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"In diesem sehr begrenzten Segment Lyrik, da ist zu kämpfen"

Was für Klagenfurt der Ingeborg-Bachmann-Preis ist, ist für Meran der Meraner Lyrikpreis. Vom 6.-8. Mai fand dort die zehnte Ausgabe statt. Poetin Eva Christina Zeller hat dort für uns gelesen.

Von Eva Christina Zeller | 08.06.2010
    Eva Christina Zeller
    Eva Christina Zeller (Eva Christina Zeller)
    Rilke, Kafka, Benn und Ezra Pound waren auch schon dort. An den Ufern der wilden Passer in Meran treffen sich alle zwei Jahre ausgewählte deutschsprachige Dichterinnen und Dichter. In öffentlichen Lesungen treten sie im Pavillon des Fleurs, dem Kulturhaus, gegeneinander an. Eine hochkarätig besetzte Jury kommentiert die noch nicht veröffentlichten Gedichte und vergibt drei Lyrikpreise. Dr. Ferruccio Delle Cave ist der Leiter des Kreises Südtiroler Autoren im Südtiroler Künstlerbund.

    "Die erste Ausgabe 1993 war zwei Jahre vorher in Vorbereitung und das Ziel dieses Preises war von Anfang an zum einen das Gespräch über Gedichte in Gang zu setzen, dieser schwierigen literarischen Gattung eine Stimme zu geben und sich auch international zu positionieren, denn es ist der einzige literarische Preis auf diesem Niveau im Lande, der über die Grenzen des Landes hinauswirkt."

    Der Gründer des Meraner Lyrikpreises war der verstorbene Alfred Gruber, der Vorgänger von Dr. Delle Cave. Er hat damals die Richtlinien entworfen, die bis heute gelten. Sie weisen Ähnlichkeiten mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt auf, unterscheiden sich aber insofern, dass die Dichterinnen und Dichter, sich mit 10 unveröffentlichten Gedichten anonym bewerben. Es ist also kein Vorschlagspreis. Was für die Lyriker einen Vorteil bedeutet ist für die Juroren ein Nachteil. Sie müssen viel lesen. 50 000 Gedichte sind in den vergangenen 17 Jahren schon in Meran gelandet. Sarah Kirsch, die früher in der Jury saß, beklagte sich damals über 45 Kilo poetisches Gewicht. Mittlerweile wählt eine Vorjury aus den 390 Einsendungen, die es dieses Mal gab, die besten 45 Lyriker aus. Die fünf Jurymitglieder, zu denen Ulla Hahn, Christoph Buchwald und Ilma Rakusa zählen, mussten also nur noch 450 Gedichte lesen und dann die neun Lyriker bestimmen, die nach Meran eingeladen wurden. Hat sich denn durch diese Auswahl in den Jahren eine Meraner Diktion herausgebildet?

    "Es gibt keinen Meraner Diskurs oder Schule, in der Geschichte keine ganz festzulegende Trendentwicklung. Es gibt verschiedene Trends, ich denke an die ersten Ausgaben, an Kurt Drawert, Kathrin Schmidt, Lutz Seiler, das waren die ersten Sieger aus dem Preis. Damals war die Betroffenheit und die textuelle Aufarbeitung einer DDR-Vergangenheit großgeschrieben, das hat auch Schule gemacht. Es gibt keine Meraner Diktion, es gibt die persönliche Auseinandersetzung der Autorinnen und Autoren mit Themen der Zeit, wie auch mit Formen des Gedichts und es gibt die Reaktion verschiedener Juroren auf diese Texte, das ist der rote Faden.
    In diesem Jahr haben wir ja erlebt, dass zum Beispiel das lyrische Ich wieder im Zentrum der Debatte stand, dass die Berührungsängste mit Tradition des Gedichts nicht nur in der deutschen, sondern auch der ganzen europäischen Literatur keine Probleme darstellen, dass es narrative diskursive Formen des Gedichts gibt, diese drei Referenzen haben sich in der Ausgabe 2010 herausgestellt. Sie sehen, wir haben in jeder Ausgabe besondere Schwerpunkte. Das ist vielleicht unser Spezifikum, wenn es denn eines ist."

    Dieses Jahr hat Andre Rudolph aus Leipzig den Hauptpreis bekommen. Seine leichten, witzigen und verspielten Gedichte haben einen narrativen Charakter und sind von einer sehr heutigen Diktion, wie die Juroren bemerkten. Da heißt es zum Beispiel in seinem Gedicht "on the roof":

    gedichte über amseln haben ja
    den vorteil, dass sie schwarz sind und
    von den rändern her singen,
    das problem bei diesen vögeln ist nur,
    dass sie es einem nicht leicht machen,
    das thema zu wechseln, wenn sie
    einmal aufgetaucht sind


    Im weiteren Verlauf des Gedichtes begegnen die Amseln dann aber einer "lady" über die es heißt:

    golden war ihr bauchnabel, ja, und aus
    zungen, und aus lauterem gold, und üppig war sie
    wie die sicherungskopie einer mahlersinfonie...


    Heutig ist also die Sicherungskopie einer Mahlersinfonie und von der Seele wird bei Rudolph behauptet, dass sie unbeobachtet ihre "backups" macht. Unverbrauchte Bilder, da war sich die Jury schnell einig. Auch die drei anderen Preisträger Sünje Lewejohann, Carsten Zimmermann und Christian Rosenau, der noch einen Sonderpreis von der Jury zuerkannt bekam, wurden von der Jury gelobt und fast durchgewunken. Wie war das denn in früheren Jahren?

    "Ich nenne sofort einen Eklat. Raoul Schrott. Raul Schrott wurde von der Jury sehr unsanft und sehr infam behandelt. Die gelesenen Gedichte von Schrott wurden dann mit Erfolg publiziert in einer eigenen Buchpublikation. Er verließ den Preis sehr verletzt und vergrämt und das Lustige dabei war, dass er damals die Befürchtung hegte, durch diese Art von kritischer Auseinandersetzung würde er seinen schriftstellerischen Weg nicht machen. Und das kam ja ganz anders. Wir hatten auch zwei Autoren, die kurz nach der Lesung aufgestanden sind und gegangen sind, daraus hat die Jury auch gelernt. Denn es hat ja wenig Sinn neun Autorinnen und Autoren einzuladen und sie dann coram publico öffentlich abzuschlachten, denn dann werden sich diese Finalisten schon die Frage stellen, warum hat man mich hierher eingeladen. Aus diesen Fällen hat die Jury gelernt.
    Anekdoten gab es genug. Tellkamp, der jetzt sehr bekannt geworden ist, vor allem durch seine Prosa, hat sein Langgedicht auswendig vorgetragen, es war der Einzige, er hat alle damit beeindruckt. Aber auch nicht gewonnen, er hat durchaus sich darüber auch ausgelassen. Es gab immer wieder solche Szenen.
    Eines muss ich allerdings sagen, der Preis hat interessanterweise Namen als Sieger aufzuweisen, die im Grunde allesamt ihren literarischen Weg gemacht haben, und allesamt Namen sind, ich nenne Kurt Drawert, Lutz Seiler, Kathrin Schmid, ich nenne Donhauser, die Martina Hefter, die Almut A. Sandig, die in der Literaturszene tätig sind und auch von den Finalisten etliche, die in der Literaturszene sehr wohl zuhause sind."

    Der Meraner Lyrikpreis ist ein besonderer Preis, nicht nur weil er renommiert ist, sondern weil er auch durch seine demokratische, anonyme Einsendungspraxis eine wichtige Alleinstellung innehat. Vergleichbar ist er damit nur mit dem Darmstädter Leonce-und-Lena-Preis, aber bei dem dürfen sich nur Dichter unter 35 bewerben.

    "Er hat sein Renommee gerade im Licht der Reihung der Namen, dadurch gibt es schon eine Festigung in der Beachtung, aber man muss von Ausgabe zu Ausgabe auch für das Wahrnehmen einer solchen Institution kämpfen, es ist nicht selbstverständlich, in diesem sehr begrenzten Segment Lyrik, da ist zu kämpfen und immer wieder neu das zu belegen und zu bewerben."