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In der Schokoladenfabrik

Mit Kinderbüchern wie "Küsschen, Küsschen", "Der fantastische Mister Fox" oder "Charlie und die Schokoladenfabrik" wurde Roald Dahl berühmt. In dem Roald-Dahl-Museum in Great Missenden, nordwestlich von London, können Besucher mehr über den britischen Autoren und seine Bücher erfahren - vor allem aber jede Menge Schokolade essen.

von Michael Marek |
    So beginnt die unglaubliche Geschichte von "James und dem Riesenpfirsich". Gelesen und geschrieben hat sie der britische Schriftsteller Roald Dahl. Und wer kennt nicht seine Bücher "Küsschen, Küsschen", "Der fantastische Mister Fox" oder "Charlie und die Schokoladenfabrik":

    "Wir stehen jetzt unter dem Torbogen des alten Kutscherhauses aus dem 16. Jahrhundert. Und das sieht sehr idyllisch aus."

    Amelia Foster ist Literaturwissenschaftlerin und leitet das Roald-Dahl-Museum-und-Geschichtenzentrum:
    "Vor uns blicken wir in einen herrlichen Innenhof mit den Willy-Wonka-Toren, die uns von Warner Brothers geschenkt wurden und die aus dem Film "Charly und die Schokoladenfabrik" stammen. Ich kann sogar die Schokolade riechen, die hier vorbeirauscht, um uns zu begrüßen."

    Great Missenden, 50 Kilometer nordwestlich von London: Hier, in der Grafschaft Buckinghamshire, umgeben von sanften Hügeln und alten Fachwerkhäusern, steht das Museum. Hineinkommt man durch türgroße Schokoladentafeln - die zum Verdruss der jüngeren Besucher nur aus Plastik sind. Dahinter wird das Leben des berühmten Schriftstellers erzählt. Hier versucht man, Dahls Bücher der Fantasie vor der nervenden bunten Fernsehwelt zu retten:
    "Das Herzstück des Museums ist das Geschichtenzentrum. Wir waren uns bei der Entwicklung des Museums einig, dass wir keinen Roald-Dahl-Tempel wollten. Dahl hat nämlich drei Dinge gehasst: Museen, Bärte und langweilige Reden. Natürlich war er ein großartiger Schriftsteller. Aber hier geht es um die Fantasie der Kinder. Wir wollen die Besucher dazu anregen, eigene Geschichten zu erzählen, Charaktere zu erfinden, mit Sprache zu experimentieren, kleine Filme zu machen. Und wir haben hier einen Nachbau von Roald Dahls Schreibhütte, den die Besucher auskundschaften können."

    Daneben hat man für die Besucher unzählige Briefe, Fotos und Erinnerungsstücke zusammengetragen. Dahls Sandalen, seine Fliegerkappe aus dem Zweiten Weltkrieg, seinen zerschlissenen Ohrensessel findet man hier ebenso wie Videoinstallationen und Tondokumente.
    Außerdem gibt es ein Archiv mit sämtlichen Buchmanuskripten. Jeder Raum ist erfüllt von Roald Dahl - selbst auf den Toilette kann man dem berühmten Schriftsteller zuhören, wie er Geschichten vorliest - mit seiner markanten, dunklen Stimme:
    "Für den, der Kinder gerne hat,
    gibt es noch einen guten Rat -
    der wäre: Lasst sie niemals an
    den Fernseh-Flimmerkasten ran!"
    Great Missenden ist trotz des berühmten Sohnes ein Dorf geblieben. Zum Glück gibt es hier im Roald-Dahl-Museum-und-Geschichtenzentrum noch keine Andenkenindustrie, keine Kaffeetassen mit Dahls Konterfei oder T-Shirts mit seinem Namenszug. Dafür aber kann man jede Menge Schokoladentafeln kaufen.
    "Für uns war damals, 1923, der Bonbonladen in Llandaff der Nabel der Welt - wie die Kneipe für einen Trinker oder die Kirche für den Bischoff. Ohne diesen Mittelpunkt hätte unser Leben wenig Sinn gehabt. Aber einen schrecklichen Fehler hatte dieser Bonbonladen doch - die Besitzerin. Gehasst haben wir sie aus tiefster Seele. Sie hieß Mrs. Pratchett. Das war eine kleine schrumplige alte Hexe mit Borsten auf der Oberlippe. Lächeln gab es bei ihr nie. Wenn sie überhaupt mal etwas von sich gab, dann war das immer etwas Meckeriges wie: "Nehmt bloß endlich eure Klaufinger von der Schokolade weg! Entweder ihr kauft was, oder ihr verschwindet!""

    Finanziert wird das private Museum durch Eintrittsgelder, Büchererlöse und Spenden der Dahl-Familie. 50.000 Besucher aus allen Teilen der Welt kommen jährlich - vor allem aus Japan, Australien, den USA - und der Bundesrepublik. Doch was wird ihnen in Erinnerung bleiben? Das Werk oder die Biografie des Schriftstellers?, fragt Amanda Conquy die mit Dahl noch persönlich befreundet war und jetzt die Roald-Dahl-Stiftung leitet:
    "Dahl wird nicht als literarisches Genie in die Geschichte eingehen. Ich glaube, dass man sich an ihn als großartigen Geschichtenerzähler für Kinder erinnern wird. Eben als jemand, der Kinder auf vergnügliche Weise zum Lesen bringen konnte. Dahl wusste, wie Kinder empfinden, er wusste, was Kinder zum Lachen bringt. Er hat keine Hohe Literatur verfasst, seine Bücher haben großen Unterhaltungswert."

    Manche Literaturkritiker dagegen fanden seine Bücher abscheulich, antisozial, antifeministisch. Seine jugendlichen Leser indes machten Roald Dahl zu einem der weltweit erfolgreichsten Autoren.

    Dahl sei ein schräger Vogel gewesen, sagt Amanda Conquy. Alles politisch Korrekte wäre ihm zuwider gewesen. Dahl verärgerte Verleger und Lektoren mit beleidigenden Kommentaren. Dahl wetterte gegen die Juroren des Booker-Preises und gegen Salman Rushdie. Aber dieser Teil seiner Persönlichkeit wird im Roald-Dahl-Museum fast völlig ausgeblendet, zum Beispiel auch antisemitische Äußerungen 1982 während des isralischen Libanonfeldzuges:
    " Es war dumm von ihm, so etwas zu sagen. Er war sehr erbost über die Israelis und dann schrieb er so etwas auf - das ist doch eine kindliche Reaktion auf das, was in Israel vor sich ging. Und dann bezieht er das auch noch auf den Zweiten Weltkrieg, das war einfach dumm von ihm! Aber ich bin mir sicher, dass er das nicht wirklich glaubte. Dahl wollte provozieren, so wie er immer gern beim Abendessen provozierte. Sein Verleger war Jude, sein Agent war Jude, er hätte sie alle im Handumdrehen verlieren können. Aber er mochte diese Leute, er respektierte sie und dachte nur Gutes von ihnen. Er bat mich, seine Geschäftsführerin zu werden, und ich bin auch Jüdin. Man bittet doch nicht Menschen für einen zu arbeiten, wenn man antisemitisch ist. Das ist wieder ein Beispiel, wie sehr Dahl sich weigerte, irgendetwas ernst zu nehmen, auch sich selbst nicht."
    Kürzlich wurde das Museum als bestes touristisches Projekt in Großbritannien ausgezeichnet. Vielleicht, weil hier in Great Missenden Tourismus, Kommunalpolitik und Kultur Hand in Hand gehen? Oder nur deshalb, weil es im Roald Dahl Museum überall so wunderbar nach Schokolade riecht?

    "Oh, das ist ein Geheimnis. Na ja, dieser besondere Geruch wurde eigens für uns hergestellt. Wir haben so ein kleines Gerät, das diesen Geruch überall hin verteilt. Aber verraten Sie das niemandem!"