Archiv

Impfung gegen Corona
STIKO-Vorsitzender Mertens: "Mehr Schnelligkeit kann es nicht geben"

Noch bis zum Jahresende benötigt die Ständige Impfkommission, um offizielle Empfehlungen zur Verteilung der Corona-Impfstoffe abzugeben. STIKO-Vorsitzender Thomas Mertens hat den Zeitplan verteidigt. Es müssten noch Daten zur Wirksamkeit des Stoffes abschließend geprüft werden, sagte er im Dlf.

Thomas Mertens im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), stellt das gemeinsame Positionspapier «Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden?» vor.
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission STIKO (dpa)
Thomas Mertens zufolge sollen die Gesundheitsbehörden der Länder voraussichtlich aber noch in dieser Woche über den Inhalt der offiziellen Empfehlung informiert werden. Dann könnten sie mit der Vorbereitung für die Impfungen beginnen. Ziel sei zunächst, Menschen mit hohem Risiko für schwere und tödliche Verläufe einer Infektion zu schützen. Ein epidemiologischer Effekt werde sich dagegen erst nach Monaten einstellen.
Bereits seit dem Frühjahr arbeitet die STIKO an dieser Empfehlung in Abstimmung mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina. Finalisiert werden kann diese Empfehlung, die an die Länder-Gesundheitsbehörden geht, aber erst jetzt, weil die Kommision erst vergangene Woche die Zulassungsdaten über den Impfstoff übermittelt bekommen hat, erklärte Thomas Mertens, der bis 2018 Ärztlicher Direktor am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Ulm war.
Impfzentrum mit Blick aus dem VIP-Bereich in das Fortuna-Stadion und Hinweisschild "Oberarm freimachen" zur Vorbereitung der Patienten zur bevorstehenden Corona-Impfung
Impfzentren: Wer wie und ab wann geimpft werden kann
Sobald ein Impfstoff gegen das Coronavirus in Europa zugelassen ist, sollen die ersten zentralen Impfungen in Deutschland beginnen. Dazu werden bundesweit Impfzentren eingerichtet. Wann geht es los? Reicht der Impfstoff?

Das Interview im Wortlaut:
Barenberg: Wer soll zuerst geimpft werden und wer später? Seit Juli, seit dem Sommer arbeiten Sie in der STIKO ja an Empfehlungen. Warum brauchen Sie noch bis Jahresende für einen konkreten Vorschlag, für einen präzisen Plan?
Mertens: Zum einen arbeiten wir schon länger an dieser Empfehlung. Eigentlich haben wir damit schon im April angefangen. Wir brauchen deshalb noch etwas länger, weil wir ja die Daten über die Zulassungsunterlagen des Impfstoffes, der jetzt zur Zulassung ansteht, auch erst in der vergangenen Woche bekommen haben, sogar in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche bekommen haben. Diese Daten sind natürlich für uns auch sehr wichtig.
Nichts desto trotz sind wir im Augenblick sehr schnell und hoffen eigentlich, einen Entwurf dieser Empfehlung bereits jetzt in dieser Woche in das sogenannte Stellungnahme-Verfahren zu geben. Das heißt, alle Länder-Gesundheitsbehörden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften werden den Entwurf der Empfehlung bekommen.
Nach welchen ethischen Kriterien der Zugang geregelt werden soll
Es muss eine Strategie entwickelt werden muss, wer zuerst geimpft werden soll. Der Deutsche Ethikrat hat sich mit diesem Problem auseinandergesetzt und Empfehlungen entwickelt. Ein Überblick.
"In dieser Woche werden alle Länder informiert sein"
Barenberg: Das klingt danach, als wenn es danach doch noch eine Weile dauern könnte, zumal es ja dann auch noch in eine Bundesverordnung gegossen werden muss, die Politik am Ende noch entscheiden muss. Können wir in eine Situation kommen, dass es einen Impfstoff gibt, aber noch keine Klarheit darüber, wer die wenigen Ressourcen, die es zunächst einmal gibt, dann bekommen soll?
Mertens: Nein! Denn in dieser Woche wie gesagt werden alle Länder informiert sein über den Inhalt auch der Empfehlung, und insofern ist die Kenntnis dessen, was seitens der STIKO empfohlen wird, dann ja verfügbar. Das ist das eine.
Das zweite ist: Es ist richtig, es müssen noch gewisse gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden. Aber das ist ja nun parallel zu der STIKO-Empfehlung.
Das dritte ist: Wir können ja keinen Impfstoff empfehlen, der formal gar nicht zugelassen ist. Also wird es so sein, dass die Veröffentlichung dieser Empfehlung, die aber jetzt in dieser Woche schon bekannt sein wird, gerade den Ländern, die wird ja erst erfolgen können, zeitgleich mit der Zulassung des Impfstoffes.
Barenberg: Darin sehen manche ja ein Problem, die jetzt schon mit den Vorbereitungen auf diese groß angelegten Impfverfahren beschäftigt sind, beispielsweise Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci. Die sagt, wie sollen wir denn arbeiten, wenn die Empfehlungen erst zum Start oder sogar noch erst danach kommen, man brauche dort einen Vorlauf, man muss Einladungen rausschicken, die Menschen informieren. Kann man so viel Geduld noch von ihr erwarten?
Mertens: Sie braucht nicht so viel Geduld. Wie gesagt: Sie wird jetzt in dieser Woche die Empfehlungen erhalten und dann hat sie eigentlich alle Informationen, die sie genau für diese Vorbereitung braucht. Das ist ja unabhängig von der formalen oder formellen Veröffentlichung der Empfehlung. Die Empfehlung wird jetzt sehr kurzfristig verfügbar sein für alle Länder-Gesundheitsbehörden, und insofern ist die Information dann gegeben.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Wir haben immer noch keine Zulassung"
Barenberg: Was wir bisher ja wissen – ich habe angesprochen, dass es im November schon eine grobe Orientierung gab, unter anderem von der STIKO, dass es einen Vorrang geben soll für Risikogruppen, ältere und krankheitlich vorbelastete Menschen, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen, und dann geht es noch um zentrale Bereich wie Polizei, Gesundheitsämter, Feuerwehr und so weiter. Der SPD-Gesundheitspolitiken Karl Lauterbach sagt, wir wissen schon heute, dass die Impfstoffe von BioNTech und von Moderna in allen Altersgruppen von Erwachsenen wirksam sind. Warum können wir nicht morgen anfangen?
Mertens: Wir haben immer noch keine Zulassung für den Impfstoff. Das ist ja doch ein großes Hindernis im Augenblick. Die Zulassung des Impfstoffes in Europa ist ja eine Voraussetzung für die Anwendung und für das Impfen. Das ist ja ganz klar.
Barenberg: Sie haben aber eben gesagt, dass Ihnen noch Daten fehlen oder Sie noch Daten analysieren müssen. Man hat immer die Vorstellung, dass die eigentlich schon seit Wochen parallel mit den ersten Zulassungsverfahren auch Ihnen vorliegen dürften.
Mertens: Nein, das stimmt nicht. Die Daten sind am vergangenen Donnerstag um zehn Uhr morgens zugestellt worden und es handelt sich dabei um mehrere hundert Seiten. Das müssen Sie sich auch klarmachen. Die werden geprüft. Aber nichts desto trotz, wie gesagt: Die Empfehlung und die Information für die Länder wird jetzt sehr kurzfristig allgemein zur Verfügung stehen. Das bedeutet nicht, dass die Empfehlung dann publiziert ist, aber das, was drinsteht im Hinblick auf die Vorbereitung, das ist da ganz klar ersichtlich.
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, steht am 18.07.2020 vor einer Glastür mit dem Logo der Bundesärztekammer
Reinhardt: Europäische Behörde muss Impfstoff-Zulassung schneller prüfen
Ein Impfstoff gegen das Coronavirus könnte nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, schneller in Europa zugelassen werden. Nun müsse sich die Europäische Behörde daran machen, die Daten zu prüfen, sagte Klaus Reinhardt im Dlf.
"Daten müssen genau analysiert und bewertet werden"
Barenberg: Worüber entscheiden denn diese Daten noch in der Feinabstimmung?
Mertens: Diese Daten müssen genau betrachtet werden, weil uns natürlich wirklich das, was Herr Lauterbach jetzt mal vorab gesagt hat, wirklich genau interessiert, die Frage, wie die verschiedenen Altersgruppen zum Beispiel auf die Impfung reagiert haben, beziehungsweise wie wirksam sie war, wie auch Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen durch die Impfung geschützt werden können. Diese Dinge sind zwar im Gespräch, aber die Daten dazu, die müssen ja genau analysiert und auch bewertet werden. Insofern ist das eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Mehr Schnelligkeit als derzeit an den Tag gelegt wird, kann es gar nicht geben.
Barenberg: Die Information, dass alle Altersgruppen, auch die über 65 und auch Menschen mit Vorerkrankungen Teil der letzten Studien waren, das reicht jetzt als Grundlage erst mal noch nicht aus?
Mertens: Doch, doch! Aber diese Aussage ist ja sehr allgemein noch. Man muss sich ja genau letztendlich die Zahlen angucken. Man muss sich genau Klarheit darüber verschaffen, wie tatsächlich die Wirksamkeit in diesen Altersgruppen und bei bestimmten Vorerkrankungen gewesen ist. Das geschieht gerade im Augenblick und ich glaube, das ist schon sehr korrekt, wie das im Augenblick gemacht wird.
Barenberg: Die Maßgabe für die nächsten Monate, angesichts der geringen Menge, die wir zunächst einmal haben werden, ist dann, der Schwerpunkt liegt darauf, schwere Verläufe einer Covid-Erkrankung zu verhindern, und der Schwerpunkt liegt nicht darauf, die Pandemie möglichst schnell zu beenden?
Mertens: Genau! Und zwar ist das auch eigentlich ganz leicht verständlich. Der Individualschutz, der Schutz einzelner Menschen, ist ja mit der ersten Impfung, die wir verabreichen können, schon gegeben, nämlich genau für den Geimpften. Gerade unsere Analyse und Modellierung hat sehr gut gezeigt, dass wir in diesem Fall in der glücklichen Situation sind, dass das ethisch Angezeigte, nämlich die Menschen mit einem größten Risiko für Erkrankung und Tod zu schützen, auch noch genau zusammenfällt mit dem besten Effekt. Bis wir einen epidemiologischen Effekt sehen, eine Änderung in der Dynamik der Infektionsübertragung, das wird, wie ja schon vielfach gesagt wurde, Monate dauern. Also geht es im Augenblick zunächst mal um einen effektiven Schutz von Individuen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.