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In der Hand Johannes des Täufers

Nur sechs Kilometer von der Jerusalemer Stadtgrenze entfernt liegt Ein Kerem. In der Geschichte des Christentums spielt es eine Schlüsselrolle - hier wurde Johannes der Täufer, der Vorläufer Jesu Christi geboren. Bis 1948 in arabischer Hand, wohnen in der grünen Oase heute überwiegend gut betuchte Juden.

Von Marta Kupiec |
    Ein Sonntagmorgen in Ein Kerem- in der St. John Kirche wird gerade die Messe gelesen. Die Bänke sind bis auf den letzten Platz gefüllt, es ist ein Potpourri aus Menschen und Sprachen. In der Mitte kaum zu übersehen - eine stattliche Figur Johannes des Täufer, des Namenspatrons der Kirche. Umgeben von einem Franziskanerschwarm, duftenden Lilien, und einer dicken Weihrauchwolke scheint er die Pilgergemeinschaft zu segnen. Für Ilke, eine 38-jährige Heilpädagogin aus Deutschland, ein bewegender Moment:

    "Das war das Fest des Heiligen Johannes des Täufers - der war Vorläufer von Jesus Christus. Das ist seine Kirche, die ist ihm geweiht. Das ist der Ort, an dem Johannes der Täufer geboren ist - Ein Kerem ist ein ganz besonderer Ort. Ich finde, ich habe hier das erste Mal erfahren, was Weltkirche heißt - verschiedene Sprachen, Einflüsse, die jede Nation mitbringt, Es ist das Arabische, das Hebräische, das Englische, das Italienische, das Französische, das Deutsche - es sind hier so viele verschiedene Menschen und doch ist es eine Kirche. Und das ist schön."

    Die Weltkirche trifft sich in Ein Kerem nicht nur zu besonderen Anlässen. Tag für Tag ziehen durch die schmalen Gassen des malerischen Dorfes Dutzende von Pilgergruppen, kaufen ein und besichtigen. Auf ihrer Route liegen drei Kirchen, die an das geheimnisvolle Ereignis vor über 2000 Jahren erinnern, und ein in Gold gehülltes orthodoxes Frauenkloster.

    Ein beliebter Treffpunkt ist Mary's Spring - die Marienquelle, manchmal als Weinquelle bezeichnet. Diesem Ort verdankt Ein Kerem seinen Namen, hier sollen sich zwei schwangere Cousinen, Maria und Elisabeth, zum ersten Mal begegnet sein. Reinhard Hoene, der evangelischen Pfarrer aus Amstetten und seine Gemeinde sind auf den Spuren dieser Geschichte.

    "Wir sind hier, weil wir die Bibel besser verstehen wollen. Hier in Ein Kerem gefällt es mir besonders, weil hier wenige Touristen sind, weil der Ort beschaulich ist und idyllisch liegt. Hier sei der Täufer geboren und am achten Tag beschnitten worden, so wie die Schrift sagt. Ein Kerem ist der Ort, wo Elisabeth und Zacharias gelebt haben sollen. Maria, nachdem sie in Nazareth die Verkündigung der Geburt Jesu durch den Erzengel Gabriel bekommen hat, ist gleich hierher zu Elisabeth, ihrer Verwandten gegangen und blieb für etwa drei Monate hier."

    Nur einen Steinwurf von St. John Kirche entfernt, wohnt die israelische Künstlerin, Ruth Havillo. Aus dem Fenster ihres Ateliers beobachtet sie die Besucher und genießt es, wenn der Klang der Kirchenglocke auch in ihrer Wohnung zu hören ist. Das bunte Leben im Dorf bildet sie auf kunstvoll bemalten Kacheln ab. Umfasst in Holz oder Metall dienen sie dann als Namensschild, Topfuntersetzer oder Wanddeko.

    "Schauen Sie mal, ich habe hier Kacheln mit der Landschaft und der Architektur von Ein Kerem. Es sind Pflanzen, Kakteen, die typisch für diese Umgebung sind. Dazu gehören auch Früchte wie Granatäpfel oder Weintrauben, die es hier zahlreich gibt. Das alles ist meine Inspiration. Im Ort lebe ich schon 25 Jahre, weil ich die Architektur hier liebe. Es ist ein Teil von Jerusalem, aber man fühlt sich wie im Dorf. Überall grüne Flächen, man kann nur hoffen, das es so bleibt. Verschiedene Leute Leben hier, manche religiös, manche nicht, unterschiedliche Religionen. Aus meinem Fenster sehe ich Gruppen aus der ganzen Welt, die nach St. John kommen und singen. Ich sehe Pilger aus Afrika in ihren schönen Trachten, aus Korea, aus Deutschland, das macht das Leben lebenswert und interessant."

    Ruth ist eine von vielen Künstlern und Kunsthandwerkern, für die das Leben in Ein Kerem eine Inspirationsquelle ist. In der Künstlerkolonie hat auch Yitzchak Greenfield, ein New Yorker Maler seinen Platz gefunden. Ein paradiesischer Garten umrandet sein Atelier, Vögel schauen hier gerne vorbei. Yitzchak Greenfield kam nach Israel in den 50er-Jahren, lebte 15 Jahre in Kibbuz, dann ging er nach Ein Kerem. In seinem Werk spiegelt sich die wechselhafte Geschichte des Ortes wieder, der bis 1948 überwiegend von der arabischen Bevölkerung bewohnt wurde. Die Geschichte von Kriegen, Vertreibungen und Völkerwanderung - symptomatisch für das ganze Land.

    "Ich lebe seit 1967 in Ein Kerem. Als ich, meine Frau und meine zwei Kinder den Kibbuz verlassen haben, war das Geld knapp. Damals sagten wir, wir würden gerne in Jerusalem leben. Doch wir kamen zu dem schönsten, aber für die damalige Zeit verwahrlosten Nachbarort - Ein Kerem. Es lag weit weg von der Stadtmitte entfernt, die Straßen waren kaputt, aber ich wusste ganz genau, das wird sich ändern. Ein Kerem ist eine biblische Stadt, Juden lebten hier schon von Anfang an - damals hieß der Ort Beth HaKerem. Danach kamen die Byzantiner und haben den Ort übernommen, die Araber kamen vor über 1000 Jahren und übernahmen, die Römer kamen. In dem Krieg von 1948 als die arabischen Länder den Plan abgelehnt haben, dieses Gebiet zu teilen, wurden wir mehreren arabischen Ländern angriffen. Das Resultat war die Evakuierung vieler Araber und Muslime. Ein Jahr nach dem Ende des Kriegs kamen hier jüdische Emigranten - aus Nordafrika, aus dem Irak, aus dem Jemen, auch aus Polen und Osteuropa und haben sich niedergelassen. Für viele war das nur ein Übergangslager, denn Häuser waren zerstört, es gab nicht einmal die Badezimmer."

    Inzwischen gilt Ein Kerem als eine der Top-Adressen in der Jerusalemer Umgebung, was sich in den hohen Mietpreisen und einem rasantem Bewohnerwechsel niederschlägt. Arabisch hört man selten auf der Straße, an die arabischen Bewohner erinnert eine Moscheekuppel über der Marienquelle.

    Schon lange gilt hier nicht mehr das Prinzip: "Jeder kennt jeden". An den jüdischen Feiertagen, wenn das Jerusalemer Stadtleben ruht, bevölkert sich die grüne Oase und erinnert an das moderne Tel Aviv - mit einem einzigen Unterschied - ohne Hast, Wolkenkratzer und Verkehrslärm.

    David lebt in Ein Kerem seit 1953. Der Boden in seiner Tischlerwerkstatt ist mit Holzspänen und Staub übersät. Beim Schnitzen eines Bechers aus hellem Olivenholz erzählt er von dem Wandel seines geliebten Wohnortes.

    "Eine Menge von Geschichten hört man über Ein Kerem - manch einer hat hier Gold gefunden, welches Arabern gehörte, die hier noch in den 50er-Jahren wohnten. Es waren reiche Leute. Es gab Zeiten da lebten hier 15.000 Menschen, heute sind es nur 3000 und alle sind neu. Ich kenne unter uns Juden nur eine einzige christliche Familie, davor gab es Christen, Muslime und Drusen. Mindestens 60 Leute kenne ich nicht. Kein Unterschied, ob ich hier auf der Straße laufe oder in Tel Aviv. Im Vergleich zu Jerusalem ist Ein Kerem sehr überschaubar. Am besten, man kommt am Samstag, am Shabat - Menschen von überall kommen hierher, die Parkplätze sind voll. An diesem Feiertag versteht man, dass Ein Kerem ganz anders ist als Jerusalem und seine Altstadt."

    Hoffentlich bleibt es noch lange so- fügt die Künstlerin, Ruth Havillo, hinzu. Dass die Terrassen mit Olivenbäumen den Wolkenkratzern weichen, lehnt sie ab. Sollte es so sein, würde sie sogar bei Johannes dem Täufer Sturm laufen.

    "Die Häuser werden immer teuer, viele wollen hier bauen beispielsweise ein großes Hotel. Aber das ist nicht das Richtige für diesen Ort, das ist nur Geldmacherei. Wir versuchen eine Organisation ins Leben zu rufen, die gegen die Bebauungspläne kämpft. Aber bis jetzt engagieren sich nur einzelne Menschen."