Peter Kapern: Der Mann genoss bei den Deutschen Heldenstatus: Gyula Horn, der ungarische Außenminister, der 1989 zum Bolzenschneider griff und den Stacheldraht an der ungarisch-österreichischen Grenze durchschnitt. Damit besiegelte er das Ende des Eisernen Vorhangs und damit auch das Ende der deutschen Teilung. Horns Aktion war ein besonderer Beitrag zu den traditionell guten Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschland. Und was ist davon heute noch übrig? Ungarn steht in der Kritik, weil Regierungschef Viktor Orbán sein Land zunehmend autokratisch regiert, und weil Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche deshalb mal wieder besorgt war, stellte Orbán in einem Rundfunkinterview Nazivergleiche an.
"Die Deutschen haben schon mal die Kavallerie geschickt in Form von Panzern. Bitte nicht noch mal. Das war keine gute Idee und nicht erfolgreich."
Kapern: Viktor Orbán, der ungarische Regierungschef, in Anspielung auf den Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn. Die deutsche Politik ist parteiübergreifend empört. Wie er die Nazianspielung bewertet, das habe ich vor der Sendung den ungarisch-österreichischen Schriftsteller Rudolf Ungvary gefragt.
Rudolf Ungvary: Diese Anspielung gliedert sich in eine Reihe von total undemokratischen Äußerungen dieses Menschen, nämlich er hat ja schon von Anfang an immer behauptet, dass die Ungarn im Zeichen des heidnischen Turul-Vogels aufgrund des Blut und Bodens eine Gemeinsamkeit binden, und dieser Alleinherrscher, der Ungarn im Grunde genommen zu einem korporativ-faschistoiden Staat umgestalten will, ist natürlich Gefangener seiner eigenen Ideen und dadurch betritt er einen Weg, in dem er letzten Endes natürlich das Land in den Abgrund führt. Aber das ist natürlich noch eine Weile und innerhalb dieser Entwicklung hat er einfach immer weniger Fähigkeit, Maß anzuwenden, und da er grundsätzlich die ungarische Innenpolitik und seine Anhänger dadurch anspornt, dass das Land einen Freiheitskampf - diesmal nicht gegen die Habsburger, diesmal nicht gegen die Sowjetunion, diesmal nicht gegen die Türken, sondern gegen die Europäische Union - führt, ist ganz logisch, dass er Angela Merkel total sinnlos angreift. Das funktioniert ungefähr so wie bei dem koreanischen Alleinherrscher.
Kapern: Das heißt, Sie sehen Orbán selbst in der Nähe zu faschistischem Gedankengut, und das führt mich zu meiner nächsten Frage. Wie ist es zu bewerten, dass dieser Nazivergleich von einem Regierungschef eines Landes kommt, in dem derzeit rechtsextremistische ungarische Garden uniformiert und weitgehend unbehelligt durch Städte marschieren können, so wie es die SA im Deutschland der 1920er-Jahre getan hat?
Ungvary: In Ungarn entfaltet sich eine mutierte Form des Faschistoiden. Das bedeutet, an der Oberfläche bemerkt man das Faschistische absolut nicht. Alle, die in Ungarn sich antisemitisch äußern, behaupten, sie seien keine Antisemiten. Also hier wurde erfunden, das ist der nichtantisemitische Antisemitismus. Genauso wurde in Ungarn erfunden – und das kann noch exportiert werden – der nichtfaschistoide Faschismus. Das könnte ungefähr so verglichen werden wie die spanische Grippe in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Damals gegen diese Mutation der Grippe damals hatte die europäische Bevölkerung gar keine Immunreaktion, und ungefähr so ist da eine Mutation des Faschistoiden entstanden, wogegen nicht nur die Ungarn im Grunde genommen, auch die Linken nicht, sie finden keine Sprache dagegen, sondern auch der Westen im Grunde genommen keine Gegenbegriffe besitzt und dadurch natürlich können sie nur mit traditionellen demokratischen Argumenten dieses System beschreiben, und das gelingt natürlich nicht, wenn man es nicht erkennt, dass hier das Verborgene des Faschistoiden sich entfaltet.
Kapern: Was sagen eigentlich die Ungarn dazu, wenn Viktor Orbán so etwas sagt?
Ungvary: Die Reaktion hängt eng mit der historischen Vergangenheit dieses Landes zusammen. Hier konnte sich keine starke, im europäischen Sinne Rechte ausbilden. Während der kommunistischen Zeit wurde das wenige, das im hiesigen Konservativismus und demokratischen rechtspolitischen Bewegungen anbelangt, unterdrückt und vernichtet und heutzutage befindet sich ein Großteil der ungarischen Bevölkerung in einer ganz traditionellen politischen Lage, in der der Führer gewünscht wird, und die politischen Kämpfe, die in einer Demokratie normal sind, werden als fremdartig betrachtet. Und in diesen Zustand geriet dieser Alleinherrscher heutzutage in Ungarn. Man könnte auch sagen, die Geschichte kehrte in Ungarn im Grunde genommen zurück.
Kapern: Nun sehen wir ja bei Demonstrationen in Athen, in Madrid, in Lissabon Bilder der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in SS-Uniform mit Hitlerbärtchen dargestellt, von den Demonstranten durch die Gegend getragen. Heißt das, dass Viktor Orbán eigentlich nur im europäischen Mainstream liegt?
Ungvary: Dieser Mainstream ist im Grunde genommen, wie es damals ein durch mich nicht favorisierter Philosoph Georg Lukács gesagt hat: die Revolte der Dummen. Und diesbezüglich entsteht einfach der Hass gegenüber der Demokratie im Allgemeinen, wie er sich auch in der Weimarer Republik entwickelt hatte. Diesbezüglich muss man sagen, das ist eine sehr große Herausforderung für die euro-atlantische Kultur, und wenn man diese Tendenz nicht in seiner wahren Wirklichkeit erkennt, zum Beispiel, dass die Eliten, die politischen Eliten auch in der Europäischen Union sich etwas abgespielt haben, und dagegen müsste selbst die Elite etwas unternehmen, natürlich stärken sich diese Tendenzen und im Grunde genommen passiert einfach nur das, dass narzisstisch, also faschistoid eingestellte Leute, da sie sich tarnen müssen, mit solchen Symbolen arbeiten, als ob sie nicht faschistoid wären.
Kapern: Der Schriftsteller Rudolf Ungvary – das Gespräch haben wir kurz vor unserer Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Die Deutschen haben schon mal die Kavallerie geschickt in Form von Panzern. Bitte nicht noch mal. Das war keine gute Idee und nicht erfolgreich."
Kapern: Viktor Orbán, der ungarische Regierungschef, in Anspielung auf den Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn. Die deutsche Politik ist parteiübergreifend empört. Wie er die Nazianspielung bewertet, das habe ich vor der Sendung den ungarisch-österreichischen Schriftsteller Rudolf Ungvary gefragt.
Rudolf Ungvary: Diese Anspielung gliedert sich in eine Reihe von total undemokratischen Äußerungen dieses Menschen, nämlich er hat ja schon von Anfang an immer behauptet, dass die Ungarn im Zeichen des heidnischen Turul-Vogels aufgrund des Blut und Bodens eine Gemeinsamkeit binden, und dieser Alleinherrscher, der Ungarn im Grunde genommen zu einem korporativ-faschistoiden Staat umgestalten will, ist natürlich Gefangener seiner eigenen Ideen und dadurch betritt er einen Weg, in dem er letzten Endes natürlich das Land in den Abgrund führt. Aber das ist natürlich noch eine Weile und innerhalb dieser Entwicklung hat er einfach immer weniger Fähigkeit, Maß anzuwenden, und da er grundsätzlich die ungarische Innenpolitik und seine Anhänger dadurch anspornt, dass das Land einen Freiheitskampf - diesmal nicht gegen die Habsburger, diesmal nicht gegen die Sowjetunion, diesmal nicht gegen die Türken, sondern gegen die Europäische Union - führt, ist ganz logisch, dass er Angela Merkel total sinnlos angreift. Das funktioniert ungefähr so wie bei dem koreanischen Alleinherrscher.
Kapern: Das heißt, Sie sehen Orbán selbst in der Nähe zu faschistischem Gedankengut, und das führt mich zu meiner nächsten Frage. Wie ist es zu bewerten, dass dieser Nazivergleich von einem Regierungschef eines Landes kommt, in dem derzeit rechtsextremistische ungarische Garden uniformiert und weitgehend unbehelligt durch Städte marschieren können, so wie es die SA im Deutschland der 1920er-Jahre getan hat?
Ungvary: In Ungarn entfaltet sich eine mutierte Form des Faschistoiden. Das bedeutet, an der Oberfläche bemerkt man das Faschistische absolut nicht. Alle, die in Ungarn sich antisemitisch äußern, behaupten, sie seien keine Antisemiten. Also hier wurde erfunden, das ist der nichtantisemitische Antisemitismus. Genauso wurde in Ungarn erfunden – und das kann noch exportiert werden – der nichtfaschistoide Faschismus. Das könnte ungefähr so verglichen werden wie die spanische Grippe in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Damals gegen diese Mutation der Grippe damals hatte die europäische Bevölkerung gar keine Immunreaktion, und ungefähr so ist da eine Mutation des Faschistoiden entstanden, wogegen nicht nur die Ungarn im Grunde genommen, auch die Linken nicht, sie finden keine Sprache dagegen, sondern auch der Westen im Grunde genommen keine Gegenbegriffe besitzt und dadurch natürlich können sie nur mit traditionellen demokratischen Argumenten dieses System beschreiben, und das gelingt natürlich nicht, wenn man es nicht erkennt, dass hier das Verborgene des Faschistoiden sich entfaltet.
Kapern: Was sagen eigentlich die Ungarn dazu, wenn Viktor Orbán so etwas sagt?
Ungvary: Die Reaktion hängt eng mit der historischen Vergangenheit dieses Landes zusammen. Hier konnte sich keine starke, im europäischen Sinne Rechte ausbilden. Während der kommunistischen Zeit wurde das wenige, das im hiesigen Konservativismus und demokratischen rechtspolitischen Bewegungen anbelangt, unterdrückt und vernichtet und heutzutage befindet sich ein Großteil der ungarischen Bevölkerung in einer ganz traditionellen politischen Lage, in der der Führer gewünscht wird, und die politischen Kämpfe, die in einer Demokratie normal sind, werden als fremdartig betrachtet. Und in diesen Zustand geriet dieser Alleinherrscher heutzutage in Ungarn. Man könnte auch sagen, die Geschichte kehrte in Ungarn im Grunde genommen zurück.
Kapern: Nun sehen wir ja bei Demonstrationen in Athen, in Madrid, in Lissabon Bilder der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in SS-Uniform mit Hitlerbärtchen dargestellt, von den Demonstranten durch die Gegend getragen. Heißt das, dass Viktor Orbán eigentlich nur im europäischen Mainstream liegt?
Ungvary: Dieser Mainstream ist im Grunde genommen, wie es damals ein durch mich nicht favorisierter Philosoph Georg Lukács gesagt hat: die Revolte der Dummen. Und diesbezüglich entsteht einfach der Hass gegenüber der Demokratie im Allgemeinen, wie er sich auch in der Weimarer Republik entwickelt hatte. Diesbezüglich muss man sagen, das ist eine sehr große Herausforderung für die euro-atlantische Kultur, und wenn man diese Tendenz nicht in seiner wahren Wirklichkeit erkennt, zum Beispiel, dass die Eliten, die politischen Eliten auch in der Europäischen Union sich etwas abgespielt haben, und dagegen müsste selbst die Elite etwas unternehmen, natürlich stärken sich diese Tendenzen und im Grunde genommen passiert einfach nur das, dass narzisstisch, also faschistoid eingestellte Leute, da sie sich tarnen müssen, mit solchen Symbolen arbeiten, als ob sie nicht faschistoid wären.
Kapern: Der Schriftsteller Rudolf Ungvary – das Gespräch haben wir kurz vor unserer Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.