Zugegeben: Dante Alighieris Purgatorio ist ein ziemlich seltsames Konzept. Ein Läuterungsberg am Südpol, den die sündigen Seelen spiralförmig aufwärts erklimmen, um dabei durch diverse Quälereien für die sieben Todsünden zu büßen. Schon schräg. Aber wenn man als Choreograf mit amerikanischen Wurzeln keine Idee hat, was italienisch-mittelalterliche Seelenreinigungsfantasien im zeitgenössischen Tanz zu suchen haben, könnte man dann die Vorlagenbehauptung nicht einfach sein lassen?
Dass Richard Siegal - derzeit schwer angesagter Choreograf in München, der vor wenigen Monaten die Finanzierung für eine neue bayrische Kompanie, das "Ballet of Difference" zugesprochen bekommen hat –, dass Siegal also mit Dantes Höllen-Himmels-Trip nicht wirklich etwas anfangen kann, war eigentlich schon im letzten Jahr bei seinem ersten Teil zur "Göttlichen Komödie" klar. Damals schickte er in seinem Stück "Model" die Tänzer quasi auf dem Laufsteg ins "Inferno". Exquisitverschraubter Tanz, bei dem man schon sehr angestrengt assoziieren musste, um irgendetwas vom Versepos darin zu erkennen. Das ist auch diesmal nicht anders.
Die Bühne: eine Baustelle, staubig wie ein Steinbruch. Hier wird kein Sünder sauber. Hier werden Tänzerleib und -lunge mit Schmutz gemartert. Und hier wird dem Menschen demonstriert, wie vergeblich, tödlich und vor allem lächerlich jedes Aufbegehren gegen Autoritäten ist. Eine Art Sisyphos-Performer holt Steine aus Mülltonnen, die seine Kollegen wieder reinräumen.
Viele Ideen versteht der Zuschauer nicht
Ein Tänzer präsentiert sich als Jesusfigur mit ausgebreiteten Armen, verdreht dabei aber sämtliche Gelenke zu einer Folterchoreografie ganz eigener Art. Und die einzige Frau des Ensembles zeigt Kampfkunst in Zeitlupe, aber weil sie vorher offenbar in einen Zementtopf gefallen und ihre Haut von grau-glänzendem Glibber bedeckt ist, weiß man, dass auch diese Rebellin bald nur noch Skulptur sein wird.
Dazu Bilder von Revolutionsfiguren wie Ulrike Meinhof, Trotzki und Donald Rumsfeld. Ja, doch richtig gehört: Ex-Verteidigungsminister der USA und Irakkriegstreiber. Von ihm hängt Richard Siegal ein paar Schwarz-Weiß-Fotos auf die Bühne, allerdings nicht vom heute faltigen Rumsfeld, sondern vom jungen Collegestudenten: So dürften die meisten Zuschauer ihn nur auf Nachfrage beim Dramaturgen erkennen.
Ob das wohl Humor sein soll? Also die göttliche Komödie als nihilistischer Schwank? Von solch' verrutscht-peinlichen Ideen haben Siegal und sein Team jedenfalls noch mehr in petto. Da wäre zum Beispiel ein Musiker, der als Louis-de-Funés-Typ auftritt und hyperagil, augenrollend und mit comichafter Stimme Texte des Theatertheoretikers Antonin Artaud vorträgt, die man genauso wenig versteht wie das Rumsfeld-Foto.
Getanzt wird dazu von den fünf Performern zwar physisch perfekt, aber kaum mal choreografisch ausgefeilt. Es ist natürlich toll an Richard Siegal, dass er sich immer wieder neu erfinden will und etwa nie nur der raffinierte Spitzentanz-Choreograf bleibt, der er, wie ältere Stücke bewiesen haben, auch sein könnte. Aber als grotesker Tanztheater-Provokateur, als Johann Kresnik auf postmodern, also ohne echte politische Energie – das ist kein Rollenmodell, das ihm steht.
Immerhin: Am Ende wartet die Inszenierung mit einem spektakulären Schlusseffekt auf: Dann wird die ganze Baustellen-Bühne zu gewaltigem Sound von einem Schacht eingesogen, verschwindet im schwarzen Loch, als hätte es sie nie gegeben. Darüber die schöne Inschrift: "Tout est pardonné - alles ist vergeben". Machen wir, Mister Siegal. Versprochen.