Neues Buch von Lothar Kraft
Indigenes Erbe und Oper in Lateinamerika

Klassische Musik, insbesonders die Oper, gelten als westliche Kulturphänomene. Das Buch „Lasst nicht zu, dass unser Lied verstummt – Indigenes Erbe und Oper in Lateinamerika“ von Lothar Kraft zeigt auf, dass der Kulturaustausch aber keine Einbahnstraße war.

Von Regine Müller |
Blick in den Innenraum des Opernhauses in Manaus mit seinem imposanten Deckengemälde, Kronleuchter und vielen schmucken Rängen.
Der einträgliche Kautschuk ermöglichte die Entfaltung von Kultur. So entstand zum Beispiel in Manau das prächtige Opernhaus. (Unsplash / Asafh Kalebe)
Das Buch von Lothar Kraft erzählt die Geschichte der Musik Lateinamerikas, die seit der Ankunft der europäischen Eroberer ein Schmelztiegel unterschiedlichster Einflüsse war. Gespickt mit verblüffenden Fakten zeigt es, dass der kulturelle Austausch beileibe nicht einseitig stattfand.

Liebe zu Brasilien

Lothar Kraft reiste im Herbst 1969 nach Rio de Janeiro und blieb vier Jahre in Brasilien, reiste viel und tauchte in die Musikszene ein. Zuerst faszinierten ihn die populären Shows des Landes, bis er auch die brasilianische Kunstmusik die „musica erudita“ in ihrer Vielfalt entdeckte.
Später zog Kraft nach Berlin und interessierte sich für die Berliner Musikgeschichte. Dabei entdeckte er den Komponisten Carl Heinrich Graun und dessen Montezuma-Oper, die in Lateinamerika spielt und vom Eroberer Hernando Cortez handelt. Ein Sujet, das nicht nur in der Barockzeit äußerst beliebt war. Mit dieser Verbindung zwischen Alter und Neuer Welt und dem transkulturellen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika hatte Lothar Kraft sein Forschungsthema gefunden.

Die Anfänge der Kolonialisierung

Das größte Kapitel in Krafts Buch ist überschrieben mit „Musik und Gesellschaft in Brasilien.“ Es erzählt, wie im Jahr 1500 die Portugiesen erstmals das Land betraten und in Porto Seguro, heute Bahia gleich eine erste Messe feierten.
Anwesend waren 1200 Europäer und 200 Indigene, gesungen wurde gregorianischer Choral und mehrstimmige Vokalpolyphonie der Renaissance. Ab 1550 gab es in Brasilien Jesuitenschulen mit Musik – und Theaterunterricht.

Freude an der Musik

Kraft führt aus, dass die indigenen Völker in Amerika großes Interesse an Musik hatten. Da sie aus Umfeldern oraler Musiküberlieferung stammten, fiel es ihnen nicht schwer, die neue Musik aus Europa, wie den einstimmigen Choral oder die mehrstimmige Sätzeohne Noten auswendig zu lernen.
Wo die Portugiesen und andernorts die Spanier waren, war auch Musik und es wurde immer mehr. Kraft führt viele Namen aus dem dem frühen 19. Jahrhundert auf. Aber auch Musiker aus Familien mit indigenen Wurzeln wirkten in den zahlreichen Opernhäusern, die im ganzen Land entstanden.

Richtung Europa unterwegs

Die Wege der Musik führten aber auch von Lateinamerika nach Europa, wie die Karriere der brasilianischen Sängerin Lapinha, die 1759 in Minas Gerais geboren wurde, als Koloratursopranistin 1780 auf einer Bühne in Rio de Janeiro debütierte und von 1791 bis 1805 in Lissabon und anderen portugiesischen Städten auftrat. Dabei übersprang sie zwei Hürden: Sie hatte eine dunkle Haut und sie war eine Frau.
Im 18. Jahrhundert war es unüblich, dass Frauen auf der Bühne standen, noch übernahmen Kastraten ihre Rollen. Doch für Lapinha erwirkte das portugiesische Königshaus eine Ausnamegenehmigung.

Ausbildung im Land

Die zahlreichen Musiker der Opernhäuser verdankten ihre Ausbildung örtlichen Leitern von Blaskapellen und Musikensembles, die für die Großgrund- und Minenbesitzer arbeiteten.
Zudem gab es keine Trennung im Musikverständnis von E- und U-Musik. Beides wurde, so belegt es Kraft, immerwährend gemischt, bis heute.

Weitere Länder im Blick

Nach dem zentralen Kapitel über Brasilien mit vielen kleinen Unterkapiteln zu den Regionen und ihren Eigenheiten folgt ein längerer Exkurs über Mexiko, ein Kapitel über den karibischen Raum und reisende Opernkompanien, analytische Betrachtungen zu Eliten und Volkskultur in Ländern wie Peru und Chile.
Danach folgt er Abschnitt „Auf der Suche nach der amerikanischen Musik“ die Musikkultur der USA zu fassen.

Neugierde entfachen

Das Buch ist eigentlich eine Überforderung, denn Lothar Kraft hat es vollgestopft mit Namen, Fakten und Daten, alles ist belegt, aber das meiste wird nur angerissen und selten vertiefend dargestellt.
Aber als Fundgrube und als Inspiration, sich weiter in das Thema zu vertiefen, ist die Lektüre unbedingt zu empfehlen. Denn das Buch hilft, eine Lücke zu schließen und zeigt, Und nicht zuletzt zeigt es, dass die aktuellen Debatten über Dekolonisierung in Sachen Differenzierung dringenden Nachholbedarf haben.
Lothar Kraft:
"Lasst nicht zu, dass unser Lied verstummt"
Indigenes Erbe und Oper in Lateinamerika

Verlag: Königshausen und Neumann
278 Seiten
ISBN: 978-3-8260-8439-3
22,80 Euro