Archiv


In den Keller verbannt

Die moderne Kunst ist in Teheran weggesperrt. In den 70er-Jahren hatte Farah Diba, die Frau des letzten Schahs von Persien, ihre Kunstsammler beauftragt, berühmte Werke der Kunstmoderne und der Gegenwart zu kaufen. Gezeigt wurden sie seit der Revolution 1979 so gut wie nie – erst in den letzten Jahren hat das Museum für Zeitgenössische Kunst damit begonnen.

Von Christian Schillmöller |
    Das Gezwitscher ist echt. Zwei Wellensittiche hocken oben auf dem Fenstersims und schauen von drinnen auf den Museumsgarten. Die beiden Vögel sind Teil der Installation "Vis und Ramin" des iranischen Künstlers Asghar Kafschian-Moghadam. Vis und Ramin sind die Hauptfiguren einer altpersischen Romeo- und Julia-Geschichte, und die Installation besteht aus mehr als 300 Käfigen, die zu einem Würfel gestapelt sind. Die Käfige sind miteinander verbunden, aber nur ganz oben führt ein Weg hinaus, den die Vögel ganz offensichtlich gefunden haben. Das sind eben "lovely birds", sagt die Museumsmitarbeiterin, die sprechen miteinander und treffen sich in einem der Käfige.

    Käfig, Suche, Freiheit: Der Besucher aus dem Ausland vermutet fast reflexhaft eine politische Bedeutung, auch wenn es bei dem Kunstwerk offiziell um die Liebe geht.

    Es ist mittags in Teheran, und nach einem Rundgang durch die Ausstellungsräume sitzen wir im Vorzimmer des Direktors und warten. Dr. Mahmud Shalooi leitet das Museum seit drei Jahren, und er entscheidet, wer in das legendäre, wohlbehütete Archiv darf, wo seit mehr als 30 Jahren die Meisterwerke aus dem Westen lagern. Dr. Shalooi empfängt uns mit Tee, Kuchen und Pralinen, in seinem Büro hängen eine Kalligrafie aus dem Koran und ein Porträt von Ayatollah Khomeini. Auf die Frage, warum die Picassos und Warhols fast nie gezeigt werden, antwortet er lächelnd.

    "Also zu meiner Zeit haben wir die Werke der Öffentlichkeit gezeigt - in der Zeit vor mir nicht. Es gab vor vielen Jahren einmal eine Ausstellung, aber erst unter meiner Leitung haben wir die Sammlung wirklich öffentlich gemacht. Also wenn es eine Kritik gab, dann gilt das nicht den letzten Jahren, sondern der Zeit davor."

    Die Sammlung ist ohne Frage ein Politikum. Immer wieder hieß es, man habe keinen Platz, die Meisterwerke zu zeigen. Einer der Vorgänger von Herrn Shalooi sagte dagegen dem "Guardian" einmal ganz offen, das Museum beuge sich der anti-westlichen Stimmung im Land und lasse die Werke darum lieber im Keller. Herr Shalooi dagegen hat einen anderen Kurs eingeschlagen: Einen Picasso hat das Museum schon nach Zürich verliehen, einen van Dongen nach Rotterdam.


    "Wir hatten hier auch eine Ausstellung über Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, dabei haben uns die Barlach-Gesellschaft und die Deutsche Botschaft unterstützt. Die Werke der beiden Künstler waren einen Monat lang hier zu Gast."

    Am Ende des Interviews dann der entscheidende Moment: Öffnet Herr Shalooi seinen kostbaren Museumskeller für den Besuch aus Deutschland? Dürfen wir ins Archiv? Er greift zum Telefon, spricht kurz und sagt dann "Chub", das heißt: "gut". Wir dürfen.

    Wieder geht es die Rampe hinunter, am Ende folgen einige Stufen. Eine erste Metalltür, ein Zwischenraum, eine zweite Tür. Die Nervosität steigt.

    Dann sind wir tatsächlich drin in der iranischen Schatzkammer. Eine Klimaanlage rauscht, und rechts und links in dem schmucklosen Raum tauchen im Licht von Neonröhren eine Reihe von Gitter-Wänden zum Herausziehen auf. Langsam zieht der Wärter die Nummer 35 heraus - und es erscheint "Mural on Indian red ground" von Jackson Pollock, ein abstraktes Farbspiel in Braun-, Weiß- und Rottönen. Dafür soll ein Sammler vor ein paar Jahren 100 Millionen Dollar geboten haben. Das Museum lehnte ab. Das Bild einer nackten Frau von Willem de Kooning wurde verkauft, vermutlich, weil es im Iran sowieso nie hätte gezeigt werden können.

    Dann wollen wir eine besondere Lithografie sehen, von der wir vorher gehört hatten - der Wärter nickt und zieht an einer anderen Metallwand.

    Die Lithografie von Van Gogh zeigt einen Mann, der auf einem Stuhl sitzt und den Kopf in die Hände stützt. Er sieht traurig aus, hat aber keinen Grund dazu, denn rechts und über ihm hängen zwei Picassos, und links neben ihm ein Braque. Besonders symbolisch: Alle Gemälde werden beobachtet, denn neben dem Eingang des Archivs hängt noch ein Porträt von Ayatollah Khomeini: Mit strenger Miene schaut der Revolutionsführer auf die westliche Kunstsammlung. Es könnte kaum ein treffenderes Bild für die Zensur im Iran geben als dieses.

    Als nächstes sehen wir Mao Tse Tung, und zwar gleich zehn Mal als verschiedenfarbiges Porträt - unverkennbar, Andy Warhol. Dann aber wird uns bedeutet: Die Zeit ist um. Kurz darauf stehen wir draußen in der Hitze des Teheraner Nachmittags. Keine Frage: Das Museum für zeitgenössische Kunst in Teheran sucht den Dialog, es erprobt die Öffnung zum Ausland. Solange aber das iranische Regime seine Kritiker im eigenen Land einsperrt und drangsaliert, behält diese Öffnung einen bitteren Beigeschmack.