"Jeden zweiten Tag kommen die Patienten hierher. Sie bekommen nacheinander neun Tabletten gereicht und müssen sie vor den Augen der Krankenpfleger schlucken. Wir nennen das DOT: Direkt observierte Therapie. Wenn sie fertig sind, wird ihr Name in einer Liste abgehakt. Danach erhalten sie ein Frühstück: Brot, Bananen und Eier."
Monika Naik leitet seit vielen Jahren ein Tuberkulose-Krankenhaus in Kalkutta. Doch stationär behandelt werden in Indien nur die wenigsten Patienten. Die meisten erhalten ihre Medikamente hier, in einem DOT-Zentrum.
In dem spärlich eingerichteten Raum stehen drei Mitarbeiterinnen vor einem hohen Regal. Darin lagern etwa einhundert schuhkartongroße Boxen. Jede Box ist mit dem Namen eines Patienten beschriftet. Auf der anderen Seite des Raumes sitzen junge Inder und warten. Drei Mal pro Woche müssen sie hier unter Aufsicht ihre Medikamente einnehmen.
"Manche kommen morgens, andere abends. Das Zentrum hat bis 17 Uhr geöffnet."
Medikamente mit starken Nebenwirkungen
Wer einer geregelten Arbeit nachgeht oder eine Familie zu versorgen hat, dem fällt es schwer, drei Mal pro Woche ein solches DOT-Zentrum aufzusuchen. Zumal eine Tuberkulose-Therapie mindestens sechs Monate dauert, bei schweren Fällen bis zu zwei Jahre. Monika Naik hält das Vorgehen trotzdem für sinnvoll. Denn aufgrund der starken Nebenwirkungen würden viele Patienten ihre Medikamente sonst gar nicht einnehmen.
"Die Nebenwirkungen sind sehr stark, dass viele die Behandlung abbrechen wollen. Die Patienten verlieren ihren Appetit, sie leiden unter Schlafstörungen oder psychischen Problemen."
Im Herbst 2017 hat das höchste indische Gericht entschieden, dass ab sofort die Medikamente sogar jeden Tag eingenommen werden müssen. Das empfiehlt so auch die Weltgesundheitsorganisation. Die tägliche Medikamentengabe soll die Resistenzbildung der Bakterien eindämmen.
Patienten Autonomie über ihren Alltag zurückgeben
Die Lungenärztin Mita Roy, die in einem Kinderkrankenhaus junge Tuberkulosepatienen betreut, begrüßt die Entscheidung - mit einer Einschränkung.
"Wir Pneumologen haben uns immer schon für eine tägliche Behandlung ausgesprochen. Die ist einfach besser. Aber ich bin mir nicht sicher, wie es jetzt in der Realität aussieht, wenn die Patienten ihre Medikamente zu Hause einnehmen."
Denn das ist der Deal der indischen Regierung. Sie verlangt eine tägliche Einnahme der Medikamente, gibt den Patienten dafür aber ein Stück Autonomie über ihren Alltag zurück. Tobias Vogt ist Internist und seit mehr als 15 Jahren für die Organisation German Doctors in Kalkutta im Einsatz. Er erklärt, was sich für die Patienten jetzt alles ändert.
"Man bekommt jetzt als Patient so ein Blister in die Hand. Da sind für 28 Tage die Medikamente drin vorgepackt. Es ist jetzt alles in einer Tablette drin. Ein Vorteil für die Patienten, hilft auch gegen Resistenzentwicklung, dass die Leute nicht eins wegschmeißen und den Rest einnehmen. Und es ist halt nur noch eine am Tag."
Teleüberwachung gegen den Therapieabbruch
Die Patienten können ab sofort eine Monatsration Pillen mit nach Hause nehmen. Doch wie wird kontrolliert, ob sie ihre Medikamente auch wirklich einnehmen? Da kommt die Telemedizin zum Einsatz.
"Ein Patient, der hier morgens seine Tablette rausholt beim Öffnen dieses Türchens erscheint hier eine Telefonnummer. Diese Telefonnummer muss der Patient anrufen. Das ist ein missed call, also der bezahlt da nichts für. Aber es wird im System aufgefangen, dass er sich diese Tablette da rausgeholt hat."
Wenn der Patient die Nummer bis 12 Uhr mittags nicht gewählt hat, wird er per SMS an die Einnahme erinnert. Gleichzeitig vibrieren auch die Telefone der örtlichen Gesundheitsmitarbeiter und weisen sie darauf hin, dass ein Patient bei der Einnahme der Medikamente nachlässig ist.
Nur ob ein Patient nach dem Anruf auch wirklich seine Pillen geschluckt hat, das lässt sich aus der Ferne nicht überprüfen. Die indische Regierung zeigt sich zuversichtlich. Pilotprojekte hätten gezeigt, dass die Patienten durch die Teleüberwachung seltener ihre Therapie abbrechen.