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Indische Medien im Kaschmir-Konflikt
Zwischen Kriegsgetöse und Bollywood

Nach dem Selbstmordanschlag im indischen Teil Kaschmirs ist die Situation nicht nur auf der politischen Bühne Indiens eskaliert, sondern auch in den Medien. Journalistische Grundsätze wurden über Bord geworfen. Dahinter steht nicht nur der Kampf um Aufmerksamkeit, sondern auch Druck von Indiens Regierung.

Von Silke Diettrich |
Im indischen Ahmedabad feiern Menschen die Übergabe des abgeschossenen Piloten Abhinandan Varthaman von Pakistan an Indien
Bollywood-reifes Spektakel bei der Übergabe des abgeschossenen Piloten Abhinandan Varthaman von Pakistan an Indien (picture alliance / newscom / SAM PANTHAKY/AFP)
Vor mehr als zwei Wochen hat ein Selbstmordattentäter sich in Indien in die Luft gesprengt. Mehr als 40 Sicherheitskräfte haben in Kaschmir dabei ihr Leben verloren. Obwohl der Attentäter aus Indien kam, sagt die indische Regierung, dass Pakistan hinter dem Anschlag stecke, denn eine pakistanische Terrorgruppe hat sich zu dem Anschlag bekannt. Danach eskalierte die Situation zwischen Indien und Pakistan. Gefechte in der Luft, Gefechte am Boden in der Grenzregion. Propaganda auf beiden Seiten, in einer Zeit, in der man von Medien erwarten könnte, dass sie statt zu spekulieren, auf Zwischentöne aufmerksam machen, um die Bevölkerung nicht an zu stacheln. Nicht so in Indien. Zwei Wochen lang haben sie Kriegspropanda betrieben.
Der Sound von indischen Nachrichtkanälen der letzten Tage klingt wie der Ausschnitt aus einem Action-Streifen. Die Bilder dazu martialisch: Luftmanöver von Kampffliegern. Aus dem Archiv. Denn von den aktuellen Gefechten gibt es keinerlei Aufzeichnungen. Noch bevor die Regierung oder die Armee offizielle Statements abgibt, heizen die Fernsehmoderatoren die Stimmung in Indien an:
"1,3 Milliarden Menschen hier sind wütend. Fünf ehemalige Generäle reden nun hier über die Kriegspläne und sagen uns, wie wir das bankrotte Pakistan vernichten werden."
Keine Beweise, dass Pakistan Drahtzieher ist
Es wird nie einen Beweis dafür geben, dass die pakistanische Regierung hinter dem Selbstmordanschlag auf die indischen Sicherheitskräfte gesteckt hat. Klar ist nur, dass es sich um eine Terrororganisation gehandelt hat, die aus Pakistan heraus operiert. Die indische Regierung allerdings hat ganz offiziell Pakistan als Drahtzieher beschuldigt, die indischen Medien übernehmen den Vorwurf eins zu eins. Nur wenige trauen sich das zu kritisieren in Indien, einer davon ist Hartosh Singh, er ist einer der politischen Redakteure des Magazins Caravan:
"Die Medien haben anders reagiert, als wir es eigentlich von ihnen erwarten würden: Sie sollten skeptisch sein, Fakten checken, die Regierung in Frage stellen. Aber stattdessen waren sie eher das Sprachrohr der indischen Regierung."
Wenn die Töne nicht kriegerisch waren, dann wurde das patriotische Herz der Inder gesalbt. In nationalistischen Songs wird darüber gesungen, dass Indien in sicheren Händen sei, denn dieses Land sei unsterblich.
"Die Stimmung der Bevölkerung wird angeheizt durch Nationalismus", sagt Singh. "Jeglicher Sinn für die Realität ist auf beiden Seiten verloren gegangen. Und wir sind zwei Nuklearmächte, das kleinste Missverständnis zwischen uns birgt prinzipiell eine Gefahr für die gesamte Welt. Und die Medien hier schüren das Feuer noch zusätzlich an."
Kaschmir, Pakistan und die Armee. Diese drei Trigger reichen aus, um die Gemüter in Indien in Sekundenschnelle in Wallung zu bringen. Journalistische Grundsätze werden dann über Bord geworfen.
Kampf um Aufmerksamkeit der Nachrichten-Zuschauer
Der Patriotismus hat sich auf sämtlichen Kanälen Bahn gebrochen. Einmalig an der indischen Medienlandschaft ist, dass es so viele News-Fernsehsender gibt, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Nationale Sender auf Englisch, regionale auf Hindi und unzählige Sender in den zahlreichen Landessprachen. Rund 400 Fernsehsender liefern rund um die Uhr Nachrichten. Die Konkurrenz um Zuschauer ist enorm. Es scheint, als könnten sich die Nachrichten-Moderatoren nur durch Lautstärke und Radikalität Gehör verschaffen. Eine Besonderheit der indischen Medien zudem: Die Regierung schaltet Anzeigen und bezahlt dafür. Fallen diese Anzeigen weg, weil eine Zeitung oder ein Sender zu kritisch berichtet, könnte das Medium kaum überleben. Die Regierung kann also mächtig Druck ausüben: Zu kritische Moderatoren oder Journalisten mussten schon ihren Posten räumen. Wer nicht auf Partei-Linie ist, gilt in Indien schnell als anti-national:
"Menschen, die gegen unsere Nation sind, auf dem Campus der Universitäten sprechen sie ihre Solidarität für Pakistan aus. Die sind im Herzen Pakistaner. Auch die müssen nun für ihre Verbrechen zahlen."
Das fordert ein Nachrichtenmann des Senders Republic TV, der keinen Hehl daraus macht, die aktuelle Regierung zu unterstützen. Aber auch auf der anderen Seite haben die Medien mächtig Propaganda betrieben. Ein indischer Pilot war von den Pakistanern gefangen genommen worden. Ausgeschlachtet wurden die Videos von ihm, in den Sozialen Netzwerken und auch den nationalen Fernsehsendern.
Bollywood hätte das nicht besser inszenieren können
Der indische Pilot Abhinandan lobt die pakistanischen Offiziere und die pakistanische Armee. Und muss dann noch sagen, dass der pakistanische Tee, der ihm gereicht wurde, köstlich schmecke. An dieser Person hat sich der eskalierende Konflikt tagelang fest gehalten. Bis es zum Showdown kam, ausgeschlachtet von beiden Seiten: Die Übergabe des Piloten am einzigen offiziellen Grenzübergang der beiden Länder, an der Wagah-Border. Ein Helden-Epos, der die indischen Medien stundenlang in Atem hielt, weil sich die Übergabe lange hinaus zögerte.
"Unser Held kehrt heim!" Der Titel jeder Nachrichtensendung, alle News-Sender: live dabei. Bollywood hätte das nicht besser inszenieren können. Seitdem haben sich die Stimmen in den Medien ein wenig beruhigt. Kritik an der medialen Kriegspropaganda kommt fast nur aus dem Ausland. Bei dem nächsten Zwischenfall werden die Medien das Kriegsgetöse und damit die Stimmung in den Ländern sicherlich wieder mit anheizen.