Archiv


In flagranti beim Tunneln ertappt

Physik. - In der Quantenphysik können Teilchen durch Materie hindurchwandern. Tunneleffekt, so heißt dieser eigenartige Prozess. Ein internationales Forscherteam konnte ihn nun erstmals direkt beobachten. Mit einer ausgefeilten Laserapparatur haben die Physiker quasi zugeschaut, wie Elektronen durch einen Quantentunnel laufen. In der heutigen "Nature" stellen sie ihr Experiment vor.

Von Frank Grotelüschen |
    Wenn man über Markus Drescher sagt, er wolle mit dem Kopf durch die Wand, fühlt er sich womöglich geschmeichelt. Denn der Physikprofessor der Universität Hamburg befasst sich mit Teilchen, die tatsächlich durch Wände treten. Möglich macht es der Tunneleffekt – ein verblüffendes Phänomen aus dem seltsamen Reich der Quanten. Drescher:

    "Dieser Tunneleffekt ist ein Quanteneffekt. Den gibt es nur in der Quantenwelt. Das wäre vergleichbar, als wenn ich in der Lage wäre, durch eine Wand zu gehen. Das ist ja etwas, was man sich nicht vorstellen kann. Aber die Teilchen, die Bausteine unserer Materie – die können das."

    Beispiel: Ein Urankern dürfte eigentlich gar nicht radioaktiv sein. Denn eigentlich klebt er viel zu fest zusammen, als dass er ganz von selbst einfach so zerplatzen könnte. Erst der Tunneleffekt macht das Uran radioaktiv: Durch ihn kann sich ein so genanntes Alphateilchen aus dem Uran herausmogeln und es dadurch zum Zerfallen bringen. Auf ähnliche Weise sorgt der Tunneleffekt im Inneren der Sonne dafür, dass Wasserstoff zu Helium verschmilzt – was die Sonne überhaupt erst zum Scheinen bringt. So gesehen ist der Tunneleffekt essenziell für unser Dasein. Und auch die Industrie hat ihn schon für sich entdeckt, sagt Markus Drescher.

    "Er ist in der Technik inzwischen durchaus vertreten. Es gibt Halbleiter-Bauelemente, Tunneldioden beispielsweise, die diesen Effekt ausnutzen."

    Doch wie läuft das Tunneln im Detail ab? Um diese Frage zu klären, erdachte sich Drescher gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam ein aufwändiges Experiment. In diesem Experiment nehmen die Physiker das Edelgas Neon ins Visier. Wie andere Atome auch besteht Neon aus einem Atomkern, der von Elektronen umschwärmt wird. Eigentlich hat das Neon seine Elektronen fest im Griff. Einzig der Tunneleffekt bietet ein winziges Schlupfloch und lässt hin und wieder eines der Elektronen entwischen – vorausgesetzt, die Bedingungen stimmen. Diese Bedingungen aber – und das ist das Problem – sind extrem. Das Tunneln der Elektronen kann nur klappen, wenn starke elektrische Felder im Spiel sind – Felder, die einer Hochspannung von einer Million Volt entsprechen. Drescher:

    "Das ist eine Spannung, die vergleichbar ist mit den Spannungen, die bei Blitzen auftauchen. Und Sie müssen sich vorstellen, dass man einen Blitz hat oder eine Spannungsdifferenz, die der Spannungsdifferenz zwischen der Wolke und dem Erdboden entspricht – allerdings nicht auf einer Entfernung von einem Kilometer, sondern von einem Zentimeter!"

    Um eine Million Volt auf kleinstem Raum zu erzeugen, beschießen Drescher und seine Leute das Neon mit speziellen Laserblitzen. Diese Blitze sind ultrakurz, aber zugleich auch ultrastark. Drescher:

    "Der Trick ist, dass wir die Laser so stark fokussieren und die Pulse so kurz machen können, dass sehr hohe Lichtintensitäten auftreten. Und die sind verknüpft mit sehr hohen elektrischen Feldern."

    Um nun den Tunneleffekt gezielt hervorzulocken, feuern die Forscher kurz nacheinander zwei Laserblitze auf das Neongas. Der erste pumpt ein wenig Energie in das Atom. Der zweite öffnet sozusagen das Tor zum Tunnel – eine kurze Gelegenheit für die Elektronen sich zu verdünnisieren. Drescher:

    "Auf diese Art und Weise haben wir jetzt verfolgen können, wie die Elektronen aus dem Neon durch diese Tunnelbarriere durchgetreten sind."

    Eines ist dabei klar: Die Elektronen huschen ungemein schnell durch den Tunnel. Drescher:

    "Eine Obergrenze für die Tunnelgeschwindigkeit liegt bei vielleicht 300 Attosekunden. Eine Attosekunde sind 10 hoch -18 Sekunden. Aber wir können nur eine obere Grenze angeben."

    Nun wollen Drescher und seine Kollegen die Tunnel-Technik weiter verfeinern, um sie für die Grundlagenforschung einzusetzen. Denn das Verfahren taugt als extrem feinfühlige Messtechnik, mit der sich neue Details darüber herausfinden lassen, was die Elektronen in der Atomhülle so alles tun und treiben.