bei IDT Biologika, und Sie sagen dann, okay, wir sind noch nicht ganz so weit wie Biontech und andere bei der Erforschung unseres Impfstoffes, wir stellen aber unsere Produktionsstätten ab sofort für das Produkt von Biontech oder AstraZeneca zur Verfügung. Das ist ja auch (zumindest Biontech) eine deutsche Firma.
Neubert: Ja, das macht auf jeden Fall Sinn, und dieses Angebot haben wir auch schon gemacht. Das heißt, wir haben zwar keine freien Kapazitäten, die wirklich frei sind, aber wir haben Kapazitäten, die wir ausbauen könnten. Ich glaube, die Partner, mit denen wir bisher schon gearbeitet haben, wissen das auch sehr gut. Sie wissen das auch zu schätzen. Aber wir wissen alle zusammen, wieviel Zeit das kostet, so einen Prozess woanders zu etablieren, und dass das durchaus eine sehr anstrengende und vielleicht auch nicht immer sofort erfolgreiche Arbeit ist.
Heinlein: Aber Geld spielt ja offenbar keine Rolle.
Neubert: Nein, Geld spielt an der Stelle sicher keine Rolle, weil ich denke, alle diese Bemühungen werden zurzeit sehr gut bezahlt. Das ist nicht der Hauptgrund. Die Zeit ist das, was uns fehlt. Für jeden Prozess, den ich etabliere, für jede Qualitätskontrolle, für jedes Verfahren, was ich etabliere, muss ich eine entsprechende Zeit einplanen. Wenn ich diese Zeit nicht habe, dann geht das einfach nicht, muss man so sagen.
"Das würde die nächste Versorgungslücke reißen"
Heinlein: In die Forschung und Entwicklung wurde ja viel Geld investiert, viele Fördergelder. Auch Ihre Firma hat über 110 Millionen Euro bekommen an Forschungsgeldern. Hätte die Politik mit ähnlich hohen Summen den Aufbau von Produktionsstätten bereits im Sommer oder noch früher fördern sollen? Sind hier die eigentlichen Versäumnisse?
Neubert: Das ist ein guter Punkt. Die Entwicklung von Produktionskapazitäten im Vorgriff für so einen Bedarf, das wäre sicher etwas gewesen, was uns allen zusammen geholfen hätte, schneller solche Prozesse zu etablieren, weil die Kapazitäten bei einem Hersteller sind ja nicht frei, sondern diese Kapazitäten werden natürlich genutzt für die Produkte, die auch jetzt im Markt schon sind. Man kann jetzt nicht einfach sagen, die im Markt befindlichen Produkte werden eingestellt und ich produziere nur noch Pandemie-Impfstoff. Das würde irgendwann die nächste Versorgungslücke reißen und das, ich glaube, wollen wir alle zusammen nicht.
Heinlein: Warum ist das nicht erfolgt? Warum hat man nicht darauf hingewiesen, liebe Ministerpräsidenten, lieber Bundesgesundheitsminister, wir müssen hier Produktionsstätten vorhalten?
Neubert: Ja, wir haben schon darauf hingewiesen und wir hatten auch Diskussionen dazu und wir sind durchaus auch auf offene Ohren gestoßen. Wir haben auch eine Planung vorgelegt, wie lange es dauern würde, und es dauert leider lange, wenn ich jetzt ein neues Gebäude baue – schon alleine Genehmigungsverfahren. Das kann man zwar alles abkürzen, aber alles braucht seine Zeit. Das heißt, das Gebäude zu bauen, die Technologie einzubringen, diese Technologie zum Laufen zu bringen, das sind natürlich alles Faktoren, die man nicht innerhalb von Monaten organisieren kann, sondern man braucht in der Regel da schon zwei, drei Jahre vielleicht, bis so was wirklich läuft und echt produziert. Diese Zeit haben wir zurzeit einfach nicht und insofern war der Fokus erst mal, die vorhandenen Kapazitäten und die vorhandenen Hersteller mit ihren Kapazitäten zu unterstützen, was auch richtig ist, glaube ich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.