Die Wände der Sankt Sebastian Kirche sind rußgeschwärzt, auf dem Marmor-Altar liegen Trümmerteile. Das katholische Gotteshaus im Osten Neu-Delhis brannte kurz vor Weihnachten 2014 lichterloh. Abraham Mathews erinnert sich noch genau an den verhängnisvollen Tag:
"Das war so traurig. Wir haben alle geweint, ich auch. Das hier war der Ort, zu dem wir uns mit unseren Sorgen und Nöten geflüchtet haben. Und wenn dieser Ort dann in Flammen aufgeht, ist das ein schrecklicher Verlust."
Abraham Mathews ist Bauunternehmer, Katholik, Mitglied der Gemeinde von Sankt Sebastian und für den Wiederaufbau verantwortlich. Er verzichtet auf Holz und leicht entflammbare Materialien.Die Frage, warum die Kirche ausgebrannt ist, beantwortet der 50-Jährige vorsichtig:
"Es gibt noch keine abschließende Antwort. Die Polizei vermutet, dass es ein Kurzschluss war. Es gibt nach der Untersuchung offenbar keine Beweise für eine Brandstiftung. Aber es sind noch viele Fragen unbeantwortet."
Einer seiner Maurer, ein junger Hindu, der in der Nähe der Kirche wohnt, wird deutlicher:
"Ich glaube, die sind von hinten in die Kirche eingebrochen und haben sie angezündet. Ich war zwei Tage später zum Aufräumen hier. Es war alles zerstört. Die müssen mit Benzin nachgeholfen haben. Anders ist diese Zerstörung nicht zu erklären."
Wachsende religiöse Intoleranz
Von außen, zur Straßenseite, hat die Gemeinde ein Banner über das Baugerüst ihrer ausgebrannten Kirche gespannt. Darauf steht: "Gott der Herr ist mit den Verzweifelten und rettet die gebrochenen Seelen". Direkt nebenan gibt es einen Tempel, ein paar Meter weiter eine Moschee.
"Wir leben hier friedlich zusammen, aber manchmal gibt es auch Probleme", sagt einer der Bauarbeiter in der Kirche. Wer dafür verantwortlich ist, will er nicht sagen. "Das ist eben so. Wir sind alle Menschen mit Blut in den Adern. Wir werden als Christen, Hindus oder Muslime geboren. So ist das. Das ist der Unterschied", ergänzt ein Kollege.
In der Herz Jesu Kathedrale im Zentrum der indischen Hauptstadt beklagt sich Pater Pradyut über wachsende religiöse Intoleranz. Indirekt macht der junge katholische Priester dafür die Regierung von Premierminister Narendra Modi verantwortlich, die seit Mai 2014 im Amt ist.
"Ich will mich nicht politisch äußern, das steht mir nicht zu. Ich habe nichts gegen niemanden. Aber das vergangene Jahr war besonders schockierend für uns. Auf dem Papier ist Indien ein säkularer Staat. Auf der persönlichen Ebene haben Hindus, Christen und Muslime auch kaum Probleme. Aber wenn die Politik sich einmischt, dann wird es schwierig."
Systematische Vermischung von Politik und Religion
In Indien sind alle großen Weltreligionen zu Hause, auch wenn mehr als 80 Prozent der indischen Milliardenbevölkerung Hindus sind. Die rund 20 Millionen Christen machen etwa zwei Prozent der Bevölkerung aus. Seit der Unabhängigkeit 1947 hat es mehrfach gewaltsame Konflikte zwischen den Religionsgemeinschaften gegeben – vor allem zwischen Hindus und Muslimen.
Die Regierung von Premierminister Narendra Modi vertritt eine Politik, in deren Zentrum der Hinduismus steht. Nilanjan Mukhopadhyay hat eine Biografie über Narendra Modi geschrieben. Der Publizist spricht wie andere Intellektuelle von einer gefährlichen, systematischen Vermischung von Politik und Religion:
"Es hat seit 2014 sehr vermehrt Angriffe gegeben. Solange die Regierungspartei und ihre Ideologen die indische Nation über die Religion definieren, wird es religiöse Konflikte zwischen der Hindu-Mehrheit und den Minderheiten geben. Ich glaube nicht, dass Indiens religiöse Minderheiten mit ihrer Angst übertreiben. In Indien müssen derzeit zwei Gruppen von Menschen Angst haben: Diejenigen, die einen anderen Glauben haben und diejenigen, die eine andere Meinung haben."
Aus der Herz Jesu Kathedrale schlendern die 19-jährige Muskan und ihr Freund Siddharth. Die beiden Studenten waren etwa zehn Minuten in der Kirche, die zu den ältesten in der indischen Hauptstadt gehört. Sie sind vor dem Altar in die Knie gegangen und haben danach still in einer der vorderen Bänke gesessen.
Religiöse Gewalt vor allem im Vorfeld von Wahlen
"Wir sind Hindus. Wir sind hier nur zu Besuch und genießen die Ruhe. Wir respektieren jede Religion. Einige Hindus fühlen sich allen anderen überlegen, weil die Hindus in Indien in der Mehrheit sind. Das macht sich bemerkbar, ja. Aber wir leben überwiegend friedlich zusammen. Keine Religion hat das Recht, sich über eine andere zu stellen."
Auffällig ist, dass es in Indien vor allem im Vorfeld von Wahlen zu mutmaßlich religiöser Gewalt kommt. Nur wenige Tage, nachdem die Sankt Sebastian Kirche kurz vor Weihnachten 2014 ausbrannte, wählten die Menschen in Neu-Delhi ein neues Hauptstadt-Parlament.