Es war deutlich, das "Nee" der niederländischen Wähler am 6. April: 61,1 Prozent sprachen sich gegen das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine aus. Initiatoren waren zwei europafeindliche Bürgerinitiativen. Es ging ihnen weder um das Abkommen, noch die Ukraine: Sie hatten von der erstbesten Gelegenheit Gebrauch gemacht, um ein in den Niederlanden gerade erst in Kraft getretenes Referendumsgesetz anzuwenden.
Ihr Ziel, den Mächtigen in Brüssel und Den Haag einen Denkzettel zu erteilen - eine Lektion in Sachen Demokratie, so Historiker Arjan van Dixhoorn vom "Burgercomité EU", einer der beiden Bürgerinitiativen: "Unser langfristiges Ziel ist ein Referendum, in dem sich die Niederländer so wie die Briten für oder gegen einen Austritt aus der EU aussprechen können. Wir müssen unsere Demokratie retten. Weil eine Machtübernahme stattgefunden hat. In Brüssel entsteht ein neuer Superstaat, die Niederlande werden zu einer Art Provinz degradiert."
Zwickmühle für die Regierung
Für Premierminister Mark Rutte muss sich das wie ein Tritt gegen das Schienbein angefühlt haben - ausgerechnet während der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft. Seitdem steckt er in der Zwickmühle - mit einem doppelten Glaubwürdigkeitsproblem: gegenüber den Wählern zu Hause und gegenüber Brüssel.
Zwar ist das Referendum nicht bindend. Aber im nächsten März finden in den Niederlanden Parlamentswahlen statt: Rutte kann es sich nicht leisten, ein Votum des Volkes einfach zu ignorieren - und noch mehr Wähler an die rechtspopulistische Partei für die Freiheit PVV von Geert Wilders zu verlieren. In den Umfragen liegt die PVV ohnehin weit vorne.
Parlament wartet auf "Beipackzettel" zum Abkommen
Das niederländische Parlament hatte das Assoziierungsabkommen längst abgesegnet, muss sich nun aber ein zweites Mal damit befassen. Denn, so Rutte: "Wir können den Vertrag nicht mehr einfach so ratifizieren wie er ist." Er brauche Zeit, um für dieses komplexe Problem eine Lösung zu finden.
Die Lösung, mit der Rutte sein Gesicht wahren will: eine Zusatzerklärung, eine Art Beipackzettel. Darin sprechen sich die Niederländer explizit gegen eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine aus, lehnen sämtliche Pläne für eine militärische Zusammenarbeit ab und schließen mögliche Subventionen aus. Des Weiteren soll in dieser Zusatzerklärung stehen, dass Ukrainer keinen Zugang zum niederländischen Arbeitsmarkt bekommen und Maßnahmen ergreifen, um die Korruption in ihrem Land zu bekämpfen. Das waren die wichtigsten Argumente der Gegner des Abkommens.
Doch der Beipackzettel lässt auf sich warten: Ursprünglich hätte er schon vor dem Sommer vorliegen sollen, dann vor dem ersten November, und nun hat Rutte das Parlament erneut um weitere sechs Wochen Aufschub gebeten. Damit bringt er die gesamte Opposition gegen sich auf.
Misstrauensantrag gegen Premier Rutte droht
Rutte fehlt für seinen Beipackzettel noch die nötige Unterstützung - sowohl aus Brüssel als auch in Den Haag. Noch hat er keine Mehrheit im niederländischen Parlament hinter sich. Ende Oktober richtete er deshalb einen geradezu verzweifelten Appell an seine Landsleute:
"Es geht um etwas, das größer ist als die Niederlande - viel größer. Wir sind Teil einer internationalen Gemeinschaft, die eine Front bildet: für Stabilität, gegen Aggression. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir einen großen Fehler begehen, wenn wir den Prozess der Ratifizierung zum Entgleisen bringen."
Ob der dramatische Aufruf etwas nutzt, bleibt abzuwarten. In Den Haag debattiert heute das Parlament über das Assoziierungsabkommen. Viele rechnen damit, dass es zu einem Misstrauensvotum gegen Rutte kommt.