Es ist ein warmer Nachmittag in Tokio. Viele Japaner gehen im Yoyigi Park in der Nähe von Shinjuku spazieren. Auch die drei Mitglieder der Homi Band nutzen die Sonne. Wie so viele Musiker in Tokio üben sie im Freien, weil sie sich keinen Proberaum leisten können. Doch das motiviert auch, denn immer wieder bleiben ein paar Spaziergänger stehen und hören zu.
Ein paar Hundert Meter weiter herrscht beinahe schon Gedränge im Park. Denn die Kirschblüte ist vor einigen Tagen nach Tokio gekommen. An Straßen, auf Plätzen, vor den Bahnhöfen zeigen die Bäume derzeit ihre weiße Pracht. Die ist vor allem in den Parks überwältigend, wenn viele, viele Kirschbäume nebeneinanderstehen und ein bezauberndes weißes Blätterdach bilden. Die Sakura, wie die Zeit der Kirschblüte genannt wird, ist für Japaner etwas ganz Besonderes.
"Ich bin 45 und man sieht die Kirschblüte natürlich nur einmal im Jahr, und ach, das ist schön, aber man fühlt, dass man ein Jahr älter ist."
Tak Kohyama hat mir während der vergangenen Tage bei meinen Recherchen in Japan geholfen. Er hat mir mein W-LAN in meinem Hotel-Zimmer installiert, mich mit Adaptern versorgt, er ist mit mir durchs Land gefahren und hat die vielen Gespräche mit Japanern übersetzt.
"1985 habe ich angefangen, Deutsch zu studieren. Meine Interessen sind immer Auto, Foto, Technik gewesen, und das ist für Japaner immer Deutschland gewesen. Ich hatte die Möglichkeit, Chinesisch zu lernen oder Spanisch zu lernen, aber ich habe Deutsch genommen."
Tak ist verheiratet und hat zwei halbwüchsige Töchter. Anders als die meisten Japaner ist er den Umgang mit Ausländern gewohnt. Er ist unkompliziert. Viele Dinge in Japan habe ich auch durch seine Augen gesehen, er hat mir geholfen, Japan besser zu verstehen.
Mit ihm sitze ich jetzt ebenfalls unter einem Kirschbaum, obwohl die Tokioter Stadtregierung die Bevölkerung vor wenigen Tagen erst gebeten hat, in diesem Jahr die traditionellen Partys unter den Kirschblüten abzusagen. Aber viel Gehör hat Bürgermeister Ishihara nicht gefunden, denn wie jedes Jahr hocken überall Japaner auf blauen Planen unter den Kirschbäumen, trinken Bier, Reisschnaps oder Wein und essen, was sie mitgebracht haben.
Während der vergangenen Tage bimmelte bei uns beiden fast permanent das Telefon. Beruflich aber auch privat. Vor allem Tak erhielt viele Anrufe aus den USA, aus England und aus Deutschland: Seine Freunde wollten wissen, wie es ihm geht. Und vor allem die Deutschen waren immer besorgt und warnten ihn eindringlich vor der Strahlung aus Fukushima. Mit der Zeit sei ihm das fast schon ein bisschen auf die Nerven gegangen, meint Tak.
"Ich glaube, in Deutschland haben sie Strahlenallergie, sie sind so sensitiv."
Natürlich habe auch ich mir Sorgen über die Strahlenbelastung gemacht, als ich vor knapp zwei Wochen in Japan ankam. Doch der erste, eigentliche Schock war für mich gewesen, dass vieles in Tokio so war wie immer.
"Unser Leben ist, ich würde ich sagen, ganz normal. Ich habe Fernsehen gesehen, ich glaube, ein bisschen Strahlung kommt mit dem Wind aus Fukushima. Aber das ist nicht viel, ich glaube nicht, dass man daran sterben kann."
Wenn ich Aussagen wie diese bis vor anderthalb Wochen in Deutschland hörte, dachte ich, na ja, kein Wunder, dass die Japaner so was sagen, sie sind wahrscheinlich nicht richtig informiert. Aber hier vor Ort habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Jedes Mal, wenn ich mich fragte, ob die Strahlung vielleicht doch gefährlich ist, dachte ich an die Messdaten. Über die habe ich bei verschiedenen Nachrichtenagenturen nachgelesen. Und ich habe regelmäßig auf der Homepage von japanischen Atomkraftgegnern nachgeschaut, die ihre Messwerte aus Tokio veröffentlichten. Alle Daten zeigen, dass für die Bevölkerung in Tokio keine akute Gefahr besteht. Doch abgesehen von den reinen Fakten habe ich auch kulturell verstanden, warum Japaner eher ruhig bleiben. Sie sind von klein auf die ständigen Bedrohungen durch Erdbeben, Taifune, Vulkanausbrüche und Tsunamis gewohnt, und sie wissen: Mit besonnenem Verhalten überstehen sie die Krise am besten.
"Wir haben natürlich auch Gefühle. Alle haben Angst und sind schockiert, aber Gefühl zu haben und Panik zu haben, sind zwei verschiedene Dinge. So panisch zu werden, macht keinen Sinn, das hilft gar nicht."
Tak hat sich damit abgefunden, dass es schwer ist, Wasser in Tokio zu bekommen. Dass die Straßen der Hauptstadt etwas dunkler sind, findet er mittlerweile sogar schöner, weil es gemütlicher und weniger hektisch wirkt. Aber die horrenden Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Region, die geben ihm durchaus zu denken:
"Das ist mehr als unser jährliches Staatsbudget. Vor dem Erdbeben hat unsere Regierung immer gesagt, dass wir kein Geld haben. Und dann ist diese Erdbebengeschichte gekommen. Ich weiß wirklich nicht, aber ich glaube, wir machen das schon irgendwie."
Wir machen das schon irgendwie: Das ist die Einstellung, die viele Japaner hier haben. Alle werden ihren Beitrag leisten, um den Nordosten Japans wieder aufzubauen. Das Land hat eine schwere Zeit vor sich, doch tödlich getroffen ist Japan nicht. Morgen fliege ich zurück nach Deutschland. 24 Stunden habe ich noch in Tokio – Zeit, die Stadt noch einmal auf mich wirken zu lassen.
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Ein paar Hundert Meter weiter herrscht beinahe schon Gedränge im Park. Denn die Kirschblüte ist vor einigen Tagen nach Tokio gekommen. An Straßen, auf Plätzen, vor den Bahnhöfen zeigen die Bäume derzeit ihre weiße Pracht. Die ist vor allem in den Parks überwältigend, wenn viele, viele Kirschbäume nebeneinanderstehen und ein bezauberndes weißes Blätterdach bilden. Die Sakura, wie die Zeit der Kirschblüte genannt wird, ist für Japaner etwas ganz Besonderes.
"Ich bin 45 und man sieht die Kirschblüte natürlich nur einmal im Jahr, und ach, das ist schön, aber man fühlt, dass man ein Jahr älter ist."
Tak Kohyama hat mir während der vergangenen Tage bei meinen Recherchen in Japan geholfen. Er hat mir mein W-LAN in meinem Hotel-Zimmer installiert, mich mit Adaptern versorgt, er ist mit mir durchs Land gefahren und hat die vielen Gespräche mit Japanern übersetzt.
"1985 habe ich angefangen, Deutsch zu studieren. Meine Interessen sind immer Auto, Foto, Technik gewesen, und das ist für Japaner immer Deutschland gewesen. Ich hatte die Möglichkeit, Chinesisch zu lernen oder Spanisch zu lernen, aber ich habe Deutsch genommen."
Tak ist verheiratet und hat zwei halbwüchsige Töchter. Anders als die meisten Japaner ist er den Umgang mit Ausländern gewohnt. Er ist unkompliziert. Viele Dinge in Japan habe ich auch durch seine Augen gesehen, er hat mir geholfen, Japan besser zu verstehen.
Mit ihm sitze ich jetzt ebenfalls unter einem Kirschbaum, obwohl die Tokioter Stadtregierung die Bevölkerung vor wenigen Tagen erst gebeten hat, in diesem Jahr die traditionellen Partys unter den Kirschblüten abzusagen. Aber viel Gehör hat Bürgermeister Ishihara nicht gefunden, denn wie jedes Jahr hocken überall Japaner auf blauen Planen unter den Kirschbäumen, trinken Bier, Reisschnaps oder Wein und essen, was sie mitgebracht haben.
Während der vergangenen Tage bimmelte bei uns beiden fast permanent das Telefon. Beruflich aber auch privat. Vor allem Tak erhielt viele Anrufe aus den USA, aus England und aus Deutschland: Seine Freunde wollten wissen, wie es ihm geht. Und vor allem die Deutschen waren immer besorgt und warnten ihn eindringlich vor der Strahlung aus Fukushima. Mit der Zeit sei ihm das fast schon ein bisschen auf die Nerven gegangen, meint Tak.
"Ich glaube, in Deutschland haben sie Strahlenallergie, sie sind so sensitiv."
Natürlich habe auch ich mir Sorgen über die Strahlenbelastung gemacht, als ich vor knapp zwei Wochen in Japan ankam. Doch der erste, eigentliche Schock war für mich gewesen, dass vieles in Tokio so war wie immer.
"Unser Leben ist, ich würde ich sagen, ganz normal. Ich habe Fernsehen gesehen, ich glaube, ein bisschen Strahlung kommt mit dem Wind aus Fukushima. Aber das ist nicht viel, ich glaube nicht, dass man daran sterben kann."
Wenn ich Aussagen wie diese bis vor anderthalb Wochen in Deutschland hörte, dachte ich, na ja, kein Wunder, dass die Japaner so was sagen, sie sind wahrscheinlich nicht richtig informiert. Aber hier vor Ort habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Jedes Mal, wenn ich mich fragte, ob die Strahlung vielleicht doch gefährlich ist, dachte ich an die Messdaten. Über die habe ich bei verschiedenen Nachrichtenagenturen nachgelesen. Und ich habe regelmäßig auf der Homepage von japanischen Atomkraftgegnern nachgeschaut, die ihre Messwerte aus Tokio veröffentlichten. Alle Daten zeigen, dass für die Bevölkerung in Tokio keine akute Gefahr besteht. Doch abgesehen von den reinen Fakten habe ich auch kulturell verstanden, warum Japaner eher ruhig bleiben. Sie sind von klein auf die ständigen Bedrohungen durch Erdbeben, Taifune, Vulkanausbrüche und Tsunamis gewohnt, und sie wissen: Mit besonnenem Verhalten überstehen sie die Krise am besten.
"Wir haben natürlich auch Gefühle. Alle haben Angst und sind schockiert, aber Gefühl zu haben und Panik zu haben, sind zwei verschiedene Dinge. So panisch zu werden, macht keinen Sinn, das hilft gar nicht."
Tak hat sich damit abgefunden, dass es schwer ist, Wasser in Tokio zu bekommen. Dass die Straßen der Hauptstadt etwas dunkler sind, findet er mittlerweile sogar schöner, weil es gemütlicher und weniger hektisch wirkt. Aber die horrenden Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Region, die geben ihm durchaus zu denken:
"Das ist mehr als unser jährliches Staatsbudget. Vor dem Erdbeben hat unsere Regierung immer gesagt, dass wir kein Geld haben. Und dann ist diese Erdbebengeschichte gekommen. Ich weiß wirklich nicht, aber ich glaube, wir machen das schon irgendwie."
Wir machen das schon irgendwie: Das ist die Einstellung, die viele Japaner hier haben. Alle werden ihren Beitrag leisten, um den Nordosten Japans wieder aufzubauen. Das Land hat eine schwere Zeit vor sich, doch tödlich getroffen ist Japan nicht. Morgen fliege ich zurück nach Deutschland. 24 Stunden habe ich noch in Tokio – Zeit, die Stadt noch einmal auf mich wirken zu lassen.
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