Die Bucht von Mumbai gehört zu den am stärksten verschmutzten Gewässern Indiens. Ein großer Teil der Abwässer der Millionen-Metropole an der Südküste des Subkontinents fließt ungeklärt ins Meer. Fisch gibt es hier schon lange nicht mehr und wenn, dann ist er kaum zum Verzehr geeignet.
Fischer wie Guru, die mit ihren kleinen Booten nicht so weit raus aufs Meer fahren können, wie die großen Trawler, die von weit her kommen, haben längst eine andere Einnahme-Quelle gefunden. Statt Fisch holen sie Sand aus dem Meer - in Eimern, mit denen sie zum Grund der verseuchten Kloake hinab tauchen.
Bis zu 15 Meter tief taucht Guru hinunter, mehrmals am Tag, ohne Sauerstoffflasche oder andere Hilfsmittel. Durch den Druck am Boden könnte ihm leicht ein Trommelfell platzen oder er könnte es nicht mehr rechtzeitig zurück an die Oberfläche schaffen.
Eine gefährliche Arbeit
"Nein, Angst habe ich nicht. Ich bin im Wasser geboren und ich werde auch hier sterben. Warum sollte ich denn Angst haben?"
Guru taucht nach Sand. Er nimmt einen großen Eimer mit in die Tiefe, füllt ihn am Boden und zieht an der Leine, damit die Männer oben im Boot wissen, dass sie die kostbare Ladung hochziehen können. 40 Kilogramm Sand in einem Eimer. Und weil in den flachen Ufergegenden in der Bucht schon kaum noch Sand zu finden ist, muss Guru immer weiter raus und immer tiefer tauchen. Jedes Jahr, so schätzt man, sterben allein hier in der Bucht von Mumbai bis zu zehn Taucher.
"Ja klar, das ist gefährlich – aber ich kann die Luft lange genug anhalten. Ich habe wohl ein besonderes Talent dafür."
Mehr 200 Mio. Euro Umsatz
Illegaler Sandabbau ist ein Milliardengeschäft. Unbestätigten Schätzungen zufolge werden jährlich rund 16 Milliarden Rupien umgesetzt, umgerechnet mehr als 220 Millionen Euro. Dabei hat der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Maharashtra den Sandabbau in der Bucht von Mumbai und anderen Küstenabschnitten des Bundesstaates verboten. Doch die Umsetzung des Verbots liegt in der Verantwortung der lokalen Behörden. Und die verdienten oft selbst mit am illegalen Sandabbau, sagt die Umweltaktivistin Sumaira Abdulali:
"Die lokalen Politiker sind in vielen Fällen direkt beteiligt an dem Geschäft. Und die Einnahmen werden ja noch nicht mal versteuert. Denn da der Sandabbau nicht registriert wird, gibt es auch keinen direkten Nachweis über die Einnahmen. Das Geld fließt direkt in die Taschen der Politiker, die mit dem Sandabbau Geschäfte machen."
Sumaira Abdulali gehört zu den bekanntesten Umweltaktivistinnen Indiens. Vor über zehn Jahren gründete sie die Awaaz Foundation, eine Stiftung gegen Lärmverschmutzung und illegalen Sandabbau. Sie ist ein führendes Mitglied in der angesehenen Umweltschutzorganisation Bombay Natural History Society und hat für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Ihr hartnäckiger Kampf gegen die Sand-Mafia, die mit der Zerstörung der Küsten viel Geld verdient, hat sie schon oft in lebensgefährliche Situationen gebracht.
Bauwirtschaft braucht den Sand
"Ich bin zweimal angegriffen worden. Das erste Mal war an einem Ort, wo sie illegal Sand abbauten. Ich habe die Behörde angerufen und gesagt, dass sie kommen sollen, um die Verantwortlichen zu stellen – doch stattdessen wurde ich verprügelt. Ich habe dabei einen Zahn verloren und sie haben mir die Nase gebrochen. Beim zweiten Mal erkannten sie mich, denn sie hatten Fotos von mir und sie jagten mich mit zwei Jeeps und versuchten mich, von einer hohen Brücke zu drängen."
Vor allem der mächtigen Bau-Lobby ist die Umweltaktivistin Sumaira ein Dorn im Auge. Städte wie Mumbai schießen in die Höhe und wachsen in die Breite. Die Bevölkerung in Indien ist auf über 1,3 Milliarden gewachsen und der Bauboom in den Städten scheint keine Grenzen zu kennen. Sand ist dabei der wichtigste und kostbarste Baustoff.
"Ich bin zum ersten Mal auf den illegalen Sandabbau aufmerksam geworden, als der Strand vor meinem Haus immer kleiner wurde. Erst dachte ich, das sei ein lokales Problem, aber als ich mich intensiver damit befasste, merkte ich, dass das ganz andere Dimensionen hat.
Und es geht ja nicht nur um den Sand. Bei diesem illegalen Geschäft werden viele andere Gesetze gebrochen. Die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter zum Beispiel, Kinderarbeit ist auch ein Thema. Manche Kinder, die hier arbeiten, sind 10 bis 11 Jahre alt. Würde man den illegalen Sandabbau stoppen, würde man gleichzeitig diese Probleme besser in den Griff kriegen."
Das Geschäft mit dem Sand reicht weit über die Grenzen Indiens hinaus. Sumairas Awaaz Foundation hat sich an die Vereinten Nationen gewandt, um das Problem international anzugehen. Indien habe bereits damit begonnen, Sand zu importieren, um den Bedarf zu decken. Damit würde das Problem aber nur in andere Regionen der Welt verlagert, meint Sumaira. Deshalb müsse sich das Umweltprogramm der Vereinten Nationen damit befassen.
Suche nach Alternativen
Zugleich hat die Awaaz Foundation Alternativen vorgeschlagen, unter anderem die Verwendung von wiederverwertbaren Plastikabfällen als Baumaterialien im Straßenbau. Damit könne der Sandbedarf zwar nicht vollständig gedeckt werden, sagt Sumaira, die fortschreitende Umweltzerstörung, gerade durch illegale Aktivitäten, würde aber verlangsamt.
"Sand ist natürlich wichtig für all die Baustellen. Aber wir arbeiten hart daran, Alternativen zu finden, zum Beispiel durch die Wiederverwertung von Bauschutt. Und es muss auch eine Möglichkeit geben, den Sandabbau so zu organisieren, dass dabei nicht alles zerstören wird. Wenn wir nicht jetzt damit anfangen, wird sich nie etwas ändern."
Und so kämpft sie weiter gegen die mächtigen Interessen der Bau-Lobby und der mit ihr verbündeten Politiker. Sie dokumentiert den illegalen Sandabbau und zieht vor die Gerichte. Die Verfahren dauern meist viele Jahre. Zeit, die Indien nicht mehr habe, sagt Sumaira.