Pastor Andrew Brunson und seine Frau Norine ahnten nichts Böses, als sie im vergangenen Oktober zur örtlichen Polizeiwache bestellt wurden. Das amerikanische Ehepaar lebte seit 23 Jahren in der westtürkischen Stadt Izmir, wo Brunson eine kleine protestantische Kirchengemeinde leitete. Einige Dutzend solcher ausländischen Seelsorger gibt es in der Türkei - die wenigen Protestanten im Land sind auf sie angewiesen, weil die Kirche in der Türkei keine Seelsorger ausbilden darf.
Ihre Arbeit ist nicht ungefährlich: Immer wieder gibt es Angriffe auf sie, vor zehn Jahren wurde ein deutscher Pastor ermordet. Die Brunsons waren aber wohlgelitten in Izmir; sie besaßen Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsgenehmigung und hatten drei Kinder dort großgezogen. Pastor Brunson fühlte sich zuhause in der Türkei, sagt seine 19-jährige Tochter Jacqueline:
"Es ist das Lebenswerk meines Vaters, die Menschen zu lieben und ihnen zu helfen. Das war auch sein Plan für den Rest seines Lebens. Er hatte nicht vor, die Türkei jemals wieder zu verlassen."
Ohne Anwalt, ohne Haftbefehl, ohne Erklärung
Doch auf der Polizeiwache wurde dem überraschten Pfarrer und seiner Frau am 7. Oktober ein Abschiebebefehl des Innenministeriums vorgelegt; beide wurden sofort festgenommen und in Abschiebehaft gesteckt - aber nicht abgeschoben. Nach knapp zwei Wochen wurde die Ehefrau freigelassen, der Pastor aber blieb zwei Monate lang in Einzelhaft - ohne Anwalt, ohne Haftbefehl und ohne Erklärung. Im Dezember wurde er schließlich einem Haftrichter vorgeführt und in ein Untersuchungsgefängnis überstellt, wo er seither einsitzt - wegen angeblicher Unterstützung von Terrororganisationen. Ein absurder Vorwurf, sagt die Tochter:
"Diese Vorwürfe passen in keiner Weise dazu, wer mein Vater ist, wie er uns erzogen hat, und wie er mit Menschen umgeht. Es ist gar nicht daran zu denken, dass mein Vater irgendetwas mit solchen Organisationen zu tun haben könnte."
Trumpfkarte für die Auslieferung von Gülen?
Was ihm genau zur Last gelegt wird, weiß der 49-Jährige bis heute nicht, denn seine Gerichtsakte wurde von der türkischen Justiz für geheim erklärt - selbst sein Rechtsanwalt, der ihn inzwischen besuchen konnte, erhält keine Akteneinsicht. Dafür überbieten sich die türkischen Zeitungen mit Berichten über die angeblichen Missetaten des protestantischen Pfarrers aus den USA. Sowohl für die kurdische PKK als auch für die Putschisten vom vergangenen Sommer habe Brunson sich betätigt, schrieb das Massenblatt "Sabah". Die Zeitung "Yeni Asir" behauptet, der Pfarrer sei von dem islamischen Prediger Fethullah Gülen bezahlt worden, dem früheren Bündnispartner und jetzigen Intimfeind von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Und die Zeitung "Takvim" erklärte den Pastoren kürzlich zum Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIA und Drahtzieher des Putschversuches.
Alles kompletter Unsinn, sagt Aykan Erdemir, Türkei-Experte an der Foundation for Defense of Democracies, einer Denkfabrik in Washington:
"Das sind frei erfundene Vorwürfe, das weiß jeder, der sich näher mit diesem Fall befasst hat. Von Rechtsstaatlichkeit oder einem fairen Verfahren kann hier absolut keine Rede sein. Pastor Brunson ist einfach ein Unterpfand von Erdogan, eine Trumpfkarte in seiner Hand."
Beobachter wie Erdemir vermuten, dass Brunson der türkischen Regierung als Pfand für die Verhandlungen mit den USA über eine Auslieferung von Fethullah Gülen dienen soll, der im US-Bundesstaat Pennsylvania lebt. Erdogan wirft dem Prediger vor, den Putschversuch vom vergangenen Sommer angezettelt zu haben. Weil die türkischen Behörden bisher aber keine überzeugenden Beweise dafür vorlegen konnten, verweigert die amerikanische Justiz seine Überstellung. Möglicherweise will die Türkei also versuchen, einen Prediger gegen den anderen auszutauschen. Anders könne man sich den Fall kaum erklären, meint US-Senator James Lankford, der sich in Ankara für Brunson engagiert hat.
"Es ist jedenfalls sehr merkwürdig, dass ein Missionar und amerikanischer Staatsbürger nach mehr als 20 Jahren in der Türkei plötzlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wird, ohne Beweise und ohne Anklage."
Treffen von Trump und Erdogan
Die amerikanische Regierung hat sich wegen der Präsidentschaftswahlen im Herbst und der Amtsübergabe zu Jahresbeginn erst relativ spät in den Fall eingeschaltet. Seit einigen Monaten laufen die Bemühungen um Freilassung des Pastors aber auf allerhöchster Ebene. US-Außenminister Rex Tillerson traf sich bei seinem ersten Besuch in Ankara im März mit Norine Brunson, der Frau des Pfarrers. Und als Erdogan vor zwei Wochen nach Washington kam, sprach US-Präsident Donald Trump ihn bei dem 23-minütigen Treffen im Weißen Haus auf den Fall an. Trump habe Erdogan ersucht, den amerikanische Pfarrer schnellstmöglich an die USA zu überstellen, erklärte das Weiße Haus. Erdogan blieb unbeeindruckt, wie der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu anschließend sagte:
"Unser Staatspräsident hat Trump erklärt, dass diese Person wegen Verbindungen zu Terrororganisationen festgenommen wurde und dass Anzeigen gegen ihn vorliegen. Er hat Verbindungen zur Terrorgruppe PKK und möglicherweise auch anderen Terrorgruppen. Mehr will ich dazu jetzt nicht sagen."
Ganz offen sprach Erdogan es schließlich bei einer Rede vor der Regierungsfraktion in dieser Woche aus:
"Ich sage der ganzen Welt: Wenn ihr uns nicht bei den Auslieferungen entgegenkommt, dann sollt ihr wissen, dass ihr künftig auch niemanden von uns mehr bekommt, den ihr haben wollt. Wie du mir, so ich dir - so machen wir das dann auch."
Pastor Andrew Brunson hat die Hoffnung auf Freiheit inzwischen aufgegeben. Seine Frau schrieb jetzt auf Facebook, ihr Mann sei völlig entmutigt.