Eine Infektion mit einem Virus oder Bakterium führt im Körper zu einer zweistufigen Reaktion. Zuerst registriert das angeborene Immunsystem die Gefahr und löst eine recht unspezifische und nur begrenzt wirksame Abwehr aus, zu der zum Beispiel Entzündungsvorgänge gehören. Die Infektion wird erst einmal im Zaum gehalten. So verschafft die angeborene Abwehr dem zweiten, dem spezifischen Immunsystem Zeit für die Produktion von Antikörpern und maßgeschneiderten Abwehrzellen. Die kommen zwar später, sind dann aber deutlich wirkungsvoller. Vor allem merkt sich das spezifische Immunsystem den Erreger und kann ihn bei der nächsten Infektion direkt abwehren.
"Seit langem ist bekannt, dass die angeborene Abwehr das spezifische Immunsystem auf die Gefahr aufmerksam machen muss, damit es in Aktion tritt und sich den Keim merkt. Bei einer Impfung benötigen wir nur dieses Gefahrensignal, aber das angeborene Immunsystem muss eigentlich keine Entzündung auslösen",
erklärt Thomas Mitchel von der Universität im amerikanischen Louisville. Der Trick des angeborenen Immunsystems ist, dass es gar nicht versucht, einen konkreten Erreger zu erkennen. Stattdessen reagiert es auf Moleküle, die bei ganz vielen Keimen vorkommen. Salmonellen, Kolibakterien, Chlamydien und viele andere Bakterien haben zum Beispiel alle eine Substanz namens LPS in ihrer Zellwand.
"Man nennt es auch Endotoxin. Wenn Bakterien ins Blut gelangen löst das LPS den septischen Schock aus oder verursacht hohes Fieber. Es gibt ein ganzes Alarmsystem in unserem Körper, das auf diesen Bakterienbestandteil reagiert."
Hüllprotein von Bakterien löst Alarmsystem aus
Pharmaunternehmen haben chemisch modifizierte Bruchstücke des LPS hergestellt, die sich als Adjuvans, als Hilfsstoff für Impfungen eignen. Sie lösen keine potentiell gefährliche Entzündung aus, aktivieren aber nach wie vor das Gefahrensignal, das so wichtig für die Etablierung einer dauerhaften Abwehrbereitschaft ist. Thomas Mitchel wollte verstehen, wie das möglich ist. Sein Ansatzpunkt war ein Rezeptor auf den Blutzellen. Sobald dieser Rezeptor an LPS oder eines der kleineren Bruchstücke bindet, löst er zwei Signalketten in der Zelle aus. Die eine ist für die eigentliche Aufgabe der angeborenen Abwehr zuständig und leitet Entzündungsreaktionen ein. Die andere übernimmt die Kommunikation mit dem spezifischen Immunsystem und übermittelt das Gefahrensignal. Ursprünglich hatte Thomas Mitchel vermutet, dass die Balance zwischen den beiden Reaktionen von der genauen Struktur des LPS Moleküls beziehungsweise des Bruchstücks abhängt. Die Experimente zeigten aber, dass in jedem Fall zuerst das so wichtige Gefahrensignal ausgelöst wird.
"Es ist eine Eigenschaft dieses Rezeptors. Er aktiviert als erstes das spezifische Immunsystems, erst später sorgt er für die Entzündungsreaktion. Das ist gut für eine Impfung."
Das angeborene Immunsystem reagiert also nicht reflexhaft aggressiv auf jedes Anzeichen einer Infektion. Wenn es nur kleine Auffälligkeiten registriert, dann wirkt es erst einmal nur als Frühwarnsystem. Für dieses differenzierte Vorgehen gibt es auch guten Grund, meint Thomas Mitchell. Schließlich sind Bakterien nicht automatisch Feinde. Im Darm zum Beispiel helfen Legionen von Bakterien bei der Verdauung. Die Zellen des angeborenen Immunsystems kommen dort ständig mit LPS in Berührung, da ist es gut, wenn sie sich erst einmal in Zurückhaltung üben.
"Wir wollen den Darm nicht beschädigen, wir brauchen da keine Entzündung. Aber wir sollten diese Bakterien kennen."
Genau diesen Prozess des vorsichtigen Kennenlernens lösen offenbar die LPS-Bruchstücke aus, wenn sie als Adjuvans eingesetzt werden. Erste Versionen sind schon heute in der Hepatitis B und der HPV Impfung im Einsatz. Thomas Mitchel hofft dass sich auf diesem Weg in Zukunft noch effektivere Hilfsstoffe entwickeln lassen.