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In Brandenburgs Brachen

Seit 16 Jahren stellt "Rohkunstbau" in seinen Ausstellungen ortsspezifischer Kunst aus. Begonnen hat alles in einer Rohbauhalle in der brandenburgischen Provinz. Heute ist es ein international beachtetes Kunstprojekt.

Von Carsten Probst | 23.06.2011
    Alle Jahre wieder vollbringt Arvid Boellert, Gründer und Direktor von Rohkunstbau, vermutlich das wahre Kunststück dieses Festivals. Denn irgendwie gelingt es ihm, die Ausstellung neben seinem Hauptberuf als Augenarzt immer gerade noch so eben vor dem finanziellen Absturz zu retten. Auch dieses Jahr es nicht anders, dem Vernehmen nach sogar besonders brenzlig. Bis vor wenigen Tagen soll nicht klar gewesen sein, ob Boellert die schon aufgestellten Arbeiten wieder abbauen lassen muss.

    Von dieser alljährlichen Dramatik im Hintergrund spürt man in der Ausstellung nichts, und das hängt maßgeblich mit ihrem zweiten Merkmal zusammen. Rohkunstbau wird, nomen est omen, stets in abgerockten, aber beschaulichen Herrenhausruinen auf dem Land inszeniert, die seit der Wende unbewohnt ihren schweren Traum von der Geschichte träumen und die Boellert mit Werken etablierter Gegenwartskünstler bespielen lässt. Die Idee ist so verführerisch, dass sich jedes Jahr Tausende auf den Weg in die Provinz machen zu einer Art Kunstsommerfrische. Unerlässliche Beigabe sind ein ungepflegter, daher romantisch anzusehender Schlosspark und ein See. Die Ausflügler haben die Wahl zwischen Biking und Bratwurst im Freien oder den philosophischen Exkursen im Schloss.

    Kurator Mark Gisbourne zählt zu den international erfahrenen Ausstellungsmachern für Gegenwartskunst, dem man so gefällige Schauen eigentlich gar nicht zutrauen würde.

    Wie immer ist die Themenstellung bei Rohkunstbau leicht überkomplex. Künstler sollen auf Ruine und Landschaft reagieren, hinzu kommt dieses Jahr der germanische Sagenschatz, der Ring des Nibelungen und seine ganze Rezeption von Schopenhauer über Nietzsche, Wagner, Heidegger, Adorno und was sonst noch so daran hängt. Das alles möge dann noch leichthändig mit dem Thema "Power"/ "Macht" verquickt werden. Aber man selbst nimmt es nicht so genau. Die Kuratoren beeilen sich, auf kleinen Erläuterungstafeln in den Räumen beizuspringen, wenn der Bezug eines Werkes zu einem der Themen nicht übermäßig einleuchtend sein sollte.

    In diesem Fall muss dann beispielsweise die Formulierung von der "Macht der Illusion" bei einer Arbeit von Mariele Neudecker herhalten, damit ein inhaltlicher Bezug überhaupt hergestellt wird. Es handelt sich bei dem Werk um zwei verkehrt herum hängende Landschaftsaquarien, die von einer Plexiglasscheibe gespiegelt und zugleich verborgen werden. Von allein wäre hier wahrscheinlich niemand auf das Thema "Macht " oder Nibelungensaga gekommen. Auch künstlerische Überwältigungsstrategien müssen sich thematisch fügen, wie die sich die breit und grell in den Raum entrollenden Malereien Judy Millars, die sicherheitshalber zu Symbolen für die Naturkatastrophen der letzten Monate ausgerufen werden, qua "Macht der Natur".

    Neben solch putzigen Verständnishilfen gehören aber auch die atmosphärisch genialischen, verwunschenen Ecken zu diesem Festival. In diesem Jahr ist es vor allem eine aktuelle Arbeit von Mariana Vassileva. Sie hat in die Mitte des hohen, dunklen Schlossfoyers einen riesigen, satt vor sich hin blubbernden Bugattimotor auf einen Sockel gestellt. Ja, diese famose, 300.000 Euro teure Göttin der Sportwagenfahrer wirkt dabei fast wie eine Living Sculpture, und über ihr hängt, schon fast zu viel des Guten, eine mickrige Dornenkrone um eine kreisrunde Leuchtstoffröhre geschlungen, die vom Motor zum Aufleuchten gebracht wird. Da sind Assoziationen von Macht, Geschwindigkeit und Goldenem Kalb leicht zu haben, ebenso der Verweis auf Gottes Reich, das nicht von dieser Welt ist.

    Rohkunstbau lebt nun einmal von der Stimmung, von der, wie es heißt, Sinnlichkeit der Werke. Dass es zum Thema Macht schon verstörende, bildmächtige Ausstellungen gab, wen interessiert das hier? Wenn sich einem die Kunst hier nicht weiter in den Weg stellt und sich das Konzept inhaltlich so seicht kräuselt wie die Wellen auf dem nahen Schlänitzsee, ist das kein Versehen, sondern gewollt: Rohkunstbau will nicht an seinen Worten gemessen werden, sondern am Freizeitwert - dieser Mutter aller Themen.