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In sechs Schritten um die Welt

Soziologie. - Jeder kennt eine ganze Reihe von Menschen; meist viel mehr, als einem auf den ersten Blick bewusst ist. Und jeder von diesen Bekannten kennt wieder andere - und so weiter und so weiter. Da stellt sich die Frage: Über wie viele Zwischenstationen kann man eigentlich eine beliebige Zielperson erreichen - Wie klein oder wie groß ist die Welt? Vor rund 35 Jahren stellte der Soziologe Stanley Milgram nach einem allerdings auf die USA beschränkten Experiment die These auf, dass sechs Schritte ausreichen. Der Versuch wurde jetzt im globalem Maßstab wiederholt. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe von "Science" veröffentlicht.

    Von Michael Gessat

    Die Aufgabenstellung im Experiment der Soziologen Dodds, Muhamad und Watts von der Columbia University lautete: Einer Zielperson, von der nur Name, Wohnort und Tätigkeit bekannt war, eine Nachricht zu übermitteln. Die Teilnehmer sollten per Email jemand kontaktieren, von dem sie annahmen, näher an der Zielperson "dran zu sein" als sie selbst: Das konnten Freunde, Verwandte, Arbeits- oder Studienkollegen sein. Das Ergebnis bestätigte die Theorie des Soziologen Stanley Milgram aus den 60er Jahren: Für eine erfolgreich abgeschlossene Kette reichten durchschnittlich sechs Schritte.

    Wie im Beispiel des Inders Vijay aus Delhi und der New Yorkerin Alice: Der Ingenieur im indischen Delhi arbeitete früher mit einem Kollegen namens Sameer zusammen, der jetzt in Kalkutta wohnt. Dessen Tochter Prema studiert in Berkeley in Kalifornien und spielt Fußball mit ihrer Freundin Christie. Deren bester Freund von der Highschool ,William, studiert mittlerweile in New York Medizin - und zwar zusammen mit Alice.

    Was wir als Ergebnis herausgefunden haben, waren fünf bis sieben Schritte, also lag Milgram ungefähr richtig; wir sind da nicht weit auseinander.

    bestätigt Peter Sheridan Dodds, der Hauptautor der Studie. Ganz so verwunderlich ist das Resultat sechs übrigens nicht: Angenommen, jedermann hätte 43 Bekannte, und jeder dieser Bekannten wiederum 43, dann würde man -über sechs Ecken oder Zwischenschritte- ungefähr 6,3 Milliarden Menschen zur entfernteren Bekanntschaft zählen dürfen: etwa die momentane Erdbevölkerung.

    Der Haken ist natürlich, dass die Kommunikationsstränge an irgendeinem Punkt unweigerlich scheitern. So erreichten denn auch im e-mail-Experiment nur 384 von 24163 angefangenen Ketten ihr Ziel. Trotzdem konnten die Wissenschaftler einige Schlüsse ziehen, weil sie jeweils auch nach den Beweggründen für die Wahl des nächsten Kettenglieds fragten. Dodds:

    Das Ganze ist wirklich Grundlagenforschung. Wir verstehen soziale Netzwerke größeren Maßstabs noch nicht, wir haben keine besonders guten Modelle, wir können eigentlich nur vermuten, wie sie funktionieren. Unser Versuch erlaubt uns, ein wenig Licht in die Sache zu bekommen, weil wir die Leute fragen konnten, warum sie eine bestimmte Kontaktperson ausgewählt hatten. Wir haben einige Anhaltspunkte, aber es ist noch auf einer sehr einfachen Ebene. Wo das Ganze wirklich sehr hilfreich sein könnte ist überall da, wo es um Wissen, um große Wissensdatenbanken in dezentralisierten Netzwerken, sogenannten "peer-to-peer-networks" geht. Man braucht hier eine Methode zu navigieren und die Information zu finden, die man sucht. Hier könnten einige Ergebnisse, die wir in unserer Studie gefunden haben verwendet werden, um solche Systeme zu entwerfen oder zu verbessern.

    Und was bedeutet die Studie für den normalen Alltag? Es ist eine relativ einfache Sache, eine e-Mail weiterzuleiten. Wenn es um Ziele geht, die mehr persönlichen Aufwand, vielleicht sogar das Überwinden von Widerstand erfordern, dürfte die Bereitschaft rapide sinken, sich etwa für den Freund eines Freundes ins Zeug zu legen. Aber trotzdem sind soziale Netze unverzichtbar: Vor allem in Ländern oder Gesellschaften ohne funktionierenden Markt, aber auch, wenn es um Dinge geht, die man nicht einfach kaufen kann. Dodds:

    Manchmal, wenn Sie ein spezielleres Anliegen haben, kann das Vorgehen über ein Netzwerk sehr nützlich sein. Um zum Beispiel einen Job zu suchen, ist es oft gar nicht so gut, einfach direkt anzurufen. Es kann besser sein, von jemandem empfohlen zu werden: Das ist also so eine Methode, wie man sein soziales Netzwerk nutzt. Natürlich sind diese sechs oder sieben Schritte in der vollständigen Kette ein extrem weiter Weg. Die tatsächliche Ausdehnung unseres sozialen Universums liegt vielleicht bei zwei Schritten. Aber - und darauf deutet unser Experiment hin - wenn Sie es wirklich wollen, können Sie mit jemand in Kontakt kommen, der drei oder vier Schritte von Ihnen entfernt ist.

    Je mehr Information zentralisiert zur Verfügung steht -etwa bei einer Internetsuchmaschine wie Google- umso egalitärer sind die Verhältnisse: Jeder hat die gleiche Information. Im Sinne des erfolgreichen Wettbewerbs sind also diese Beziehungsnetzwerke, wie sie etwa in Osteuropa oder Russland notwendig waren, auch bei uns noch sehr wichtig: Sie helfen Ihnen, sich von dem abzuheben, was mittlerweile quasi weltweites Allgemeingut ist.


    Wie klein die Welt ist, bekommen wir meist durch ungenehme Folgen mit: Wenn sich Epidemien in Windeseile um den Globus ausbreiten, wenn der in Indonesien programmierte Computervirus am nächsten Tag die Bürorechner in Amerika lahmlegt. Aber auch der große private oder berufliche Erfolg ist vielleicht nur einen Schritt weit entfernt - einen Schritt weiter in die kleine Welt.