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Impfungen bei Hausärzten
"Wir müssen jetzt auch ein Stück flexibler werden"

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, sieht in der Einbeziehung der Hausärzte einen großen Fortschritt für die Corona-Impfkampagne. Dadurch könne nun eine breite Masse erreicht werden, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker im Dlf. Es brauche allerdings eine flexiblere Impfreihenfolge.

Rudolf Henke im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Die Hausärztin Birgitt Lucas (re.) verabreicht im Landkreis Hof (Bayern) ihrer Patientin Heidi die erste Impfung gegen Covid-19.
Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke (CDU), sieht in der Einbeziehung der Hausärzte ab Dienstag einen großen Fortschritt für die Corona-Impfkampagne, sagte er im Dlf. (dpa / picture alliance/ Nicolas Armer)
In Deutschland sind Corona-Schutzimpfungen von Dienstag (06.04.21) an auch bei vielen Hausärzten möglich. Insgesamt wollen sich bundesweit zunächst rund 35.000 Praxen beteiligen. Allerdings stehen zu Beginn weniger als eine Million Impfdosen zur Verfügung.
"Die Hausärzte kennen ihre Patienten besser als jemand sonst. Wer jetzt am dringlichsten dran ist in ihrem Patientenstamm, das können sie am besten beurteilen", sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, im Deutschlandfunk. "Das führt allerdings dazu, dass man sagen muss: Das wird jetzt eine differenzierte Priorisierung in den 35.000 Praxen", sagte Henke, der auch für die CDU im Bundestag sitzt. Denn bisher ist vor allem das Alter ein zentrales Kriterium bei der Priorisierung. "Aber wir müssen jetzt auch ein Stück flexibler werden."
Nicola Buhlinger-Göpfarth (r), Fachärztin für Allgemeinmedizin, impft in ihrer Praxis eine Patientin gegen das Coronavirus. 
Das ändert sich, wenn die Hausärzte impfen
Nach Ostern werden die niedergelassenen Ärzte mit in die Corona-Impfstrategie eingebunden werden. Auch die Impfpriorisierung soll aufgeweicht werden. Betriebsärzte arbeiten ebenfalls an einer Lösung. Ein Überblick.

"Wir brauchen die Impfzentren"

In den Impfzentren werde es stark geregelt weitergehen, so Henke. An deren Aufrechterhaltung würde er darüber hinaus festhalten. "Auch wenn wir viel Impfstoff im Überfluss hätten, brauchen wir die Impfzentren, weil wir alle Kapazitäten brauchen. Wir brauchen auch die Kollegen aus den betriebsärztlichen Diensten."
In der ersten Woche stehen den Hausarztpraxen weniger als eine Million Impfdosen zur Verfügung, Ende des Monats sollen die Praxen pro Woche mehr als drei Millionen Dosen erhalten. Henke sieht die geringen Mengen allerdings als Vorteil, so könne man die Prozesse vor Ort einüben und sei vorbereitet, wenn die Impfmengen wüchsen. Rein rechnerisch stehen die Hausärzten zunächst nur gut 26 Dosen pro Woche zur Verfügung.
Bei der Diskussion um einen harten Lockdown, um die dritten Corona-Welle zu brechen, sprach sich der CDU-Gesundheitspolitiker für härtere Maßnahmen aus: "Ich werbe dafür, dass wir die Zahlen des Zuwachses zum Zusammenbruch bringen müssen, so wie es uns in der ersten Welle gelungen war", sagte er über einen weiteren Lockdown. "Die Frage ist, ob wir das nicht wiederholen müssen."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

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Jürgen Zurheide: Herr Henke, wenn heute 35.000 Hausarztpraxen anfangen können mit dem Impfen, ist das sicherlich die eine Nachricht, die andere ist, pro Praxis haben wir dann vielleicht 20 Impfdosen. Was überwiegt bei Ihnen, die Freude auf der einen Seite oder sagen Sie, viel zu wenig?
Rudolf Henke: Ach ja, erst mal die Freude, weil das bedeutet ja, dass es einfacher wird, Menschen zu erreichen, die man im Augenblick eigentlich nur per Hausbesuch erreichen kann. Ich hab auch Hausärzte gehört, die gesagt haben, na ja, mal mit weniger Menge zu starten, ist auch ganz gut, weil wir damit die Prozesse einüben, und wenn es dann zunehmend aufwächst, dann sind wir sicher, wie es geht.
Jeweils ein Fläschchen der Corona-Impfstoffe von Pfizer-BioNTech, Moderna und AstraZeneca stehen auf einem Tisch.
Astrazeneca - Was über Wirksamkeit und Nebenwirkungen bekannt ist
Der Impfstoff von Astrazeneca steht in Deutschland spätestens seit der zwischenzeitlichen Impfpause in der Kritik. Die Ständige Impfkommission empfiehlt den Impfstoff uneingeschränkt jetzt nur noch für Menschen ab 60 Jahren.
Zurheide: Auf der anderen Seite sind eben nur im Moment die Hausärzte, Sie vertreten ja alle Ärzte als Ärztekammer-Präsident in Nordrhein - wie viel Anrufe haben Sie in diesen Tagen von ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die sagen, wir würden da auch gerne mitmachen, denn nur die Hausärzte, das ist ungefähr die Hälfte der Arztpraxen, oder?
Henke: Ja, es ist ja vorgesehen, dass Facharztpraxen nachziehen, das sind Kollegen im kassenärztlichen Dienst, die auch an unserer Versorgung im Alltag ständig beteiligt sind. Wir haben aber auch so ein paar Tausend Privatärzte in Deutschland, die keine Kassenpraxis mehr betreiben, und die sind natürlich sehr enttäuscht, weil sie wie die Betriebsärzte jetzt auch in der ersten Perspektive draußen bleiben sollen, sie können gar keinen Impfstoff bestellen.
Da gibt es jetzt manche, wo das vielleicht auch richtig ist, weil, weiß ich nicht, die machen nur ästhetische Chirurgie oder so und kümmern sich nur um die Verschönerung der äußeren Gestalt. Aber es gibt auch welche, die wirklich ihre Patienten, einen kleinen Kreis von Patienten, als Privatärzte betreuen, und die sagen, ja, wir möchten auch gerne impfen. Das kann ich gut verstehen, und es war ursprünglich anders geplant. Deswegen ist das für die jetzt eine Enttäuschung.

"Die Ärzte kennen ihre Patienten besser als jemand sonst"

Zurheide: Wie groß ist denn das Vertrauen - ich meine, ich weiß ja jetzt, wen ich frage, aber viele sagen, die Priorisierung, die wir eigentlich über die Ethikkommission und über viele andere Dinge festgelegt haben, die wird jetzt aufgehoben.
Ihr Argument wird wahrscheinlich sei, Sie haben da großes Vertrauen, warum haben Sie das in die Ärzte, dass das jetzt sozusagen nach Regeln der ärztlichen Kunst geht und nicht nach dem, der vielleicht am meisten bezahlen kann oder ein - ich nenne es jetzt mal hart - so guter Kunde bei dem Arzt ist?
Henke: Na ja, das zahlt sich ja auf die Sicht nicht aus, weil das kommt ja raus, und dann wird’s Ärger geben. Ich kriege jedenfalls auch Beschwerden, dass die Ärzte sagen, oh Gott, jetzt geht das schon wieder mit so einer Meldebürokratie los und wir müssen alles ganz genau aufschreiben. Ich habe auch Post von einem Kollegen, der sagt, oh Gott, oh Gott, oh Gott, ob meine Rechtsschutzversicherung jetzt ausreicht, möglicherweise werde ich verklagt, aber diese Möglichkeit gibt’s immer.
Der Punkt ist, glaube ich, der, die Ärzte kennen – das Argument ist richtig – ihre Patienten besser als jemand sonst, und wer jetzt am dringlichsten dran ist, können sie natürlich auch in ihrem Patientenkollektiv, in ihrer Kohorte, in ihrem Patientenstamm am besten beurteilen. Das führt allerdings dazu, dass man nun sagen muss, das wird jetzt eine differenzierte Priorisierung in den 35.000 Praxen. Es wird nicht erst abgewartet, bis der 4.743.000ste dann dran war, bis der 4.735.000ste geimpft werden kann. Aber wir müssen auch ein Stück flexibler werden, und in den Impfzentren wird das schon ziemlich stark geregelt weitergehen.
Corona-Impfstoffe in der Übersicht
Die EU-Behörde EMA hat bisher vier Corona-Impfstoffe zugelassen – von Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson. Wie die Impfstoffe wirken, was über Nebenwirkungen bekannt ist.
Zurheide: Wo wir gerade die Impfzentren haben, halten Sie es denn für sinnvoll, dass die Impfzentren überhaupt dranbleiben, oder müsste man nicht jetzt sagen, okay, sobald wir mehr Impfstoffe kriegen, dann muss es auch raus in die Fläche gehen, weil nur so wird es schnell gehen. Nur mit den Impfzentren werden wir es nicht schaffen, oder?
Henke: Also auch, wenn wir viel Impfstoff haben und gewissermaßen einen Überfluss hätten - das sehe ich ja auch noch nicht -, brauchen wir die Impfzentren, weil wir dann alle Kapazitäten brauchen. Wir brauchen dann auch die Kollegen aus den betriebsärztlichen Diensten, und deswegen würde ich da gar nichts ändern, sondern ich würde die Impfzentren im Augenblick noch eine Weile aufrechterhalten, ja, unbedingt.

"Ich halte Astrazeneca für 60 plus, für sicher"

Zurheide: Kommen wir zu dem Thema Astrazeneca. Ich meine, jenseits der Details als Erstes mal die Frage: Die Kommunikation an die Menschen, dass das in den zurückliegenden Wochen und Monaten zumindest den Eindruck bei vielen hinterlässt, da läuft irgendwas schief, können Sie das nachvollziehen?
Henke: Ja, also wer sich jetzt nicht dauernd jeden Tag mit all dem tief befasst und nach den Gründen schürft, der hat es schon jetzt schwergemacht bekommen, ja, das stimmt, das ist wahr.
Zurheide: Da geht doch Vertrauen verloren, oder?
Henke: Ja, ich guck mir jetzt andererseits an diese Sonderaktion, 400.000 zusätzliche Termine in Nordrhein-Westfalen, die jetzt über das Osterwochenende gelaufen ist, und da hab ich den Eindruck, an Interessenten hat es weiß Gott nicht gemangelt.
Zurheide: Gut, aber trotzdem bleibt ja der Eindruck, wie schwierig das ist. Ich will nur mal ein Detail rausnehmen: Da sind 2,8 Millionen Menschen erstgeimpft mit Astrazeneca, und die große Frage ist, die Zweitimpfung - sagte man bisher - soll dann der gleiche Impfstoff sein. Und jetzt sagt Herr Mertens, der Chef der Ständigen Impfkommission – ich hab das zweimal nachgelesen, weil ich es nicht glauben konnte –, na ja, bei der Zweitimpfung können wir jetzt auch auf einen anderen Impfstoff gehen, also von Vektor auf mRNA.
Und dann wird er gefragt, woher nehmen Sie denn die Sicherheit, dass das geht, da sagt er, ja, das ist an Tieren getestet. Also wenn ich so was lese, ich bin kein Arzt, Sie sind es, ehrlich gesagt, da stottere ich jetzt.
Henke: Ja, ich weiß nicht, ob das jetzt das überzeugendste Argument ist. Wir Ärzte sagen ja oft auch, Tierversuche Vorsicht, das muss beim Menschen gar nicht alles gleich sein. Aber die Frage ist auch für mich wissenschaftlich noch gar nicht geklärt, ob diese vermaledeiten Sinusvenenthrombosen, die jetzt Astrazeneca mindestens bei den jungen Frauen so in Misskredit gebracht haben, ob die denn wirklich bei der Zweitimpfung wieder dasselbe Risiko haben.
Wir kennen ja Hinweise auf den Wirkmechanismus, wo man sagt, das ist eine Autoimmunreaktion gegen die körpereigenen Blutplättchen, gegen die Thrombozyten, wir kennen das auch von anderen Wirkstoffen, zum Beispiel vom Heparin, da gibt es so eine Heparin-induzierte Thrombozytenarmut. Wenn die aber beim ersten Mal nicht auftritt, dann müsste es ja einen besonderen Grund geben, warum sie beim zweiten Mal auftritt, weil die kommt ja nicht zufällig, sondern die kommt ja, weil sich in dem Menschen eine Verbindung des Impfstoffs mit diesem Reaktionsmuster ergibt.
Ich hätte ehrlich gesagt auch nichts dagegen gehabt, noch ein bisschen mit der nächsten Empfehlung der STIKO an dieser Stelle zu warten und erst mal zu gucken, was passiert denn im Mai, denn vorher brauchen wir die zweite Impfung nicht.
Schwester Bärbel (M) vom mobilen Impfteam spritzt Ursula Schmidt (r) in der Hausarztpraxis von Dr. Müller den Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Ärztin Anja Schumacher (l) berät die Patienten. Auf der Ostseeinsel Hiddensee werden mehr als 120 Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Zu den Berechtigten zählen neben Menschen mit höchster Impfpriorität - also etwa Menschen ab 80 Jahren oder medizinisches Personal mit hohem Risiko - auch Teile des Schul- und Kitapersonals.
Flexibilität trifft auf politische Interessen
Impfzentren sind für Länder Prestigeprojekte, die aber bislang nicht so richtig zur Geltung kamen. Ein früher Schwenk zum Hausarzt-Modell hätte die Frage aufgeworfen, warum die Zentren überhaupt aufgebaut wurden, meint Johannes Kuhn.
Zurheide: Ja, aber genau da sind wir ja beim Punkt, dass da Entscheidungen getroffen werden, aber die Basis offensichtlich nicht stark ist. Ich will jetzt hier keinem Impfgegner in die Karten spielen, aber das ist ja die Conclusio daraus: Was wir gerade hier diskutieren, heißt, es gibt Unsicherheit. Vielleicht zu viel?
Henke: Ja, es gibt aber in dieser ganzen Lebenssituation ein Stück weit Unsicherheit, und die Ständige Impfkommission ist nun mal streng darauf festgelegt, dass sie halt einfach alles zusammenstellen soll, was an Faktenbasierung vorhanden ist. Da müssen Sie ihn fragen, nicht mich, was mit dieser Äußerung ist, die kann ich auch nicht deuten.
Aber der entscheidende Punkt scheint mir zu sein, also ich finde den Astrazeneca-Impfstoff nach allem, was ich an Nebenwirkungen gesehen habe – ich gehe mal davon aus, anders als in Großbritannien haben wir sie auch alle zügig irgendwie berichtet bekommen –, ich halte ihn für meine Generation zum Beispiel, ich bin ja 60 plus, für sicher.

"Es wird einen neuen Lockdown geben"

Zurheide: Letzter Punkt, Herr Henke, heute gibt es eine nette politische Diskussion, Herr Laschet will den Lockdown in eine Brücke oder über eine Brücke verlängern, wer weiß wohin, auf der anderen Seite wird im Saarland geöffnet. Das werden wir in dieser Sendung auch noch handhaben. Da passt irgendwas nicht zusammen, sehen Sie das so ähnlich?
Henke: Na ja, solange wir mit der Notbremse beim Länderbezug bleiben, haben wir ja mit Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland drei Bundesländer, die noch unter dieser berühmten 100er-Inzidenz sind.
Aber Herr Laschet hat recht damit, es wird einen neuen Lockdown geben. Wie lange der dauert, weiß ich nicht, aber als Brücke in die Zeit, wo wir dann genügend Impfschutz aufgebaut haben, um zu sagen, wir sind jetzt Kohorten-geschützt, ist das ein schönes Bild, finde ich. Aber man muss natürlich dann auch definieren, was man damit meint.
Ich werbe dafür, dass wir die Zahlen des Zuwachses zum Zusammenbruch bringen müssen, so wie es uns in der ersten Welle gelungen war, weil wir da die Kontakte so runtergefahren haben, dass wir dann innerhalb von vier Wochen unter zehn waren. Die Frage ist, ob wir das nicht wiederholen müssen. Ich bin sehr dafür. Das ist nicht Zero Covid, aber null Covid ist das schon, jedenfalls unter zehn, und das schaffen wir. Wenn wir die Reproduktionszahl auf 0,7 einstellen, dann halbiert sich die Zahl der Neuinfektionen jede Woche.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.