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Indiens neue Öko-Bewegung

Die Umweltprobleme in Indiens Hauptstadt Delhi stinken zum Himmel: Nur die Hälfte der Haushalte ist an die Kanalisation angeschlossen, der Müllberg wächst stetig. Weil es in Indien keine politische Partei gibt, die sich für den Umweltschutz einsetzt, nehmen immer mehr Menschen die Probleme selbst in Angriff.

Von Friederike Schulz | 12.11.2011
    "Das gibt es doch nicht – drehen sie sofort den Gartenschlauch zu!"
    Neeta Anand hat ihren kleinen weißen Toyota mitten auf der Straße angehalten und schimpft mit dem Hausangestellten eines ihrer Nachbarn, der mit einem dicken Schlauch ein Auto abbraust. In der "Defence Colony", einem der betuchten Wohnviertel Delhis, ist es völlig normal, dass jede Familie mehrere Angestellte hat: Köche, Reinigungskräfte, Fahrer. Letztere waschen bei jeder Gelegenheit die dicken Geländewagen ihrer Arbeitgeber vor der Haustür – und zwar mit Grundwasser, denn in der Defence Colony hat jeder seinen Privatbrunnen vor der Tür. Die öffentliche Wasserversorgung in der Stadt funktioniert gerade einmal zwei Stunden am Tag – morgens von 5.30 Uhr bis 6.30 Uhr und noch mal eine Stunde am Nachmittag .Und so baut jeder, der es sich leisten kann, einen eigenen Brunnen, um das Grundwasser anzuzapfen. Neeta Anand lehnt sich aus dem Fenster ihres Wagens, winkt den Hausangestellten heran. Der guckt betreten auf seine Fußspitzen, während ihm die studierte Anglistin einen Vortrag über den sinkenden Grundwasserspiegel hält.

    Anand: "Wollen Sie etwa, dass ihre Kinder nicht mehr in der Stadt leben können, weil es hier bald kein Wasser mehr gibt?"

    Hausangestellter: "Nein, äh, natürlich nicht. Aber es gibt doch genug Wasser, und der Hausherr sagt nun mal, ich soll jeden Tag das Auto waschen."

    Anand: "Wissen Sie, das Problem ist, dass das Wasser, mit dem Sie das Auto waschen, Grundwasser ist. Und das wird immer knapper, weil alle so verschwenderisch damit umgehen. Denken sie doch bitte künftig daran."

    In einigen Stadtvierteln von Delhi ist der Grundwasserspiegel inzwischen auf unter 60 Meter abgesunken - zum Vergleich: In deutschen Städten liegt er im Schnitt bei etwa zehn Metern. Der private Brunnenbau ist zwar offiziell verboten, doch Kontrollen gibt es nicht.

    Der Hausangestellte nickt schuldbewusst, verspricht, den Wagen künftig nur noch mit Schwamm und Eimer zu reinigen. Neeta Anand kurbelt die Scheibe hoch und gibt Gas. Vor einigen Jahren hat sie eine Anwohnerinitiative gegen die Wasserverschwendung in ihrem Viertel gegründet. Seither nutzt sie jede Gelegenheit, ihre Nachbarn auf die Problematik aufmerksam zu machen.

    Neeta Anand hat ihren Wagen vor dem Eingang ihres Hauses geparkt, dann ruft sie einen ihrer Hausangestellten, bittet ihn, den Kanaldeckel neben der Eingangstür zu öffnen. Mit beiden Händen fasst der Bedienstete eine große Steinplatte vor dem Hauseingang und stemmt sie hoch. Darunter wird ein Wasserbecken sichtbar – Neeta Anands ganzer Stolz. Darin sammelt sich nach jedem Regenguss das Wasser, das sonst zum großen Teil über die Abwasserkanäle ungenutzt abfließen würde.

    "Das Wasser fließt über Regenrinnen in ein Sammelbecken. Dort wird es zum ersten Mal gefiltert, bevor wir es über ein Rohrleitungssystem mit weiteren Filtern in die Erde leiten. Es sickert dann ganz von selbst nach unten bis zum Grundwasser."

    Inzwischen hat Neeta Anand viele Nachbarn von der Idee überzeugen können. Es kostet umgerechnet rund 200 Euro, ein solches System zum Sammeln von Regenwasser zu installieren – ein Luxus, den sich nur die gehobene Mittelschicht in den besseren Wohnvierteln leisten kann. Dort allerdings ist der Erfolg deutlich messbar: In der Defence Colony ist der Grundwasserspiegel in den vergangenen fünf Jahren um vier Meter gestiegen.

    Ein paar Kilometer weiter südlich liegt Okhla, ebenfalls ein gehobenes, eher verschlafenes Wohnviertel. Doch seit einer halben Stunde geht auf der Hauptverkehrsader in Richtung Stadtzentrum nichts mehr. Entnervte Autofahrer sind aus ihren Wagen ausgestiegen, das Hupen haben sie aufgegeben. Auf der zentralen Kreuzung stehen rund 200 Demonstranten und machen ihrem Ärger Luft. Mitten in Okhla soll in ein paar Wochen die erste Müllverbrennungsanlage der Hauptstadt eröffnet werden. Jeden Tag fallen in Delhi viele Tonnen Müll an, die Deponien quellen über. Und so gab die Stadtverwaltung ihr Einverständnis für den Bau, obwohl die indischen Umweltgesetze den Betrieb von Verbrennungsanlagen im Stadtgebiet verbieten. Seit Monaten protestieren die Anwohner gegen das Vorhaben und besetzen regelmäßig Straßenkreuzungen. "Die Stadtregierung verpestet unser Viertel – nein zur Müllverbrennungsanlage", steht auf einem Plakat, das die Anwohnerin Vanya Joshi hochhält.

    "Sie werden hier Computer und Elektroschrott verbrennen – allen nur erdenklichen giftigen Müll. Dadurch werden toxische Stoffe frei, und diese Anlage hat kein ausgeklügeltes Filtersystem. Wir haben die Sorge, dass die Leute krank werden, vor allem für schwangere Frauen ist das ein hohes Risiko. Die Umweltgesetze in Indien sind zwar etwas strenger geworden seit ein paar Jahren, aber ich traue unserer Regierung nicht, wenn sie sagt, dass keine Schadstoffe in die Luft gelangen."

    Direkt hinter einem Kinderspielplatz und der Grundschule ragt das Stahlgerüst der Verbrennungsanlage auf – gut geschützt durch einen drei Meter hohen Stacheldrahtzaun. Ranjit Devraj kommt jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit hier vorbei. Der Buchautor wohnt gleich um die Ecke und hat die Initiative gegen die Anlage gegründet. Als er vor gut einem Jahr von den Plänen der Stadtregierung erfuhr, informierte er seine Nachbarn und rief im Internet eine Protest-Seite bei "Facedbook" ins Leben. Inzwischen ist die Seite die zentrale Plattform für die Bürgerinitiative geworden. Hier tauschen sich die Aktivisten mit anderen Umweltgruppen aus, geben den Treffpunkt für die nächste Demo bekannt und bereiten Unterschriftenlisten vor. Ihr neuestes Projekt: eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof. Der habe in den vergangenen Jahren immer wieder Maßstäbe in puncto Umweltschutz gesetzt hat, erzählt Ranjit.

    "Der Bau dieser Verbrennungsanlage in einem Wohngebiet verstößt ganz klar gegen mehrere Urteile des Gerichtshofes. Die Stadtregierung weiß das, aber sie hat sich beeindrucken lassen von den Bauherren der Anlage, die leider sehr viel Geld haben. Aber sie haben die Rechnung ohne uns gemacht. Wir haben Ahnung von der Umweltgesetzgebung und wir haben gute Anwälte – wir wissen, mit welchen Mitteln wir juristisch dagegen vorgehen können."

    Ranjit weiß: Wer in Indien genug Geld mitbringt, überzeugt die Behörden leicht davon, über ein paar Umweltstandards hinwegzusehen. Die Chancen auf Erfolg vor Gericht stehen zwar nicht schlecht, doch bis zu einem Urteil kann noch ein Jahr vergehen. Bis dahin könnten die Bauherrn die Anlage längst in Betrieb genommen und Fakten geschaffen haben. Bislang hat der Schutz der Umwelt in Indien keine politische Lobby. Dass es eines Tages eine Partei geben könnte, die sich für die Umwelt einsetzt, daran glaubt Ranjit Devraj nicht – ihm ist sehr wohl bewusst, dass er und seine Mitstreiter zu einer kleinen Elite von Ökoaktivisten gehören, die es sich überhaupt leisten können, ihre Freizeit und ihr Geld in Umweltbelange zu investieren.