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Implantate
Elektronik zum Spritzen

Herkömmliche Platinen sind hart und starr - ein Problem zum Beispiel bei Herzschrittmachern oder Hirnelektroden, die in den menschlichen Körper gesetzt werden. In "Nature Nanotechnology" präsentiert ein Forscherteam eine Alternative - elektronische Implantate, die dehnbar sind wie Gummi und sich einfach mit einer Spritze injizieren lassen.

Von Frank Grotelüschen |
    Oberflächlich gesehen scheint die Erfindung ziemlich unspektakulär - ein hauchdünnes Kunststoff-Fitzelchen, kaum größer als eine Briefmarke. Die eigentlichen Reize offenbaren sich erst unterm Mikroskop, sagt Charles Lieber, Chemiker an der Harvard Universität in den USA.
    "Es ähnelt einem Moskitonetz, nur viel kleiner. Es ist ein ultrafeines Polymernetz, in das dünne Metallfäden eingewoben sind sowie kleine Sensorelemente."
    Das Netz besitzt mikrometerfeine Maschen und fungiert als elektronisches Bauteil: Es kann elektrische Spannungen erfassen und präzise vermessen. Und dass es sich fast nach Belieben biegen, dehnen und aufrollen lässt, brachte Charles Lieber und sein Team auf eine Idee:
    "Wir können es mit einer Spritze aufziehen - mit einer normalen Spritze, wie man sie auch zum Impfen benutzt. Mit dieser Spritze können wir unsere Elektronik dann einfach ins Gewebe injizieren."
    Dort, im Gewebe, kann sich das aufgerollte Elektronik-Netzchen dann entfalten, bis auf Briefmarkengröße. Um die Technik zu testen, spritzten die Forscher ihr Mikronetz ins Gehirn von Mäusen.
    "Wir haben untersucht, wie das Hirngewebe auf unser Implantat reagiert, wie verträglich es ist. Und wir konnten zeigen, dass es keine negativen Reaktionen gab, keinerlei Art von Abstoßung. Der Grund: Unser elektronisches Sensornetz ist dem Hirngewebe sehr ähnlich. Es ist ebenso dehnbar und flexibel, und die Maschenweite entspricht der Größe der Nervenzellen. Das alles führt dazu, dass die Nervenzellen unsere Struktur regelrecht lieben."
    Mittlerweile leben die Mäuse seit mehr als drei Monaten mit dem Netz im Hirn. Seitdem tun die Sensornetzchen wie vorgesehen ihren Dienst. Sie zeichnen Nervensignale auf und überwachen die Gehirntätigkeit. Und dann stießen die Forscher auch noch auf eine Überraschung: Manche Arten von Hirnzellen scheinen sich in dem elektronischen Mikronetz so wohlzufühlen, dass sie überdurchschnittlich gut darauf wachsen. Vielleicht also könnten solche Netze eines Tages dabei helfen, nach einem Schlaganfall neue Nervenzellen in den geschädigten Hirnarealen anzusiedeln. Die ins Netz integrierte Elektronik könnte das Nervenwachstum überwachen und sogar steuern - so die Vision. Doch zuvor könnte noch eine andere Anwendung kommen, hofft Charles Lieber.
    "Das wäre die Tiefenhirnstimulation zur Behandlung von Parkinson. Dabei wird dem Patienten ein Hirnschrittmacher in den Kopf eingepflanzt. Bislang verwendet man dafür starre Elektroden. Unser elektronisches Netz dürfte da Vorteile haben: Es sollte verträglicher sein und auch haltbarer."
    Doch zuvor gibt es noch einiges zu tun für die Forscher: Sie müssen belegen, dass ihr Mikronetz auch über längere Zeit im Körper besteht, mindestens ein Jahr lang. Und auch das Auslesen des Signals läuft bislang noch eher provisorisch.
    "Das ließe sich sicherlich verbessern. Bislang leitet unser Netz seine Signale durch ein feines Kabel nach außen. Das müsste man natürlich anders machen: Man müsste einen Funkchip integrieren, dann könnte die Kommunikation kabellos laufen. Aber das sollte eigentlich kein größeres technischen Problem sein."
    Und langfristig möchte Charles Lieber sein Mikronetz soweit verfeinern, dass es immer stärker dem neuronalen Netz im Gehirn ähnelt - Stichwort künstliche Synapse. Damit ließen sich Elektronik und Hirngewebe viel enger verweben - bis hin zur perfekten Verschmelzung von Mensch und Maschine.