(Musik: The Beatles "Cry baby cry" (Outro))
(Musik: The Beatles "Back in the U.S.S.R." (Intro))
Mit tosenden Flugzeugturbinen beginnt das 1968 erschienene, neunte Studioalbum der Beatles. Ein Doppelalbum mit 30 Liedern. Schlicht und einfach "The Beatles" betitelt - und wegen seines ebenso schlichten Covers "Das Weiße Album" genannt. Komponiert wurden die meisten Stücke auf der Platte in Indien. Rund 8.000 Kilometer entfernt von Mitteleuropa.
50 Jahre nachdem die Beatles in Indien waren, mache ich mich auf die Spurensuche der Fab Four im fernöstlichen Rishikesh. 200 Kilometer nordwestlich von Delhi, am Fuße des Himalayas, direkt am heiligen Fluß Ganges. Der nächstgelegene Flughafen: Dehradun. George Harrison hat der für indische Verhältnisse mit 500.000 Einwohnern relativ kleinen Metropole einen gleichnamigen Song gewidmet:
(Musik: George Harrison "Dehradun")
Die Lufttemperatur ist mit 34 Grad Celsius fast unerträglich. Trockene Hitze, staubiger Asphalt. Am Ausgang drängen sich Taxifahrer auf. Nach Rishikesh? Eine halbe Stunde mit dem Auto. Das macht 700 Rupien, mehr als acht Euro! Für Indien ist das viel. Aber bei den Temperaturen möchte man einfach nur ankommen.
Marode Teerstraßen und Schottenwege, Serpentinen durch kleine Waldstücke mit ausgedörrten Tälern. Es ist kurz vor der Regenzeit. Am Straßenrand sitzen Affen. Die erste, offensichtliche Assoziation zu einem Beatles-Song auf dem "Weißen Album" aus John Lennons Feder. In Indien hat er das Stück geschrieben. Everybody`s got something to hide, except me and my monkey.
(Musik: The Beatles "Everybody`s got something to hide")
Tourismus ahoi inmitten des indischen Treibens
Affen mit kleinen Baby-Äffchen auf dem Rücken säumen den Wege nach Rishikesh. Im Taxi läuft Bollywood-Pop. Am Stadtrand sehe ich heruntergekommene Autowerkstätten, zwischen zwei Müllcontainern wühlt ein Wildschwein nach essbarem Küchenabfällen. Und inmitten des indischen Treibens: Werbung für Bootstouren auf dem Ganges, Wildwasser-Rafting mit Schlauchbooten. Tourismus ahoi!
"Mein Name ist Kalam Singh, wir sind im Seventh Heaven in Rishiksh, ich bin der Betreiber dieses kleinen Hotels mit nur 16 Zimmern und einem Café."
Meine Unterkunft für die nächsten drei Tage liegt mitten in Rishikesh. Ich erkundige mich erst mal beim Hotel-Betreiber nach seinen Erfahrungen mit den Beatles hier in dieser kleinen indischen Stadt mit nur etwa 70.000 Einwohnern, wo die legendären Beatles vor mehr als 50 Jahren sich von spirituellen Erfahrungen inspirieren liesen. Kalam Singh:
"Vor zwei Jahren haben sie den Beatles-Ashram renoviert. Jetzt ist er nicht mehr ganz so verwahrlost."
Ich möchte natürlich wissen, ob denn viele Besucher hierher kommen wegen der Beatles.
"Ja, viele kommen wegen der Beatles, aber auch wegen Yoga und Meditation und auch dem Wildwasser-Rafting. Aber die meisten kommen schon wegen Yoga. Viele schauen sich dann auch den Beatles-Ashram an."
Ich möchte natürlich wissen, ob denn viele Besucher hierher kommen wegen der Beatles.
"Ja, viele kommen wegen der Beatles, aber auch wegen Yoga und Meditation und auch dem Wildwasser-Rafting. Aber die meisten kommen schon wegen Yoga. Viele schauen sich dann auch den Beatles-Ashram an."
Der Hotelbetreiber Kalam Singh erklärt mir den Weg zum Ashram.
"Eigentlich müssen Sie nur runter zur Lakshman Jhula Bridge, über die Brücke drüber, dann rechts und weiter bis zur Ram Jhula Brücke, die andere Brücke, aber nicht über die Ram Jhula, einfach weiter gehen, dann kommt der Beatles Ashram."
Auf dem Weg zum Ashram begegne ich der Osteuropäerin Sanja Matish. Sie ist Anfang 30, hat eine Yoga-Matte im Rucksack und kommt gerade von einer Unterrichtsstunde. Die Beatles? Klar, die kennt sie. Und dass sie hier in Rishikesh waren, hat sie auch mitbekommen. Sie selbst hat den Ashram in den paar Wochen, in denen sie nun schon hier ist, noch nicht besucht.
"Freunde von mir wurden gestern dort erwischt. Sie haben versucht, einzusteigen - ohne Eintritt zu zahlen. Weil der einfach ziemlich hoch ist. Dann hat ihnen der Wärter hinterher gerufen: Das nächste mal, wenn ich euch sehe, schieße ich auf euch."
Skurrile Geschichte, die so gar nicht zu "Love, Peace and Happiness" der Beatles passt. Auf die Frage, was sie hier in Rishikesh macht, gibt Sanja Matish eine ebenso skurrile Antwort.
"Um die Affen zu sehen?! Und natürlich um Yogalehrerin zu werden."
Die Affen sehen: Da denke ich sofort wieder an den Beatles-Song "Everybody`s got something to hide, except me and my monkey". Was der Titel wohl zu bedeuten hat: Jeder hat was zu verbergen, außer ich und mein Affe. Sanja Matish:
"Das kann vieles bedeuten. Monkey-Mind. Ich weiß nicht. Vielleicht geht es da um Reinheit und Wahrheit. Keine Ahnung."
Der "Beatles-Ashram" als Freiluft-Museum
(Musik: The Beatles "Everybody`s got something to hide…")
Schon am frühen Morgen herrscht regsames Treiben in den engen Gassen von Rishikesh. Die beeindruckende Hängebrücke Lakshman-Jhula führt über den Ganges, dann weiter durch enge Gassen stadtauswärts. Der Weg zum sogenannten Beatles-Ashram ist nicht ausgeschildert. Dann doch besser noch mal bei einem Straßenhändler nachfragen:
Reporter: "Hello. Do you know where is the Beatles-Place? This way?"
Straßenhändler: "Yes."
Reporter: "How far is it?"
Straßenhändler: "300 Meters."
Straßenhändler: "Yes."
Reporter: "How far is it?"
Straßenhändler: "300 Meters."
Nach gut einer halben Stunde stehe ich am Eingang zum einstigen Ashram von Maharishi Mahesh Yogi, diesem in der Popkultur durch die Beatles berühmt gewordenen Ort im Norden Indiens. Die Zivilisation hinter mir in der Stadt, der Urwald vor mir. Keine hundert Meter entfernt fließt der Ganges - türkisfarben und ungewöhnlich sauber, weil er direkt im Himalaya entspringt. Ruhig und rein. Der Ashram ist heute eine Art Freiluft-Museum mit nicht ganz günstigem Eintritt: Knapp zehn Euro für Touristen, Inder zahlen nur ein Viertel davon. Drei junge Frauen aus Großbritannien mit Yoga-Matten in den Taschen stehen mit mir an der Kasse:
"Wir sind hier wegen der Geschichte der Beatles. Meine Freundinnen und ich sind große Fans der Beatles. Wir praktizieren aber auch Yoga und wollten einfach diesen Ort mal sehen."
"Meine Eltern sind die Generation der Beatles. Sie sind mit ihrer Musik aufgewachsen und haben uns die Liebe zu ihrer Musik mitgegeben."
"Es ist schön, hier etwas Ruhe zu finden, etwas hier zu sitzen und den Gedanken freien Lauf zu lassen und das alles zu genießen."
"Als kleine Mädchen hörten wir ständig Musik der Beatles. Das weckt Erinnerungen, wenn wir nun hier sind, auf den Spuren der Beatles und über die Geschichte ihrer Zeit in Indien etwas lernen."
(Musik: The Beatles "I Will")
Navin Suyal, Anfang 40, ist mein Tour-Guide. Er führt Touristen-Gruppen durch das Gelände des mehr als 50 Jahre alten Ashrams.
Navin Suyal, Anfang 40, ist mein Tour-Guide. Er führt Touristen-Gruppen durch das Gelände des mehr als 50 Jahre alten Ashrams.
"Wir haben diese Karte hier. Es geht da lang…"
Zunächst geht etwa 100 Meter steil bergauf. Oben erstreckt sich eine große, verdorrte Wiese, an deren Rand ein rechteckiger Flachbau steht. Rechts eine Teestube mit schmackhaftem Masala-Chai. Links zwei große Räume mit Fotografien. In dem einen: Momentaufnahmen der Beatles von ihrer Zeit im Ashram. Im anderen: Bilder von den Tieren, die hier im Dschungel leben.
Adler, Leopard, Blackbird, die Amsel! Ihr hat Paul McCartney das gleichnamige, berühmte Lied gewidmet - ein metaphorisches Statement zur Bürgerrechtsbewegung in den USA und den damit verbundenen Unruhen im Frühjahr 1968. Dieser Ohrwurm ist auf dem "Weißen Album" gelandet. Komponiert hat er ihn aber wohl nicht in Indien, sondern auf seiner Farm in Schottland.
(Musik: The Beatles "Blackbird")
Doch an die zwei Dutzend Songs haben die Beatles in den ein, zwei Monaten Anfang 1968 in Indien geschrieben - reduziert komponiert, nur Akustikgitarre und Gesang. Die meisten Stücke sind auf dem legendären "Weißen Album" gelandet. Die Filmaufnahmen aus dieser Zeit dokumentieren das eindrucksvoll: Lennon/McCartney in weißen Gewändern in der Sonne vor ihren Bungalows im Ashram von Maharishi Mahesh Yogi. Navin Suyal:
"Maharishi Mahesh Yogi hat diesen Ashram 1961 auf mehr als sieben Hektar Waldfläche errichtet. Viele berühmte Leute kamen hierher, um Transzendentale Meditation zu praktizieren. Heute ist es ein Natur-Resort. In den 1980er Jahren hat das verlassene Gelände die russische Mafia übernommen, um sich zu verstecken. Schmuggler haben hier Unterschlupf gesucht, weil die Katakomben so verwinkelt und dunkel sind. Als kleine Kinder sind wir oft hierhergekommen. Wir haben diesen Ort "Ghost Place", Geisterstadt, genannt."
Natur und Meditation als Inspiration?
Und es hat tatsächlich auch heute noch etwas Geisterhaftes: Man mag es kaum glauben, wenn man über das trocken knisternde Dschungel-Laub läuft und die Geräuschkulisse des Urwalds hört, hier haben sich die Beatles zu genialen Songs inspirieren lassen. War es diese paradiesische Natur, waren es die spirituellen Erfahrungen der Transzendentalen Meditation, die geniale Songs wie "Happiness is a warm gun" hervorgebracht haben? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem, und natürlich das enorme Talent der Musiker - weniger stimuliert durch Drogen als vielmehr durch Mediation.
(Musik: The Beatles "Happiness is a warm gun")
Die Erlebnisse in Indien haben die Beatles ganz konkret in ihre Songtexte einfließen lassen. Einer ihrer Mitreisenden erlegte etwa einen Tiger, was John Lennon so gar nicht gefiel. Daraus entstand der sarkastische Text zu "The continuing story of Bungalow Bill".
(Musik: The Beatles "The continuing story of Bungalow Bill")
Navin Suyal: "Hier brechen auch immer wieder mal Elefanten ein. Ein- oder zweimal, bevor die Regierung aus dem Ashram ein Museum machte und noch keine bewaffneten Wächter hier waren, kam ein Elefant: Dort drüben hat er die Mauer niedergerissen und zwei Menschen niedergetrampelt."
Navin Suyal: "Hier brechen auch immer wieder mal Elefanten ein. Ein- oder zweimal, bevor die Regierung aus dem Ashram ein Museum machte und noch keine bewaffneten Wächter hier waren, kam ein Elefant: Dort drüben hat er die Mauer niedergerissen und zwei Menschen niedergetrampelt."
(Musik: The Beatles "While my guitar gently weeps" (Intro))
Navin Suyal: "Jetzt schauen wir uns den Beatles-Bungalow an. Die Beatles haben hier gewohnt…"
Und dann stehe ich tatsächlich vor den ehemaligen Wohnanlagen der Beatles, die Maharishi Mahesh Yogi extra für die Fab Four und ihre Mitreisenden bauen ließ. Luxuriöse Bungalows, jedes Appartement mit Badewanne! Sehr ungewöhnlich für Indien, gewohnter Komfort für die Superstars. Heute sind die Gebäude runtergekommene, verwahrloste Ruinen. Zurück zur Natur!
(Musik: The Beatles "Mother Nature`s Son")
Und tatsächlich begegnet mir auch eine Deutsche hier in Indien: Claudia Huber war ein acht Jahre altes Mädchen als die Fab Four hier waren. Sie ist heute weniger auf den Spuren der Beatles, als vielmehr ihres Yoga-Gurus unterwegs.
"Das ist meine erste Indienreise und ich bin jetzt hier weil ich seit ungefähr 25 bis 30 Jahren Transzendentale Meditation mache und dann wollte ich mal diesen Maharishi-Ashram anschauen."
Reporter: "Das heißt: Sie machen das seit 30 Jahren."
Claudia Huber: "Ja, wie alt ist jetzt mein Sohn? Ja, seit 28 Jahren."
Reporter: "Täglich?"
Claudia Huber: "Ja, außer es ist halt mal was dazwischen - dann mache ich es nicht."
Reporter: "Haben sie es heute auch schon gemacht?"
Claudia Huber: "Ich wollte jetzt dann."
Reporter: "Sie wollten jetzt dann hier direkt meditieren?"
Claudia Huber: "Ja, genau."
Reporter: "Haben Sie sich schon einen Ort ausgesucht hier?"
Claudia Huber: "Ich wollte da… Ich bin ja noch nicht ganz rum gegangen. Da geht es ja glaube ich noch um das Haus, wo Maharishi gewohnt hat. Da hätte ich mich dann irgendwo hingesetzt an den Boden und meditiert. Wobei es letztendlich egal ist, wo man meditiert. Ich wollte halt nur einmal historisch hier meditieren."
Reporter: "Was löst das bei Ihnen aus?"
Claudia Huber: "Bei mir löst das so eine ganz tiefe Zufriedenheit aus. Wenn man dieses Wort Glück bei uns verwendet, dann klingt das immer so nach außen. Glücklich ist bei uns immer so ein bisschen laut. Es ist aber so ein unglaubliches inneres Wohlgefühl. Aber jetzt nicht unbedingt nach Action schreit oder so, sondern das ist so ein Ankommen bei sich. Schwer zu beschreiben: Vielleicht wie so ein neugeborenes Baby."
(Musik: The Beatles "Cry Baby Cry")
Die Augen schließen und dem Ganges lauschen
Claudia Huber: "Dieser Maharishi Mahesh Yogi ist ja eigentlich berühmt geworden zuersteinmal durch die Beatles, weil die bei ihm meditieren gelernt haben. Und daraufhin ist er weltweit eigentlich über Amerika auch nach Europa gekommen. Und das heißt Transzendentale Meditation, als Trademark, nicht klein geschrieben transzendental, sondern groß. Das ist so eine einfach Meditationstechnik, die man gelehrt bekommt, wo man jetzt keinen besonderen Glauben oder sonst was braucht."
Claudia Huber: "Hier steht es ja im Prospekt! Maharishi sagt: Life is not a struggle, not a tension. Also: Leben ist kein Kampf und keine Anspannung. Life is bliss. Was so viel wie Freude bedeutet."
Eine steinerne Treppe führt auf das Flachdach der Bungalows der Beatles, von wo aus man einen wunderschönen Blick über das ganze Gelände des Ashrams hat. Wie eine kleine Stadt im Urwald erstreckt sich das verwucherte Areal, eingezäunt zum Schutz vor Elefanten und anderen Wildtieren. Und ja, das Wachpersonal ist bewaffnet und das passt irgendwie nicht zu ‚All you need is love‘ der Fab Four.
Navin Suyal: "Nun gehen wir in das Haus von Maharishi."
Etwa 200 Meter entfernt von den einstigen Wohnanlagen der Beatles liegt die prachtvolle Villa von Maharishi Mahesh Yogi. Auch sie ist heute ein bis auf die Grundmauern verwahrlostes, möbelloses Gebäude. Hinten im Garten, ein Plateau, eine Lichtung, steil abschüssig mit Blick auf Rishikesh und dem weit unten vorbeifließenden Ganges.
Navin Suyal: "Das hier ist der beste Ort, den wir heute zusammen sehen werden. Hier können wir uns setzen und dem Geräusch des Gangas lauschen. Das ist gut für die Meditation. Wir können es mal versuchen: Die Augen schließen und das Rauschen des Ganga hören."
Und so stehe ich da, in dem Ashram, in dem die Beatles Erleuchtung suchten und bezaubernde Songs komponierten. Meine Augen geschlossenen, die Hände gefaltet, das Geräusch des Ganges in den Ohren, die warme Sonne auf der Haut - es riecht nach trockenem, indischen Sommer kurz vor der Regenzeit. Ein Gefühl der Dankbarkeit überkommt mich: Das Leben ist schön, die Musik faszinierend, die Natur prachtvoll. Vielleicht ist auch das eine spirituelle Erfahrung - 8.000 Kilometer entfernt von zuhause, im Indien der Beatles.