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Indiens Islamistenkrieg

Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar, der zur Zeit in Tübingen die Poetik-Dozentur wahrnimmt, wurde in Deutschland von den Bombayer Anschlägen überrascht - und seine erste Reaktion auf die Angriffe klingt ein wenig ratlos.

Von Christian Gampert |
    " Ich weiß nicht, ob Indien wirklich das Ziel dieser Anschläge ist. Haben sie etwas gegen Indien, oder ist das einfach der neue, weltweite Techno-Terrorismus? Diese Leute sind technologisch sehr gut ausgebildet, absolut auf dem Level des Informations-Zeitalters. Die Aktion war peinlich genau vorbereitet. Sie kamen von außerhalb, vom Ausland, und ich gäbe viel darum zu wissen, woher sie kamen. "

    Die indische Regierung beschuldigt reflexartig Pakistan, wo viele El-Kaida-Terroristen sich aufhalten. Vielleicht haben die "Deccan Mudschahedin" aber auch einen anderen Hintergrund.

    " Ist Kaschmir das Problem? Ich weiß es nicht. Ich weiß noch nicht einmal, worüber die Terroristen so unglücklich sind. Sind es vergangene Gerichtsurteile gegen Muslime? Beklagen sie sich über die letzten zwölfhundert Jahre der indischen Geschichte? Keine Ahnung. "

    Nur bei einem Motiv ist Nagarkar sich sicher: Es geht um die Sichtbarkeit in den Medien.

    " Sie haben kapiert, dass sie eine hohe Präsenz in den Medien brauchen. Vor zwei Jahren gab es sieben gleichzeitige Anschläge auf Züge. Das hat ihnen Publicity gebracht, aber sie haben verstanden, dass diese Publicity noch unendlich zu verbessern ist, wenn sie Ausländer als Geiseln nehmen, sehr reiche Ausländer. "
    Das angegriffene Taj-Mahal-Hotel ist ein genuines Symbol für die Unabhängigkeit Indiens, sagt Nagarkar. Und amerikanische, englische und jüdische Geiseln (mit diesem rassistischen Unterton) garantieren ausufernde Sendezeiten bei CNN und in Europa. Das scheint die Strategie der Angreifer zu sein: den internationalen Konflikt nach Indien zu tragen und das Finanzzentrum Bombay zu attackieren. Angriffe auf Krankenhäuser und Bahnhöfe aber seien eine neue Dimension, sagt Nagarkar; das habe es bisher nicht gegeben.

    " Es gibt noch ein anderes Ziel: sie wollen den Graben zwischen Hindus und Moslems vergrößern. Können sie die Hindus verführen, etwas Schreckliches zu tun? Vielleicht liege ich falsch, aber wenn ich meine Heimatstadt Bombay richtig kenne und vergangene Erfahrungen interpretiere, dann glaube ich nicht, dass Hindus und Moslems so dumm sein werden, sich erneut zu bekämpfen - wegen eines Angriffs von außen. Das ist die große Hoffnung der Terroristen, dass wir wieder in diesen alten Kampf verfallen. "

    Allerdings thematisieren vor allem die fundamentalistischen Parteien in Indien ständig den Konflikt zwischen Hindus und Moslems - einfach um Wählerstimmen zu bekommen.

    " Es wird immer betont, dass es ein Anwachsen der Rivalität zwischen Hindus und Moslems gebe und dass die beiden Parteien das Kämpfen nicht lassen könnten. Das ist doch nur Gefasel. Muslime sind seit zwölf Jahrhunderten in Indien. Von diesen zwölf Jahrhunderten, auch wenn man die schlechten Zeiten einrechnet, ist man elf Jahrhunderte einigermaßen miteinander ausgekommen oder hat sich in Ruhe gelassen. Das heißt, man kann in Indien muslimische und hinduistische Kultur nicht wirklich getrennt voneinander sehen. Wenn man unseren klassischen Gesang nimmt, den Tanz, die Architektur, die Stimmen unserer Sänger, die Bollywood-Filmindustrie, dann gibt es nichts ohne diese beiden großen Gemeinschaften. Auch unter Einschluss der Christen, der Sikhs und der Panjabis. "

    Nagarkar sprach in Tübingen über Indiens verlorenen Idealismus nach der Unabhängigkeit und über das indische Gewirr aus mehr als 200 Sprachen, das ein kleines Weltmodell sei. In seinem letzten Roman "God's little Soldier", "Gottes kleiner Krieger", hat Nagarkar die Psycho-Studie eines fanatischen Kämpfers geliefert.

    " Seine Religion ist der Extremismus. Er kann nur extreme Haltungen einnehmen. Er will Reinheit, und er ist auf der Suche nach absoluten Antworten. Und vergessen Sie nicht: er ist Mathematiker. In seinem Sinn ist Gott die absolute Antwort. Danach sucht er. "

    Damit beschreibt Nagarkar offenbar genau den Kämpfertyp der "Deccan Mudschahedin": fanatisch und hochintelligent.