Stellen wir uns mal ganz dumm und tun so, als habe die Philosophie noch nie über Freiheit und Zwang und Trieb, Moral und Amoral, über Ökonomie und Gesellschaftsvertrag nachgedacht, als habe es also Hobbes, Locke, Hegel, Marx und auf der anderen Seite Nietzsche und Freud nie gegeben.
Wenn man das tut, dann kommt man dem Bewusstseinszustand des dänischen Dogma-Filmers Lars von Trier ziemlich nahe, der alles nochmal neu entdecken will, zuerst das Authentische und die Tiefe der Emotionen, gefilmt möglichst mit Wackelkamera, "Breaking the Waves" - seit neuestem aber auch die Widersprüche des Gutmenschentums, das Demokratie und Freiheit nicht ganz uneigennützig in die entlegenen Zonen der Dritten Welt exportiert und dabei Schiffbruch erleidet.
Von Trier findet dafür pädagogisch korrekte Schaubilder: Schon "Dogville" mit der exemplarisch an einem sektenartigen Gemeinwesen leidenden Nicole Kidman war einfach nur spröde abgefilmtes Parabeltheater, und in "Manderlay" betritt nun dieselbe gute Seele, Grace, eine Sklavenhaltergesellschaft und läßt in aller Einfalt das doch schon sehr trübe gewordene Licht der Aufklärung leuchten. Mit vorhersehbarem Ergebnis: Die Sklaven finden Freiheit eher bedrohlich und wollen lieber Sklaven bleiben, und Grace, die heilige Johanna der Dritte-Welt-Hinterhöfe, ist dem Bösen und den Mitteln von Exekution und Folter durchaus zugetan, zu ihrem eigenen Erstaunen.
Der Mensch an sich ist also eine Bestie oder ein bequemer Spießer, nur junge Frauen als Heroinen des Guten finden wenigstens zeitweise die Billigung des Lars von Trier. Und natürlich ist die US-Invasion in den Irak Anlass des Stücks. Erstaunlich, dass dieser saure Brechtsche Sozialkitsch, diese simple Weltsicht bei den deutschen Theaterschaffenden dieser Tage auf ungeheure Resonanz stößt: Der Filmer Lars von Trier ist der Theaterautor dieser Saison.
Noch erstaunlicher, dass Volker Lösch aus der Manderlay-Parabel in Stuttgart, trotz beständig erhobenen Zeigefingers, einen unterhaltsamen und vor allem bildermächtigen Theaterabend destilliert. Löschs Trick ist simpel und überzeugend: Er, der schon immer die (dann leider meist chorisch eingeebnete) Zusammenarbeit mit den Benachteiligten dieser Tage sucht, hat Stuttgarter Immigranten für die Rollen der Arbeitssklaven angeworben - und sie in einen (von Carola Reuther entworfenen) Höllen-Container gesetzt, der eine Mischung aus Nachtasyl, KZ-Baracke und Produktionsstätte ist. Dieses Bild hat Hieronymus-Bosch-Qualitäten, und es tröstet über manche Einfalt des Textes hinweg.
Denn zunächst muss ja Grace, von Dorothea Arnold mit allen sozialrevolutionäre Überzeugungstäter-Eigenschaften einer popfarbenen Käthe-Kruse-Puppe ausgestattet, mit Papi über Politik diskutieren:
"Grace, wir leben in einer Marktwirtschaft! Da werden Autos produziert, das, was der Markt wünscht! - Alles in den Medien ist doch darauf programmiert, zu kaufen, kaufen, kaufen! Am besten, jeder kauft drei Autos! - Wenn wir keine Autos hätten, dann hätten wir Pferde! - Weißt du, dass am Neckartor die Feinstaubbelastung… - Die Feinstaubbelastung hat es schon immer gegeben. - Hast du schon mal über deine Mitverantwortung nachgedacht? Ich rede jetzt von Deiner Verantwortung, Daddy! - (Reifengeräusche.)"
Der mafiose Papa wird gespielt von dem ehemaligen Stuttgarter Daimler-Benz-Niederlassungsleiter Thomas Zell, und der quietscht mit einem Mercedes über die Bühne. Ist das Sponsoring oder Theater? In Manderlay herrscht "Mam’s Gesetz", eine eiserne Diktatur, deren Regeln charakteristischerweise von einem Sklaven verfasst wurden. Mam stirbt - und es erklingt die süße Melodie der Freiheit: Manderlay der Arbeiterklasse!
Sowieso kreiselt der Manderlay-Container auf der Stuttgarter Drehbühne wie der zum Raumschiff verwandelte prähistorische Knochen in Stanley Kubricks "Odyssee im Weltraum". Ansonsten aber bedient Volker Lösch streng theatralische Mittel, um den Kampf einer entwicklungspolitischen Attac-Aktivistin für die Unterdrückten zu parodieren. Am schönsten die anthroposophischen Tänzchen, die Dorothea Arnold im Demokratie-Unterricht aufführt.
Manches ist zu vordergründig und zu entertainend-forsch, Manager, Hütchenspieler, der Weltmarkt als Show-Event und die Liebe als sexuelles Sportereignis. Die Exekution einer Unschuldigen, die Kanalisierung kollektiver Emotionen werden etwas zu volkshochschulartig vorgeturnt. Bedrohlich bleibt allein das Resümee des alten Sklaven Wilhelm: "Ich finde es gesünder, einem Ausbeuter die Schuld zu geben als sich selbst". Ist das die Weltsicht, in der viele Entwicklungsländer heute verharren?
Wenn man das tut, dann kommt man dem Bewusstseinszustand des dänischen Dogma-Filmers Lars von Trier ziemlich nahe, der alles nochmal neu entdecken will, zuerst das Authentische und die Tiefe der Emotionen, gefilmt möglichst mit Wackelkamera, "Breaking the Waves" - seit neuestem aber auch die Widersprüche des Gutmenschentums, das Demokratie und Freiheit nicht ganz uneigennützig in die entlegenen Zonen der Dritten Welt exportiert und dabei Schiffbruch erleidet.
Von Trier findet dafür pädagogisch korrekte Schaubilder: Schon "Dogville" mit der exemplarisch an einem sektenartigen Gemeinwesen leidenden Nicole Kidman war einfach nur spröde abgefilmtes Parabeltheater, und in "Manderlay" betritt nun dieselbe gute Seele, Grace, eine Sklavenhaltergesellschaft und läßt in aller Einfalt das doch schon sehr trübe gewordene Licht der Aufklärung leuchten. Mit vorhersehbarem Ergebnis: Die Sklaven finden Freiheit eher bedrohlich und wollen lieber Sklaven bleiben, und Grace, die heilige Johanna der Dritte-Welt-Hinterhöfe, ist dem Bösen und den Mitteln von Exekution und Folter durchaus zugetan, zu ihrem eigenen Erstaunen.
Der Mensch an sich ist also eine Bestie oder ein bequemer Spießer, nur junge Frauen als Heroinen des Guten finden wenigstens zeitweise die Billigung des Lars von Trier. Und natürlich ist die US-Invasion in den Irak Anlass des Stücks. Erstaunlich, dass dieser saure Brechtsche Sozialkitsch, diese simple Weltsicht bei den deutschen Theaterschaffenden dieser Tage auf ungeheure Resonanz stößt: Der Filmer Lars von Trier ist der Theaterautor dieser Saison.
Noch erstaunlicher, dass Volker Lösch aus der Manderlay-Parabel in Stuttgart, trotz beständig erhobenen Zeigefingers, einen unterhaltsamen und vor allem bildermächtigen Theaterabend destilliert. Löschs Trick ist simpel und überzeugend: Er, der schon immer die (dann leider meist chorisch eingeebnete) Zusammenarbeit mit den Benachteiligten dieser Tage sucht, hat Stuttgarter Immigranten für die Rollen der Arbeitssklaven angeworben - und sie in einen (von Carola Reuther entworfenen) Höllen-Container gesetzt, der eine Mischung aus Nachtasyl, KZ-Baracke und Produktionsstätte ist. Dieses Bild hat Hieronymus-Bosch-Qualitäten, und es tröstet über manche Einfalt des Textes hinweg.
Denn zunächst muss ja Grace, von Dorothea Arnold mit allen sozialrevolutionäre Überzeugungstäter-Eigenschaften einer popfarbenen Käthe-Kruse-Puppe ausgestattet, mit Papi über Politik diskutieren:
"Grace, wir leben in einer Marktwirtschaft! Da werden Autos produziert, das, was der Markt wünscht! - Alles in den Medien ist doch darauf programmiert, zu kaufen, kaufen, kaufen! Am besten, jeder kauft drei Autos! - Wenn wir keine Autos hätten, dann hätten wir Pferde! - Weißt du, dass am Neckartor die Feinstaubbelastung… - Die Feinstaubbelastung hat es schon immer gegeben. - Hast du schon mal über deine Mitverantwortung nachgedacht? Ich rede jetzt von Deiner Verantwortung, Daddy! - (Reifengeräusche.)"
Der mafiose Papa wird gespielt von dem ehemaligen Stuttgarter Daimler-Benz-Niederlassungsleiter Thomas Zell, und der quietscht mit einem Mercedes über die Bühne. Ist das Sponsoring oder Theater? In Manderlay herrscht "Mam’s Gesetz", eine eiserne Diktatur, deren Regeln charakteristischerweise von einem Sklaven verfasst wurden. Mam stirbt - und es erklingt die süße Melodie der Freiheit: Manderlay der Arbeiterklasse!
Sowieso kreiselt der Manderlay-Container auf der Stuttgarter Drehbühne wie der zum Raumschiff verwandelte prähistorische Knochen in Stanley Kubricks "Odyssee im Weltraum". Ansonsten aber bedient Volker Lösch streng theatralische Mittel, um den Kampf einer entwicklungspolitischen Attac-Aktivistin für die Unterdrückten zu parodieren. Am schönsten die anthroposophischen Tänzchen, die Dorothea Arnold im Demokratie-Unterricht aufführt.
Manches ist zu vordergründig und zu entertainend-forsch, Manager, Hütchenspieler, der Weltmarkt als Show-Event und die Liebe als sexuelles Sportereignis. Die Exekution einer Unschuldigen, die Kanalisierung kollektiver Emotionen werden etwas zu volkshochschulartig vorgeturnt. Bedrohlich bleibt allein das Resümee des alten Sklaven Wilhelm: "Ich finde es gesünder, einem Ausbeuter die Schuld zu geben als sich selbst". Ist das die Weltsicht, in der viele Entwicklungsländer heute verharren?