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Indien
Der Ganges stinkt zum Himmel

Der Fluss Ganges ist nicht nur Wasserlieferant für Menschen und Landwirtschaft. Für die Hindus ist er auch ein heiliger Fluss, Jahr für Jahr kommen Millionen Menschen, um sich durch ein Bad im Ganges von Unreinheiten und Sünden zu befreien. Der Ganges ist aber auch eine Abwasserkloake gigantischen Ausmaßes.

Von Rainer Hörig |
    Blick auf die indische Stadt Varanasi am Ganges
    Die Schmutzlast im Ganges besteht zu 80 Prozent aus städtischen und häuslichen Abwässern. (dpa / picture alliance / Tesinsky David)
    In der Pilgerstadt Rishikesh geht ein milder Wintertag zu Ende. Der Himmel färbt sich gelb, dann rot, sein Licht spiegelt sich im Wasser des Ganges. Rund einhundert Menschen sitzen andächtig auf den gemauerten Stufen, die hinunter zum heiligen Fluss führen. Mit ein paar Holzscheiten wird ein Feuer entfacht, eine Musikgruppe stimmt mit Flöte, Akkordeon und Trommeln traditionelle Lieder an. Sie preisen den Fluss, den sie Mutter Ganga nennen. Sie, die Göttin spende Leben und geistige Erlösung. Die Ganga, die hier aus ihrem Tal im Himalaya-Gebirge hinaus in die nordindische Tiefebene strömt, wird von Millionen von Hindus als heiliger Strom verehrt. Ein rituelles Bad an ihren Ufern wäscht von Sünden rein, so der Glaube.
    Von Millionen von Hindus als heiliger Strom verehrt
    Neu-Delhi. Indiens Hauptstadt liegt am wichtigsten Nebenfluss des Ganges, der ebenfalls als heilig verehrten Yamuna. Während die Wasser des Ganges in Rishikesh blau und klar den Himalaya verlassen, ist die Yamuna in Neu-Delhi eine schwarze, stinkende Kloake. Der Umweltschützer Manoj Mishra, ein kleiner, stämmig gebauter Mittfünfziger, lädt mich zum Besuch des Wehres von Wazirabad ein, das die Yamuna am Stadtrand von Delhi staut.
    Der Fluss ist tot
    Als wir aus dem Auto steigen blicken wir auf ein Meer von buntem Plastikmüll, das die Wasseroberfläche bedeckt. Ein faulig-süßer Geruch liegt in der Luft. Manoj weist auf eine Bachmündung am gegenüberliegenden Ufer, aus der sich eine schwarzbraune Flüssigkeit in den Fluss ergießt - die ungeklärten Abwässer der nördlichen Stadtbezirke.
    "Eigentlich gibt es in Delhi keinen Fluss. Was wir hier sehen, ist ein Abwasserkanal. Dieses Wasser enthält keinen Sauerstoff, es gibt kein Leben darin. Früher lebten jede Menge Fische im Fluss, sogar Krokodile gab es. Jetzt schwimmt hier nur Müll. Der sogenannte Fluss besteht aus Abwässern von Haushalten und giftigen Industrieabfällen. Die Wäscher und Fischer, die einst vom Fluss lebten, sind verschwunden. Der Fluss ist tot!"
    Giftige Industrieabfälle
    Seit altersher ist der Ganges ein Stück indischer Identität. Er ist nicht nur die Lebensader, sondern auch die Seele Indiens. Das Einzugsgebiet des 2.500 km langen Flusses ist dreimal so groß wie Deutschland und beherbergt 400 Millionen Menschen. Seit Jahrtausenden wird der Fluss wie eine Göttin verehrt, aber in der jüngsten Vergangenheit wird er rücksichtslos zerstört.
    Immer mehr Staudämme versperren ihm in den engen Tälern des Himalaja den Weg. Mutter Ganga muss die ungeklärten Abwässer aus Millionen von Haushalten verdauen, die giftigen Beiprodukte von Ledergerbereien, Kohlekraftwerken, Eisenhütten und eines Atomkraftwerks mitnehmen.
    Nicht trinkwassergeeignet
    Sie gehört zu den schmutzigsten Flüssen der Welt. Über weite Strecken ist das Flusswasser nicht zum Trinken geeignet, an vielen Orten erfüllt es nicht einmal die Grenzwerte für die Feldbewässerung oder die Industrie. Seit fast dreißig Jahren versucht die Regierung, der Verschmutzung Herr zu werden - vergeblich.
    "Die Schmutzlast im Ganges besteht zu 80 Prozent aus städtischen und häuslichen Abwässern. Im Tal des Ganges gibt es immerhin mehrere Millionenstädte. Dazu kommen hochgiftige Abwässer aus Industriebetrieben. Von unseren Äckern fließen immer mehr Pestizide und Düngemittel in die Flüsse."
    Himanashu Thakkar ist Chemieingenieur. Er erhielt seine Ausbildung an der Elite-Uni Indian Institute of Technology. Anstatt sich anschließend in der Industrie eine goldene Nase zu verdienen, beschloss er, sich für den Erhalt der Flüsse zu engagieren.
    "Schauen Sie, Ganga ist lebendig, sie bewegt sich über große Distanzen in Zeit und Raum. Durch ihre Zuflüsse wird sie mit Mineralien und Lebewesen aus anderen Regionen befruchtet. Die Ganga nährt daher viele Formen aquatischen Lebens, Pflanzen und Tiere. Sie transportiert Sedimente aus dem hohen Himalaja bis zum Meer. Diese Tatsachen finden jedoch leider bei unserer Bürokratie und in der Politik keine Berücksichtigung. In deren Verständnis ist der Fluss nur ein Wasserlieferant."
    Wiederbelebung des Ganges versprochen
    Seit fast einem Jahr ist in Neu-Delhi eine Regierung im Amt, die ihre politischen Wurzeln in hindu-nationalistischen Organisationen hat. Premierminister Narendra Modi hatte im Wahlkampf auch ein Programm zur Wiederbelebung des Ganges versprochen. Doch ein konkretes Programm, wie der Ganges gerettet werden kann, lässt er bislang vermissen, kritisiert der Fachmann Himanshu Thakkar:
    "Die neue Regierung hat große Versprechen gemacht, aber wir haben bislang noch keine konkreten Schritte gesehen, die zur Rettung des Flusses führen könnten."