Am Beginn der Emanzipation deutschsprachiger Juden standen die Aufklärung und die seit 1812 verbrieften bürgerlichen Rechte für preußische Juden. Zehn Jahre später wurden diese Rechte schon wieder beschnitten. Moritz Veit, geboren 1808, studiert und promoviert, war davon betroffen: Eine Universitätslaufbahn blieb dem Juden verwehrt, und so wurde er Verleger. Sein Leben und Wirken erforscht Arndt Engelhardt vom Simon-Dubnow-Institut Leipzig.
"Was ich sehr spannend fand an Moritz Veit, ist, dass er in verschiedenen Sphären der Kultur gleichermaßen unterwegs war. Er hat sich auf der einen Seite intensiv mit der deutschen Literatur, mit der deutschen Sprache beschäftigt. Bei der Fichte-Ausgabe oder bei den Leibnitz-Schriften - das ist einfach ein Interesse, was er selber an deutscher Philosophie, Kultur, deutscher Literatur hatte. Auf der anderen Seite hat er in der jüdischen Gemeinde in Berlin, die zu dieser Zeit sehr großen Aufschwung hat, eine wichtige Rolle gespielt."
Dort hat er versucht, einer formal-rechtlichen Emanzipation eine innere, eine kulturelle folgen zu lassen: Allein, das Recht auf ein Leben in Deutschland zu haben, schien ihm nicht genug, um auch als Bürger anerkannt zu werden.
"Zusammen mit Leopold Zunz, dem Begründer der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums, hat er versucht, ein Lehrerseminar zu gründen, was auch zehn Jahre gearbeitet hat und wo es darum ging, Lehrer für die jüdischen Schulen auszubilden. Da wurde ein großer Wert darauf gelegt, dass neben jüdischen Wissensinhalten auch deutsche Sprache, deutsche Kultur vermittelt wurde. "
Nicht zu vergessen sein Engagement auf der politischen Bühne, unter anderem im preußischen Parlament. Ihm, dem einzigen jüdischen Abgeordneten gelang es 1852, einen Antrag auf Verfassungsänderung abzuwehren: Ämter in Justiz und Polizei sollten nur noch mit Christen besetzt werden dürfen.
Es war eine ambivalente Zeit: Deutsche Sprache und deutsche Institutionen für Natur- wie Geisteswissenschaften erreichten bis Ende des Jahrhunderts eine hohe Akzeptanz und Anziehungskraft. Auch für Juden: Der Zuzug aus Osteuropa war beträchtlich.
Sie fanden aber keinen Weg in die wissenschaftlichen Institutionen, weil sich die christlichen Deutschen abschotteten.
"Was ich sehr spannend fand an Moritz Veit, ist, dass er in verschiedenen Sphären der Kultur gleichermaßen unterwegs war. Er hat sich auf der einen Seite intensiv mit der deutschen Literatur, mit der deutschen Sprache beschäftigt. Bei der Fichte-Ausgabe oder bei den Leibnitz-Schriften - das ist einfach ein Interesse, was er selber an deutscher Philosophie, Kultur, deutscher Literatur hatte. Auf der anderen Seite hat er in der jüdischen Gemeinde in Berlin, die zu dieser Zeit sehr großen Aufschwung hat, eine wichtige Rolle gespielt."
Dort hat er versucht, einer formal-rechtlichen Emanzipation eine innere, eine kulturelle folgen zu lassen: Allein, das Recht auf ein Leben in Deutschland zu haben, schien ihm nicht genug, um auch als Bürger anerkannt zu werden.
"Zusammen mit Leopold Zunz, dem Begründer der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums, hat er versucht, ein Lehrerseminar zu gründen, was auch zehn Jahre gearbeitet hat und wo es darum ging, Lehrer für die jüdischen Schulen auszubilden. Da wurde ein großer Wert darauf gelegt, dass neben jüdischen Wissensinhalten auch deutsche Sprache, deutsche Kultur vermittelt wurde. "
Nicht zu vergessen sein Engagement auf der politischen Bühne, unter anderem im preußischen Parlament. Ihm, dem einzigen jüdischen Abgeordneten gelang es 1852, einen Antrag auf Verfassungsänderung abzuwehren: Ämter in Justiz und Polizei sollten nur noch mit Christen besetzt werden dürfen.
Es war eine ambivalente Zeit: Deutsche Sprache und deutsche Institutionen für Natur- wie Geisteswissenschaften erreichten bis Ende des Jahrhunderts eine hohe Akzeptanz und Anziehungskraft. Auch für Juden: Der Zuzug aus Osteuropa war beträchtlich.
Sie fanden aber keinen Weg in die wissenschaftlichen Institutionen, weil sich die christlichen Deutschen abschotteten.
Der politische Autor Fritz Mauthner
Das betraf auch Fritz Mauthner. 1849 wurde er in Böhmen geboren, brach ein Jura-Studium in Prag ab und kam nach Berlin, wurde Feuilletonist und – Sprachforscher. Den größten Erfolg feierte sein Band "Nach berühmten Mustern", in dem er die Sprache deutscher Autoren wie Richard Wagner parodierte – in einem "Bühnen-Weh-Spiel in drei Handlungen". Hans-Joachim Hahn von der ETH Zürich betrachtet Mauthner als einen sehr politischen Autor.
"Ich denke, dass es das politische Programm einer Sprachkritik gibt, die es genau möglich macht, Wortaberglauben beispielsweise im Antisemitismus offen zu legen. Wortaberglaube aber auch in einer bestimmten Form der Wissenschaftsgläubigkeit."
Was sich auch auf Mauthners eigene Werke bezieht. Wohlwollende Kritiker betrachteten zum Beispiel die drei Bände mit "Beiträgen zu einer Kritik der Sprache" als revolutionär. Die abwertende Kritik, so Hans-Joachim Hahn, habe sich auf etwas anderes bezogen:
"Die Marginalisierung hat ja stattgefunden gegenüber dem Status, dass er als Autodidakt, als jemand, der aus der Tagespresse kam, nun im Alter von 50 Jahren wechselt in den Bereich der Wissenschaft, der ihm zugleich verschlossen ist – im Sinne einer akademischen Anbindung."
Und so ist es nicht verwunderlich, dass es für Fritz Mauthner nur ein Entweder-Oder gab. Entweder eine wirkliche Assimilierung, was für ihn auch hieß: Keine Konversion vom Juden- zum Christentum, sondern Austritt aus der Glaubensgemeinschaft. Oder der Zionismus, die Gründung eines jüdischen Staates. Gebe es aber keine klare Entscheidung, bleibe alles beim Alten, schrieb er 1912. Auch beim Judenhass, der sich seit etwa 30 Jahren Antisemitismus nenne.
"Ich denke, dass es das politische Programm einer Sprachkritik gibt, die es genau möglich macht, Wortaberglauben beispielsweise im Antisemitismus offen zu legen. Wortaberglaube aber auch in einer bestimmten Form der Wissenschaftsgläubigkeit."
Was sich auch auf Mauthners eigene Werke bezieht. Wohlwollende Kritiker betrachteten zum Beispiel die drei Bände mit "Beiträgen zu einer Kritik der Sprache" als revolutionär. Die abwertende Kritik, so Hans-Joachim Hahn, habe sich auf etwas anderes bezogen:
"Die Marginalisierung hat ja stattgefunden gegenüber dem Status, dass er als Autodidakt, als jemand, der aus der Tagespresse kam, nun im Alter von 50 Jahren wechselt in den Bereich der Wissenschaft, der ihm zugleich verschlossen ist – im Sinne einer akademischen Anbindung."
Und so ist es nicht verwunderlich, dass es für Fritz Mauthner nur ein Entweder-Oder gab. Entweder eine wirkliche Assimilierung, was für ihn auch hieß: Keine Konversion vom Juden- zum Christentum, sondern Austritt aus der Glaubensgemeinschaft. Oder der Zionismus, die Gründung eines jüdischen Staates. Gebe es aber keine klare Entscheidung, bleibe alles beim Alten, schrieb er 1912. Auch beim Judenhass, der sich seit etwa 30 Jahren Antisemitismus nenne.
Gerhard Scholem und die zionistische Lösung
Während der Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Mauthner eine zionistische Lösung ablehnte, empfand sie der am Ende dieses Jahrhunderts geborene Gerhard Scholem als einzig mögliche – obwohl er einer Berliner Buchdruckerfamilie entstammte, die sich selbst als umfassend assimiliert empfand. Er wandelte seinen germanischen Vornamen in Gershom um und lernte nahezu verzweifelt konsequent Hebräisch, um das "verfluchte Deutsch" loszuwerden und in Palästina leben zu können – was er Mitte der 1920er-Jahre auch tat. In Jerusalem, an der Hebräischen Universität lehrte er Mystik. Andreas Kilcher von der ETH Zürich beschreibt Gründe für Scholems Entwicklung:
"Ich denke, die Grunderfahrung war, dass die Geschichte der Juden in Deutschland und Europa überhaupt keine weitere Zukunft hat und dass das nur auf einen Konflikt hinausläuft; und es gibt einige Stellen im Tagebuch von Scholem, wo er sagt: Die Trennung wird heilsam sein. Wir werden uns nachher wieder besser verstehen. Das Projekt, jüdische Integration in Deutschland, sieht er als gescheitert."
"Ich denke, die Grunderfahrung war, dass die Geschichte der Juden in Deutschland und Europa überhaupt keine weitere Zukunft hat und dass das nur auf einen Konflikt hinausläuft; und es gibt einige Stellen im Tagebuch von Scholem, wo er sagt: Die Trennung wird heilsam sein. Wir werden uns nachher wieder besser verstehen. Das Projekt, jüdische Integration in Deutschland, sieht er als gescheitert."
Der prominenteste Germanist der Weimarer Republik
Friedrich Gundelfinger, 1880 geboren, beschritt einen anderen Weg. Der promovierte Germanist überzeugte als Übersetzer Shakespearescher Sonette, wofür er in den erlauchten Stefan-George-Kreis aufgenommen wurde. Wichtigste Folge dessen: Er nannte sich fortan Gundolf.
Als solcher verfasste er Biografien von Shakespeare und Goethe und wurde der prominenteste Germanist der Weimarer Republik. Sein wichtigstes Projekt, sagt Claude Haas vom Berliner ZfL, beschrieb er am konsequentesten im Buch "Dichter und Helden" von 1921 :
"Es geht hier um das Projekt einer, wie er das nennt, Auflösung des Judentums."
Keine Gottheiten mehr – das wollte eigentlich schon Fritz Mauthner. Gundolf schuf sich andere Heilande in Gestalt von Dante, Shakespeare und Goethe.
"Der Kulturheiland ist interessant, weil er eigentlich die einzige Figur ist, die Gundolf als Held gelten lässt. Er unterscheidet zwar dann noch einmal zwischen Worthelden und Tathelden; aber das Interessante am Kulturheiland ist, dass er eine sogenannte Spaltung, einen Leib-Seele-Dualismus, den Gundolf auf das Christentum zurückführt, exemplarisch überwinden kann. Das macht den Kulturheiland aus: Die Synthese von christlicher Spaltung und antiker Ganzheit zu vollziehen.
Von Judentum war keine Rede mehr.
War im George-Kreis die perfekte Assimilation gelungen? Nein, sagt Daniel Weidner: Zu verschieden blieb die Wahrnehmung beider Seiten:
"Von der Seite der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft als Zugeständnis, was auch jederzeit wieder entzogen werden kann, während es von der Seite der jüdischen Mitglieder des Kreises als etwas schon Erreichtes gesehen wurde."
Den Nationalsozialismus als bitteres Ende dieser mehr als ein Jahrhundert gehegten Erwartung erlebte Friedrich Gundolf nicht mehr; er starb 1931 hoch geehrt.
Information:
Unter dem Titel "Meine Sprache ist deutsch" veranstalteten das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und die RWTH Aachen eine Internationale Tagung über die Deutsche Sprachkultur von Juden und die Geisteswissenschaften 1870 -1970
Als solcher verfasste er Biografien von Shakespeare und Goethe und wurde der prominenteste Germanist der Weimarer Republik. Sein wichtigstes Projekt, sagt Claude Haas vom Berliner ZfL, beschrieb er am konsequentesten im Buch "Dichter und Helden" von 1921 :
"Es geht hier um das Projekt einer, wie er das nennt, Auflösung des Judentums."
Keine Gottheiten mehr – das wollte eigentlich schon Fritz Mauthner. Gundolf schuf sich andere Heilande in Gestalt von Dante, Shakespeare und Goethe.
"Der Kulturheiland ist interessant, weil er eigentlich die einzige Figur ist, die Gundolf als Held gelten lässt. Er unterscheidet zwar dann noch einmal zwischen Worthelden und Tathelden; aber das Interessante am Kulturheiland ist, dass er eine sogenannte Spaltung, einen Leib-Seele-Dualismus, den Gundolf auf das Christentum zurückführt, exemplarisch überwinden kann. Das macht den Kulturheiland aus: Die Synthese von christlicher Spaltung und antiker Ganzheit zu vollziehen.
Von Judentum war keine Rede mehr.
War im George-Kreis die perfekte Assimilation gelungen? Nein, sagt Daniel Weidner: Zu verschieden blieb die Wahrnehmung beider Seiten:
"Von der Seite der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft als Zugeständnis, was auch jederzeit wieder entzogen werden kann, während es von der Seite der jüdischen Mitglieder des Kreises als etwas schon Erreichtes gesehen wurde."
Den Nationalsozialismus als bitteres Ende dieser mehr als ein Jahrhundert gehegten Erwartung erlebte Friedrich Gundolf nicht mehr; er starb 1931 hoch geehrt.
Information:
Unter dem Titel "Meine Sprache ist deutsch" veranstalteten das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und die RWTH Aachen eine Internationale Tagung über die Deutsche Sprachkultur von Juden und die Geisteswissenschaften 1870 -1970