Improvisationsfestival Ex Tempore in Leipzig
Musik aus dem Stegreif erfinden

Der Jazz lebt von der Improvisation. Das gilt auch für die sogenannte "Alte Musik" des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks. Um dieses "freie Ausdrücken" wieder zu beleben, gibt es das Leipziger Festival EX TEMPORE mit Kursen und Konzerten. Ein Bericht.

Eine rothaarige Frau in einem schlichten, weißen Kleid lässt den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken fallen und scheint in die Luft vor ihr zu greifen.
Beim Improvisieren erschafft man Musik quasi aus der Luft - ein uraltes Musik-Prinzip. (pexels / Maycon Marmo)
Im Mittelalter, in der Renaissance und im Barock wurde sowohl die schriftliche als auch die mündliche Musizierkultur gepflegt: Neben dem Spielen nach Noten konnten sich die Musiker damals in ihrer Musiksprache „frei ausdrücken“ – also improvisieren. Das ist heute nur im Jazz gängige Praxis.
Um die Improvisation in der Alten Musik wieder lebendig zu machen, haben Musikerinnen und Musiker im Jahr 2009 in Leipzig ein Festival initiiert: EX TEMPORE, im zweijährigen Modus. Am vergangenen Samstag hat es begonnen und dauerte bis 3.10.2023.

Frei gesungen mit Erfahrung


Wenn das Ensemble Coclico zu hören ist, könnte man meinen, sie singen aus einer Notenhandschriften des 16. Jahrhunderts. Doch dem ist nicht so. Die französischen Ensemblemitglieder haben mit Sicherheit hunderte dieser Manuskripte studiert. Aber was sie in der Aula der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst singen, ist nicht notiert, sondern entsteht ganz spontan.

Kaum Improvisation im Studium

Babtiste Romain ist Professor für Streichinstrumente des Mittelalters und der Renaissance an der Schola Cantorum Basiliensis in Basel und sagt: "In Leipzig kann man Konzerte hören, die improvisierte Teile beinhalten, die immer mit verschiedenen Themen der Alten Musik zu tun haben, das ist was glaube ich Einmaliges! Ich kenne keinen Ort, wo es das gibt!"

Selbst an der wohl renommiertesten Hochschule für Alte Musik in Europa, in der er lehrt, spielt die Improvisation noch nicht die Rolle, die ihr aufgrund der Musikhistorie eigentlich zukommen müsste. "Natürlich hat es die Improvisation immer gegeben, so wie die gesprochene Sprache ja auch älter ist, als die Erfindung der Schriftzeichen!"

Alte Musik geht nur mit Improvisation

Martin Erhardt, Blockflötist, Cemabalist und künstlerischer Leiter des Festivals EX TEMPORE bestätigt das: "Je weiter wir in der Musikgeschichte vorangehen, desto wichtiger wird das Notierte und umso unwichtiger wird das Improvisierte." So ist es also für das Verständnis und die Interpretation von Alter Musik absolut von Vorteil stilistisch passend Improvisieren zu können und womöglich einen Einblick in die Werkstatt der Komponisten zu bekommen.

Kursangebote

Bis man diesen Zustand erreicht hat, ist allerdings viel Mühe und Ausdauer nötig, das wurde in den Workshops deutlich. Die sind fester Bestandteil des Festival EX TEMPORE, betont Martin Erhardt weiter: "Wir haben viele Musikstudierende, wir haben aber auch viele gestandene Profis, die sich auch mal weiterbilden möchten. Und wir haben nicht wenige Amateure."
 
Improvisieren auf Instrumenten der Renaissance, und zwar im Modus, also der Kirchentonart Mixolydisch – das konnte man im Workshop von Baptiste Romain lernen. Der Professor der Schola Cantorum Basiliensis spielte auf seiner Fidel einzelne Phrasen vor, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spielten diese Muster, im Jazz würde man sie wohl „patterns“ nennen, auf ihren Instrumenten nach.

Erste Schritte in die musikalische Freiheit

Romain erklärt: "Das Modell 'Vor und Nachspielen' ist für diese Modalität meiner Ansicht nach das Beste! Erstmal macht man ganz lange das: einfach Nachspielen. Und irgendwann entwickelt man einen eigenen Stil, die eigenen Floskeln." Sein und andere Kurse wurden begeistert aufgenommen.